Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie: Ist diese Diskussion über den Gesetzentwurf eigentlich der Gesamtdiskussion zum Thema Integration, die wir führen müssen, angemessen? Wir werden gleich noch Gelegenheit haben, darüber ausführlicher zu reden.

(Minister Armin Laschet: Ja!)

Wir sind der Auffassung, Herr Laschet, dass wir die Diskussion führen müssen. Ich nehme mit Interesse und manchmal auch mit Anerkennung zur Kenntnis, was Sie dazu ausführen. Ob sich das im Landeshaushalt letztlich widerspiegeln wird, müssen wir sehen.

Wir sind auch für eine ehrliche Bestandsaufnahme, die klar macht, wo in der Vergangenheit zu wenig gefordert und gefördert worden ist und inwieweit es einer gemeinsamen Grundlage bedarf. Wir hatten geglaubt, dass wir in der vergangenen Legislaturperiode durch die Integrationsoffensive

eine solche Grundlage hätten. Nachher in der Debatte kann die FDP klären, ob sie noch zu dieser Integrationsoffensive, zu dieser Integrationsgrundlage steht.

Aber, Herr Minister Laschet, Integrationspolitik muss verlässliche Linien und darf keinen Zickzackkurs haben. Sie konstatieren, dass Nordrhein-Westfalen bei den Bemühungen um Integration relativ weit ist. Damit sprechen Sie auch ein Lob für die alte Landesregierung aus. Vielen Dank dafür! Gleichzeitig sagen Sie, dass Sie im Bereich des Islam organisierte Ansprechpartner haben wollen. Das halte ich für richtig, ist aber nicht einfach, wie Sie wissen. Gleichzeitig riskieren Sie mit dem vorgelegten Gesetzentwurf die Reaktion des Zentralrates der Muslime in Deutschland, die heute nachzulesen ist. Er sagt: Dieser Gesetzentwurf hilft uns überhaupt nicht weiter. – Wenn Sie Ansprechpartner finden wollen, müssen Sie auch auf ihre Sensibilität achten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Sie haben ja Recht, dass eine zunehmende Religiosität bei Muslimen festzustellen ist. Aber wir müssen uns dann doch auch fragen, meine Damen und Herren, womit das zusammenhängt und was der Hintergrund ist. Müssen wir nicht aufpassen, welche Maßnahmen wir ergreifen, um nicht Wasser auf die Mühlen eines politischen Islam zu gießen

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

und diejenigen, die aus anzuerkennender echter religiöser Überzeugung handeln, nicht auf ein falsches Gleis zu bringen?

Zum Thema Wertediskussion sage ich: Wir wollen sie gerne führen. Wir haben die Ausführungen des Ministerpräsidenten zu den Wertevorstellungen im Bereich des christlich-jüdisch-abendländischen Kulturgutes, der Tradition und der Überlieferung in sehr guter Erinnerung. Ich verstehe allerdings nicht, Herr Ministerpräsident, dass man in dieser Frage einen Konflikt mit beiden Kirchen in Nordrhein-Westfalen vom Zaune bricht.

(Minister Armin Laschet: Nicht mit beiden!)

Doch, mit beiden, Herr Kollege. Ich habe gestern auch das Gefühl gehabt, als müsste man noch eine Interpretationshilfe für das haben, was die evangelische Kirche anbelangt. In der Presseerklärung wird aber festgestellt, dass es sich beim Kopftuch um ein Symbol handelt, das für unterschiedliche Deutungen offen ist. In Punkt 4 wird im Grunde genommen ein Votum für eine Einzelfallprüfung abgegeben.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Richtig! Die fin- det statt!)

Schauen Sie sich die Presseerklärung der drei Präsides an. Die Stellungnahme der katholischen Kirche ist in dieser Frage sehr eindeutig.

Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf bringt uns bei der Lösung der konkreten Probleme, für die es genug Lösungsansätze gibt, nicht weiter, und er behindert die Diskussion um die notwendige Integrationspolitik in NordrheinWestfalen und in der Bundesrepublik Deutschland, die wir eigentlich führen müssten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Frau Abgeordnete Löhrmann, die Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in Deutschland kein laizistisches Staatsverständnis. Insofern sollten wir uns im Hinblick auf die friedliche Bekundung des Glaubens den Satz von Martin Buber zu Herzen nehmen: „Alle Menschen haben Zugang zu Gott, aber jeder einen anderen.“

Es geht heute in diesem Parlament zum dritten Mal um ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen an Schulen in Nordrhein-Westfalen. Die konkreten Zahlen sind genannt. Wir haben in der letzten Wahlperiode bereits zwei Anhörungen über einen CDU-Gesetzentwurf durchgeführt. Dabei kamen die Experten sehr einmütig zu dem Ergebnis, dass dieser Entwurf wie auch der aus BadenWürttemberg verfassungswidrig ist. Der nun vorgelegte unterscheidet sich von dem früheren nur in Nuancen, hält aber an der grundsätzlichen Regelung fest, dass die Religionen nicht gleich behandelt werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie ignorieren nach wie vor die höchstrichterliche Rechtsprechung. Mit Verweis auf das Bundesverfassungsgericht hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass – ich zitiere – „das Gebot strikter Gleichbehandlung der verschiedenen Glaubensrichtungen sowohl in der Begründung als auch in der Praxis der Durchsetzung solcher Dienstpflichten“ zu wahren ist. An diese Vorgabe hält sich der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen ausdrücklich nicht. Sie wissen das ganz genau und nehmen damit eine von NRW ausgehen

de Verfassungsklage in Kauf. Sie legen es auf einen Rechtsstreit an.

Sie ignorieren auch alle Erkenntnisse, die aus den Anhörungen im Hauptausschuss hervorgegangen sind. Sie wissen, dass dem Kopftuch kein eindeutiger objektiver Erklärungsgehalt innewohnt. Es ist nicht unbedingt ein religiöses Zeichen. Es drückt aber auch nicht per se die Unterdrückung der Frau aus. Der jeweilige Bedeutungsgehalt des Kopftuches wird allein durch subjektive Bewertungen konstruiert. Der Trägerin werden darüber hinaus persönliche Motivationen unterstellt, wenn man generalisiert, sie verfolge mit dem Tragen des Kopftuches politische, religiöse oder gar verfassungsfeindliche Ziele.

Meine Damen und Herren, ich sage eins ganz klar: Kopftuch, Schleier und Burka sind für islamische Fundamentalisten Instrumente zur Unterdrückung der Frau und damit politische Symbole. Das Tuch auf dem Topf einer Frau kann also ein politisches Symbol sein. Wir sind uns einig: Eine solche Kopftuchträgerin ist für den Beruf als Lehrerin nicht geeignet. Der Staat ist jedoch handlungsfähig und muss es auch sein, weil hier das Disziplinarrecht greift.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich frage mich: Welches Ziel verfolgt die Regierungskoalition mit dem Kopftuchverbot wirklich? – Glaubt man Herrn Papke, dann will er damit Zwangsverheiratungen und sogenannte Ehrenmorde verhindern. Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein. Sie polarisieren und vertiefen Gräben, indem Sie schwere und schwerste Verbrechen in Zusammenhang mit dem Kopftuchtragen bringen und dabei eine Gemengelage erzeugen, von der man sagen kann, dass im Vergleich dazu jede Stammtischdiskussion auf hohem Niveau stattfindet.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich zitiere Herrn Papke, wohlgemerkt angesichts von 20 Kopftuchträgerinnen in unseren Schulen – „Westdeutsche Zeitung“ vom 12. Oktober 2005 –:

„Wir wollen damit gezielt ein Zeichen der Wehrhaftigkeit des Staates gegenüber extremistischen Tendenzen aufzeigen.“

In der „Welt Kompakt“ vom 6. September 2005 spricht Herr Papke von einer – Zitat – „Weltanschauung, die mit Freiheitlichkeit und Toleranz nicht in Übereinstimmung zu bringen ist“.

(Zuruf von Dr. Gerhard Papke [FDP])

Vielleicht hören Sie zu und lassen sich einmal darauf ein. – Meine Damen und Herren, am vergangenen Samstag wurde die Stadt Solingen im Rahmen einer Integrationsbörse für den Erhalt des Integrationspreises der Bertelsmann-Stiftung und des Bundesinnenministeriums gewürdigt. Herr Laschet war einer der Redner, und auch Frau Genc, die Mutter, die beim Brandanschlag 1993 drei Mädchen und weitere Angehörige verloren hat, war dabei. Frau Genc trägt in der Öffentlichkeit immer ein Kopftuch. Sie tut dies aus tiefer religiöser Überzeugung.

Was glauben Sie, Herr Papke, was diese Frau von Ihren Äußerungen hält?

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist eine Frau, die uns in der Stunde ihrer größten Verzweiflung „Lasst uns Freunde sein!“ zugerufen hat und in Solingen deutsche Staatsbürgerin geworden ist. Was glauben Sie, was sie und andere davon halten, wenn Sie, Herr Papke, permanent einen zwangsläufigen Zusammenhang zwischen Kopftuchträgerinnen, Ehrenmorden, Zwangssehen, Extremismus und Fundamentalismus zu suggerieren versuchen?

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist Rechtspopulismus, Herr Papke. Verbale Attacken gegenüber Mädchen mit Kopftuch gibt es bereits. Merken Sie eigentlich nicht, dass Sie zündeln?

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist das Gegenteil einer modernen, aufgeschlossenen und verantwortungsvollen Integrationspolitik. Was Sie betreiben, ist Isolationspolitik. Sie spalten und heizen die Debatte zulasten weniger Lehrerinnen an. Sagen Sie mir bitte, wie sich dies auf den Schulfrieden auswirkt. Sie müssen sich um die jungen Männer der dritten Generation kümmern. Dies ist ungleich schwerer, als Symbolpolitik mit dem Kopftuch zu betreiben. Sie isolieren hier pauschal die unterrichtenden Frauen mit Kopftuch, unabhängig von Ihrer Eignung, Leistung und Befähigung. Diese Lehrerinnen haben ihren diesbezüglichen Nachweis schon im Referendariat gezeigt und beweisen es tagtäglich im Unterricht.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung und wir stehen in der Verpflichtung, eine verantwortungsvolle Integrationspolitik zu betreiben. Eine hervorragende Grundlage hierfür ist die von allen vier Fraktionen getragene Integrationsoffensive. Zerschlagen Sie hier kein Porzellan, wie der Integrationsbeauftragte Kufen in seiner gestrigen Pressemeldung mahnte, und spielen Sie nicht

denjenigen in die Hände, die von einer Isolierung der Muslime profitieren könnten. Wir brauchen einen ernsthaften und verbindlichen Dialog mit der Vertretung der Muslime und keine Isolierung und Radikalisierung Einzelner. Nur so kann die Integrationspolitik für unser Land erfolgreich sein.

Meine Damen und Herren, mich wundert die Haltung und Fahrlässigkeit der CDU. Peter Schilder hat die Lage in der „FAZ“ am 28. Oktober auf den Punkt gebracht. Ich zitiere:

„Beim Kopftuchverbot sollen jüdische Kippa und christliche Nonnentracht ausdrücklich erlaubt sein. Nicht nur die Kirchen zweifeln daran, dass dies einer höchstrichterlichen Prüfung standhalten dürfte. Dann können sämtliche religiöse Symbole aus der Schule verbannt sein, was außer der FDP niemandem recht wäre.“

„Insbesondere nicht der CDU in diesem Land“, möchte man ergänzen. Warum hören Sie nicht auf die Warnungen der katholischen Kirche? Uns zumindest hat Prälat Vogt bei seinem gestrigen Besuch in unserer Haltung bestärkt. Ihr „Augen zu und durch“ kann ein böses Erwachen zur Folge haben!

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, CDU und FDP wollen sich, wie es zurzeit aussieht, aber vor einer erneuten Anhörung und vertieften Debatte im Landtag drücken und das Gesetz im Schnellverfahren beschließen. Meine Fraktion hält eine Anhörung für unverzichtbar, damit wir dieses wichtige Thema ordentlich beraten und Experten und Betroffene hören können. Das hat sich schon einmal als sehr hilfreich erwiesen. Wie sagte Papst Benedikt XVI. in diesem Zusammenhang:

Der interreligiöse und interkulturelle Dialog zwischen Christen und Muslimen darf nicht auf eine Saisonentscheidung reduziert werden.

Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Für die Landesregierung hat jetzt Frau Ministerin Sommer das Wort.