Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

Ich habe hohe Sympathie für die Erwartung von Städten und Gemeinden, dass nicht schon in den Koalitionsverhandlungen eine Festlegung zur Bundesbeteiligung an den Unterkunftskosten erfolgt. Allerdings meine ich, dass der vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – deshalb bin ich ein bisschen traurig über das konkurrierende Modell, das seitens der Koalition auf den Markt geworfen worden ist – die Chance bietet, die Position des Landes Nordrhein-Westfalen zumindest im unstreitigen Teil deutlich zu machen und damit auch ein verlässliches Signal der Kommunalfreundlichkeit des Landtags NordrheinWestfalen in die laufenden Verhandlungen zu senden.

Wir als Land wollen – da ist auch die Bezugnahme des Kollegen Lux richtig und nachvollziehbar – verlässliche Partner unserer Kommunen bleiben. Deshalb wollen wir mit den kommunalen Spitzenverbänden gemeinsam weiter um solide Kommunalfinanzen kämpfen. Leider haben Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, uns seinerzeit im Stich gelassen. Darüber hinaus stehen wir dafür, dass es zu einer tatsächlich Entlastung, und zwar brutto gleich netto, in Höhe von 2,5 Milliarden € kommt.

Wir werden dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zustimmen und hoffen, dass Sie sich bezogen auf Ihre sehr ähnlichen Formulierungen – mit einer Ausnahme – einen kleinen Ruck geben. Wir wären sehr dankbar dafür, wenn es nicht in den üblichen Lagern zu einer streitigen Abstimmung käme. Das Signal würde dadurch an Eindeutigkeit verlieren. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Herr Körfges. – Für die FDP redet nun Herr Engel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Körfges, ich ahne, dass Ihr engagiertes Werben letztlich

vermutlich keine Mehrheit finden wird. Warten wir es ab.

Meine Damen und Herren, wir haben alle über die Parteigrenzen hinweg die Notwendigkeit erkannt, dass die damaligen Doppelstrukturen von Arbeitsämtern einerseits und Sozialämtern andererseits abgebaut werden müssen, um nicht wertvolle Mittel zu verpulvern. Deshalb ist Hartz IV eigentlich entstanden.

Leider hatte das Gesetz – wie wir das von der alten rot-grünen Bundesregierung in vielen Bereichen gewohnt waren – viele handwerkliche Fehler. Die Kommunen sollten für Unterkunft und Heizung eine dauerhafte strukturelle Entlastung in Höhe von 2,5 Milliarden € jährlich erhalten. Das ist mehrfach gesagt worden. Mitnahmeeffekte sollte es nicht geben.

Die Lebenswirklichkeit sieht natürlich wieder einmal ganz anders aus. Stichwort: Zellteilung. Oder, im freundlichen Bürokratendeutsch: Anreize zur Bildung von Bedarfsgemeinschaften sollte es eigentlich nicht geben. Gemeint ist, dass junge Arbeitslose von zuhause ausziehen, eine eigene Wohnung mieten und dadurch schon einen Anspruch auf ALG II haben. „Die Welt“ vom 1.11. dieses Jahres nannte weitere Gründe: Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit, Ausweitungen der Leistungen etwa durch die geringere Anrechnung von Einkommen und Vermögen im Vergleich zur Sozialhilfe.

Durch die zweite Revision stellte der Bund fest, dass die Kosten für das Arbeitslosengeld II in diesem Jahr nicht, wie geplant, 14,6 Milliarden €, sondern das Doppelte, also 28 Milliarden €, betragen werden. Der Aufschrei der kommunalen Familie war berechtigt, denn sie sollte erneut zur Kasse gebeten werden. Die Bundesbeteiligung an den Kosten für Unterbringung und Heizung in Höhe von 29,1 % soll auf null reduziert werden. Das ist ein Beutezug per Berliner Kabinettbeschluss. Konnexitätsprinzip zwischen Bund und Kommunen: Fehlanzeige.

Es ist erstaunlich, Herr Becker, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den vorliegenden Antrag stellt, denn immerhin hat Ihre Partei auf Bundesebene direkte und nicht – wie die Landesregierung – nur indirekte Einflussmöglichkeiten auf Bundesgesetze. Das ist der derzeitige Stand.

Das Vorhaben trifft die Kommunen in doppelter Hinsicht: Es würde bedeuten, dass die von den kommunalen Spitzenverbänden unter Beteiligung des statistischen Bundesamtes und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit berechneten Mehrkosten von den stark gebeutelten Kom

munen zu schultern wären, ohne mit einer höheren Beteiligungsquote des Bundes von 34,4 oder 4,07 Milliarden € rechnen zu können. Das wäre der endgültige Bankrott unserer Städte und Gemeinden.

Bereits heute stellen die sozialen Leistungen in allen deutschen Kommunen den zweitgrößten Ausgabenblock mit 32 Milliarden € – so die Zahlen für 2004 – dar. Für das Jahr 2005 werden Ausgaben für soziale Leistungen in Höhe von 35,8 Milliarden € prognostiziert. Das wäre eine Steigerung von 12,1 % gegenüber dem Vorjahr. Der größte Ausgabenblock, nämlich die Personalausgaben, stagnieren dagegen seit Jahren bei ca. 40,5 Milliarden €. Die Investitionsausgaben sinken alljährlich weiter in den Keller. 1992 wurden fast 14 Milliarden € mehr durch die Kommunen investiert als heute.

Unsere Koalition hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, dass die kommunale Selbstverwaltung wieder gestärkt wird. Dafür gilt unser Einsatz. Deshalb wollen wir die Verankerung des Konnexitätsprinzips im Grundgesetz. Dann muss das Motto „Wer bestellt, der bezahlt“ auch verbindlich beachtet werden.

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen geht mit der Forderung der Beibehaltung der zugesagten Finanzentlastung in Höhe von 2,5 Milliarden € und der Ablehnung finanzieller Mehrbelastungen zulasten der Kommunen in die richtige Richtung, aber nicht weit genug. Daher hat unsere Koalition einen Entschließungsantrag eingebracht, der nicht nur für die finanzielle kommunale Entlastung in Höhe von 2,5 Milliarden € eintritt, sondern auch gleichzeitig eine Änderung der Revisionsgründe mit dem Ziel einfordert, die tatsächliche Finanzentwicklung zu berücksichtigen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Entschließungsantrag geht darüber hinaus auch auf die handwerklichen Fehler im SGB II ein, die zu den bereits von mir beschriebenen Mitnahmeeffekten geführt haben. Wir sind der Ansicht, dass im Zuge einer Novellierung des vierten Gesetzes für moderne Dienstleistung, das an verschiedenen Stellen zu Problemen geführt hat, die aufgetretenen handwerklichen Fehler in Bezug auf Mitnahmeeffekte ausgebessert werden müssen.

(Beifall von der FDP)

Deshalb greift der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zu kurz, der die Ursachen des Problems, nämlich Fehlanreize zur vermehrten Inanspruchnahme von Leistungen, nicht angeht. Aus diesem Grunde reicht es nicht, nur die finanziellen Mehrbelastungen der Kommunen abzuwehren. Hinzu

kommt, dass sich unsere Koalition im Bundesrat dafür einsetzen will, dass die Betreuung von Langzeitarbeitslosen eine kommunale Aufgabe werden soll.

Wir befürworten nach wie vor die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Auch wenn es Schnee von gestern ist, möchte ich trotzdem an dieser Stelle wiederholen, dass ich der Ansicht bin, dass es besser gewesen wäre, wenn man seinerzeit der Auffassung der FDPBundestagsfraktion gefolgt wäre. Sie hatte die Verantwortung der Kommunen flächendeckend und nicht nur in den 69 Optionskommunen gefordert, von denen sich alleine zehn in NordrheinWestfalen befinden. Das heutige Tauziehen um die Finanzen wäre uns erspart geblieben. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Engel. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Laumann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich über die grundsätzliche Übereinstimmung der beiden Anträge zur kommunalen Entlastung bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Sowohl der Antrag der Grünen als auch der Entschließungsantrag von CDU und FDP fordern die Landesregierung dazu auf, sich für die Gewährleistung der Entlastung der Kommunen um bundesweit 2,5 Milliarden € einzusetzen.

Um eines vorweg klarzustellen: Die Landesregierung hat nie etwas anderes gewollt. Die dauerhafte Entlastung der Kommunen um 2,5 Milliarden € ist und bleibt eines der vorrangigen Ziele der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Die Landesregierung wird keine Festlegung treffen und keinem Gesetz im Bundesrat zustimmen, mit dem diese Geschäftsgrundlage verlassen wird.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss Ihnen aber gestehen, dass mich der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – ursprünglich sogar ein Eilantrag – schon überrascht hat, besonders vor dem Hintergrund, dass der von den Grünen im Antrag monierte Gesetzentwurf von den eigenen Parteifreunden in Berlin zu verantworten ist. Es ist wirklich erstaunlich, dass sich ein bereits abgewähltes rot-grünes Bundeskabinett

mit einem solchen Gruß an die Kommunen und an die Länder verabschiedet.

(Beifall von der CDU)

Der Gesetzentwurf sieht vor, die Bundesbeteiligungen zur Entlastung der Kommunen von 19,1 % auf 0 % zu senken. Das ist ein Kabinettbeschluss der jetzt noch geschäftsführenden Bundesregierung. Ich habe auch nicht mitbekommen, dass die nordrhein-westfälischen Minister auf Bundesebene dagegen gestimmt haben, weder die der Grünen noch die der SPD. Dann einen solchen Antrag einzubringen, ist eine Nummer, die man nicht jeden Tag erlebt.

Es ist ohnehin interessant, wie die jetzt noch geschäftsführende Bundesregierung mit den Kommunen umgeht. Am Anfang des Jahres war noch die Rede von 4,5 %, dann sollte eine Beteiligungsquote von 7,3 % folgen, und jetzt fällt sie durch Kabinettbeschluss und Antrag an den Bundesrat und Bundestag auf 0 %.

Ich gehe davon aus, dass sich die neue Bundesregierung sehr schnell in Verhandlungen mit den Ländern und Kommunen auf ein faires Verfahren verständigt, um einen Konsens zur Bewertung der vorliegenden Daten zu finden. Der einseitige Gesetzesvorstoß der alten Bundesregierung ohne vorherigen Versuch, die zwischen Bund und Ländern und Kommunen bestehenden Differenzen zu klären, war von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Die Frage der Revision und die finanzielle Entlastung der Kommunen spielen natürlich auch bei den zurzeit laufenden Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene eine Rolle. Wenn wir in Zukunft zu einer Neuverteilung der Zuständigkeiten bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen kommen wollen, müssen wir die Finanzierungsgrundlagen ändern. Zu einer Kommunalisierung gehört auch, dass die Kommunen die Finanzverantwortung übernehmen.

Davon unabhängig muss die zugesicherte Entlastung der Kommunen aber schon vorher sichergestellt werden. Dafür müssen wir jetzt die Weichen stellen. Dieses erscheint mir umso dringlicher, da wir alle genug damit zu tun haben werden, die Grundsicherung für Arbeitsuchende so zu reparieren, dass sie endlich das leisten kann, was sie leisten muss, nämlich moderne Dienstleistung zur Überwindung der Arbeitslosigkeit sicherzustellen und nicht Arbeitslosigkeit auf hohem Kostenniveau weiterhin zu verwalten.

Meine Damen und Herren, die Kommunen haben ein verständliches Interesse daran, von den Kos

ten der Unterkunft entlastet zu werden. Wenn das funktionieren soll, dann ist es wichtig, dass das System funktioniert. Dazu gehört in erster Linie, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, Langzeitarbeitslosen zu helfen, ihren Lebensunterhalt wieder ohne Transferleistungen sicherstellen zu können.

Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass wir mittelfristig dahin kommen müssen, die Betreuung von Langzeitarbeitslosen in die Hände der Kreise und der kreisfreien Städte zu legen. Aber eines ist in diesem Zusammenhang auch klar: Aufgaben und Finanzverantwortung gehören dann in eine Hand. Das bedeutet, dass dies nur auf Grundlage einer abgesicherten Finanzierung erfolgen kann, die aber zurzeit ohne Verfassungsänderung nicht zu realisieren ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Ihnen versichern, dass die Landesregierung die Sorgen und Nöte der Kommunen sehr genau kennt. Gerade in Bezug auf das Revisionsverfahren gibt es von Beginn an eine enge Kooperation mit den kommunalen Spitzenverbänden. Das Thema Revision nach § 46 Sozialgesetzbuch II ist eines der Themenschwerpunkte der sogenannten Task Force NRW zu Hartz IV. Hier arbeiten Vertreter der Landesregierung, der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen, der Bundesagentur für Arbeit, der kommunalen Spitzenverbände seit dem Start von Hartz IV sehr eng an der Umsetzung der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

In diesem Zusammenhang wurde frühzeitig eine Arbeitsgruppe Revision gegründet, in der die einzelnen Fragen und Probleme zum Revisionsverfahren eingehend erörtert werden. Gerade in dieser Arbeitsgruppe gibt es eine sehr intensive Kooperation von Landesregierungen und den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände.

Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen versichern, dass die Landesregierung den vorliegenden Gesetzentwurf der alten Bundesregierung ablehnen wird. Die Landesregierung von NordrheinWestfalen wird weiterhin alles unternehmen, damit die dauerhafte strukturelle Entlastung der Kommunen in Höhe von 2,5 Milliarden € auch tatsächlich realisiert wird. – Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Minister Laumann. – Frau Steffens für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich noch zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Laumann, ich bin erstaunt, dass Sie es wundert, dass wir als grüne Landtagsfraktion einen Eilantrag stellen, obwohl wir als Landesparlament die Aufgabe haben, die Interessen des Landes zu vertreten. Ich finde es richtig, dass wir als Fraktion Bundesbeschlüsse, wenn wir damit Probleme haben, hier thematisieren und klar sagen: Die Interessen der Kommunen und des Landes sind die Interessen, die wir in diesem Land vertreten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich frage mich bei Ihrer Auffassung, was Sie machen werden, wenn es eine große Koalition gibt. Wollen Sie dann nicht mehr die Interessen des Landes gegen den Bund vertreten? Das wird an vielen Stellen der Fall sein. Das hatten wir in der Vergangenheit so, und das werden wir auch in Zukunft haben.

(Zurufe)

Ich finde, der Demokratie ist es nur dienlich, wenn man die Interessen der Menschen im Land vertritt, egal ob gegen eine rot-grüne, schwarz-rote, schwarz-gelbe oder welche Regierung auch immer. Die Interessen des Landes und der Kommunen stehen an erster Stelle. Das werden wir als Grüne weiterhin so handhaben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte nun auf die Inhalte eingehen. Herr Laumann, Sie sagen, es ist schlimm, dass am Ende der Legislaturperiode von Rot-Grün so etwas auf den Weg gebracht wird, dass Clement so etwas vorantreibt. Gerade deshalb wäre es doch wichtig, dass wir alle in ein Boot packen, alle mitnehmen und gemeinsam einen Antrag beschließen, damit das Signal an die Koalitionsverhandlungen geht, dass wir in Nordrhein-Westfalen eine gemeinsame Position haben. Es gibt in NRW zahlreiche Kommunen, die Grünen-Anträgen in dem Punkt zugestimmt haben, und einstimmige Beschlüsse, die von allen Fraktionen gefasst worden sind.

Es gehört auch dazu, die Interessen so stark wie möglich gemeinsam zu vertreten. Ich finde es schade, dass die CDU-Fraktion das nicht tut, weil Sie etwas Eigenes machen und deshalb einen solchen Beschluss alleine fassen wollen.