Protokoll der Sitzung vom 20.01.2010

Das mag mit einer Fehleinschätzung bei den Festlegungen des Koalitionsvertrages dieser Koalition zusammenhängen. Ich darf daran erinnern, dass vom Osten bis zum Westen, vom Norden bis zum Süden dieser Republik in der Zwischenzeit Schulentwicklungen möglich sind, die offensichtlich in Nordrhein-Westfalen nicht ermöglicht werden, weil Sie schlicht und einfach an den Menschen vorbei regieren.

(Beifall von der SPD)

Diesmal, meine Damen und Herren, betrifft es die Gemeinde Morsbach. An dieser Stelle möchte ich den Bürgermeister der Gemeinde, Herrn Bukowski, herzlich begrüßen, der heute auf der Besuchertribüne der Debatte folgt. Ich hoffe, Herr Bukowski, Sie sind am Ende nicht zu sehr entsetzt über das Ergebnis dieser Debatte.

Die Landesregierung versucht bei der Frage der Gesamtschulgründungen durch Tricksen, Vertagen, Aufschieben, Verschleppen und am Ende dadurch, dass die Gemeinden die Gerichte anrufen müssen, die Gemeinden vor Ort auszubremsen. Statt die Kommunen in ihrer verantwortungsvollen Sorge um eine zukunftsfähige Schullandschaft zu unterstützen, behindert sie genau diese Entwicklung.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das, meine Damen und Herren, ist verantwortungslose Politik gegenüber den Menschen, gegenüber den Kommunen, aber erst recht gegenüber der jungen Generation, die ein Anrecht auf eine gute Bildung hat. CDU und FDP und die von ihnen getragene Landesregierung versuchen schlicht und einfach, durchzuregieren und auf diese Art und Weise Interessen vor Ort nicht zu berücksichtigen.

Ich darf an dieser Stelle in die Chronologie der Entwicklung in Morsbach einsteigen. Am 10. April 2008 beschloss der Gemeinderat der Gemeinde Morsbach mehrheitlich die Einrichtung einer Gesamtschule. Eine daraufhin eingeleitete Elternbefragung ergab eine deutliche Tendenz. 60 % der abgegebenen Stimmen wollten eine Gesamtschule haben.

Daraufhin stellte die Verwaltung der Gemeinde bei der Bezirksregierung Köln im November 2008 den Antrag auf Errichtung einer Gesamtschule zum Schuljahr 2009/2010. Gleichzeitig wurde die Bezirksregierung gebeten, ein verkürztes Anmeldeverfahren einzuleiten. In weiser Voraussicht hatte der Rat bereits einen Vorratsbeschluss gefasst,

der der Gemeinde die Möglichkeit gab, bei Ablehnung zu klagen.

Erwartungsgemäß hat die Bezirksregierung Köln der Errichtung der Gesamtschule nicht zugestimmt.

(Zuruf von der SPD: Pfui!)

Die Gemeinde musste den Klageweg beschreiten. Das Verwaltungsgericht Köln hat in seiner Sitzung am 9. Dezember 2009 in einem sehr abgewogenen Urteil der Gemeinde recht gegeben.

Damit wäre der Weg zur Anmeldung eigentlich frei gewesen, zumal das Gericht gerade den überregionalen Bedarf an Gesamtschulplätzen in dieser Region zugrunde gelegt hatte. Aber, meine Damen und Herren, anders als in Bonn, wo die Bezirksregierung noch darauf verzichtet hatte, gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes Köln Revision einzulegen, legt sie nun in Morsbach Revision ein – mit dem ganz klaren und einzigen Ziel, über den Anmeldetermin hinauszukommen und auch zum kommenden Schuljahr die Einrichtung einer Gesamtschule in Morsbach zu verhindern.

(Zuruf von der SPD: Pfui!)

Das ist die Sachlage.

Gleichzeitig macht die Bezirksregierung deutlich, dass Anmeldungen an der Gesamtschule Morsbach natürlich nicht möglich seien und dass man im Schulzentrum an Haupt- und Realschule weiterhin anmelden könne, da auch geprüft werden müsse, ob die Finanzkraft der Gemeinde überhaupt ausreichend sei, eine Gesamtschule einzurichten.

Wenn man dieses Muster, meine Damen und Herren, anwenden würde, dann würde die gesamte Hauptschuloffensive in diesem Land wahrscheinlich zusammenfallen, weil nämlich die Finanzkraft und die fehlgeleiteten Mittel für die Einrichtung der Hauptschuloffensive schlicht und einfach dem Urteil der Bezirksregierung nicht entsprechen würden.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Ich bin der Meinung, dass wir längst den Landesrechnungshof hätten anrufen müssen, um die Hauptschuloffensive, die Auswirkungen auf die Gemeinden und die Frage der Verschleuderung von Steuergeldern an dieser Stelle zu überprüfen. Mittlerweile müssen die ersten Ganztagshauptschulen im Land schließen, weil Sie den Kommunen vor Ort eine fehlgeleitete Politik aufzwingen.

Stattdessen bietet die Bezirksregierung der Gemeinde Morsbach eine Verbundschule an. Die Menschen wollen das nicht. Sie wissen ganz genau, dass die Verbundschulen die Optionen für ihre Kinder nicht bis zum Ende offenhalten.

Und Sie locken natürlich auch gleich mit dem Ganztagsangebot, nämlich mit dem, was die Gesamtschulen nicht bekommen. Die Kommunen müssen mittlerweile in die Klagesituation hineingehen – wir sind gespannt, was die Klagesituation an dem Punkt bringt –, um den Ganztagszuschlag für neu gegründete Gesamtschulen zu erhalten. Sie konterkarieren ein pädagogisches Prinzip der Gesamtschulen schlicht und einfach aus ideologischen Gründen und sind nicht bereit,

(Zurufe von CDU und FDP: Oh!)

den Kommunen die Zuschläge zu geben, die sie eigentlich brauchen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Morsbach, meine Damen und Herren, wird zukünftig Herausforderungen für das Schulsystem vor Ort wahrnehmen. Rita Süssmuth hat einmal gesagt: Wenn die letzte Schule am Ort stirbt, stirbt auch die Kultur. – Das hat Morsbach verstanden, nicht aber diese Landesregierung und auch nicht die Fraktionen, die sie tragen. Sie vergehen sich mit dieser Politik an den Kommunen, an den Bürgern und an den Kindern in diesem Land.

Wenn Sie an dieser Stelle nicht aufhören, in dieser Form weiterhin diese Politik zu machen, dann passiert Ihnen das, was mit den Indianerstämmen in Nordamerika passiert ist:

(Zurufe von CDU und FDP: Oh!)

Wenn die Häuptlinge nicht begreifen, dass der Stamm gute Häuptlinge braucht, dann werden die Häuptlinge am Ende untergehen. Das lehrt uns die Geschichte.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem Spruch von Erich Kästner schließen:

Erst wenn die Mutigen klug und die Klugen mutig geworden sind, wird das zu spüren sein, was irrtümlicherweise schon oft festgestellt wurde: ein Fortschritt der Menschheit.

Meine Damen und Herren, Sie haben allen Anreiz, dass bei Ihnen in Ihren Fraktionsreihen die Mutigen klug und die Klugen mutig werden, damit Sie eine Änderung im Bereich der Bildungspolitik auf den Weg bringen. Sonst werden Ihnen die Wähler am 9. Mai ganz klar sagen, was sie von dieser Politik halten.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Danke schön, Frau Hendricks. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Frau Beer.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte zunächst Herrn Bürgermeister Bukowski und Frau

Vogel aus Morsbach in dieser Runde ganz herzlich begrüßen.

Wenn wir heute aufgrund des Hilferufs des Bürgermeisters über die Willkür gegenüber der Gesamtschule Morsbach reden, dann ist es eine Debatte, die beileibe nicht auf Morsbach begrenzt ist. Wir führen sie für alle Bürgermeister, die sich nicht mehr von den Durchhalteparolen der x-ten Hauptschuloffensive irritieren lassen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir führen sie für alle Bürgermeister, die sagen: „Wir brauchen eine Schule mit allen Abschlüssen vor Ort“ und die begriffen haben, dass die Schule vor Ort ein knallharter Standortfaktor ist, ohne die es keine zuzugsbereiten Familien und keine positive Wirtschaftsentwicklung vor Ort geben wird.

Der Landesregierung fliegt ihre Schulpolitik doch längst um die Ohren, weil die Bürgermeister nicht mehr mitspielen. Denen sind Eltern, sind Schülerinnen, sind ihre Schulstandorte wichtiger als ihr Parteibuch, und das ist ein gutes Zeichen in diesem Land.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Oder sie werden dann, wenn sie das nicht berücksichtigen, bei den Kommunalwahlen abgestraft oder erfolgreich belohnt, so wie es bei Herrn Bukowski passiert ist, der mit über 70 % ins Bürgermeisteramt gekommen ist,

(Ralf Witzel [FDP]: Erzählen Sie mal, was in Hamburg passiert!)

weil er sich nämlich nicht von einer Landespartei bevormunden lässt und die Anliegen der Eltern und die Zukunft des Schulstandortes zu seiner Sache gemacht hat. Da bin ich doch gespannt, was der Kollege Löttgen hier gleich vortragen wird. Steht er auf der Seite der Menschen in Morsbach, in seinem Wahlkreis? Oder ist ihm der „Regierungs- und Koalitionssprech“ für heute verordnet worden, und trägt er das auch gleich brav hier vor, obwohl er weiß,

(Beifall von den GRÜNEN)

dass die CDU die Kommunalwahlen in Morsbach damit schon versenkt hat? Ich sage nur: minus 14 %. Machen Sie so weiter! Wir haben die nächsten Wahlen vor uns.

Übrigens, in den letzten Tagen rufen mich erboste Eltern an und fragen,

(Zurufe von der CDU: Ui!)

wie hoch denn die Spenden für die Klientelpartei in Nordrhein-Westfalen sein müssen, damit die Gesamtschulblockade hier endlich aufhört.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Ralf Witzel [FDP]: Meinen Sie die Windkraftlobby?)

Meine Damen und Herren, das Schulministerium kann die kommunalen Initiativen zur Gründung von

Gesamtschulen im Land nicht ausbremsen und Eltern nicht entmutigen – trotz der Tatsache, dass sie ihnen systematisch den Ganztag vorenthält.