Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

Zweitens: Wir haben die stadtteilorientierte Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen in die Wege geleitet. Damit schaffen wir nicht nur ein Bildungsangebot für Kinder und ihre Eltern, son

dern bieten auch Vernetzung und Beratung aus einer Hand an. Und da die Probleme vor Ort unterschiedlich sind, wird es auch unterschiedliche Modelle geben müssen, kein Einheitsmodell.

Mit diesem Instrument wird dazu beigetragen, dass es stadtteilspezifische Lösungen gibt und sich mithin Kindertageseinrichtungen nach innen und außen öffnen können -nach innen für neue Bedürfnisse von Eltern, von Familien mit Zuwanderungsgeschichte, nach außen zu den Akteuren, die in den Stadtteilen tätig sind.

Sie haben noch im Jahre 1998 mit der letzten GTK-Novelle – das betraf den damaligen § 21 GTK – ausdrücklich ausgeschlossen, dass es solche Erprobungsmaßnahmen geben sollten. Das gehört auch zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme.

(Beifall von der FDP)

Drittens: Frankreich zeigt, was aus der Perspektivlosigkeit junger Menschen werden kann. In Frankreich ist das Problem junger Menschen ohne Schulabschluss verschärft, da es keine Berufsschulausbildung gibt.

Frau Steffens, an der Stelle will ich Sie ganz konkret ansprechen. Wir haben als Regierungskoalition das Werkstattjahr eingeführt, mit dem benachteiligten Jugendlichen ein Weg in die Ausbildung geebnet wird. Sie haben das nicht anders kommentieren können, als vor der Maßnahme schone eine wissenschaftliche Evaluation zu verlangen. Sie gestatten gar nicht, Erfahrungen mit diesem neuen Instrument zu sammeln. – Sie sollten angesichts der Nachfrage in NordrheinWestfalen nach Plätzen für das Werkstattjahr Ihre eigene Position überprüfen.

Ich komme zum Schluss. Die im Jahr 2001 von allen Fraktionen des Landtags beschlossene Integrationsoffensive hatte viele gute Vorschläge. Leider hat sich die Vorgängerregierung dieser Vorschläge eher defensiv angenommen.

Unsere Antwort auf Frankreich heißt deshalb: jungen Menschen Perspektiven geben, gerechtere Chancen auf Bildung für alle einräumen – zum Beispiel durch mehr Lehrer, durch die Qualitätsoffensive Hauptschule, durch frühestmögliches Erlernen der deutschen Sprache –, neue und bessere Rahmenbedingungen für die Entstehung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen schaffen, Angebote für Kinder und Eltern auch in Problemstadtteilen, dort, wo sich soziale Probleme ballen, machen. Das ist eine Integrationspolitik, die auf faire Chancen setzt, keine, die nur bei wohlfeilen Worten stehen bleibt. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lindner. – Für die Landesregierung ergreift Minister Laschet das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ereignisse in Frankreich sind beschrieben worden. Als europäisches Nachbarland müssen wir das, was dort passiert, in der Tat sehr aufmerksam beobachten.

Aber ich teile die Einschätzung all derer, die hier gesprochen haben: Frankreich ist mit uns nicht vergleichbar. Es ist nicht 1:1 übertragbar. Es ist nicht so, wie manche, auch Kollegen, durch Fragen in der Presse insinuiert haben: Kann man das nicht per Internet oder per Handy auch in Deutschland in Gang setzen? – Nein, es ist nicht vergleichbar, und es besteht überhaupt keine Gefahr, dass dieser Funke überspringt, auch wenn einzelne Pressemeldungen in den letzten Tagen versucht haben, es so darzustellen.

In Frankreich ist Integration in großen Teilen gescheitert: entweder, weil man gar keine Integrationspolitik betrieben, sondern geglaubt hat, das gehe alles von selbst, oder weil die Konzepte falsch waren, mit denen man die Stadt gestaltet hat, insbesondere die Pariser Vororte.

Auch bei uns ist schon öfter vom Scheitern der Integrationspolitik gesprochen worden. Das flammt in Debatten immer wieder auf. Meiner Meinung nach sollten wir angesichts der jüngsten Ereignisse aber nicht mehr so leichtfertig mit den Worten „Scheitern der Integration“ umgehen. Man muss zwar benennen, was bei uns schief läuft. Aber trotz aller Rückschritte kann man in Deutschland nicht von einem Scheitern der Integrationspolitik sprechen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich denke, das können wir sagen, ohne die Probleme unter den Tisch zu kehren.

Insofern ist das, was die Grünen heute beantragen, im Ansatz richtig; es ist ein wichtiges Thema, für dessen Bewältigung in der Kontinuität der letzten Jahre wichtige Voraussetzungen geschaffen worden sind.

Dennoch glaube ich, dass wir Integration ernster nehmen müssen. Auch diese Lehre kann man aus Frankreich ziehen. Wenn in diesen Tagen in Berlin darüber verhandelt wird, wie Arbeitslosigkeit gesenkt, wie das Wirtschaftswachstum wieder in

Gang gebracht werden kann, sind das alles wichtige Themen, die die Menschen interessieren.

Aber eines ist auch wahr: Wenn die Integration misslingt, ist dies alles vergebliche Mühe. Denn dann kann ein kleiner Funke auch bei uns zu Ereignissen führen, die wir alle nicht wollen.

Um dem entgegenzuwirken, ist eigens dieses Ministerium eingerichtet worden. Sein Zuschnitt bringt einen doppelten Vorteil mit sich:

Der eine Vorteil ist: Im Hause selber sind alle Fachabteilungen vorhanden, die wir brauchen, um die Sozialarbeit zu leisten, die wir wollen. Die Kinder- und Jugendabteilung gehört mit zu diesem Hause. Dadurch entstehen heute neue Wechselwirkungen, die früher in dieser Weise nicht möglich waren. Das Gleiche gilt für die aus der Angliederung der Frauenabteilung erwachsenden Wechselwirkungen. Ich glaube, Generationen, Integration, Familie und Frauen zusammenzufassen, war richtig.

Zum Zweiten will die Landesregierung – Kollege Lindner hat das erwähnt – mit speziellen Gremien dafür sorgen, dass sowohl die wirtschaftspolitischen, die den Bauminister, die den Innenminister als auch die die Schulministerin betreffenden Fragen gemeinschaftlich gelöst werden. Integrationspolitik ist eine Querschnittsaufgabe, und deshalb wird Kollege Wittke zu dem Aspekt Stadtentwicklungspolitik gleich noch einiges sagen. Wir wollen in Zukunft gemeinsam Konzepte überlegen, wie wir das, was bereits auf dem Wege ist, noch effektiver gestalten, damit nicht Parallelgesellschaften, nicht Ghettos entstehen, sondern Städte, in denen auch eine gewisse Vielfalt zur Realität gehört.

Die konsequente Behebung von Sprach- und Bildungsdefiziten, die Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe von Zugewanderten sowie die Förderung des Dialogs mit den Muslimen und deren Organisationen sind zentrale Ziele der nordrhein-westfälischen Integrationspolitik.

Frau Kollegin Altenkamp hat die Sprache angesprochen. Man könnte sagen: Die sprechen alle Französisch. Die Sprache ist also nicht unbedingt der Schlüssel zur Integration. – Ich glaube, dieser Schluss ist falsch. In Deutschland ist die Sprache der Schlüssel zur Integration, weil sie Bildung, Teilnahme am Schulleben und danach Teilhabe am Arbeitsmarkt ermöglicht. In Frankreich ist die Integration trotz der gleichen Sprache gescheitert. Bei uns würde sie ohne gemeinsame Sprache scheitern. Deshalb ist Sprachförderung ein Schwerpunkt dieser Landesregierung.

Ich kann gleich korrigieren, was ich das letzte Mal gesagt habe. Frau Kollegin Asch hat inzwischen eine Anfrage gestellt, wo im Nachtragshaushalt die Mittel für die Sprachförderung erhöht worden sind. – Ich hatte mich in der Zeile vertan. Es sind die Migrationsfachdienste, deren Mittel wir in der Verpflichtungsermächtigung erhöht haben, um diesen Schwerpunkt zu setzen. Dennoch ist die Sprachförderung eine sehr wichtige Frage, der wir uns widmen müssen.

Wir können auf eine Vielzahl von bereits eingeleiteten Maßnahmen aufbauen. Die vorschulische Sprachförderung gehört dazu. Hier werden Weichen für Kinder aus Zuwandererfamilien beim Start in die Schullaufbahn gestellt, und Pisa ist in diesen Tagen das letzte Wachrütteln. Wenn das misslingt, wenn Migranten bei den PisaErgebnissen weiter besonders schlecht abschneiden, ist das der erste Schritt für einen erschwerten Einstieg in das Berufsleben.

Es gibt 27 regionale Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen, die sogenannten RAAs, die ein Netzwerk von Agenturen für Integration geschaffen haben. Mit den Familienzentren wollen wir ebenfalls Eltern, Mütter und Vätern, von Migrantenfamilien bei Bildung und Erziehung Hilfestellung geben. Auch da sind wichtige Wechselbeziehungen zu erkennen.

Wir unterstützen weiterhin das soziale und kulturelle Netzwerk der Migrantenselbstorganisationen. Uns sagen viele Experten in diesen Tagen: Auslöser ist auch ein Stück mangelnde Anerkennung, die die französischen Migranten dort in den Vorstädten erfahren haben. Indem wir die Selbstorganisation der Migranten stärken, stärken wir das Selbstbewusstsein und auch das, was Migranten in unsere Gesellschaft einzubringen haben.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, all denjenigen, die sich in der Integrationspolitik vor Ort engagieren – das eigentlich Entscheidende ist nämlich, was vor Ort passiert –, zu danken. Das ganze ehrenamtliche Engagement der Kirchen, Gemeinden und Kulturinitiativen, der Gewerkschaften und Stadtteilprojekte, Flüchtlingsinitiativen und Migrantenselbstorganisationen ist bei uns sehr ausgeprägt. Auch das ist einer der Gründe dafür, weshalb bei uns in Nordrhein-Westfalen weniger Potenzial für Gewalt da ist als in anderen Ländern. Das hat die Würdigung vor diesem Hohen Hause verdient.

Wir müssen hinzufügen: Das ist das, was die Mehrheitsgesellschaft aufbringt, aber wir brauchen auch die Migranten. Insofern geht an sie

gleichermaßen der Appell: Lasst uns mehr Projekte der Gemeinsamkeit machen. Lasst uns mehr zu einer gemeinsamen Identität dieses Landes beitragen, dann können wir das verhindern, was in Paris in diesen Tagen passiert ist. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Kollege Sichau das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich komme aus einer Stadt, in der in einigen Bereichen Maßnahmen des Projektes „Soziale Stadt“ durchgeführt werden. In Herne sind die Gebiete Bickern und Unser Fritz – Unser Fritz benannt nach dem Bergwerksgründer Fritz Grillo – solche Bereiche. Dort hat sich in der Tat eine Menge entwickelt. Deswegen will ich auf die These des ebenfalls Herner Bürgers Volker Eichler nicht weiter eingehen; sie sollte an einer anderen Stelle vertieft diskutiert werden.

Eins ist im Zusammenhang mit der „Sozialen Stadt“ jedoch klar, und das ist hier in sehr unterschiedlicher Akzentuierung angesprochen worden. Bei Herrn Lindner bin ich mir nicht ganz sicher: Meint er die „soziale Stadt“, oder will er sie sozusagen wieder in unterschiedliche Fachbereiche zerlegen? Denn in der Weiterentwicklungsdiskussion, die der Bundestag im Juni 2005 letztlich in einen Beschluss gefasst hat, wird – wie auch in vielen Besprechungen – immer wieder gesagt: Hochbaumaßnahmen wie Bestandsmodernisierung, Tiefbaumaßnahmen, Begrünungen sind notwendig, aber nicht hinreichend.

Integrierte Projekte für die Menschen müssen dazukommen und sind dies auch bereits: in Bickern und Unser Fritz in der Stadt Herne Sozialarbeit an der Hauptschule Königin-Luise. Über Sprachkurse ist gerade gesprochen worden – ich wollte eigentlich nur ein paar Beispiele nennen –, Kurse für Frauen mit Migrationshintergrund bis zum Sport, berufliche Qualifizierung und Beschäftigung – ganz wichtig – auch im Rahmen einer sozialen Stadt – das ist unser Thema heute Mittag –, Beratung und vor allen Dingen auch Organisation von Begegnung.

Insgesamt weist unser integriertes Handlungskonzept zehn Handlungsfelder auf. Es ist gut – nebenbei gesagt –, dass auch die RAA ihren Sitz in einem dieser Wohnbereiche hat. Was die Jugendarbeit betrifft, Herr Lindner: Wir haben dies auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Was Ju

gendheime betraf, war die Intention, die Mittel gezielter einzusetzen.

(Christian Lindner [FDP]: Nein!)

Wenn Sie trotz geringerer Mittel diese noch weiter streuen können, umso besser. Nur, wenn man wenig Geld hat, muss man es gezielter einsetzen. Das ist auch von diesem Pult aus von den zuständigen Sprechern und Ministern so gesagt worden.

(Christian Lindner [FDP]: Das ist falsch!)

Aber das können wir weiter diskutieren.

Das Ganze hat – das ist offensichtlich auch ein wesentlicher Punkt der Beantragung dieser Aktuellen Stunde – auch einen finanzwirtschaftlichen Aspekt. Das Land muss seinen Anteil weiter finanzieren. Dem kommt für unsere Begriffe eine ausgesprochen hohe Priorität zu.

Wenn es um Finanzen und verschiedene Aspekte geht, kommt auch der Rechtspolitiker – Sie wissen, ich bin rechtspolitischer Sprecher der SPDLandtagsfraktion – ins Spiel. Wir reden viel von Kriminalprävention. Wir sagen – so beispielsweise Fritz Behrens –: Interventionsmaßnahmen und vor allem Strafen sind die Ultima Ratio. Die Justizministerin hat einen Arbeitskreis zur Prävention organisiert.

Die Jugendpolitik – das ist mein Eindruck – scheint jedoch eher im Begriff, im Ministerium für Generationen verloren gegangen zu sein, wie die Verbindung zur Schulpolitik wieder gekappt zu sein scheint.

Eins ist aber ausgesprochen klar: Hier wird mit Ordnungspartnerschaften und kriminalpräventiven Räten bereits deutlich und wirksam gehandelt. Wenn Herr Schulte sagt, dass es noch Schwachstellen gibt, müssen wir diese genau benennen, um auch hier dem Weiterentwicklungsauftrag des Bundestagsbeschlusses Rechnung zu tragen.

Diese Maßnahmen sind gut und wichtig, denn sie verhindern die von allen nicht gewünschten, unerwünschten Folgen. Die Finanzmittel sind deshalb dafür zielführend eingesetzt, auch wenn die Jugendkriminalität nicht gestiegen und die Jugendgewaltkriminalität leicht gesunken ist. Hier ist jeder Euro auch jenseits des Kerns gut angelegt und unverzichtbar. So würde ich das formulieren, Herr Schulte, und nicht nur: Es ist im Kern unverzichtbar.

Ich schließe mit einem Zitat aus dem am kommenden Freitag erscheinenden Buch „Tauben, Texte und Altäre“. Eine Lehrerin für Deutsch und