Protokoll der Sitzung vom 04.11.2009

Außerdem sind niedrige Löhne in einigen Branchen und Regionen nicht einfach dem Geiz einiger Arbeitgeber geschuldet, sondern eher dem Geiz der Konsumenten, denen manche Leistung nicht viel wert ist. Dass Lohnsteigerungen damit schwierig

sind, dürfte plausibel sein. Löhne müssen nun einmal in erster Linie wirklich erwirtschaftet werden.

(Beifall von der FDP)

Das hat etwas mit Angebot und Nachfrage zu tun und eben nicht primär mit staatlichem Handeln – außer wenn es um die Rahmenbedingungen geht. Die SPD begreift das aber nicht, weil sie diejenigen, die bei ihr wirtschaftlichen Sachverstand besitzen, Stück für Stück immer mehr ins politische Abseits geschoben hat.

(Zuruf von der SPD: Wen denn?)

Was die Evaluierung der bestehenden gesetzlichen Regelung zum Mindestlohn angeht, so schürt die SPD auch hier unnötige Ängste; denn es geht CDU und FDP um ein berechtigtes Anliegen. Die Überprüfung soll feststellen, ob aufgrund eines existierenden Mindestlohns Arbeitsplätze gefährdet sind oder die Entstehung neuer Arbeitsplätze verhindert wird. Es wird ausdrücklich betont, dass bestehende Mindestlöhne sowohl dem Schutz der Arbeitnehmer, als auch der Wettbewerbsfähigkeit einzelner Branchen dienen müssen. Ich halte diese Formulierung im Koalitionsvertrag für ausgewogen.

Anders als die Sozialdemokraten bin ich sicher, dass Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarktpolitik aufeinander bezogen sein müssen. Klassenkampfartige Feindbilder wiederzubeleben hilft angesichts der hochkomplexen Probleme nicht.

(Beifall von der FDP)

Wir müssen den Mut aufbringen, in der Arbeitsmarktpolitik neue Impulse zuzulassen und alte Rollen immer wieder zu hinterfragen. Wir brauchen mehr Flexibilität, aber eben auch mehr Gestaltungschancen und Partizipationsformen.

Dass CDU und FDP eine zukunftsorientiertere Vorstellung zum Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern haben als die SPD, zeigt sich eben auch im Koalitionsvertrag. Dort geht es um Verantwortung für das Unternehmen – Partnerschaft im Betrieb. CDU und FDP wollen die Möglichkeiten der Kapitalbeteiligung von Mitarbeitern erweitern, die eine unternehmerische Mitverantwortung mit einschließt.

(Beifall von der FDP)

Vorsichtshalber wird dieser Beschluss von der SPD ganz verschwiegen. Aufgrund Ihres bereits vollzogenen Linksrucks dürften wir mittlerweile davon ausgehen, dass schon der Begriff „Kapitalbeteiligung“ für Sie zu sehr nach Kapitalismus klingt.

Stattdessen stürzt die SPD in ihrem Antrag auf die Neuüberlegung zu den befristeten Beschäftigungsverhältnissen und wittert auch hier Ungemach, und zwar offenbar ohne den Text im Koalitionsvertrag zu kennen. Herr Kollege Post ist schon darauf eingegangen. Ich zitiere noch einmal:

Das generelle Vorbeschäftigungsverbot für sachgrundlos befristete Einstellungen erschwert Anschlussbeschäftigungsverhältnisse, wenn während Schule, Ausbildung oder Studium bei einem Arbeitgeber schon einmal befristet gearbeitet worden ist.

Das ist die Ausgangslage. Da sollten Sie schon zuhören.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Weiter lesen! Dann kommt der entscheidende Satz.)

Zur „Neuen Westfälischen“, dem Heimatblatt von Herrn Garbrecht: Wo ist er übrigens?

(Günter Garbrecht [SPD]: Hier!)

Ich möchte gerne aus Ihrem Heimatblatt, der „Neuen Westfälischen“, zitieren. Sie brachte es in ihrem Kommentar zu dem Zukunftskonvent in Oberhausen vom letzten Wochenende auf den Punkt:

Darüber hinaus sollte den Sozialdemokraten klar sein, dass die ausschließliche Befassung mit Problemen wie Hartz IV, Mindestlöhnen und Armutsbekämpfung nicht ausreicht, um verlorengegangene Attraktivität und Zustimmung zurückzugewinnen.

Eine linke Volkspartei, die gewinnen will, muss Zuversicht, Optimismus und Modernität ausstrahlen, um über die eigene Klientel hinaus zu punkten.

Herr Garbrecht, da müssen Sie meiner Meinung nach noch ein bisschen besser werden. Aus meiner Sicht hat der Kommentator recht. Vor allem aber hapert es an der Modernität gewaltig, wie man sieht. Die Vorschläge der SPD sind nicht geeignet, Arbeitsplätze zu erhalten, geschweige denn, neue zu schaffen. – Danke schön.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Dr. Romberg. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Steffens.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Romberg, wenn Sie schon anfangen, den Koalitionsvertrag zu lesen, dann sollten Sie nach dem ersten Satz vielleicht auch den zweiten lesen. Ich möchte einmal mit den befristeten Beschäftigungsverhältnissen beginnen. Der erste Satz, den Sie vorgelesen haben, klingt ja noch ganz schön. Es ist für die Menschen einleuchtend, dass jemand, der während der Schulzeit oder Ausbildungszeit gearbeitet hat, nicht 20 Jahre später dafür bestraft werden darf, indem man ihn befristet einstellt. Das macht Sinn. Wir sind auch dafür, und das kann man ja ändern.

Dahinter kommt aber der Satz:

Wir werden die Möglichkeit einer Befristung von Arbeitsverträgen so umgestalten, dass eine grundlose Befristung nach einer Wartezeit von einem Jahr auch dann möglich wird …

Es geht also nicht darum, ob jemand vor 20 Jahren während der Ausbildung einmal gearbeitet hat, sondern darum, dass wir auf diese Weise zu Arbeitsverhältnissen kommen, wie wir sie zum Teil in Spanien und anderen Ländern haben, bei denen man für ein Jahr befristet beschäftigt ist, dann wieder auf den Arbeitsmarkt ausgespuckt wird und nach einem Jahr wieder befristet eingestellt werden kann. Das ist ein Problem, weil wir damit prekäre Beschäftigungsverhältnisse um ein neues Element erweitern.

Von daher: Immer schön zu Ende lesen und nicht nur die halben Wahrheiten aus dem Koalitionsvertrag vorlesen! Sie haben damit, dass Sie den Leuten etwas versprochen haben, auch schon einen Wahlkampf gewonnen, haben ihnen aber verschwiegen, wer die Zeche bezahlen soll. Also ein bisschen mehr Ehrlichkeit!

Ich werfe noch einmal einen Blick in den Koalitionsvertrag: Zu vielen Dingen haben Sie und auch Norbert Post etwas gesagt. Dass Sie einen Mindestlohn generell ablehnen, hat uns nicht verwundert. Das haben Sie bereits im Wahlkampf gesagt; das war schon klar.

Dass Sie im Zusammenhang mit der Tarifautonomie das, was im Tarifausschuss beschlossen wird und was gemeinsam von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gewünscht wird, erst dann aufrechterhalten und neu verankern wollen, wenn es im Kabinett einvernehmlich geregelt worden ist, finde ich eine zusätzliche Hürde, die an der Stelle nicht sein muss. Wenn man sagt, die Tarifautonomie gilt, muss man sie auch hoch hängen und kann nicht das Kabinett über die Tarifabschlüsse stellen.

Bei der Frage, was wir denn schon haben, versuchen Sie wieder, etwas zu verdrehen. Sie wissen, wir wollen generell einen Mindestlohn. Wir wollen also etwas anderes. Aber die kleinen Schritte dorthin, die zum Teil auch aus NRW gekommen sind – Allgemeinverbindlichkeitserklärung –, sind zumindest Schritte in die richtige Richtung, wenn mir das auch zu langsam geht und zu wenig ist.

Wenn man das evaluieren will, dann muss man gucken, wie es im Koalitionsvertrag steht. Da steht:

Dabei kommt es uns darauf an, dieses daraufhin zu überprüfen, ob sie Arbeitsplätze gefährden oder neuen Beschäftigungsverhältnissen entgegenstehen.

Das ist der erste Satz. Das steht an erster Stelle.

Fragen Sie einmal den Arbeitgeber von KiK, welchen Lohn er seinen Beschäftigten zahlen will, der Beschäftigungsverhältnissen entgegensteht. Da kommen sie schnell zu den sittenwidrigen Löhnen.

An erste Stelle sollte nicht stehen, Arbeitsplätze zu schaffen, sondern dass jeder Mensch, der in diesem Land arbeitet und eine Vollzeitstelle, eine Stelle mit vielen Stunden hat, davon auch leben kann. Das muss an erster Stelle stehen. Es geht also nicht zuerst um die Frage, ob wir damit Arbeitsplätze schaffen. Sie sagen jedoch: Es ist uns egal, zu welchen Löhnen gearbeitet wird, Hauptsache, es werden Arbeitsplätze geschaffen.

Dann hängen Sie den Schutz der Arbeitnehmer und die Wettbewerbsfähigkeit hinten noch gleichrangig an. Das zeigt eindeutig die Prioritätensetzung. An erster Stelle steht für Sie der Markt und stehen nicht die Beschäftigten. Es geht Ihnen nicht darum, die Armut in den Niedriglohnbereichen zu bekämpfen. Das wird ganz klar.

Zu dem anderen Punkt: Sie fordern, sittenwidrige Löhne zu verbieten. Ich finde das okay. Das ist aber ein sehr kleiner Baustein und verhindert nicht die Niedriglöhne. Es setzt wieder voraus, dass die einzelne Mitarbeiterin von KiK individuell vor Gericht geht und klären lässt, ob ihr Lohn sittenwidrig ist. Wenn ihr Lohn als sittenwidrig anerkannt ist, dann ist klar, dass er verboten ist. Das setzt also wieder voraus, dass die einzelnen Beschäftigten die Rübe rausstrecken und den Mund aufmachen. Da steht nicht der Schutz an erster Stelle.

Das ist ein deutlicher Unterschied zum Verhindern von Lohndumping. So verhindern Sie Lohndumping nicht, sondern schaffen nur einen kleinen Baustein. Mir wäre es lieber gewesen, man hätte das Verbandsklagerecht für die Gewerkschaften eingeführt. Damit hätte man dasselbe an der Stelle erreichen können.

(Beifall von Frank Sichau [SPD])

Von daher auch hier: Augenwischerei! Sie schaffen die Niedriglöhne nicht ab. Sie liefern keine Antwort auf die Frage, wie wir mit dieser Situation umgehen sollen. Den Folgen und Konsequenzen, nämlich der Kinderarmut, der Armut im Alter, weil wir zu niedrige Renten haben, setzen Sie nichts entgegen. Sie haben in diesem Bereich keine Antworten auf die Probleme, die wir in der Gesellschaft haben. Sie verstärken sie eher noch.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie wollen nämlich die Minijobs ausweiten. Sie wollen dynamisieren. Das heißt, Sie haben noch weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Wir hatten schon in der Vergangenheit die Situation, dass die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse immer mehr zerstückelt wurden. Wir haben nicht mehr Arbeit geschaffen, sondern – gerade im Bereich der Frauenerwerbstätigkeit – eine Stelle wurde einfach zwischen drei Frauen aufgeteilt. Alle hatten ihren 400Euro-Job, keine war rentenversichert. Im dem System gab es keine Sozialversicherung. Und Sie ha

ben sich noch gefreut, dass die alle einen Job hatten.

Nein, darüber freuen wir uns nicht. Wir wollen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Sie weiten das Ganze wieder aus, obwohl wir an jeder Stelle, auch hier in Nordrhein-Westfalen, in jeder Ausschussanhörung ins Stammbuch geschrieben bekommen haben: Wir müssen diese prekären Beschäftigungsverhältnisse, diese Niedriglohnbeschäftigungsverhältnisse eindämmen und versuchen, sie zurückzudrängen.

Sie machen das Gegenteil davon. Die Einlassungen der Koalitionsfraktionen – ich kann verstehen, dass Sie versuchen, das Ganze zu verteidigen – waren dürftig. Das wird nicht dem gerecht, was wir hier schwarz auf weiß gedruckt vorliegen haben und die Menschen im Lande nachprüfen können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine einzige Hoffnung ist, dass man wie in anderen Bundesländern auch hier in NordrheinWestfalen an die gute Debattenkultur des Ausschusses anknüpfen kann. Wir haben in der Vergangenheit in vielen Punkten gegenüber der Bundesregierung, der damaligen Großen Koalition, unsere Positionen deutlich formuliert. Ich wünsche mir, dass die Koalition, die bisher diese Stärke in Nordrhein-Westfalen nicht gezeigt hat, zumindest jetzt diese Stärke hat, damit wir deutliche Signale an den Bund senden und gemeinsam sagen können, was aus unserer Sicht nicht geht und was gegen die Interessen der Menschen in Nordrhein-Westfalen spricht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Steffens. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Laumann.