Protokoll der Sitzung vom 23.03.2010

Ich kann nur sagen: Es ist wirklich aberwitzig. Die FDP macht in einer Situation ein extra Wahlplakat,

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist Ihnen peinlich!)

in der Herr Pinkwart auf seinem Parteitag zurückgepfiffen worden ist. Fragen Sie fünf FDPler, was sie unter einer regionalen Mittelschule verstehen. Dann bekommen Sie zehn Antworten, meine Damen und Herren. So weit ist die FDP in Nordrhein-Westfalen mit einem Schulkonzept.

(Heiterkeit und Beifall von GRÜNEN und SPD)

Herr Hafke hat es ganz stolz erzählt: Wir junge Liberale haben dem Pinkwart diese Mittelschule wieder kaputt gemacht. – Das heißt, als FDP sind Sie sich überhaupt nicht einig, geschweige denn, dass Sie sich als Koalition hier in NordrheinWestfalen einig wären, meine Damen und Herren.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Sie erzählen nur Unsinn!)

Wir Grüne und auch die SPD werben um Unterstützung für diesen Weg der schrittweisen Veränderung unseres Schulsystems.

Zu Ihrem komischen Plakat: Hängen Sie das ruhig auf! Ich bin gespannt, ob es bei versuchter politischer Brandstiftung bleibt.

(Lachen von der FDP)

Ich habe nämlich noch kein Plakat der CDU im Lande gesehen. Ich bin gespannt, ob die FDP ihres aufhängt. Dass Sie extrem sind, das haben wir schon öfter bemerkt.

(Lothar Hegemann [CDU]: Vorsichtig!)

Vielleicht soll es ja als Mobil gefahren werden? Da kann ich der FDP nur sagen: vom Guido-Mobil zum Gaga-Mobil! So viel zu diesem komischen Plakat, das Sie da entwickelt haben!

(Lebhafter Beifall von GRÜNEN und SPD)

Frau Ministerin, wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Sie und diese Koalition mit Ihrem Latein am Ende sind, dann war das in der Tat das Interview, das Sie am vergangenen Freitag der „Westdeutschen Zeitung“ gegeben haben. Da nutzt auch die ganze Korrektur nichts. Oben drüber stehen die Sätze, die Frau Schäfer schon zitiert hat. Und es endet damit: Es ist auch nicht ganz klar, wie lange Sie nun Ministerin bleiben wollen – fünf Jahre mal so gerechnet, mal anders gerechnet. Aber das nur am Rande.

Das ist ein Dokument des Scheiterns gewesen, weil Ihre ganzen Initiativen, Ihre ganze Politik einfach nicht gezogen hatn. Das hat nicht funktioniert. Sie sind nicht da angekommen, wo man hinmuss, nämlich zu innovativen Schulentwicklungsprozessen. Sie haben das ausgebremst, was Ihre Kommunalos selber wollen.

Wir wissen, das Problem sind nicht Ihre Pressesprecher, Frau Ministerin Sommer. Ich habe die Übersicht über Ihre Pressesprecher verloren; ich glaube es waren fünf, die Sie inzwischen ausgewechselt haben:

(Zuruf von Lothar Hegemann [CDU])

Darunter waren einige kuriose Gestalten, das will ich wohl einräumen. Der Punkt ist aber, dass es nicht reicht, nur die Pressesprecher auszutauschen, meine Damen und Herren. Vielmehr muss eine andere Politik her in Nordrhein-Westfalen, damit es mit unseren Schulen vorangeht

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

und damit wir endlich vernünftige Schulentwicklungsprozesse einleiten können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Frau Löhrmann. – Als Nächster spricht der Abgeordnete Sagel.

Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Der Sommer kommt, die Sommer geht – und das ist auch gut so. Man kann wirklich schon mit Ungeduld auf den 9. Mai warten, damit das endlich passiert. Wenn man sieht, was Sie in der Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen veranstalten, muss man sagen: Sie haben sich in Ihrem Raumschiff wirklich sehr weit von den Bildungsrealitäten in Nordrhein-Westfalen entfernt. Ich kann nur feststellen: Wir haben fast in allen Bundesländern mittlerweile eine Schule für alle. Sie spielen hier weiter die „Bildungs-Taliban“. Das ist die Realität in Nordrhein-Westfalen.

Ich möchte Ihnen einiges aus dem roten Buch für eine gerechtere und sozialere Politik in NordrheinWestfalen vorlesen, wie wir als Linke uns eine vernünftige Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen vorstellen.

Wir wollen eine Schule für alle von der ersten bis zur zehnten Klasse in Ganztagsform. Dies ist eine Schule, die alle Schulformen, auch Förderschulen und Gymnasien, einbezieht. Ein zweigliedriges Schulsystem, wie es in anderen Bundesländern umgesetzt wird, dient nur der Rettung des Gymnasiums. Deshalb lehnen wir das entschieden ab. Eine Schule für alle – so muss das heißen – orientiert sich an den individuellen Lernbedürfnissen einzelner Schülerinnen und Schüler. Sie ist integrativ. Das heißt, Kinder mit und ohne Behinderung lernen gemeinsam, barrierefrei und sozial. Diese Schule ist jahrgangsübergreifend, fördert und kennt keine Ziffernnoten. Sie fördert das soziale Miteinander und den Spaß am Lernen.

Das alles haben Sie von CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen immer noch nicht begriffen.

Grundschulen sollten wie in vielen europäischen Nachbarländern – Sie sollten sich ein Beispiel daran nehmen, was an Gutem etwa in Finnland oder in anderen nördlichen Ländern passiert – als Ganztagsschulen konzipiert werden. Die Landesregierung stellt die Ganztagsangebote zurzeit vorwiegend als Betreuungsangebote für berufstätige Eltern dar. Das ist grundsätzlich falsch.

Kinder sind lernbegierig, wie alle Lernforscherinnen und Lernforscher einhellig feststellen. Es kann nicht allein den Eltern aufgetragen werden, Kindern all die Bildungs-, Bewegungs- und Kulturangebote zu machen, die zu einer umfassenden Persönlichkeitsentwicklung beitragen. Daher muss die Grundschule zu einem ganztägigen Lernraum ausgebaut werden, in dem qualifiziertes Personal den Bildungsauftrag erfüllt. Das gemeinsame Lernen in einer Schule darf aber nicht mit dem zehnten Lebensjahr enden.

Die PISA-Studien zeigen eindeutig, dass unser mehrgliedriges Schulsystem im internationalen Vergleich schlecht abschneidet. Es führt zu schlechten Abschlüssen und ist sozial stark selektiv. Aber das ist ja genau das, was Sie wollen: Sie wollen die soziale Selektion. Das ist Ihre Politik, die Sie hier in Nordrhein-Westfalen betreiben. Was Sie jetzt hier veranstalten, ist im Grunde Klassenkampf. Wir haben es ja gerade schon von Ihren Vertreterinnen gehört, die ihre Reden zum Besten gegeben haben.

In erschreckend hohem Maße sind in NRW insbesondere Kinder aus verarmten Schichten und Kinder mit Migrationshintergrund betroffen. Für ein Viertel dieser Kinder schafft das NRW-Schulsystem nicht die notwendigen Startbedingungen für den Einstieg in das Berufs- und Erwachsenenleben. Sie werden aufgegeben.

Statt Sitzenbleiben und Bewertungen über Kopfnoten sollten Schülerinnen und Schüler ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten entsprechend gefördert werden, damit niemand ohne Schulabschluss die Schule verlässt.

Die schwarz-gelbe Landesregierung hält trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse am gegliederten Schulsystem fest, behindert sogar die Gründung neuer Gesamtschulen. Frau Kastner, ich erinnere mich noch sehr gut an das, was Sie in Münster vor 15 Jahren veranstaltet haben. Das war eine Katastrophe. Die Menschen in Münster sind noch heute stinksauer auf das, was die CDU damals veranstaltet hat.

Deswegen: Wir brauchen eine Schule für alle. Wir brauchen endlich eine andere Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen. Am 9. Mai wird auch darüber eine Entscheidung gefällt. Ich denke, die richtige wird fallen. Wir werden hier nach dem 9. Mai eine Schule für alle bekommen.

Meine Damen und Herren, als Nächste redet Frau Ministerin Sommer für die Landesregierung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zurück zum Antrag! Am Ende dieser Legislaturperiode sei es mir gestattet, ein Bekenntnis zu erneuern, das ich in meiner ersten Rede an diesem Pult abgelegt habe. Ich habe damals gesagt: Jeder Mensch ist wichtig. Sie alle hier sind wichtig. Jeder Mensch, aber ganz besonders jedes Kind ist wichtig.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich habe damals meine Rede mit dem Satz beendet: Das Maß aller Dinge ist das Wohl des Kindes. – Zugegebenermaßen ein bisschen sperrig! Wir haben das nachher modifiziert: Keiner geht verloren! – Das ist kein ganz neuer Spruch, aber ich freue mich trotz

dem, dass die SPD diesen Spruch jetzt in ihr Wahlprogramm aufgenommen hat.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE] hält eine Bro- schüre hoch. – Ralf Witzel [FDP]: Ganz üb- ler Etikettenschwindel, Frau Löhrmann!)

Das zeugt doch davon, dass sie wenigstens ein bisschen lernfähig ist.

Meine Damen und Herren, wenn keiner verloren gehen darf, dann beginnt man bei den Stärken, nicht bei den Schwächen. Genau da setzt die individuelle Förderung an. Individuelle Förderung braucht Zeit, braucht Ressourcen, braucht richtige Rahmenbedingungen und braucht die Akzeptanz der Vielfalt.

Ich möchte an dieser Stelle gerne eine kleine Bilanz geben. Frau Schäfer, Sie haben eben in Ihrem Vortrag vieles gesagt. Sie haben auch viel Falsches gesagt. Eines war sicherlich nicht richtig: dass wir nämlich keine Bilanz vorzuweisen hätten. Ich schenke Ihnen das nachträglich zum Geburtstag. Hören Sie mal gut zu!

(Ingrid Pieper-von Heiden [FDP]: Sie ist lern- fähig!)

Individuelle Förderung braucht Zeit.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Deswegen ha- ben Sie das Turboabitur eingeführt!)

Den Ganztag hat es vorher in der Realschule, im Gymnasium, in der Hauptschule in dieser gebundenen Form nicht gegeben.

(Beifall von CDU und FDP)

Die wichtige Ressource Mensch, und zwar auch „Lehrermensch“, ist von uns in den Blick genommen worden. Wir haben die Fortbildungsmittel beträchtlich erhöht. Wir erproben zurzeit Arbeitszeitmodelle, damit es nicht heißt: Auf vielen Schultern wird die Last verteilt, und nachher müssen einige doch zu viel tragen. – Genau hinsehen, was die Arbeitszeit anbelangt! Denn ohne unsere Lehrerinnen und Lehrer vor Ort ist diese Sache nicht zu stemmen.

(Beifall von CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, wir brauchen Ressourcen. Das heißt, wir brauchen die Öffnung der Schule. Wir brauchen mehr Unterstützung von Menschen, die nicht ursprünglich daran gedacht haben, in einer Schule zu arbeiten. Natürlich brauchen wir weiter Schulpsychologen. In 2010 haben wir 145 Schulpsychologen allein im Landesdienst. Wir brauchen die Handwerker. Wir brauchen die Theaterpädagogen, die Künstler. Wir brauchen die Schulverwaltungsassistenten, die bombig ankommen. Und wir brauchen natürlich die Sozialarbeiter. Und – das lassen Sie sich bitte jedes Mal auf der Zunge zergehen –: In 2010 werden wir 8.124 Lehrerstellen geschaffen und auch besetzt haben.

(Beifall von CDU und FDP)