Protokoll der Sitzung vom 14.12.2005

Richtig ist allerdings, dass Kinder, die hinsichtlich ihrer Intelligenz und ihrer sozialen Herkunft gleiche Voraussetzungen mitbringen, je nach besuchter Sekundarschule sehr unterschiedlich gefördert werden. Den größten Leistungszuwachs haben sie nämlich am Gymnasium. Wen wundert es dann, dass die Eltern ihre Kinder auf das Gymnasium schicken wollen? Es ist das gute Recht, ja sogar die Pflicht der Eltern, für ihre Kinder die bestmöglichen Chancen zu suchen. Und das sind nicht immer diejenigen, zu denen Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, sie zwingen wollen. Wer unterstellt eigentlich die Gleichheit der Begabung am Anfang der Schullaufbahn, die Sie in Ihrem Eckpunktepapier ansprechen? Es ist doch die pure Fortsetzung des Wahlkampfes, wenn Sie den fortschrittlich Denkenden absurde Intentionen unterschieben.

Mit Ihrer Politik werden Kinder weiter der Systemfrage geopfert. Zukünftig geschieht dies mit den Machtmitteln des Staates, der über den Lebensweg von Kindern entscheiden will. Diese Entscheidungen erfolgen allerdings auf fraglichen Grundlagen, denn 40 % der Empfehlungen für den Übergang auf die weiterführende Schule entsprechen nicht den tatsächlichen Leistungen der Schüler und Schülerinnen. Ob diese Fehleinschätzung durch einen selbst oder durch den diskriminierenden dreitägigen Probeunterricht deutlich vermindert wird, ist durchaus zu bezweifeln.

Meine Damen und Herren von der FDP, Sie sind tatsächlich die wahren Liberalen in diesem Land, wenn Sie den Elternwillen aushebeln wollen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

In der Frage des Übergangsgutachtens haben auch Ihre hessischen Kollegen durchaus schwie

rige Erfahrungen gemacht. So haben die Eltern in Hessen gegen die Entscheidung, die Schulwahl dem Staat zu überlassen, geklagt. In einem gerichtlichen Urteil in Hessen ist festgestellt worden, dass die unbotmäßige Einschränkung des Elternwillens nicht rechtens ist. Hört, hört! So können wir den Eltern in Nordrhein-Westfalen natürlich nur empfehlen, gegen diese Vorhaben der Landesregierung zu klagen.

(Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU: Oh! – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Vielleicht verhindern wir diese Vorhaben noch!)

Als Herr Busemann in Niedersachsen vor drei Jahren Kultusminister wurde, hatte er ebenfalls die Vorstellung, den Elternwillen auszuhebeln. Der mächtige Landeselternbeirat Niedersachsen hat ihm dieses Vorhaben schleunigst ausgetrieben.

Eine mächtige Elternvertretung in NRW ist nicht gewollt. Sie streben wohl eher eine Pseudobeteiligung an; denn mit dem Wegfall der Zulassung von Elternverbänden betreiben Sie eine Inflationierung von Elterninteressen.

(Beifall von der SPD – Lachen von Bernhard Recker [CDU])

Alle halbe Jahre dürfen die Elternverbände mit der Ministerin ein unverbindliches Plauderstündchen abhalten. Wie und in welchem Verfahren die Meinungen der Eltern in die Entscheidungsfindung zum Schulwesen aufgenommen werden, ist nirgendwo dokumentiert.

Die Beliebigkeit ist die beste Voraussetzung für Bedeutungslosigkeit. Das ist die Intention hinsichtlich der Elternvertretung in Nordrhein-Westfalen, wie sie in Ihrem Eckpunktepapier festgeschrieben ist.

(Beifall von der SPD – Lachen von der CDU)

Politisch nahestehende Verbände werden von Herrn Ministerpräsident Rüttgers in die Staatskanzlei eingeladen. Dort werden dann die wichtigsten Absprachen getroffen – außerhalb der offiziellen Beteiligung.

(Beifall von der SPD – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Aha!)

Die vorgelegten Punkte zur Elternmitwirkung bedeuten keine Stärkung, wie die Überschrift des Kapitels es fälschlich suggeriert, sondern eine Schwächung der Eltern in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD)

Diese bekommen dann ein Trostpflaster: Ihre Rechte sollen in der Klassenpflegschaft gestärkt werden. „Wie?“ frage ich Sie, meine Damen und Herren von der Regierung. Es geht nicht um die Stärkung der Rechte der Eltern in der Klassenpflegschaft, sondern um die Stärkung der Eltern insgesamt.

Da passt es natürlich ins Bild, dass Sie die Drittelparität in den Schulkonferenzen wieder abschaffen wollen. Weniger Rechte für Eltern und Schüler! Eigentlich sind diese ohnehin nur lästiges Beiwerk der Schule! – Was gilt da das Wort einer Ministerin, die den Schülern gegenüber geäußert hat, dass ihre Rechte nicht eingeschränkt werden sollen?

Meine Damen und Herren, auch die Gesamtschule kommt in Ihrem Papier fast nicht mehr vor.

(Hannelore Kraft [SPD]: In Ihren Reden auch nicht! – Ralf Witzel [FDP]: Oh!)

Spätestens jetzt wird klar, dass sie politisch nicht gewollt ist. „Wird hiermit die Abschaffung der Gesamtschule eingeläutet?“, frage ich Sie.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Gleichzeitig stelle ich eine Verneigung vor dem Gymnasium fest. Die zentrale Prüfung am Ende der Sekundarstufe I müssen die Gymnasien wohl leider nun mitschreiben, vom übrigen System werden sie abgekoppelt. Damit ist die Klassenschule endlich manifestiert. Die Versuche, die Hauptschule zu reanimieren, werden nicht nur zu einer positiven Diskriminierung dieser Schulform in Nordrhein-Westfalen führen.

Bei so vielen Reformen rückwärts möchte ich mit einem Zitat von Bertolt Brecht aus den Geschichten vom Herrn K. schließen:

„,Woran arbeiten Sie?’ wurde Herr K. gefragt. Herr K. antwortete: Ich habe viel Mühe, ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.“

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Heiterkeit und Beifall von SPD und GRÜ- NEN)

Für die CDU spricht nun Herr Kollege Recker.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon eine schon gespenstische Diskussion, die wir hier heute führen.

(Beifall von CDU und FDP – Lachen und Zu- rufe von der SPD)

Ausgerechnet diejenigen, die unseren Schulen und damit unseren Schülerinnen und Schülern dieses bildungspolitische Desaster hinterlassen haben

(Zurufe von der SPD: Oh!)

und die dafür verantwortlich sind, dass in keinem anderen Bundesland die Bildungschancen so von der sozialen Herkunft abhängig sind wie hier, werfen uns soziale Spaltung vor.

(Beifall von CDU und FDP – Widerspruch von der SPD)

Das ist makaber. Sie sollten doch wissen, dass uns Ihre bildungspolitischen Vorstellungen diese Katastrophe beschert haben, meine Damen und Herren.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir haben das auszulöffeln. Darum geht es.

Übrigens – das ist das Markenzeichen unserer politischen Glaubwürdigkeit –: Wir tun nach der Wahl genau das, was wir vor der Wahl gesagt haben, auch in diesem Punkt.

(Widerspruch von der SPD)

Wäre es anders, würden wir die Wähler täuschen. Genau das werden wir nicht machen, meine Damen und Herren.

(Thomas Eiskirch [SPD]: Sie täuschen sich selbst!)

Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Wegen der bildungspolitischen Vorstellungen, die hier zur Diskussion stehen, sind wir gewählt und Sie abgewählt worden.

(Beifall von CDU und FDP – Hannelore Kraft [SPD]: Ja, ja! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Machen Sie nur so weiter, dann haben Sie eine Basis für 2010!)

Ich finde es sehr seltsam, dass sich immer diejenigen, die für den Flächenbrand verantwortlich sind, die das Feuer gelegt haben, als Feuerwehrmann oder Feuerwehrfrau herausstellen wollen. Das passt einfach nicht zueinander.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: In dieses Feuer schütten Sie Benzin!)

Meine Damen und Herren, immer wenn ich vor der Wahl nach den Ursachen für die sogenannten negativen Ergebnisse von Timss – zwei Jahre Rückstand gegenüber anderen Ländern – und Pisa – ein Jahr Rückstand gegenüber anderen Ländern – gefragt wurde, habe ich drei Hauptargu

mente genannt, von denen ich heute mehr denn je überzeugt bin.

Als Vorbemerkung habe ich immer gesagt: Unsere jungen Menschen in Nordrhein-Westfalen sind mindestens genauso begabt wie die jungen Menschen in anderen Ländern und unsere Kollegien genauso engagiert. Also muss die Politik in diesem Lande keine entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich will Ihnen diese drei Punkte gerne nennen: Jahre-, ja jahrzehntelang waren in NordrheinWestfalen Begriffe wie Leistung, Erziehung und Disziplin tabu.