Das, was sich die schwarz-gelbe Koalition in der Anhörung als Breitseite des Widerstandes auch von den von Ihnen selbst geladenen Expertinnen und Experten eingefangen hat, war mehr als bemerkenswert. Und damit ist Ihr erster Eckpunkt schon einmal komplett versenkt worden.
Während der Eckpunktedampfer mit Wasser voll läuft und unaufhaltsam absäuft, spielen die schwarz-gelben bildungspolitischen Sprecher den Part der Bordkapelle auf der Titanic,
die sich und anderen noch unmittelbar vor dem Untergang mit flotten Liedern einen wunderschönen Abend vorgegaukelt haben.
als sie die Presseerklärungen von Frau Piepervon Heiden mit abenteuerlichen Uminterpretationen der Beiträge der Experten und leider auch die von Herrn Kaiser lasen. Aber inzwischen wissen wir ja, nach welchem Muster Sie solche Anhörungen in der neuen Koalition mit Mut zur Selbstbestimmung inszenieren und durchführen. Das sagt uns ja die Landesregierung, Herr Rüttgers, mit Ihrer Konzeption zur Image-Kampagne, mit dem Sie Ihr Image aufpolieren wollen, doch sehr deutlich: „Glaubwürdig simulierte Bürgerbeteiligung“ heißt die Zauberformel.
Das gilt offensichtlich auch für die Anhörung in der letzten Woche zur Zukunft der Grundschuleinzugsbezirke, wenn sich besonders die FDP brüstet: Alles in der Eckpunkteplanung wird genauso durchgezogen – egal, was die kommunalen Spitzenverbände vorbringen, egal, was schulfachlich vorgetragen wird, egal, was die Eltern sagen, die mit ihrem differenzierten Beitrag eben auch nicht von Ihnen vereinnahmt werden können.
Ich frage Sie: Wer gibt eigentlich in der Koalition den Ton an, gegen die kommunalen Spitzenverbände, gegen die kommunalpolitische Vereinigung der CDU? Wer sagt, wo es lang geht, CDUFraktion oder FDP-Fraktion? Haben Herr Stahl und Herr Biesenbach eigentlich schon die Ehrenmitgliedschaft bei der FDP verliehen bekommen, weil sie permanent ihren eigenen kommunalpolitischen Vertretern in den Rücken fallen?
Meine Damen und Herren, der kommunalpolitische Sachverstand in der CDU-Fraktion und zutreffende fachliche Bedenken scheinen offensichtlich keinerlei Bedeutung zu haben. Dagegen wird die FDP mit ihrer marktradikalen Wettbewerbsideologie wie ein Tamagotchi künstlich gepäppelt. Herr Stahl und Herr Biesenbach, die Schläge stecken andere ein, nämlich die, die sich in den Kommunen und auf vielen Veranstaltungen dem sachkundigen Publikum stellen müssen und da ausgepfiffen werden.
Dass Sie in Ihrem Antrag, wie der Ministerpräsident es kurz vor der Jahreswende allen Ernstes auch getan hat und was den Expertinnen und Experten die Haare zu Berge stehen lässt, Ihr Bildungssystem als modernstes Bildungssystem Deutschlands bezeichnen, ist megapeinlich. Es ist peinlich, wenn Sie Ihre Eckpunkte auf einem Beg
riff aufbauen, der fachlich, sozial- und gesellschaftspolitisch und auch unter volkswirtschaftlichen Aspekten überholt und abwegig ist wie kaum ein anderer, nämlich „begabungsgerechtes Schulsystem“.
Sie glauben offensichtlich, dass Sie, wenn Sie ein bisschen Bildungslyrik aufgeschrieben haben, Ihre Pflichten erfüllt hätten. Es reicht nicht, „individuelle Förderung“ hinzuschreiben und Kinder dann schon mit neun Jahren in Kategorien einzuteilen. Was hat das mit individueller Förderung zu tun, Kinder in Einheits-Schubladen zu sortieren?
Durchlässigkeit – auch von Ihnen bemüht. Was ist daran durchlässig, das Gymnasium von den anderen Bildungsgängen im Jahrgangs- und damit dem curricularen Verlauf abzukoppeln und dann zu sagen – Herr Recker, das treibt mir die Tränen in die Augen –, in der SEK I könnten Kinder jetzt jedes Jahr nach oben „aufsteigen“.
An dieser Stelle tritt dann auch deutlich noch einmal Ihre Grundhaltung zu Tage, in höhere und niedere Bildung einzuteilen und einem Großteil der Kinder von vornherein die kognitive Leistungsfähigkeit abzusprechen. Die Lernfreude treiben Sie ihnen dann hinterher auch noch aus. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit dem skandinavischen Denken zu tun, das jedes Kind mit Bildungsoptimismus betrachtet, Lernwillen und Lernfreude und Lernfähigkeit voraussetzt und gerade dadurch auch entwickelt und fördert.
Ihre völlige Fehlorientierung kann man gerade in dieser Frage an der Problematik der Hauptschule erkennen. Im gerade veröffentlichten „LBSKinderbarometer“ können Sie es noch einmal nachlesen: Kinder erleben die Hauptschule als benachteiligende Schulform und möchten höher qualifizierende Abschlüsse erreichen.
Fragen Sie einmal bei Ihren Parteikollegen und kolleginnen in Hamburg und etlichen anderen Bundesländern nach! Die Hauptschule hat keine Zukunft, weil sie ihren Schülern und Schülerinnen keine Zukunft bieten kann. Da können sich die Kollegien noch so mühen. Die Hamburger CDU ist deshalb gerade dabei, die Hauptschule abzuschaffen.
Nein, meine Damen und Herren, Ihr Eckpunktepapier ist nicht zielführend. Es ist nicht zielführend, um soziale Ausleseprozesse und Bildungs
armut abzubauen, die Lernpotentiale aller Jugendlichen zu entwickeln, die Durchlässigkeit im System zu erhöhen, Lernbarrieren abzubauen.
Meine Damen und Herren, weil Sie immer noch nicht begriffen haben, dass der konstruktivproduktive und wertschätzende Umgang mit Heterogenität der Schlüssel zur Leistungsentwicklung ist – und nicht die vermeintlich homogene Lerngruppe –, sind Ihre Vorstellungen auch nicht zielführend, um mehr und höher qualifizierte Abschlüsse zu erreichen. Sie sind auch nicht zielführend, um in den Schulen pädagogische Souveränität zu entwickeln und die demokratische Kultur in den Schulen zu stärken. Und sie sind schon gar nicht zielführend, um den Herausforderungen der demographischen Entwicklung zu begegnen. Das gilt sowohl für die volkswirtschaftlichen Herausforderungen, für die wir alle Potenziale in der Gesellschaft brauchen, wie auch für die kommunalen Entwicklungsaufgaben.
Sie nehmen den Kommunen und den Schulen die Möglichkeiten, kooperative und integrative pädagogische und organisatorische Verbundlösungen über alle Schulformen hinweg zu entwickeln,
um den Erwerb höherwertiger Abschlüsse vor Ort zu sichern. Was Sie uns bieten, Herr Recker, ist Quark. Und was passiert mit Quark, je weiter Sie ihn auswalzen und darauf herumreiten? Dazu lege ich Ihnen das weise Goethe-Wort ans Herz: Getretener Quark wird breit, nicht stark.
Ich fordere Sie auf: Ziehen Sie die Eckpunkte zurück und lassen Sie uns endlich gemeinsam an der Entwicklung des Schulsystems nach skandinavischem Vorbild arbeiten, so wie es auch der Experte von McKinsey, den Sie ja bestellt hatten, in der Anhörung vorgeschlagen hat!
Also: Lehrerprofessionalität stärken im Umgang mit Heterogenität, ein multiprofessionelles Unterstützungssystem etablieren, damit individuelle Förderung gelingt und länger gemeinsam und voneinander gelernt werden kann, damit Chancengleichheit und Leistung entwickelt werden, konsequente kommunale und regionale Steuerung, pädagogische Souveränität und Selbstständigkeit der Schulen auf dem Weg zu einer breiten qualitativ hohen Grundbildung und zu mehr hochwertigen Abschlüssen – das ist ein international
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Beer, das Eckpunktepapier der Landesregierung ist und bleibt ein Meilenstein zur Qualitätsverbesserung an unseren Schulen und eine hervorragende Grundlage zur Novellierung des Schulgesetzes.
Es ist ein klares Bekenntnis zum gegliederten Schulwesen in Nordrhein-Westfalen und nimmt so bereits im Ansatz Rücksicht auf unterschiedliche Begabungen, denen man auch mit unterschiedlichen Pädagogiken begegnen muss. Es schreibt die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler fest und macht es erstmals in diesem Land zur Pflicht, sich auch um Hochbegabte an unseren Schulen zu kümmern. Wir werden auch die sonderpädagogische Förderung in den nächsten Jahren weiterentwickeln.
Das Eckpunktepapier trifft in bisher nicht gekannter Eindeutigkeit notwendige Regelungen der Landesebene zur Verbesserung von Unterrichtsqualität, zur Vermeidung von Unterrichtsausfall, zur Vergleichbarkeit von Schulabschlüssen und gibt den Schulen dennoch Raum zur Entwicklung eines eigenen, besonderen Profils. Besondere Profile sollen auch allen, die dies wünschen, zugänglich sein und nicht von der Zufälligkeit des Wohnsitzes abhängen.
Wir ignorieren nicht den großen Lerneifer, die Lernleichtigkeit und Neugier jüngerer Kinder und ziehen deshalb schrittweise das Einschulungsalter vor.
Wir nehmen erstmals das tatsächliche Lern- und Leistungspotenzial eines Schülers dauerhaft über die gesamte Schulzeit in den Blick und überprüfen durch die Klassenkonferenz in jedem Jahr, ob einem Schüler aufgrund guter Leistungen und besonderer Entwicklungsschritte die Empfehlung ausgesprochen werden kann, in eine höhere Schulform zu wechseln.
Wir werden die Schulaufsicht sinnvollerweise wieder schulformbezogen gestalten und sie intelligent weiterentwickeln, damit sie dauerhaft eine wertvolle Unterstützungs- und Beratungsfunktion für unsere Schulen wahrnehmen kann.
Wir geben der einzelnen Schule mehr Freiheit, die gleichzeitig Verantwortung bedeutet. Die Schule selbst entscheidet in Zukunft über ihren Schulleiter: Eltern, Schüler und Lehrer gemeinsam.
Wir sehen Schüler und Eltern übrigens als eine Einheit und nicht als konkurrierende Personengruppen bei der Vertretung in den Schulgremien. Deswegen heben wir die Drittelparität auf. Es ist angemessen, dass in Schulentscheidungen Eltern und Schüler gemeinsam genauso viele Stimmen auf sich vereinen wie das Lehrerkollegium und nicht zwei Drittel.
Frau Abgeordnete, darf ich Sie kurz unterbrechen? Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Link?
Ich möchte meine Ausführungen zunächst fortführen. Ich denke, er hat gleich noch Gelegenheit, selbst zu sprechen.