Protokoll der Sitzung vom 09.03.2010

(Horst Becker [GRÜNE]: Das ist eine Dro- hung, wenn der das sagt!)

nicht nur Minister Laumann hat oft von dieser Stelle aus betont: Natürlich gibt es diese Menschen, natürlich haben wir einen großen Anteil an Leistungsbeziehern, die im Moment keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben –, kundtut, es sei zynisch und ein Zeichen von Eiseskälte, diese Menschen aufzugeben, kann ich dazu nur sagen: Herr Papke, Ihre Pressemitteilung und Ihre Äußerung sind mehr als zynisch.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sie haben mit Schwarz-Gelb auf Bundesebene 900 Millionen € für „Jobperspektive“ gestrichen. Sie wollen keine Politik für Menschen machen. Sie wollen die Menschen im Regen stehen lassen. Sie wollen noch nicht einmal mehr akzeptieren, dass sie von der Politik Hilfe benötigen, sondern Sie wollen die Augen zumachen und die Menschen in Armut belassen, noch weiter runterdrücken. Das ist eine Politik, die zynisch und nicht akzeptabel ist.

Wir möchten deswegen, dass das, was Westerwelle gefordert hat, klar und deutlich umgesetzt wird. Wir wollen das Lohnabstandsgebot, und wir wollen es über einen flächendeckenden, generellen Mindestlohn. Der soll vom Land Nordrhein-Westfalen gefordert werden.

(Beifall bei GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Jetzt hat für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Wilp das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Zum Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zwei Vorbemerkungen:

Erstens. Seit Jahr und Tag wird das Thema „Mindestlohn“ in immer neuen Variationen auf die Tagesordnung gebracht. Die Zuständigkeit für dieses Thema liegt jedoch beim Bund.

Zweitens. Liest man die Begründung zu diesem Antrag, so wird schnell deutlich, dass dieser Antrag einzig und allein dem Wahlkampf geschuldet ist.

(Beifall von CDU und FDP)

Das ist platte und populistische Stimmungsmache. Damit könnte man den Antrag eigentlich ad acta legen. Ich werde mich jedenfalls nicht auf dieses Niveau begeben.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Ich weiß sehr wohl, dass in der Sache nicht alles in Ordnung ist, dass Menschen an ihrem Arbeitsplatz ausgenutzt werden, zum Teil sittenwidrige Löhne gezahlt werden. Entsprechende Beispiele kennen wir alle.

(Gerd Stüttgen [SPD]: Dann machen Sie doch etwas dagegen!)

Unstrittig ist, dass Dumpinglöhne sanktioniert werden müssen. Sie können von niemandem gutgeheißen werden. Schon jetzt können Arbeitsgerichte Dumpinglöhne für rechtswidrig und für nichtig erklären.

Nach wie vor gilt für die CDU folgender Grundsatz: In erster Linie zuständig für die Lohnfindung sind die Tarifpartner. Es ist Aufgabe der Sozialpartner, vertragliche Vereinbarungen auszuhandeln und durchzusetzen. Die Tarifautonomie ist ein hohes Gut. Sie gehört zum Kernbestand der sozialen Marktwirtschaft. Die Tarifautonomie hat maßgeblich zur wirtschaftlichen Entwicklung und wirtschaftlichen Stärke unseres Landes beigetragen.

Die Tarifverträge haben Schutz- und Ordnungsfunktion für die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Sie haben Rechtssicherheit geschaffen und verlässliche Zukunftsplanung ermöglicht.

Politik hat die Pflicht, darauf hinzuwirken, dass die Tarifautonomie erfolgreich bleibt. Ich weiß auch, dass die gesellschaftlichen Veränderungen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände vor neue Herausforderungen stellen. Tarifverträge haben von ihrer Bindungswirkung eingebüßt. Arbeitgeber versuchen, sich der Bindungswirkung durch Austritt aus dem Tarifverbund zu entziehen. Durch den Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften sinkt deren Organisationsgrad auf der anderen Seite.

(Horst Becker [GRÜNE]: Ja, und nun?)

Politik hat die Pflicht, darauf hinzuwirken, dass die Tarifautonomie erfolgreich bleibt. Es wäre viel gewonnen, wenn es Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit der Politik und vielleicht sogar mit der Justiz gemeinsam schafften, auch unter den veränderten Entwicklungen zu einer Stärkung der Tarifautonomie zu kommen.

(Beifall von der CDU)

Tariflich vereinbarte Mindestlöhne, die Aufnahme bestimmter Branchen in das Entsendegesetz und das Instrument der Allgemeinverbindlichkeitserklärung sind geeignete Mittel, um wirksame Antworten in einer veränderten Situation zu geben.

Hier hat unser Arbeitsminister Karl-Josef Laumann aktiv gehandelt. Wir wissen, dass die Tarifverträge im Friseurgewerbe, im Hotel- und Gaststättengewerbe sowie im Wach- und Sicherheitsdienst für allgemein verbindlich erklärt wurden. Hier hat es eine positive Entwicklung gegeben. Das sind sachgerechte Antworten, bei denen auch die Tarifpartner mit im Boot bleiben.

Ich weiß: All dies genügt dem Antragsteller nicht. Ob aber der flächendeckende Mindestlohn die Lösung schlechthin ist, wie dargestellt wird, wage ich sehr zu bezweifeln. Der flächendeckende Mindestlohn ist ein zweischneidiges Schwert und lässt viele Fragen offen.

Wenn Sie den Artikel zum Mindestlohn im Wirtschaftsteil der „FAZ“ vom 23. Februar 2010 - Nr. 45, Seite 11 - lesen, wird die gesamte Bandbreite der unterschiedlichen Bewertung deutlich. Ich will einige aufgeworfene Fragen nennen:

Ist es richtig, wenn für alle Branchen derselbe Mindestlohn gilt, wenn er überall in Deutschland gleich hoch ist? Verstärken Mindestlöhne nicht die Tendenz, die Lohnabschlüsse nach unten zu ziehen? Gehen einfache Arbeitsplätze verloren? Nimmt die Schwarzarbeit weiter zu?

Ausweislich des eben zitierten Artikels kommen Berechnungen des RWI und des ifo-Instituts zu ganz erheblichen Beschäftigungsverlusten.

Ich zitiere jetzt aus dem Artikel:

Das ifo-Institut aus Dresden hat im Jahre 2007 den Wegfall von jedem vierten Arbeitsplatz im Niedriglohnbereich vorausgesagt.

Weiter heißt es in dem Artikel:

Weil der Niedriglohnsektor

in den letzten Jahren

enorm gewachsen ist, wären potenziell noch weitaus mehr Arbeitsplätze in Gefahr.

Völlig diffus wird die Diskussion, wenn es um die festzulegende Höhe des Mindestlohns geht.

Vor diesem Hintergrund ist es daher sachgerechter, alle Möglichkeiten der Lohnfindung in der Verantwortung der Tarifpartner auszuschöpfen. Das ist unser Weg. Deshalb lehnt die CDU-Fraktion den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ab.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch ein persönliches Wort: Wahrscheinlich ist dies meine letzte Rede im Plenum als Mitglied des Landtags. Dies ist mein 17. Jahr als Landtagsabgeordneter. Wenn Sie die Zahl umdrehen, dann haben Sie mein Alter. Mit 71 Jahren kandidiere ich nach 17-jähriger Tätigkeit als Abgeordneter aus eigener Entscheidung nicht mehr. Politik war und ist für mich noch immer Dienst für die Menschen im Lande.

Zusammenfassend darf ich feststellen: Es war eine spannende und interessante Zeit, mit Höhen und Tiefen, Erfolg und Misserfolg, jedenfalls immer verbunden mit viel Arbeit und Einsatz. Und manchmal fühlte ich mich an einen alten Satz erinnert, der da lautet: An Kirche und Partei musst du zuweilen viel leiden, vor allem dann, wenn du es gut mit ihnen meinst und wenn du zu ihnen hältst.

Besonders dankbar bin ich dafür, dass ich in dieser Wahlperiode – und da kommen wir wieder zusammen, Frau Steffens – zu den fünf Abgeordneten gehöre, die der Landtag in das Kuratorium der Stiftung Wohlfahrtspflege gewählt hat. Mit den jeweils 25 Millionen € pro Jahr haben wir als Stiftung des Landes viel Gutes tun und zumeist über alle Parteigrenzen hinweg gemeinsam vielfältige Aufgaben unterstützen und auch neue Wege beschreiten können. Das war in jeder Hinsicht eine Wohlfahrt stiftende Tätigkeit. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Herzlichen Dank. – Verehrter Abgeordneter Wilp, lieber Josef, wir wünschen dir und deiner Familie für die nächsten Lebensjahre und -jahrzehnte alles nur erdenklich Gute, und herzlichen Dank für deine Mitarbeit über 17 Jahre hier in diesem Landtag. Ich danke dir.

(Beifall)

Wir setzen die politische Debatte fort. Jetzt hat für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Garbrecht das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, das ist nicht meine letzte Rede.

(Heiterkeit – Barbara Steffens [GRÜNE]: Sie sind ja noch keine 71!)

Ich will zunächst über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sprechen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil wahrlich keinen utopischen oder unfinanzierbaren Sozialstaat gefordert. Es hat aber den Sozialstaatsverächtern, die es in diesem Lande durchaus gibt, die unterste Grenze aufgezeigt, die zwingend einzuhalten ist, wenn der Staat nicht gegen seine eigenen Prinzipien verstoßen und handeln will.

Gut drei Wochen hat sich die Republik mit obskuren Berechnungen über den nicht einzuhaltenden Lohnabstand beschäftigt. Ruhe kehrte erst ein, nachdem der DPWV anhand von 196 Beispielrechnungen nachwies, dass der Lohnabstand zum Transfereinkommen auch in den unteren Lohngruppen eingehalten wird. Die Diskussion war völlig haltlos und obskur, weil bei den ursprünglichen Berechnungen Einkommensbestandteile wie Wohngeld und Kinderzuschlag ganz offensichtlich

vorsätzlich herausgelassen worden sind. – Das zur heutigen Realität des Lohnabstandes.

Ich möchte Ihnen ein anderes Bild der Realität zeichnen: 27.000 Arbeitslose bewerben sich auf 650 Stellen. Das stand nicht in der „Bild“-Zeitung, die uns ja immer von dem anstrengungslosen Wohlstand im Lande berichtet.

650 Stellen hatte die Berliner Stadtreinigung zu vergeben, und auf diese 650 Stellen – da ging es um Schneeschippen und darum, die Stadt vom Eis zu befreien – haben sich 27.000 Arbeitslose beworben.

Das, meine Damen und Herren, spiegelt die Realität eher wider, nicht aber die sich seit Jahren durch Talkshows ziehenden und von Medien verbreiteten Geschichten weniger Einzelner, die sich irgendwie durchs System schlängeln.