Protokoll der Sitzung vom 04.11.2009

Es gibt selbstverständlich auch die Methode, Steuern zu senken, um Wachstumsimpulse zu setzen. Darüber gibt es sehr große unterschiedliche Meinungen – genauso wie über die keynesianische Politik. Die Frage, die hier und heute eigentlich zu beantworten ist, lautet: In welchem Volumen können wir uns das leisten? Entscheidend aber ist, dass wir versuchen, mit all diesen Methoden Wachstumskräfte in unserem Land zu stimulieren.

Meine Damen und Herren, die alte Koalition hat vor allen Dingen mit Steuersenkungen ein Programm von 14 Milliarden € aufgelegt. Ich habe keine Opposition gehört, die dagegen irgendwie angegangen ist. Das belastet unseren Haushalt im Jahre 2010 mit 1,2 Milliarden €. Diese sind im Haushaltsvoranschlag berücksichtigt, der Ihnen vorliegt, über den Sie beraten. Ich kann mich nicht erinnern, dass von Ihrer Seite irgendetwas dagegen gesagt worden ist.

Nun fügt die neue Koalition für das Jahr 2010 ein Programm mit gut 400 Millionen € hinzu, die den Haushalt belasten werden. Und da sind Sie hier wie die aufgescheuchten Hühner aufgeregt unterwegs. Frau Löhrmann, ich habe Sie selten so aufgeregt erlebt. Sie wollen den gelungenen Start dieser neuen Koalition natürlich möglichst kaputt machen.

(Beifall von CDU und FDP)

Sie wollen Wahlkampf betreiben – sieben Monate vor der Landtagswahl. Aber wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sagen Sie doch einmal etwas zu den anderen Ministerpräsi- denten!)

Ich werde Ihnen gleich vortragen, wie ich auf diese Belastung komme. Zur Enttäuschung der Opposition muss ich sagen: Wir werden nicht genötigt sein, die Nettoneuverschuldung des Jahres 2010 zu erhöhen.

(Beifall von CDU und FDP – Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Abwarten!)

Das wird Sie wahnsinnig ärgern.

Frau Löhrmann, Sie waren der Meinung, meine Gelassenheit sei immer ganz besonders schlimm, denn dann stünde es ganz besonders schlimm um den Landeshaushalt. Nein, um den steht es nicht schlimm. Sie werden das in den Haushaltsberatungen erkennen. Ich will es Ihnen gerne buchstabieren, auch wenn der Herr Ministerpräsident das sicherlich gerne selber vorgetragen hätte. Aber nach Ihrer sehr kreativen Tagesordnung besprechen wir den gleichen Sachverhalt tatsächlich dreimal: einmal in der Aktuellen Stunde, dann im Rahmen von zwei Tagesordnungspunkten heute und morgen. Außerdem haben wir noch eine entsprechende Frage des Kollegen Becker für die Fragestunde, in der wir das gesamte Thema noch einmal behandeln.

Der Ministerpräsident wird bei dem nächsten Tagesordnungspunkt sicherlich etwas dazu sagen. Ich will Ihnen jetzt gerne etwas zur Wirkung dieser gesetzestechnisch noch nicht vorliegenden, aber geplanten Steuersenkung auf den Haushalt 2010 sagen. Das sind Schätzwerte. Die volle Jahreswirkung hat der Ministerpräsident Ihnen vorgetragen: 885 Millionen €. Die Kassenwirksamkeit ist im Jahre 2010 geringer, weil die Unternehmensteuer natürlich vor allem erst im Jahre 2011 wirkt – Frau Kraft, Sie wissen das alles –, und liegt nach unserer Schätzung bei 650 Millionen €. Die Länder stehen in Verhandlungen mit der Bundesregierung, dass das Kindergeld möglichst nach dem alten Ritus abgerechnet wird

(Britta Altenkamp [SPD]: Genau, nach dem alten Ritus!)

und nicht nach den üblichen Steuerverteilungsmechanismen. Das heißt, dass wir 76 % beim Bund veranschlagen können und 24 % bei den Ländern. Wenn das so kommt – und dafür gibt es sehr gute Anzeichen –, dann werden in 2010 gut 400 Millionen € kassenwirksam sein.

Meine Damen und Herren, am Wochenende erwarten wir die Steuerschätzung. Sie wird ein bisschen besser ausfallen als gedacht. Also werden wir das Delta über kleine Veränderungen bei den Haushaltspositionen locker verkraften. Und das ärgert Sie maßlos, weil Sie gerne gesehen hätten, dass diese Landesregierung durch diese Steuersenkungsmaßnahmen gezwungen würde, ihr Haushaltstableau zu verändern. Ich muss Sie enttäuschen, es wird nicht vorkommen.

(Beifall von CDU und FDP)

„Marktradikale Voodoo-Ökonomie“ – liebe Frau Löhrmann, liebe Frau Kraft, können Sie es nicht eine Nummer kleiner machen? Sie regen sich auf um des Kaisers Bart. Was 2011 ist: Da fließt noch viel Wasser den Rhein herunter, meine Damen und Herren.

(Horst Becker [GRÜNE]: Immer weniger!)

Aber es gilt, auch über steuerliche Maßnahmen die Wachstumskräfte zu stärken. Es gilt die Vereinbarung der Koalition. Darin steht: möglichst zum 1. Januar 2011. Nun warten Sie das erst einmal ab und regen sich erst dann auf, wenn es wirklich angebracht ist. Dann können Sie natürlich gerne etwas vortragen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Ich rege mich gar nicht auf! – Heiterkeit von der CDU)

Frau Kraft, Sie hatten uns empfohlen, wir möchten doch statt einer Kindergelderhöhung in Höhe von 20 € lieber endlich in die Schulen investieren, die Förderung und den Ganztag ausbauen; das seien die richtigen Maßnahmen.

Zur Erhöhung des Kindergeldes kann ich Ihnen nur das zitieren, was Frau Nahles damals Herrn Steinbrück entgegengehalten hat: Ohne Not habe Steinbrück eine Kindergelderhöhung abgelehnt. Dann hat sie noch über die Schuldenbremse und die Bahnprivatisierung hergezogen. – Versuchen Sie doch einmal, ein bisschen Ordnung in Ihren Laden zu kriegen. Das wäre wirklich wunderschön.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Was ist denn mit dem CDU-Ministerpräsidenten?)

Frau Kraft, Sie sagen, wir möchten doch bitte etwas mehr für Bildung tun, das sei richtig angelegtes Geld. Ich habe Ihnen vorhin vorgetragen, dass wir in den Jahren 2009 und 2010 expansive Haushalte fahren. Das wissen Sie auch. Wir haben in 2007 –um nur ein paar Schlaglichter zu werfen – 819 Millionen € für das Kindertagesstättengesetz ausgegeben. Wir geben in 2010 dafür 1,26 Milliarden € aus – die höchste Steigerung, die in den Haushalten 2007 bis 2010 vorgenommen worden ist. Wir vermehren die Zahl der Plätze von damals gut 11.000 auf über 100.000.

(Beifall von CDU und FDP)

Da wagen Sie es, sich hinzustellen und zu monieren, wir würden nicht genug tun! Sie haben dieses Thema gänzlich verschlafen! Diese Koalition hat es nach vorne gebracht!

(Beifall von CDU und FDP)

Ich darf Ihnen die Steigerungsraten im Schulbereich vortragen. Wir haben allein in diesem Etat eine Steigerungsrate von 1,975 Milliarden €, fast 2 Milliarden €. Wir haben die Zahl der Lehrerstellen um 7.874 erhöht. Und Sie – Frau Schäfer sei es ins Stammbuch geschrieben – wollten damals 16.000 Lehrerstellen bis 2013 streichen. Die Hochschulen, meine Damen und Herren, haben in dieser Legislaturperiode eine Steigerung in Höhe von 13 % erfahren. Ich könnte das gerne so fortsetzen. Sie versuchen, hier mit billigen Mitteln Wahlkampf anzuzünden.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wahlkampf?)

Das wird Ihnen nicht gelingen. Zitieren Sie lieber Herrn Straubhaar, Herrn Sinn, bevor Sie aus Ihrem Zettelkasten, Frau Kraft, die falschen herausholen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Minister Linssen. – Für die SPD spricht nun die Kollegin Walsken.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Finanzminister Linssen, dieser Haushalt hat keinen Cent Spielraum für eine Steuersenkung. Ganz im Gegenteil.

(Minister Dr. Helmut Linssen: Oh!)

Bleiben Sie ruhig, ich werde es Ihnen erläutern. – Ihr Zahlenwerk ist heute schon das Papier nicht mehr wert, auf dem es gedruckt ist.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Auch das will ich Ihnen gerne erläutern. Schon bei der Einbringung im Sommer war dieser Haushalt geprägt von einem krampfhaften Versuch und einem Auftrag an die Minister, auf jeden Fall und um jeden Preis unter der Summe der Neuverschuldung von Rot-Grün zu bleiben. Und der Haushalt hat diesen Preis bezahlt, meine Damen und Herren. Denn er ist voller unseriöser Ansätze, die weder dem Gebot der Transparenz noch dem der Haushaltswahrheit entsprechen.

Im Titel der globalen Minderausgaben – das ist die Position, die man den Ministerien aufgibt: zu sparen – ist die Summe von 100 Millionen € willkürlich gesetzt. Sie macht genau den Abstand zwischen Neuverschuldung Schwarz-Gelb und Neuverschuldung Rot-Grün aus, meine Damen und Herren. Wenn das nicht Trickserei ist!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Auf dieses Werk kommt jetzt eine durch den Ministerpräsidenten persönlich zugestandene Belastung aus der Koalitionsrunde in Berlin in Höhe von mindestens 885 Millionen €. Ich sage: Das kann für 2010 auch deutlich mehr werden.

Lassen Sie uns diese Zahl einmal unterstellen. In dieser Größenordnung kann diese Landesregierung die Belastung für 2010 nur auf Pump finanzieren. Der Finanzminister wendet einen Trick an. Das hört er nicht gern. Denn entweder finanziert er in der nächsten Woche in einer Ergänzungsvorlage für den Haushalt die 885 Millionen € – dann muss er einen Deckungsvorschlag machen –, oder, Herr Finanzminister, kann es sein, dass Sie sich in der WDR-Sendung „Westpol“ so cool und gelassen gegeben haben, weil Sie im Moment gar nicht vorhaben, dieses Geld wirklich in den Haushalt einzustellen?

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Warten Sie einfach ab und finanzieren die Ausgaben im Haushaltsvollzug über Schulden und nach der Landtagswahl müssen wir dann die bisher durch Schulden finanzierten Steuererleichterungen gegenfinanzieren? Das ist aus meiner Sicht der Trick, den Sie anwenden!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das ist unseriös.

Daneben haben wir offensichtlich mit weiteren Belastungen in Höhe von 2,5 bis 3 Milliarden € für das Jahr 2011 zu rechnen.

(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers: Un- sinn!)

Das ist kein Unsinn, Herr Dr. Rüttgers. Der Finanzminister hat es in der „Westfalenpost“ vom 21. Oktober selbst bestätigt. Danach ist mit mindestens 2 Milliarden € zu rechnen. Sie glauben doch nicht, dass Sie aus dem Ergebnis der Steuerschätzung einen derartigen Steuerzuwachs in diesem Land haben werden, um diese Summe zu finanzieren? Herr Dr. Rüttgers, Herr Dr. Linssen, deshalb sage ich Ihnen: Sie finanzieren Steuersenkungen auf Pump, wollen es aber den Menschen nicht sagen!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, unsere Forderungen sind klar:

Erstens. Herr Finanzminister, verabschieden Sie sich aus Ihrem Vorruhestand, gehen Sie wie Ihre Amtskollegen in CDU-geführten Landesregierungen endlich nach vorn und sagen, dass die Länderhaushalte die Belastungen aus dem Koalitionsvertrag nicht übernehmen können. Reihen Sie sich endlich in die Kette derjenigen ein, die die Verantwortung für ihre Länder sehen.

(Beifall von der SPD)