Protokoll der Sitzung vom 01.12.2005

Ich will es bei diesen wenigen Beispielen belassen; Sie kennen diese auch. Ich habe sie verdeutlicht, um darzustellen, wie die Bahn mit dem einzig gewinnbringenden Teil, nämlich dem Nahverkehr, umgeht.

Wir meinen, die Landesregierung sollte hier nicht scheibchenweise ins Kleinklein verfallen. Was wir dringend brauchen, sind eine einheitliche Linie, eine Attraktivitäts- und Qualitätsdiskussion im ÖPNV und ein einheitliches Konzept.

Wir bedauern es sehr, dass Herr Wittke die Sparspekulationen des Bundes durch weitere Sparankündigungen des Landes toppen will. Wir möchten nicht vermuten, dass das mit dem Einbauen in irgendwelche wie immer gearteten Kabinette zu tun. – Danke.

(Beifall von der SPD)

Danke schön, Herr Wißen. – Herr Rasche von der FDP-Fraktion hat nun das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Grünen für die heutige Aktuelle Stunde ist gleich aus mehreren Gründen – tut mir Leid, Herr Keymis – an Polemik kaum zu überbieten.

Bei allen Vorbehalten, die ich als FDP-Politiker gegenüber der großen Koalition in Berlin habe, muss ich einräumen: Im Berliner Koalitionsvertrag wird über die künftige Höhe der Regionalisierungsmittel nichts gesagt. Dort heißt es lediglich, dass bei einzelnen Fördertatbeständen gezielte Einsparungen vorgenommen werden sollen. Dazu

gehören dann allerdings auch in der Aufzählung, Herr Wißen, die Regionalisierungsmittel; sie sind also sehr wohl genannt. Es wird auch gesagt, es solle gespart werden – allerdings nicht, in welcher Höhe dies geschehen solle.

Grundlage für die Aktuelle Stunde sind demnach spekulative und zum Teil auch widersprüchliche Presseberichte. Vielleicht sind diese Presseberichte ein Testballon, um zu erfahren, wie die Länder auf solche Vorschläge reagieren.

Deshalb, meine Damen und Herren, sollte sich Nordrhein-Westfalen klar und deutlich positionieren. Eine Kürzung der Regionalisierungsmittel und die damit verbundene Gesetzesänderung sind nicht ohne Zustimmung der Bundesländer möglich. Angesichts der doch auch Ihnen bekannten Reaktionen der Länder ist eine Mehrheit für die Kürzung der Nahverkehrsmittel noch nicht in Sicht. Auch deshalb, meine Damen und Herren, ist es unredlich, wenn hier so getan wird, als ob die Kürzungen schon beschlossene Sache seien. Die Grünen lassen offenbar keine Gelegenheit aus, um die Bürger in Nordrhein-Westfalen zu verunsichern.

Zur Position von Nordrhein-Westfalen beziehungsweise zur Position der FDP: Die im Raum stehenden Kürzungen für das Jahr 2006 sind allein aus praktischen Erwägungen heraus gar nicht möglich. Deshalb würde die FDP diese Kürzungen ablehnen.

Die Höhe des Betrages, der den Ländern ab dem Jahr 2008 zusteht, wird im Jahre 2007 durch Gesetz festgesetzt. Diese Revision bedarf der Zustimmung der Bundesländer. Sie wird zu einer Grundsatzdiskussion über die Förderung des ÖPNV in Bund und Ländern führen.

Eine Kürzung oder Anpassung dieser Mittel sollte nach Auffassung der FDP nicht vor Abschluss der Grundsatzdiskussionen erfolgen. Meine Damen und Herren, es ist klar: erst die Grundsatzdiskussion und dann die Anpassung der Mittel. Eine Kürzung im Jahre 2007 ist deshalb aus Sicht der FDP absolut nicht sinnvoll.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Sie sollten mal mit Herrn Wittke darüber reden!)

Das mache ich schon, Herr Dr. Horstmann. Wir reden öfter miteinander.

Wenn wir dann auf die Revision im Jahre 2008 schauen, stellt sich die zentrale Frage, ob das Land Nordrhein-Westfalen bisher einen angemessenen und bedarfgerechten Anteil an den 6,8 Milliarden € erhält, die der Bund an Regionalisierungsmitteln verteilt. Es gibt eine ganze Reihe von

Bemessungsgrößen, die diese Frage beantworten können.

So liegt der NRW-Zuschuss pro Kopf der Bevölkerung in diesem Jahr bei 61 €. Zum Vergleich: Bayern 85 €, Saarland 88 €, Rheinland-Pfalz 91 €, Sachsen-Anhalt 142 €, Brandenburg sogar 157 €. Im Übrigen – das ist auch Ihnen bekannt – sagen alle neutralen Experten und Fachleute: Der NRWAnteil ist zu niedrig. Das ist, meine Damen und Herren, ein gewaltiges Versäumnis der rot-grünen Koalition,

(Beifall von FDP und CDU)

also auch ein gewaltiges Versäumnis des Antragstellers, der Grünen, die sich mal wieder aus ihrer Verantwortung an der Regierungsbeteiligung herausstehlen wollen. Denn die Grünen tragen die Verantwortung dafür mit, dass Nordrhein-Westfalen im Verhältnis zu anderen Bundesländern über Jahre zu wenig Mittel erhalten hat.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Ich dachte, ihr wolltet mit den Grünen kuscheln!)

Sie kuscheln doch in Berlin mit der CDU, Herr Horstmann! Da hilft auch Ihr überhebliches Lachen kein bisschen. Auch die Geste, mit dem Finger an den Kopf zu zeigen, als Herr Schulte eben redete, ist für einen ehemaligen Minister völlig unangemessen.

(Beifall von FDP und CDU – Dr. Axel Horst- mann [SPD]: Entschuldigung! )

Vielleicht sollte man hier etwas gelassener und sachlicher miteinander umgehen.

Wir reden von gewaltigen Versäumnissen von Rot-Grün. Meine Damen und Herren, wir wissen nicht, was im Jahre 2007 mit Blick auf das Jahr 2008 beschlossen wird. Natürlich muss Nordrhein-Westfalen auch in Zukunft auf einem angemessenen Anteil bestehen. Zudem sollte Nordrhein-Westfalen bis dahin seine Hausaufgaben machen und die Maßnahmen, die zu einer Kostenreduzierung und zu einer Effizienzsteigerung führen, mutig umsetzen.

Die Landesregierung ist aufgefordert, bei den Verhandlungen mit dem Bund darauf zu drängen, dass Nordrhein-Westfalen bei der Neufassung der Mittel in bedarfsgerechter und im Verhältnis zu anderen Bundesländern angemessener Weise berücksichtigt wird. Eine bundesweite Reduzierung muss deshalb nicht zwangsweise zu einer Reduzierung für Nordrhein-Westfalen führen. Es wird sich zeigen, ob sich die NRW-Vertreter von CDU und SPD – Herr Horstmann, vielleicht haben

Sie da Einfluss – in der großen Koalition rein sachlich durchsetzen können.

Wir brauchen dringend mehr Wettbewerb auf der Schiene. Bisher werden die Mittel zu großen Teilen ohne Ausschreibungswettbewerb an die Deutsche Bahn durchgereicht. Bei den wenigen Strecken, die unter grüner Regierungsbeteiligung im Wettbewerb vergeben wurden, konnten Kosteneinsparungen von 15 % bis 20 % realisiert werden – und das bei einer gleichzeitigen Verbesserung des Angebots.

Die organisatorischen Strukturen des ÖPNV in Nordrhein-Westfalen müssen dringend auf den Prüfstand. Natürlich stellt sich dabei die Frage, ob wir uns nach wie vor neun Zweckverbände und 62 Nahverkehrsgesellschaften in Nordrhein-Westfalen leisten können. Das ist übrigens nicht nur eine Frage des Geldes. Die Kooperation und Koordination zwischen den vielen Akteuren muss im Interesse der Kunden dringend verbessert werden.

Schließlich muss auch die Frage erlaubt sein, ob in Teilen des ländlichen Raums eine Busverbindung nicht flexibler, effektiver und günstiger ist als die Schienenphilosophie der Grünen.

Meine Damen und Herren, die Grünen spielen sich in der Antragsformulierung für diese Aktuelle Stunde zum Retter des ÖPNV auf.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das sind wir auch!)

Tatsächlich sind die Grünen, Frau Löhrmann, aber mitverantwortlich für einen zu geringen NRW-Anteil im ÖPNV, für zu wenig Ausschreibungswettbewerb. Zudem fehlte den Grünen der Mut zu einer Veränderung der Strukturen des ÖPNV in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von FDP und CDU)

Abschließend noch einmal die Position der FDP. Erstens: Wir lehnen Kürzungen 2006 und 2007 ab. Zweitens: Nordrhein-Westfalen muss ab 2008 einen angemessenen Anteil erhalten. Wir fordern drittens mehr Wettbewerb durch mehr Ausschreibungen, viertens eine Prüfung der Strukturen und fünftens eine Klärung, in welchen Bereichen der Einsatz von Bussen und Bahnen sinnvoll ist.

Meine Damen und Herren, zum Schluss: Die Grünen spielen sich trotz zahlreicher Versäumnisse – ich habe sie der Reihe nach aufgezählt – als Retter des ÖPNV auf. Die Koalition hier in NordrheinWestfalen tut das nicht. Ich bin sicher, dass die Koalition aus CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen diese Versäumnisse aufarbeiten und für einen

sinnvollen und effektiven ÖPNV in NordrheinWestfalen sorgen wird. – Danke schön.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Rasche. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Wittke.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich verstehe die Aufregung um dieses Thema nicht, das die Grünen heute dazu bewogen hat, hier eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Ich empfehle uns ein Stück weit mehr Gelassenheit.

Was ist denn tatsächlich passiert? In der Tat haben SPD und CDU/CSU in der Koalitionsvereinbarung in Berlin vereinbart, dass sie künftig auch im öffentlichen Personennahverkehr sparen wollen. Wenn das alles wahr ist, was wir hier gestern zum Thema Sparen gehört haben, was insbesondere auch Vertreter der Bündnisgrünen hier vorgetragen haben, müsste eine solche grundsätzliche Festlegung Ihre Zustimmung und Ihren Beifall finden. Denn man kann nicht in Sonntagsreden das Sparen einfordern, sich aber im Montagshandeln „in die Büsche schlagen“, so wie Sie das tun.

(Beifall von der CDU)

Fakt ist, dass die Regionalisierungsmittel dem Grunde und der Höhe nach bis 2007 festgeschrieben sind. Darum wird es auch im kommenden Jahr keine Veränderung geben. Das wäre rein technisch schon nicht möglich. Sie wissen, die Leistungen sind bestellt, die Fahrpläne sind gedruckt. Selbst wenn man es wollte – ich will es nicht –, könnte man an der Preisspirale bei den Fahrgastentgelten nicht drehen.

Fakt ist aber auch, dass es 2006 eine zwölfprozentige Kürzung der Schülerbeförderungskosten geben wird. Das bedeutet für unser Land Nordrhein-Westfalen, dass es 22 Millionen € weniger für den öffentlichen Personennahverkehr geben wird. Das hat die rot-grüne Bundesregierung 2004 im Haushaltsgesetz so beschlossen. Das ist mit Ihrer Zustimmung, Herr Keymis, von Bündnis 90/Die Grünen geschehen. Denn es war der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück, der damals mit dem hessischen Ministerpräsident Roland Koch genau diese Vereinbarung getroffen hat.

Es ist verlogen, wenn Sie hier so tun, als würde es im nächsten Jahr zu massigen Kürzungen beim öffentlichen Personennahverkehr kommen – wohl wissend, dass Sie die Kürzungen, die kom

men, zu verantworten haben. Sie sind die Verantwortlichen für Preissteigerungen im nächsten Jahr im öffentlichen Personennahverkehr in Nordrhein-Westfalen!

(Beifall von der CDU)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich empfehle uns nicht nur etwas mehr Gelassenheit, sondern auch etwas mehr Ehrlichkeit. Wenn ich die gestrigen Aussagen der Redner von Bündnis 90/Die Grünen aber auch der Sozialdemokraten in der finanzpolitischen Debatte Revue passieren lassen, kann ich mich nur den Worten des Finanzministers anschließen: Herzlichen Dank für Ihre Mitarbeit, die Haushaltssituation in NordrheinWestfalen künftig wieder in Ordnung zu bringen. Herzlichen Dank für Ihre Ankündigung, dass auch Sie Kürzungen im Landeshaushalt des nächsten Jahres mittragen werden. Denn nur so kann ich Ihre Forderung verstehen, dass die Haushalte des Bundes und von Nordrhein-Westfalen wieder in Ordnung gebracht werden müssen. Ich freue mich auf Ihren Beitrag.

Aber es ist nicht ehrlich, wenn Sie zugleich sagen, dass es heilige Kühe gebe, zu denen der öffentliche Personennahverkehr gehöre, an den man überhaupt nicht rangehen dürfe. Selbstverständlich muss auch der öffentliche Personennahverkehr einen Beitrag zur Haushaltssanierung leisten. Wir können es uns nicht erlauben, einen ganz wesentlichen Teil des Landeshaushalts und meines Etats von Einsparbemühungen auszunehmen. Die Frage ist nur: Wie intelligent sparen wir? Machen wir das auf Kosten der Fahrgäste im öffentlichen Personennahverkehr, oder machen wir das, indem wir Wasserköpfe abbauen, Strukturen verändern und Mittel möglichst effizient einsetzen? Auf diese Debatte bin ich gespannt.

Noch ein weiterer Punkt zum Thema Ehrlichkeit: Sie sagen in Ihrem Antrag, dass die Zahl der der Zugkilometer in Nordrhein-Westfalen in den letzten zehn Jahren von 73 Millionen auf 100 Millionen gestiegen ist. Das ist richtig. Sie sagen in Ihrem Antrag ebenfalls, dies sei bei konstanter Höhe der Mittel bewerkstelligt worden. Ich weiß nicht, ob Sie da bewusst oder aus Unkenntnis die Unwahrheit sagen. Tatsächlich sind die Mittel im Bereich der Schiene in den letzten zehn Jahren in Nordrhein-Westfalen von 596 Millionen auf 770 Millionen € angestiegen. Das ist eine Steigerung um rund 30 %, um 174 Millionen €. Bleiben Sie auch bei parlamentarischen Anträgen bei der Wahrheit!

(Beifall von CDU und FDP)