Protokoll der Sitzung vom 14.12.2005

Meine Damen und Herren, nicht, dass Sie meinen, ich könnte es bei der Fülle der auf den Weg zu bringenden Maßnahmen vergessen haben: Erstmals in diesem Lande wird ein Schulgesetz die schulische Förderung hoch begabter Kinder festschreiben.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Herzlichen Glück- wunsch!)

Hoch begabter Kinder festschreiben, Frau Beer, jawohl!

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Ja, die Minderbegabten haben wir in dem Papier auch festgeschrieben. Das ist übrigens das Einzige, was Rot-Grün in jahrzehntelanger Amtszeit erkannt hat: dass es lernschwache Schüler gibt. Die Hochbegabten durften nicht einmal so genannt werden.

(Zuruf von der SPD: Absolutes Fehlverhal- ten!)

Jetzt hören Sie noch einmal gut zu!

Dass mich dies mit großer Freude und auch mit Genugtuung erfüllt, das werden Sie verstehen. Hierfür setze ich mich schließlich seit zehn Jahren ein und bin bei Rot-Grün dabei stets auf taube Ohren gestoßen. Es ist ein gutes Gefühl, ein berechtigtes Anliegen über eine ablehnende Landesregierung hinaus gerettet zu haben und nun

mit der neuen Landesregierung kurz vor der Umsetzung zu stehen.

Es wird sich vieles verändern in diesem Land – und das ist gut so –: im Sinne unserer Kinder, im Sinne der Eltern, im Sinne der Lehrer und der Schulen. – Danke schön.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Frau Pieper-von Heiden. – Für die Landesregierung spricht jetzt Frau Ministerin Sommer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern habe ich zusammen mit Herrn Ministerpräsident Dr. Rüttgers der Öffentlichkeit die Eckpunkte zur Novellierung des Schulgesetzes vorgestellt.

Mit der Novelle des Schulgesetzes geben wir eine angemessene Antwort auf die Bilanz rot-grüner Bildungspolitik,

(Beifall von CDU und FDP)

wie Sie uns durch die Ergebnisse der Pisa-Studie nochmals deutlich vor Augen geführt worden ist. Mit diesen Eckpunkten setzt die Landesregierung um, was wir bereits im Koalitionsvertrag angekündigt haben. Wir sagen, was wir tun, und wir tun, was wir sagen!

(Beifall von CDU und FDP)

Dass Sie, meine Damen und Herren, der neuen Landesregierung vorwerfen, wir würden mit unserer Neujustierung des Schulwesens in NordrheinWestfalen zu einer verstärkten Selektion und zu einer Abnahme der Bildungsbeteiligung in diesem Land beitragen, das ist für mich eine höchst abwegige Unterstellung.

(Beifall von der CDU)

Ich frage Sie: Hat Ihnen Pisa nicht in Ihr Stammbuch geschrieben, dass Sie die Verantwortung für das bisherige Schulsystem tragen? Haben Sie die Ergebnisse der Pisa-Studie nicht zur Kenntnis genommen?

(Beifall von CDU und FDP – Hannelore Kraft [SPD]: Sie offensichtlich nicht!)

Sie schreiben in Ihrem Antrag zur heutigen Aktuellen Stunde, dass die Eltern das Recht zur Wahl der weiterführenden Schule verlieren, dass das Abitur nur noch über das Gymnasium zu erreichen ist und dass die unterschiedlichen Schulformen wesentlich stärker voneinander abgegrenzt

werden sollen. Sie versuchen damit, Unsicherheiten zu schüren und Panik zu machen.

(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmelt- zer [SPD]: Das haben die Eltern schon selbst gemerkt!)

Wir machen die Schulen, Lehrer und Eltern sicher, wir geben ihnen einen klaren Rahmen vor. Der große Unterschied zur alten Landesregierung ist: Wir reformieren nicht um der Reform willen, wir reformieren, weil wir zutiefst davon überzeugt sind, dass die ergriffenen Maßnahmen dazu führen werden, unser Land aus dem Jammertal der Pisa-Verlierer herauszuführen.

(Beifall von CDU und FDP – Rainer Schmelt- zer [SPD]: Umso schlimmer, dass Sie davon auch noch überzeugt sind!)

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wer Reformen in Angriff nehmen will, muss auch die dafür notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Ich nenne Ihnen Beispiele: Wir wollen den Wettbewerb der Schulen, auch der Grundschulen. Ja, wir wollen, dass Schulen ihr eigenes Profil entwickeln. Und weil wir das wollen, machen Schulbezirke keinen Sinn mehr. Aber wir unterstützen die Schulen bei diesem Prozess, indem wir für die, die besonders belastet sind, zusätzliche Lehrer einstellen werden.

Sie reden nur von Schulen für Arme und Reiche

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Und Sie schaffen sie! – Weitere Zurufe von SPD und GRÜNEN)

und beschweren sich, dass es Gettoschulen gibt. Sie, meine Damen und Herren, haben diese Gettoschulen geradezu provoziert. Ich kann Ihnen dazu Zahlen nennen.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir werden die Bildungsaufträge der verschiedenen Schulformen im Schulgesetz klar definieren. Dabei legen wir die Definitionen der KMK zugrunde. Das ist richtig, denn wir haben in unserem Land unterschiedliche Schulformen, weil wir auch unterschiedliche Kinder haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir schaffen mit diesem Schulgesetz mehr Durchlässigkeit. Der Mensch beginnt nicht erst mit dem Abitur. Wir wissen, dass wir nicht alle Kinder und Jugendlichen zum Abitur werden führen können,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Deshalb selektie- ren Sie schon einmal!)

aber wir wollen es möglichst vielen ermöglichen. Wer sagt, dass die allgemeine Hochschulreife nur am Gymnasium vergeben wird, der irrt. Die allgemeine Hochschulreife kann auch am Berufskolleg erworben werden. Diese Möglichkeit müssen wir mehr ins Bewusstsein rücken.

Das, meine Damen und Herren, waren nur wenige Beispiele. Sie zeigen aber, wie intensiv wir uns um die Verbesserung der Bildungschancen unserer Kinder und Jugendlichen kümmern. Wir werden die Schulen, Eltern und Lehrer bei diesen Reformen nicht alleine lassen. Wir werden die notwendigen Rahmenbedingungen und Ressourcen zur Verfügung stellen, denn das sind wir der Zukunft unserer Kinder schuldig.

Statt mit starken Vokabeln um sich zu werfen, wäre es sinnvoller, den Schulterschluss zu wagen und eine gemeinsame Kraftanstrengung für die Zukunft unserer Schulen zu leisten. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Frau Sommer. – Für die SPD-Fraktion spricht nun Frau Hendricks.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, bis zum Überdruss haben wir von Ihnen gehört: Uns haben die Wähler am 22. Mai gewählt, und jetzt haben wir das Sagen. – Ich sage Ihnen: Für die Politik, die Sie hier machen, haben die Menschen in diesem Land Sie nicht gewählt!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das wird nicht erst mit dem Eckpunktpapier zum Schulgesetz deutlich. Mit der Arroganz der Macht setzen Sie sich über vernünftige Argumente und wissenschaftliche Erkenntnisse hinweg und frönen Ihren ideologischen Vorstellungen von einem begabungsgerechten Bildungssystem.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Wider- spruch von CDU und FDP)

Dabei ist die These vom begabungsgerechten Bildungssystem längst widerlegt. Die Gliederung der Schulformen geht auf eine Definition von Weinstock aus den 50er-Jahren zurück. Ich will Ihnen diese Definition vorlesen, weil sie so spannend ist:

„Dreierlei Menschen braucht die Maschine: den, der sie bedient und in Gang hält; den, der

sie repariert und verbessert; schließlich den, der sie erfindet und konstruiert.“

Daraus, meine Damen und Herren, resultiert die grundlegende allgemeine Bildung der Hauptschule, die erweiterte Bildung für die mittlere Qualifikation an der Realschule und die volle allgemeine Bildung für die Höherqualifikation am Gymnasium. Das ist ein überholtes Gesellschaftssystem, das dem Bildungssystem hier zugrunde gelegt wird.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Entsprechend findet die schulformbezogene Gliederung des Schulwesens statt. Was Sie uns mit Ihrer Festschreibung der Rückbetonung der Gliederung des Schulsystems anbieten, ist alter Wein in neuen Schläuchen, dem dann auch noch der rechtliche Anspruch auf Förderung fehlt; der ist im Gesetz nämlich nicht enthalten.

Richtig ist allerdings, dass Kinder, die hinsichtlich ihrer Intelligenz und ihrer sozialen Herkunft gleiche Voraussetzungen mitbringen, je nach besuchter Sekundarschule sehr unterschiedlich gefördert werden. Den größten Leistungszuwachs haben sie nämlich am Gymnasium. Wen wundert es dann, dass die Eltern ihre Kinder auf das Gymnasium schicken wollen? Es ist das gute Recht, ja sogar die Pflicht der Eltern, für ihre Kinder die bestmöglichen Chancen zu suchen. Und das sind nicht immer diejenigen, zu denen Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, sie zwingen wollen. Wer unterstellt eigentlich die Gleichheit der Begabung am Anfang der Schullaufbahn, die Sie in Ihrem Eckpunktepapier ansprechen? Es ist doch die pure Fortsetzung des Wahlkampfes, wenn Sie den fortschrittlich Denkenden absurde Intentionen unterschieben.