Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

Ich schließe mit einem Zitat aus dem am kommenden Freitag erscheinenden Buch „Tauben, Texte und Altäre“. Eine Lehrerin für Deutsch und

Philosophie an der Gesamtschule Wanne-Eickel in Herne mit dem bemerkenswerten Namen Hatice Aksoy-Woinek schreibt dort unter der Zwischenüberschrift „Interkulturelle Potenziale mit Risiken und Nebenwirkungen der Jahre 1988 bis 1998“ – ich zitiere mit Genehmigung der Präsidentin –:

Die Freundinnen meiner Mutter kamen an jenen Vormittagen auch ins Café. Ja, türkische Frauen mit Kopftuch in einem Café. Hier in Herne-Sodingen galten eben einige Regeln, Normen und Gesetze anders.

Dies ist ein einfühlsamer, konstruktiv optimistischer Satz in einem ausgesprochen lesenswerten Artikel. Es bleibt aber dabei: Die „Soziale Stadt“ ist weiterhin absolut förderungswürdig. Es ist der Hauptsinn dieser Aktuellen Stunde, nicht nur darzustellen, dass es um eine gute Sache geht, sondern auch um eine integrierte Sache, die der weiteren finanzwirtschaftlichen Absicherung bedarf. – Danke schön.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Sichau. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der CDU die Kollegin Kastner das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, nehmen in Ihrer Beantragung der Aktuellen Stunde Bezug auf die Ereignisse in Frankreich. Auch ich möchte noch einmal für unsere Fraktion feststellen, dass wir in Nordrhein-Westfalen weit davon entfernt sind, auch nur zu ähnlichen Zuständen zu kommen wie in Frankreich.

Das heißt aber nicht, dass wir nicht verpflichtet wären, immer wieder neue Anstrengungen in diesem Bereich zu unternehmen und in unseren Integrationsbemühungen nicht nachzulassen. Ich glaube, alle Parteien haben im Jahre 2001 mit der gemeinsamen Integrationsoffensive einen guten Start hingelegt, den wir fortführen müssen.

Dass die Regierungsfraktionen das auch weiterhin wollen – Herr Lindner hat es schon angesprochen –, haben wir dadurch deutlich gemacht, dass es ein Integrationsministerium und einen Integrationsminister gibt. Auch haben wir viele Beauftragte eingespart, nicht aber den Integrationsbeauftragten.

Wir sind uns sehr wohl bewusst darüber, dass in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu anderen Bundesländern überdimensional viele Menschen

mit Migrationshintergrund leben. Deshalb sind wir politisch ausgesprochen gefordert. Wir brauchen Unterstützungsprogramme wie beispielsweise die „Soziale Stadt“, die notwendig und richtig sind.

Wir brauchen aber nicht nur Programme seitens des Landes, der Städte und des Staates. Minister Laschet hat vorhin schon darauf hingewiesen, dass alle Integrationsbemühungen der öffentlichen Hand nichts wert sind, wenn die Bürger sie nicht annehmen und nicht an der Umsetzung dieser Projekte mitarbeiten. Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal Dank an all diejenigen sagen, die das ehrenamtlich und unter sehr viel Zeitaufwand in unserem Land tun.

(Beifall von der CDU)

Darüber hinaus müssen wir in unseren Städten natürlich dafür Sorge tragen, dass diese Programme auch umgesetzt werden. Herr Sichau hat Beispiele aus seiner Heimatstadt angesprochen; ich möchte noch zwei aus Münster nennen. Man hat immer das Gefühl, dass Münster die lebenswerteste Stadt der Welt ist. Dafür sind wir ausgezeichnet worden. Aber natürlich haben auch wir unsere Sorgenviertel.

Eines davon hat sich auf den Weg gemacht und will den Beitritt zum Programm „Soziale Stadt“ beantragen. Ich habe den Eindruck, dass manchmal der Weg schon fast das Ziel ist. Schon die Bemühungen, die Bedingungen für den Beitritt zum Programm zu erreichen, haben dazu geführt, dass sich nicht nur alle Wohnungsunternehmen angeschlossen haben. Gerade auch die vielen Initiativen und Einrichtungen vor Ort haben sich an einem großen Runden Tisch zusammengesetzt. Das hat schon jetzt vieles in diesem Stadtteil verbessert, was aber nicht bedeutet, dass das Projekt „Soziale Stadt“ nicht noch weitere Verbesserungen bringen könnte.

Ein weiteres Projekt ist uns in den letzten Wochen sehr viel schwerer gefallen, weil es auch dort Ausfälle von jungen Menschen gegeben hat. Auch hier hat sich unsere Kommune mit allen an einen Tisch gesetzt. Dadurch haben wir eine – wie ich finde – akzeptable Lösung zwischen Stadt, freien Trägern einschließlich der Polizei gefunden: Es gibt präventive aber auch repressive Ansätze, um diesem ersten Aufbegehren von Gewalt Einhalt zu gebieten.

Ich glaube, dass diese Bemühungen in unserem Land so deutlich und sichtbar sind, dass wir wirklich sagen können: Wir sind auf dem richtigen Weg zur Integration. Das wollen wir auch auf Landesebene fortsetzen – Herr Lindner hat die Projekte schon angesprochen –: durch die Einfüh

rung des Werkstattjahres und von Familienzentren, die in ganz besonderer Weise geeignet sind, zu einem sehr frühen Zeitpunkt auch Familien mit Migrationshintergrund Hilfe und Unterstützung anzubieten.

Ich bin hoffnungsfroh, dass wir in Sachen Integration den richtigen Weg eingeschlagen haben. Wir sind noch nicht am Ziel, aber gemeinsam werden wir dabei sicherlich ein gutes Stück weiterkommen, und ich hoffe, dass es bei der Gemeinsamkeit in diesem Hause bleibt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Kastner. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Steffens für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einen Satz vorab: Bei der Beantragung der Aktuellen Stunde haben wir extra schon in unseren Antragstext geschrieben, dass wir die Situation in Frankreich und in Nordrhein-Westfalen nicht für vergleichbar halten. Das haben wir – durch meinen Vorredner – zum Ausdruck gebracht; ich werde darauf später noch eingehen.

Trotzdem müssen wir das Thema aufgreifen, weil gerade in der Öffentlichkeit im Moment natürlich die Frage gestellt wird, ob sich dieses Problem auch in Nordrhein-Westfalen stellen könnte. Deswegen finde ich es wichtig, dass man unaufgeregt und ohne Stimmung und Angst zu erzeugen diskutiert.

Aus diesem Grund muss ich zu Ihrem Redebeitrag sagen, Herr Lindner: Ich fand ihn einfach nur unverschämt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Denn Sie haben Herrn Becker nicht zugehört. Er hat nicht in einem einzigen Satz über Muslime geredet. Wir halten es nämlich nicht für ein rein integrationspolitisches Problem. Er hat auch nicht einmal in einem Halbsatz Angst geschürt, sondern klar und deutlich erklärt, dass es zwar keinen konkreten Grund, trotzdem aber die Notwendigkeit gibt, etwas zu tun.

Sie haben behauptet, er sei ahnungslos, weil er neu im Parlament sei. Sie sind schon länger im Parlament und trotzdem ahnungslos, weil Sie nicht zuhören. Ich bitte Sie, an die Vorredner nur dann anzuknüpfen, wenn Sie zugehört und auch verstanden haben, worum es geht.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Wider- spruch von der CDU)

Das war eine Frechheit in seinem Redebeitrag. Er ist auf die Rede von Herrn Becker nicht eingegangen und hat ihm Dinge vorgehalten, die in seinem Redebeitrag überhaupt nicht vorkamen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte wieder zum Thema der Aktuellen Stunde übergehen. In Frankreich herrscht eine komplett andere Situation als in NordrheinWestfalen; beides ist nicht vergleichbar. Trotzdem haben auch wir hier das Problem einer neuen Unterschicht in unserer Gesellschaft, die zum einen aus Zuwandererfamilien und deren Kindern, aber auch aus solchen Familien besteht, die seit mehren Generationen von Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Es gibt ein Problem der nicht stattfindenden Integration in diese Gesellschaft, das aber nicht nur Migrantinnen und Migranten betrifft und dem deswegen auch nicht alleine mit Sprachförderung zu begegnen ist, sondern es müssen viele Ansatzpunkte und Bereiche aufgegriffen werden.

Deswegen haben wir gesagt: Wir wollen heute über den Aspekt des sozialen Wohnungsbaus, der Wohnsituation diskutieren. Es ist mittlerweile klar, dass auch soziale Verhältnisse im Wohngebiet für die Bildung, den Werdegang und die Entwicklung von jungen Menschen entscheidend sind. Von daher halten wir den Bereich der „Sozialen Stadt“ als Fortführung eines gesamten Konzeptes nach wie vor für dringend notwendig.

Das ist aber nicht das Instrument, mit dem wir alle Probleme lösen könnten. „Soziale Stadt“ ist, wie wir eben in mehreren Redebeiträgen gehört haben, immer auch ein Stück Reparatur. Man versucht es mit Umgestaltungen der Großsiedlungen der 70er-Jahre, einer Aktivierung der Eigeninitiative und einer Bewohnerbeteiligung. Das ist wunderbar und wichtig. Es wird jedoch nicht ausreichen, sozusagen mit einem Quartiermanagement die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.

Wir müssen nach vorne gehen und schauen, wie wir es schaffen können, von vornherein Ghettobildung und Strukturbildung in den Wohnverhältnissen – beides ist zum Teil schon entstanden – zu verhindern. Dafür sind viele Bausteine notwendig. Der soziale Wohnungsbau ist hierfür ein Instrument, das unabdingbar ist und das wir in Zukunft brauchen. Nur wenn wir in die Breite gehen und ein solches Wohnraumangebot in die gesamte Gesellschaft einstreuen, haben wir die Möglich

keit, solchen Sachen frühzeitig und präventiv entgegenzuwirken.

Damit nicht der Eindruck entsteht, dass es in dieser Diskussion nur um Migration und Migranten, also nur um eine Zielgruppe, geht, möchte ich klar sagen, dass wir dieses Thema auch im Hinblick auf die Spannungen, die im Zusammenhang mit Hartz IV und den dadurch drohenden Umzügen auftauchen, aufgreifen müssen. Wir haben das Problem, dass Menschen aufgefordert werden, in einschlägige Wohnumfelder zu ziehen, wo nur mit Konzepten der „Sozialen Stadt“ von vornherein das Entstehen bestimmter Stimmungen abgefangen werden kann.

Letzter Punkt: Wir sollten auch einmal über Nordrhein-Westfalen hinausschauen. So gibt es im Osten Deutschlands heftige Brennpunktgebiete, wo die Gewaltbereitschaft nicht von Muslimen, nicht von Migranten ausgeht, sondern wo in No-goAreas das Problem auf dem Gewaltpotenzial der Rechten beruht. Auch da müssen wir hineingehen. Wir brauchen eine Strukturpolitik, eine „Soziale-Stadt“-Politik, die das verhindert. In diesem Sinne muss die Politik in diesem Land weiterhin gestaltet werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Als nächster Redner für die Fraktion der FDP hat der Kollege Engel das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei aller Wertschätzung, Herr Kollege Becker, aber Sie verfolgen mit Ihrem Antrag im Kern das Ziel, den Mitteleinsatz in unverminderter Höhe für die Zukunft fortzuschreiben. Darüber hinaus probieren Sie mit einem untauglichen Versuch, einen Lobgesang auf das alte Vesper-Ministerium anzustimmen. Beides wird seine Wirkung verfehlen.

Das ressortübergreifende Handlungsprogramm der alten Landesregierung für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf mit dem Ziel der Stabilisierung und Aufwertung schwieriger Stadtteile hat sicherlich einige erfolgreiche und einige weniger erfolgreiche Maßnahmen angestoßen. Hier möchte ich auf die Debatte von 2002 verweisen.

Wir sind aber mit dem Koalitionspartner zu der Ansicht gekommen, dass wir die Stadterneuerungsförderung neu aufstellen müssen. Maßstäbe müssen die unterschiedlichen Bedürfnisse und Problemlagen vor Ort sein. Wir wollen deshalb die

Voraussetzung für eine Kommunalisierung – dies wurde von meinen Vorrednern mit anderen Worten bereits angesprochen – der Stadterneuerungsförderung schaffen und dazu integrierte ganzheitliche Förderangebote im Wohnungsbau und im Städtebau entwickeln. Der Forderung nach einem unverminderten Mitteleinsatz können wir deshalb nicht pauschal zustimmen.

Um Ihnen zu zeigen, meine sehr verehrten Damen und Herren – das sage ich auch angesichts der vielen Gäste auf den Zuschauertribünen –, dass Sie uns einen finanziellen Scherbenhaufen hinterlassen haben, und zwar nicht nur auf der Landesebene, sondern auch auf der kommunalen Ebene, nenne ich noch einmal die Zahlen, auch wenn es weh tut:

110 Milliarden € Landesschulden, 188 Städte, Gemeinden und Kreise in der Haushaltssicherung, 77 Städte und Gemeinden in der vorläufigen Haushaltsführung sowie 10 Milliarden € Kassenkredite. Viele Städte gerade im Ruhrgebiet mit Problemstadtteilen sind Kommunen in der vorläufigen Haushaltsführung, und zwar ohne erkennbare Chance, jemals eine schwarze Null erreichen zu können.

Wir werden keine Stadtteile kippen lassen, aber es wird auch vor dem demographischen Hintergrund kein Spaziergang werden, einerseits die Problemstadtteile zu sanieren und andererseits die kommunale Selbstverwaltung zu stärken. Dabei sind uns folgende Punkte wichtig:

Erstens. Eine gefühlte und gelebte Anerkennungskultur ermöglichen.

Zweitens. Bildungschancen verbessern.

Drittens. Perspektiven und Teilhabe am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben tatsächlich verbessern.

Viertens. Integrationsfähigkeit und Integrationswilligkeit unterstützen.