Protokoll der Sitzung vom 19.03.2009

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich willkommen zur 119. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf den Zuschauertribünen sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich acht Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Ein Mitglied des Hohen Hauses hat heute Geburtstag: Karl Kress feiert seinen 64. Da er noch nicht da ist, gratuliere ich ihm schon einmal in Abwesenheit und wünsche ihm im Namen aller Kolleginnen und Kollegen alles Gute.

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren, wir treten in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Leistungsgerechtes Honorar für niedergelassene Ärzte sicherstellen

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 14/8785

Die Fraktionen von CDU und FDP haben mit Schreiben vom 16. März 2009 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen Henke von der CDU-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Henke.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die CDU-Landtagsfraktion will an den Anfang dieser Debatte ihren Dank an die Ärztinnen und Ärzte in Nordrhein-Westfalen und ihre Mitarbeiter für aufopferungsvolle Arbeit, qualifizierte Patientenversorgung und zuverlässige Gesetzes- und Vertragstreue stellen.

(Beifall von der CDU)

Wer sich so für die Kranken einsetzt wie diese guten Ärzte, hat diese Honorarreform nicht verdient. Ich will aber auch sagen: Wer von gesetzlich versicherten Patienten Vorkasse verlangt, handelt rechtswidrig und bringt die vertragstreuen Ärzte in Misskredit.

(Beifall von der CDU)

Wir fordern eine rasche Korrektur der unerträglichen Benachteiligung der nordrhein-westfälischen Ärzteschaft. Das Vergütungssystem muss einfacher, verständlicher und transparenter werden.

Die Krankenhäuser, um auch das zu sagen, sind weder personell noch von den Abläufen her in der Lage, die drohenden Lücken in der ambulanten Versorgung durch niedergelassene Ärzte zu kompensieren. Nur mit einer leistungsgerechten Honorierung der Regelversorgung wird eine flächendeckende haus- und fachärztliche Versorgung der Bevölkerung durch niedergelassene Ärzte auf hohem Qualitätsniveau zu erhalten sein. Außerdem ist eine besondere Förderung für die ärztliche Versorgung auf dem Land und für eine verlässliche Hausarztmedizin nötig.

Es kommt darauf an, dass man mit den ärztlichen Kernarbeiten ein angemessenes Einkommen erzielen kann, statt sich zum Honorarakrobaten zu verbiegen. Pauschalen von 32 oder 36 € für die ganze hausärztliche Regelleistung eines kompletten Quartals sind eine dauerhafte Demotivation. Dabei wissen wir natürlich, dass das nicht die komplette Vergütung der niedergelassenen Ärzte für alle Leistungen ist und dass die Fachgruppen sehr unterschiedlich von der Möglichkeit betroffen sind, neben dem Regelleistungsvolumen andere Erträge zu erzielen.

In Internet gibt es eine Seite, die sich mit der Übersetzung von Sprichwörtern in möglichst kompliziert und wissenschaftlich klingende Aussagen befasst. Der Satz „Über allen Wipfeln ist Ruh’“ wird dort mit der Formulierung übersetzt: Oberhalb der Kulminationspunkte forstwirtschaftlicher Bestände tendieren die Dezibelwerte gegen den Nullpunkt. – Ein anderer Satz dort lautet: Es existiert ein Interesse an der generellen Rezession der Applikation relativ primitiver Methoden komplementär zur Favorisierung adäquater komplexer Algorithmen. Das bedeutet übersetzt: Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht.

Deshalb freut sich jeder, der einen einfachen Text, noch dazu aus einem Ministerium, hört. Einen solchen Satz habe ich Ihnen mitgebracht. Er stammt aus dem Bundesministerium für Gesundheit vom 15. Dezember 2008. Er lautet:

Seit 1. Januar 2006 werden die Leistungen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte mit festen Preisen einer Euro-Gebührenordnung vergütet. Damit erhöht sich die Kalkulierbarkeit des ärztlichen Einkommens. Die bisherigen Budgets werden abgelöst. Vereinbart wurde, dass die Ärzte ab dem Jahr 2009 mehr Leistungen zu höheren Preisen abrechnen können.

Es gibt eine ganze Reihe ähnlicher Sätze, zum Beispiel unmittelbar von Ministerin Schmidt vom 17. Oktober 2008 im Deutschen Bundestag – wörtliches Zitat –:

Ab 1. Januar 2009 wird unser Gesundheitssystem ein großes Stück übersichtlicher.

Oder von derselben Ministerin vor dem Deutschen Ärztetag 2008 in Ulm – wörtliches Zitat –:

Die Reform wird mehr Geld für die ambulante Versorgung bringen und die Vergütung des einzelnen Arztes verlässlicher und gerechter machen. Ich

so Frau Schmidt –

sage dies hier bewusst, und ich weiß, dass ich mit dieser Aussage Verantwortung dafür übernehme, dass die bessere Honorierung bei den im Herbst anstehenden Finanzierungsentscheidungen berücksichtigt wird.

Schließlich von derselben Ministerin am 29. August 2008, als die Honorarreform beschlossen wurde:

Mit dem von der Selbstverwaltung erzielten Ergebnis kommt die Gesundheitsreform ein weiteres großes Stück voran. Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte erhalten nun ein kalkulierbares, gerechteres und auch transparentes Honorarsystem. Damit wird die mit der Gesundheitsreform beschlossene grundlegende Neuordnung der Honorierung umgesetzt.

Ich sage: Statt damals die Haken und Ösen der Honorarreform zu erklären, statt damals von Gewinnern und Verlierern zu sprechen, statt damals auf noch zu lösende Probleme hinzuweisen, wurden überall nur Erwartungen geweckt, Hoffnungen angestachelt und ein kalkulierbares, gerechteres und auch transparentes Honorarsystem versprochen.

Heute weiß jeder Zeitungsleser, dass dieses Versprechen nicht eingelöst ist. Heute spricht auch die Bundesministerin für Gesundheit ganz anders – Zitat –:

Kein Arzt weiß, was das erste Quartal tatsächlich an neuem Honorar bringt.

So Frau Schmidt am vorigen Mittwoch im ARDMorgenmagazin. Das könne man erst im Mai feststellen. Die Ungerechtigkeiten, die jetzt beklagt würden, seien Verteilungsprobleme zwischen den Arztgruppen.

Meine Damen und Herren, jeder Arzt und seine Mitarbeiter wissen, was das erste Quartal an Kosten bringt, denn der Arzt kennt die Preise seiner Miete, seiner Praxisinvestitionen, seiner Energiekosten und vor allem seiner Personalkosten.

Dieses Missverhältnis – Nichtwissen um das Honorar, aber festes Wissen um die Kosten – ist es, was die Härte und Emotionalität der Auseinandersetzung erklärt, die wir zurzeit erleben. Eben dieses Missverhältnis ist ja das, was durch ein kalkulierbares, gerechteres und auch transparentes Honorarsystem beseitigt werden sollte.

Nordrhein-Westfalen ist in spezifischer Weise bei der Verteilung benachteiligt. Bei der inzwischen von dem INEB, dem Institut zur Berechnung des einheitlichen Bewertungsmaßstabes, durchgeführten Simulationsrechnung kommt das INEB auf eine Gesamtsumme von 3,5 Milliarden €, die zusätzlich zur Verfügung stünden – 500 Millionen € mehr, als man noch vor zwei Monaten angenommen hat, 700 Millionen € mehr, als man noch im August angenommen hat. Bei der Verteilung dieser augenscheinlich 3,5 Milliarden € bekommt NordrheinWestfalen ein Plus von 200 Millionen €.

Deswegen herrscht hier eine ungerechte Verteilung. Wir sind als CDU-Fraktion für die Anstrengungen von Gesundheitsminister Laumann außerordentlich dankbar, mit einer Art konzertierter Aktion des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen die Benachteiligung unseres Bundeslandes zu bekämpfen. Ich sage auch: Eine komplette Rückabwicklung der Honorarreform mit Abkehr von Vergütungen in Euro und Cent und neuen Ungerechtigkeiten für die Ärztinnen und Ärzte im Osten des Landes wird es nicht geben können. Es kann aber nicht sein, dass Nordrhein-Westfalen bei einem Honorarplus von inzwischen nach Presseberichten sogar bis zu 3,8 Milliarden € mit 200 Millionen € mehr abgespeist wird und viele fleißige Ärzte zu Verlierern werden.

(Beifall von CDU und FDP)

Deswegen ist es Aufgabe aller, auch der Bundesgesundheitsministerin, aber auch von uns allen hier im Landtag, uns um Abhilfe zu kümmern. Das Geld für eine gerechtere Verteilung ist nach den jüngsten Meldungen offenbar vorhanden. Dann müssen wir diese gerechtere Verteilung bewirken.

Ich bin fest davon überzeugt, dass auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, hierbei die CDU- und FDP-Fraktion unterstützen werden. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Henke. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Dr. Romberg.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Streit um das Arzthonorar zieht inzwischen weite Kreise. Die zum Teil hochemotional geführte Debatte zeichnet sich vor allem durch wechselseitige Schuldzuweisungen aller Beteiligten aus. Auch Patienten, die immer häufiger vor verschlossenen Praxistüren stehen, sind betroffen, weil Ärzte bundesweit auf die Straße gehen, um ihrem Unmut Luft zu machen. Einige von ihnen wollen sogar zurück zum alten Honorarsystem, obwohl sie damit in den letzten Jahren alles andere als zufrieden waren.

Für die Große Koalition in Berlin kommt dieser Protest eher zur Unzeit. Denn die Reform der Honorarordnung sollte die Ärzte im Jahr der Bundestagswahl beruhigen, und jetzt brennt die Hütte. Für Ärger am laufenden Band hat schon der unsägliche Gesundheitsfonds gesorgt, der sich für das Geld der Beitragszahler als Fass ohne Boden erweist und überhaupt nichts an der Versorgungsqualität verbessert – im Gegenteil.

Hinzu kommt, dass die versprochene Abschaffung der Budgetierung nicht erfolgt ist, sondern mit den Regelleistungsvolumina lediglich einen neuen Namen erhalten hat. Der Praxistest beweist, dass es sich bei diesen Regelleistungsvolumina, die auf Durchschnittsberechnungen beruhen, nicht um arztindividuelle Budgets handelt. Eine solche Grundlage widerspricht aber den realen Verhältnissen, und das ist das Problem. Denn entsprechende Standardpraxen gibt es in Nordrhein-Westfalen und auch im sonstigen Bundesgebiet nicht.

Es ist eben ein Unterschied, ob eine Praxis in Düsseldorf liegt oder im Münsterland. Es gibt große Unterschiede, wie viele schwer erkrankte oder ältere Menschen in einer Praxis behandelt werden. So, wie sich die zu behandelnden Krankheiten innerhalb eines Fachgebiets je nach Art und Region unterscheiden, so unterscheiden sich auch die Ausstattungen, die Praxen benötigen. Da die niedergelassenen Ärzte aus diesem Grund einen unterschiedlichen Finanzierungsbedarf haben, muss das auch in der Vergütung zum Ausdruck kommen. Das ist eben nicht der Fall.

Hinzu kommt, dass es auch noch Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten zwischen den Bundesländern und zwischen den Facharztgruppen gibt. So klagen vor allem Gynäkologen, Orthopäden, Augenärzte, Hautärzte. Fest steht jedenfalls, dass viele Ärzte in Nordrhein-Westfalen zu den Verlierern gehören. In Westfalen-Lippe müssen allein die 4.800 Hausarztpraxen Verluste von bis zu 20 % verkraften. Damit sind Praxisschließungen vorprogrammiert. Das ist angesichts der Aktivitäten der Landesregierung gegen den drohenden Ärztemangel auf dem Land ein wirklich kontraproduktives Signal aus Berlin.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Wie sollen wir angesichts solcher Zahlen die zahlreich abwandernden Ärzte noch dazu überreden, eine Landarztpraxis zu betreiben? Was bedeutet das in der Konsequenz für die Versorgungssicherheit in den Kommunen im Münsterland, Sauerland, Siegerland, in der Eifel? Ich glaube, diese Entwicklung geht in keine gute Richtung, wenn sich nichts ändert. Die Große Koalition in Berlin hat es jedenfalls versäumt, die flächendeckende Versorgung gerade in ländlichen Regionen langfristig sicherzustellen.

Die Bundesgesundheitsministerin versucht nun zu retten, was zu retten ist, und hat sich den Streithähnen, Kassen und Ärzten, als Vermittlerin angeboten. Das ist ein bisschen so, als würde man den Bock zum Gärtner machen. Frau Schmidt lehnt sich zurück und meint, sie hätte damit gar nichts zu tun. Aber es ist doch die Honorarreform aus ihrem Haus.

Natürlich haben sich die Ärzte eine Reform gewünscht. Das kann ich aus Sicht der FDP völlig nachvollziehen. Aber was ist das für eine Reform, die alles noch ungerechter und unübersichtlicher macht als vorher? Die Verantwortung dafür trägt Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und mit ihr die gesamte schwarz-rote Bundesregierung: Note ungenügend für diese Honorarreform!

Wo sind die Experten, die diese Reform und ihre Verästelungen noch durchschauen? Wohin fließen die versprochenen 2,7 Milliarden € und nach welchen Kriterien? Experten sind ratlos, Bürger schon lange. Deshalb werben wir Freien Demokraten für einen Neuanfang. Das wird sicher erst nach der Bundestagswahl gehen. Wir wollen ein transparentes und gerechtes System mit einem transparenten, einfachen und leistungsgerechten Vergütungssystem. Wir wollen feste Preise für Leistungen und Leistungskomplexe erreichen, mit denen ein Arzt vor Ort umgehen kann.