Protokoll der Sitzung vom 20.01.2010

Liebe Eltern! Die klare Mehrheit im Rat der Gemeinde hat mit dem Beschluss zur Errichtung der Gesamtschule und zur Elternbefragung Ihnen, den Eltern, die Entscheidung über die bildungspolitische Zukunft in die Hand gegeben.

Jetzt kommt der bemerkenswerte Zusatz:

Ich persönlich bin sogar der Auffassung, dass es um viel mehr geht, nämlich um die Beantwortung der Frage: Ist unsere Gemeinde zukunftsfähig? Ihre Antwort zu dieser Frage ist von entscheidender Bedeutung für uns alle.

(Unruhe von der SPD – Marc Jan Eumann [SPD]: Sehr gut!)

Welche Last, meine Damen und Herren, wird damit den befragten Eltern aufgebürdet! Ist es wirklich zulässig, die Zukunft …

(Lebhafter Widerspruch von der SPD)

Hören Sie einfach zu. Dann lernen Sie vielleicht noch etwas! – Ist es wirklich zulässig, die Zukunft einer gesamten Gemeinde vom Abstimmungsverhalten eines Bruchteils der Einwohner abhängig zu machen?

Ich sage deutlich: Nein! – Hier entziehen sich die Verwaltung und mit ihr alle Befürworter der Gesamtschule ihrer politischen Gesamtverantwortung.

Fakt ist Folgendes: Von 527 möglichen wurden 265 Fragebögen an die Gemeinde Morsbach zurückgesandt. Ziemlich exakt die Hälfte der Eltern zeigte also Interesse an dieser Frage. Von 137 möglichen Stimmen der Eltern von Grundschulkindern im 4. Schuljahr wurden 84 abgegeben. Auf eine noch einzurichtende Gesamtschule entfielen 49, auf andere Schulformen – insbesondere die Realschule und die auswärtigen Schulen – entfielen 35.

Sehr geehrte Frau Beer, Sehr geehrte Frau Schäfer, ich darf Sie bitten, hier ans Rednerpult zu kommen, und ich fordere Sie auf, die 90prozentige Zustimmung zur Gesamtschule, die in Ihrem Antrag steht, hier vorzurechnen oder sie aus Ihrem Antrag zu streichen.

(Beifall von der CDU)

Und noch viel wichtiger ist: Legt man die Zahlen des Schulentwicklungsplans zugrunde – daraus ergibt sich ein signifikantes Teilbedürfnis von 80 bis 90 Morsbacher Schülerinnen und Schülern pro Jahrgang – ergeben sich aus den Zahlen der Elternbefragung notwendige Übergangsquoten von 58,4 % bis hin zu 92,8 %. – Das ist absolut utopisch. Die in Nordrhein-Westfalen maximal erreichte Übergangsquote von 55 % würde damit weit überschritten. Das ist kein Indiz für eine zukunftssichere Schule, sondern ein Indiz für eine notwendige erneute Überprüfung.

Mir – und gewiss auch der Landesregierung und der Bezirksregierung – ist ausschließlich daran gelegen, drei Dinge sicherzustellen: die besten Chancen für die Kinder der Gemeinde Morsbach; Schulen, die einen qualitativ guten Unterricht mit einer ausreichenden Anzahl von Schülerinnen und Schülern absehbar dauerhaft gewährleisten kön

nen, und Sicherheit für die Eltern bei der Entscheidung für oder gegen eine Schule.

Eine Gesamtschule in Morsbach, deren dauerhafter Betrieb wegen unzureichender Schülerzahlen oder mangelnder Heterogenität infrage gestellt werden muss, erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Es gibt allerdings vor Ort eine außerordentlich gute und erfolgreiche Hauptschule und eine Realschule, letztere vielfach ausgezeichnet. Die Quoten der Schüler, die den Übergang in einen Beruf oder an weiterführende Schulen schaffen, sind weit überdurchschnittlich hoch.

Die Schließung dieser beiden Schulen müsste zur Bedingung haben, dass zumindest etwas Gleichwertiges oder sogar etwas Besseres folgt. Im Übrigen – in einem Nebensatz –: Zu Wortbeiträgen, wie ich sie vor Kurzem von der SPD oder der BFM gehört habe, in denen von einer Existenzgefährdung der Realschule gesprochen worden ist, muss ich sagen: Man kann eine Schule auch kaputtreden, und dagegen müssen wir uns wehren.

(Beifall von der CDU)

Zurück zum Thema: Ob eine Gesamtschule in Morsbach diesen Anspruch erfüllen kann, ist nicht nur nach meiner Auffassung mehr als unsicher. Die berechtigten Zweifel am erfolgreichen Betrieb einer Gesamtschule Morsbach machen es zwingend erforderlich, im Interesse der Eltern und der Schüler die Argumente beider Seiten durch das höchste Verwaltungsgericht in NordrheinWestfalen klären zu lassen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Löttgen. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Frau Beer noch einmal das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Löttgen, genau die Argumentationslinie, die Sie gerade hier aufgemacht haben, hat dazu geführt, dass Sie vor Ort ein Minus von 14% bei den Stimmen eingefahren haben und dass der Bürgermeisterkandidat der CDU unter die 30-%-Hürde gefallen ist.

(Bodo Löttgen [CDU]: Das sind Fakten!)

Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, und Sie versuchen, sie gegen die Eltern und gegen die kommunale Standortpolitik hier weiter vorzutragen.

Ja, Herr Witzel, wir stehen dazu: lieber Ganztagsplätze für Kinder an Gesamtschulen als Steuergeschenke für Hoteliers.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Das ist genau die Entscheidung, die getroffen werden muss.

Wenn Sie hier vom Leer-Laufen der Gesamtschuloberstufen und vom Bericht des Landesrechnungshofs reden, müssen Sie bitte hinzufügen, aus welchem Jahr er stammt, nämlich dass er vor über sechs Jahren veröffentlicht wurde, und dass Sie bisher noch nicht zur Kenntnis genommen haben, dass die Gesamtschuloberstufen aus allen Nähten platzen. Das haben Sie bis heute nicht zur Kenntnis genommen.

Das heißt auch, dass Sie sich aus der aktuellen schulpolitischen Entwicklung längst verabschiedet haben, weil Sie unter Ihrer ideologischen Käseglocke sitzen und den Blick nicht nach außen richten. Das ist deutlich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Frau Ministerin, das Argument vom Abwerben hat mich heute hier schon amüsiert.

(Ralf Witzel [FDP]: Es gibt nur regional ver- antwortliche Schulentwicklungsplanung!)

Haben Sie das in Ostbevern auch auf den Tisch gelegt, als die Realschule in Telgte massiv protestiert hat? – Nein, da ging es darum, die Verbundschule zu installieren, obwohl es auch dort ganz andere Vorstellungen gab. Wie gesagt, dort machen Sie die Dinge sehr dehnbar und flexibel. Nur wenn es um die Gesamtschule geht, wird ganz genau gezählt.

Sie haben sich vor Gericht doch schon eine blutige Nase geholt, als es um die Heterogenität ging. Sie meinen, Sie könnten die Begabungen und die Bildungspotenziale von Kindern kopfgenau an den Übergangsempfehlungen der Grundschulen abzählen. Es ist doch längst widerlegt, dass das so funktioniert.

Aber die Eltern wissen ganz genau, dass die Gesamtschulen an den einzelnen Standorten bis zu 70 % der Kinder zum Abitur führen, in deren Prognosen genau das nicht stand. Die Kinder werden nicht, wie Frau Pieper-von Heiden immer behauptet, an einer Gesamtschule „künstlich begabt“, sondern sie werden individuell und erfolgreich gefördert. Das ist genau der Sachstand, der zu berücksichtigen ist.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wir brauchen mehr Abiturientinnen und Abiturienten, und wir brauchen in diesem Land mehr Schülerinnen und Schüler, die die Fachhochschule erreichen. Das wollen Sie deckeln.

(Ralf Witzel [FDP]: Wir brauchen mehr Qua- lität!)

Was ist denn die regionale Mittelschule der FDP anderes als ein Gesamtschulabbauprogramm? Sie wollen keine Oberstufen mehr an den Gesamtschulen, und Sie wollen den Gesamtschulen Haupt- und Realschulbildungsgänge aufs Auge drücken. Das ist die Realität in Ihrer regionalen Mittelschule. Das

stammt noch aus dem vorigen Jahrtausend: Es sind die Ständeschule und der Privilegienklub der FDP, die hier installiert werden sollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dagegen werden wir natürlich zu Felde ziehen und werden uns nicht aufhalten lassen.

(Zuruf von Ministerin Barbara Sommer)

Ja, Frau Ministerin, Strukturen aus dem letzten Jahrtausend – das ist auch Ihre Schulpolitik in diesem Land –, die gehören ins Museum. Das gehört aber nicht mehr in die Kommunen, die ihre Schulstandorte sichern wollen und in denen eine entsprechende Entwicklung endlich möglich gemacht werden muss.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Die Kommunen brauchen Gestaltungskompetenzen, damit sie die Schulstandorte sichern können.

Sie sind mit Ihrer Gängelung der Kommunen längst gescheitert, und Ihre eigenen Leute haben Konzepte in den Schubladen und warten darauf, dass es eine Landesregierung gibt, die es ihnen ermöglicht, die Konzepte für die Schulstandorte und für zukunftssichere Schulen umzusetzen – Schulen, die die Eltern wollen, die die beste Bildung für ihre Kinder haben möchten, aber keine ideologischen Etiketten und keine Aufteilung der Kinder nach Schulformen.

Ich sage das noch einmal; denn auch das ist etwas, was wir aus den Debatten und den Elternbefragungen sehr genau wissen. Herr Röttgen – nein, Herr Löttgen,

(Bodo Löttgen [CDU]: Ich fühle mich nicht angesprochen!)

schauen Sie sich das bitte einmal an: Das längere gemeinsame Lernen und das Offenhalten der Schullaufbahnen sind im Land – in Köln, in Sankt Augustin, in Hemer – das Modell der Zukunft. Das wollen die Eltern, und die wissen sehr genau, was sie wollen. Das werden sie bei den kommenden Wahlen auch deutlich machen.

Wenn Sie hier weiter mauern und jetzt auch das Anmeldeverfahren blockieren, indem sie es auf die lange rechtliche Schiene schieben, schlage ich Ihnen vor: Machen Sie doch bitte ein provisorisches Anmeldeverfahren, so, wie das in Hemer durchgeführt worden ist.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])