Protokoll der Sitzung vom 19.01.2006

Hier findet ein grundlegender Paradigmenwechsel statt, der Abschied nimmt von jahrzehntelanger Träumerei von Einheitsschule und davon, dass man Begriffe wie Leistung und Erziehung viele Jahre zur Tabuzone erklärt hatte. Dieses Gesetz garantiert endlich die individuelle Förderung in einem begabungsgerechten Schulsystem. Wir vertrauen den Menschen, wir vertrauen den Schulen und gewähren ihnen ein Höchstmaß an Freiheit in einem geregelten Wettbewerb um die besten pädagogischen Konzepte. Wir überlassen die Detailsteuerung den Schulen, die auf dieser Basis ihre Profilbildung eigenverantwortlich entwickeln können.

Wir sind im Wahlkampf mit der Zusage angetreten, eine grundlegende und zukunftsweisende Bildungsreform auf den Weg zu bringen. Wir haben den Menschen klar gesagt, was wir tun werden, und wir sind dazu von den Bürgern gewählt und beauftragt worden. Sie, meine Damen und

Herren – das nur zur Erinnerung –, sind abgewählt worden. Nehmen Sie das bitte auch einmal so zur Kenntnis!

(Beifall von CDU und FDP)

Wir setzen genau das um, was wir vor der Wahl gesagt haben – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Hier geht es letztlich auch um Glaubwürdigkeit in Politik und Glaubwürdigkeit von Politik. Wir werden wesentliche Eckpunkte der Bildungspolitik neu gestalten:

Wir sorgen dafür, dass Kinder zwei Jahre vor der Einschulung auf ihre Sprachfähigkeit getestet werden und vor allen Dingen entsprechende Förderung erhalten.

Wir sorgen dafür, dass Kinder zukünftig früher eingeschult werden können.

Wir sorgen dafür, dass die offene Ganztagsgrundschule durch eine erhöhte Lehrerzuweisung eine andere Qualität erhält.

Wir sorgen dafür, dass in unserem Schulsystem die Durchlässigkeit nach oben positiv festgeschrieben wird,

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

und das, Frau Löhrmann, in fast jedem Schuljahr.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ach du meine Güte!)

Wir sorgen dafür, dass die individuelle Förderung im Schulgesetz festgeschrieben wird.

(Zurufe von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Wir sorgen dafür, dass die Hauptschule gestärkt und die gymnasiale Oberstufe endlich reformiert werden. Wir sorgen letztlich dafür, dass alle Schulen mehr Eigenverantwortlichkeit bekommen.

Und fest steht: Wir werden die Qualitätsentwicklung und Profilbildung der Schulen zügig vorantreiben. Wir geben eine Antwort auf die demographische Entwicklung, und wir stärken die Rechte der Lehrerinnen und Lehrer.

Aber, meine Damen und Herren, wir sagen vor allem konkret, wie wir diese Ziele erreichen. Es sind zukunftsweisende Maßnahmen. Damit schaffen wir einen Quantensprung, weil eine grundlegende Bildungsreform für uns kein reines Lippenbekenntnis ist, sondern weil wir den Worten eben auch Taten folgen lassen werden. Wir sprechen nicht nur von individueller Förderung – wir schaffen auch die notwendigen Rahmenbedingungen. Wir machen keine Reform der Reform wegen.

Meine Damen und Herren, dass es 39 Jahre Bildungspolitik nicht verhindert haben, dass wir weit

abgeschlagen hinter anderen Ländern rangieren, dass 25 % der jungen Menschen nicht ausbildungsfähig sind und dass wir Gettoschulen in unserem Lande haben, bedeutet, dass es kein „Weiter so!“ mehr geben darf. Das wäre unverantwortlich. Es muss vielmehr gehandelt werden. Es müssen andere Wege gegangen werden. Und genau das tun wir.

(Beifall von CDU und FDP – Sören Link [SPD]: Aber in die falsche Richtung!)

Ich sage aber auch: Eine Bildungsreform, wie wir sie hier im Eckpunktepapier vorgestellt haben, ist nur zu schaffen, wenn alle Beteiligten mit einbezogen werden. Eine solche Reform ist nur dann zu schaffen, wenn wir solidarischer werden und erkennen, dass Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Wer allerdings angesichts der desaströsen PisaErgebnisse so tut, als könne man eine Bildungsreform auf Begriffe wie Selektion, Ungerechtigkeit, Wahl der Schulleiter oder Einzugsbezirke beschränken, der hat nicht begriffen, dass es hier um einen Bewusstseinswandel in der Bildungspolitik geht. Wir als Koalitionsfraktionen wollen, dass Leistung und Leistungsbereitschaft wieder zu einem Markenzeichen werden.

Meine Damen und Herren, Leistung und Erziehung sind etwas Gutes, aber unter Rot-Grün im Bereich Schule leider viele Jahre tabu gewesen.

Weil eben jedes Kind anders ist, wollen wir allen Kindern gerechte Bildungschancen geben.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: In Schubladen stecken!)

Darum werden wir ein gerechtes und auf Leistung ausgerichtetes Schulsystem schaffen. Darum wollen wir alle Schülerinnen und Schüler zu dem für sie höchstmöglichen Abschluss führen. Allerdings räumen wir auch ein, dass nicht jeder das Abitur schaffen wird. Daher besteht ein, großes Ziel der Reformen darin, dass wir nicht nur Studierfähigkeit, sondern vor allem Ausbildungsfähigkeit durch das Vermitteln von Grundfertigkeiten ermöglichen.

Meine Damen und Herren, es ist ein Skandal, dass in der Vergangenheit 25 % der jungen Menschen nicht ausbildungsfähig waren und damit in Perspektivlosigkeit entlassen wurden. Das wird es mit diesem neuen Gesetz nicht mehr geben. Denn unsere Qualitätsoffensive Hauptschule gibt auch diesen jungen Menschen endlich eine Perspektive.

(Beifall von CDU und FDP)

Wir werden das, was wir im Schulgesetz angekündigt haben, mit drei zentralen Aussagen umsetzen:

Erstens. Wir geben den Schulen mehr Freiheit und gleichzeitig mehr Verantwortung.

Zweitens. Wir ermöglichen mehr individuelle Förderung.

Drittens. Wir garantieren mehr und verlässlichen guten Unterricht.

Meine Damen und Herren, es wird allerdings keine Schnellschüsse geben.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Ach!)

Sagen, was man tut, und tun, was man sagt – das schafft Vertrauen, und das schafft Verlässlichkeit. Wir als CDU stehen für diese Verlässlichkeit. Wir werden der Landesregierung jede Unterstützung zukommen lassen. Denn wir wollen mit dieser Landesregierung das modernste Bildungssystem in Deutschland schaffen, und wir werden es gemeinsam mit der Landesregierung und den am Schulleben Beteiligten auf den Weg bringen, und zwar sehr zügig, meine Damen und Herren.

Das ist unsere Botschaft heute. Ich bitte um Unterstützung unseres wichtigen Anliegens. – Danke schön.

(Beifall von CDU und FDP – Dr. Axel Horst- mann [SPD]: Klimakatastrophe!)

Vielen Dank, Herr Recker. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Beer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was sich seit dem Bekanntwerden der Eckpunkte zur Schulgesetznovellierung in Nordrhein-Westfalen abspielt, hat schon etwas von der TitanicStory.

So, wie die Titanic von ihren Erbauern in überheblicher Weise als unsinkbar gepriesen wurde, so preisen Sie Ihre Eckpunkte als Meilenstein für das modernste Bildungssystem Deutschlands.

(Ralf Witzel [FDP]: Das sind sie auch!)

Das zeugt nicht nur von fachlicher Inkompetenz,

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Sören Link [SPD]: Hören Sie gut zu, Herr Witzel! Damit waren Sie gemeint!)

sondern hier sind schon die ersten Parallelen zur Titanic-Geschichte offensichtlich: Die Titanic ist

untergegangen, und Sie sind schon mittendrin, mit Ihren Eckpunkten unterzugehen.

(Michael Solf [CDU]: Ihre Titanic ist schon untergegangen!)

Die Mitglieder Ihrer Fraktionen schwimmen doch auf jedem Fachforum und geraten systematisch mit ihren Eckpunkten in einen Abwärtsstrudel. Sie werden vom Fachpublikum ausgepfiffen und mit Rufen wie „Aufhören, aufhören!“ bedacht. Selbst sehr zurückhaltende und höfliche Wissenschaftler äußern sich entsetzt ob der fachlichen Leerstellen.

Meine Damen und Herren, Titanic-Qualitäten hat in der Tat auch die Anhörung in der letzten Woche zu einem der landesweit diskutierten Eckpunkte, nämlich der Aufhebung der Grundschulbezirke aufgezeigt. Das war der erste Eisberg, in den Sie Ihren Schulgesetzdampfer in vollem Lauf gerammt haben. Und weitere Eisberge treiben doch schon auf Sie zu und sind auf direktem Kollisionskurs.

Der Elternvertreter hat den erbitterten Widerstand gegen die geplanten Übergangsregelungen zur weiterführenden Schule in der letzten Woche von diesem Platz aus angekündigt.

Prof. Twardy – ein sehr höflicher und netter Professor für Wirtschaftspädagogik an der Universität zu Köln – hat in der Anhörung auf eine lockere, griffige Formel gebracht, was er von ihren Plänen hält: geistiger Tiefflug, gepaart mit operativer Hektik.

(Beifall von Sylvia Löhrmann [GRÜNE] – Heiterkeit bei GRÜNEN und SPD)