Protokoll der Sitzung vom 16.03.2006

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Eine nochmalige Überprüfung der grundlegenden Fragen ebenso wie der verfassungsrechtlichen Einwände wäre mehr als angebracht gewesen.

Über mehr als eine Generation hinweg haben wir hier in Nordrhein-Westfalen eine klare Position zu diesem Thema gehabt: Das grundständige Studium ist und bleibt gebührenfrei. – Das war die nordrhein-westfälische Position.

Übrigens nicht nur bei uns in Nordrhein-Westfalen war dies anerkannt. Anfang der 70er-Jahre haben sich die Ministerpräsidenten der Bundesländer hierüber bundesweit verständigt. Dieser Konsens hat im Prinzip bis 1997 gehalten. Denn bundesweit wollte man die Einheitlichkeit, Offenheit und Vergleichbarkeit des Hochschulzugangs in Deutschland.

Nun gehen nicht nur die Länder verschiedene Wege. Hier in Nordrhein-Westfalen soll auch noch jede Hochschule selbst entscheiden. Bei einem so radikalen Schritt ist dies reichlich fragwürdig. Die verfassungsrechtlichen Bedenken sind daher mehr als verständlich.

Tatsächlich können die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen nun wohl kaum an den Gebühren vorbeigehen. Denn die jetzige Regierung sagt den Hochschulen klipp und klar – das wollen Sie hier ja auch beschließen –: Bis 2010 müsst Ihr bestenfalls mit dem auskommen, was Ihr habt. Eigene Landesprogramme werden drastisch zurückgefahren. – Da bleibt den Hochschulen am Ende gar

nichts anderes übrig, als nach den Gebühren der Studierenden zu greifen. Denn Einnahmezuwachs ist nur aus dem Gebührenaufkommen der Studierenden zu erhalten. Welch ein Rückschritt für dieses Land!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Während auf Bundesebene immerhin noch Zuwachs und Priorität für Wissenschaft angesagt ist, müssen bei uns die Studierenden die Finanzlöcher der Hochschulen stopfen, denn das Land zieht sich aus der Verantwortung zurück.

Ich frage all diejenigen von Ihnen, die an dem Aufstieg durch Bildung teilhaben konnten – und das sind viele in diesem Landtag –: Was sagen Sie eigentlich der nächsten Generation, wenn Sie einfach so die Verantwortung auf diese abschieben?

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sie, die Regierung aus CDU und FDP, wollen die Finanzierungsprobleme gleich mehrfach auf dem Rücken der jungen Generation lösen. Das ist zutiefst ungerecht. Denn Sie haben doch auch die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass junge Menschen studieren können. Sie haben als Landespolitiker die institutionellen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Das ist Landespolitik, das ist zentrale Aufgabe der Landespolitik, das ist auch weit blickende Standortpolitik. Aber Sie wollen, dass die jungen Menschen die Infrastruktur anteilig selbst bezahlen. Das ist der falsche Weg.

(Beifall von der SPD)

Die jungen Menschen sind ja gleich von mehreren Seiten unter Druck: Die Eingangsbesoldungen sind vor längerer Zeit abgesenkt worden. Dann muss man für die private Altersversorgung regelmäßig selbst bezahlen. Der Berufsstart ist schwieriger geworden. Auch Kinder sollen die jungen Menschen bekommen. Und als Begrüßungsgeschenk bekommen sie von der Landesregierung in diesem Jahr auch noch eine Erhöhung der Kindergartenbeiträge aufgebrummt.

(Beifall von der SPD)

Das ist eine Politik gegen junge Menschen. Die kumuliert sich hier an mehreren Stellen. Das ist falsch.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Es ist auch kein Zufall, dass es gerade einen Tiefpunkt bei der Anzahl der Geburten gibt und auch einen Tiefpunkt beim Kinderwunsch von jungen Akademikerinnen.

(Zurufe von CDU und FDP)

Ja. Das ist ein Ergebnis. Das hat etwas mit solcher Politik zu tun. Sie müssen Politik für junge Menschen machen und nicht gegen sie.

Meine Damen und Herren, aber nicht nur die junge Generation ist davon betroffen. Es sind noch einige besonders betroffen. Diejenigen, deren Eltern die Studiengebühren nicht aufbringen können, werden mit Schulden und Zinsen extra betroffen.

Sie haben hier auch ein Wahlversprechen gebrochen. Denn die BAföG-Empfänger, und zwar diejenigen, die nicht das volle BAföG bekommen, sind noch einmal extra betroffen. Und: Es sind diejenigen betroffen, die gerade oberhalb der BAföG-Grenze liegen. Das finde ich total falsch.

Meine Damen und Herren, das betrifft Familien mit kleinen Einkommen, mit zwei kleinen Einkommen, Familien mit mehreren Kindern, Familien in unsicheren Einkommensverhältnissen. Ich meine, gerade wir in Nordrhein-Westfalen, die wir vom Strukturwandel betroffen sind, die wir auch demographische Probleme durch den Strukturwandel haben, wären eigentlich besonders aufgefordert, für die junge Generation offensiv Institutionen zu öffnen und offen zu halten und sie zu unterstützen und ihnen nicht die Finanzierung dieser Institutionen aufzuerlegen.

Deshalb lehnen wir dieses Gesetz ab und hoffen, dass es keine Mehrheit findet. Wir werden dagegen stimmen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Als nächste Rednerin hat Frau Abgeordnete Löhrmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch einmal ein bisschen an die Vorgeschichte anknüpfen und an die Diskussion erinnern, die wir bezogen auf das ja auch nicht unumstrittene Studienkontengesetz in Nordrhein-Westfalen hatten. Ich zitiere aus einem Antrag des Jahres 2002. Dort heißt es:

„Unser Land braucht künftig deutlich mehr Akademiker. Daher müssen mehr junge Menschen studieren, und mehr Studierende müssen in kürzerer Zeit ihren Abschluss schaffen.“

(Zustimmung von der CDU)

„Schon jetzt liegen die Kosten eines Universitätsstudiums leicht im fünf- bis sechsstelligen

Bereich. Drei Viertel aller Studierenden finanzieren den Großteil dieser Kosten durch Erwerbstätigkeit neben dem Studium zu Lasten der Studiendauer.“

Später werden in demselben Antrag Dinge gefolgert wie:

„In dieser Situation setzen undifferenzierte Studiengebühren ein völlig falsches Signal. Zusatzgebühren … entfalten kaum einen ausbildungsbeschleunigenden Anreiz, sondern werden in der Tendenz durch die Vergrößerung der finanziellen Belastung die Studienzeiten eher noch weiter verlängern.“

Und weiter:

„Zusatzgebühren … bergen die Gefahr, dass der Anteil von Studierenden aus sozial schwächeren Schichten noch weiter absinkt und können so eine unerwünschte Auslese beim Zugang zur Hochschule bewirken.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, diesen Antrag haben Sie bei der Debatte um die Studienkonten vor vier Jahren gestellt, und die Inhalte sind nach wie vor richtig. Studiengebühren für das Erststudium sind der falsche Weg:

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

aus bildungspolitischen Gründen, aus sozialpolitischen Gründen, aus gesellschaftspolitischen Gründen und nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen, weil wir mehr junge Menschen zu Hochschulabschlüssen führen müssen. Das sage ich als jemand, der nicht studiert hätte, wenn es Studiengebühren gegeben hätte – auch nicht nach Ihrem Modell. Ich bin im Nachhinein dankbar dafür. Ich möchte diese Dankbarkeit zurückgeben, auch den jungen Menschen das ermöglichen, was mir möglich war.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich frage mich, was aus der Überzeugung der FDP aus Oppositionszeiten geworden ist. – Wenig!

Meine Damen und Herren, wir lehnen vor diesem Hintergrund Ihren Gesetzentwurf ab.

Aber es gibt noch einen zweiten Grund, warum wir diesen Gesetzentwurf ablehnen – damit komme ich zu der rechtlichen Seite. In der Beratung des Gesetzentwurfes sind schwerwiegende grundsätzliche Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vorgetragen worden.

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Das haben wir doch gerade gehört!)

Bereits in der Anhörung hatten mehrere Gutachter Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit verschiedener Regelungen. Diese Zweifel sind auch noch einmal bei der eingehenden gutachtlichen Prüfung durch den renommierten Verfassungsrechtler Prof. Dr. Hermes bestätigt worden. Ihre Aussagen über Verfassungsrechtler, die Ihnen passen oder nicht passen, finde ich schon sehr bedenklich.

(Beifall von der SPD)

Dann sollte sich die CDU noch einmal fragen lassen, warum Sie Herrn Prof. Kirchhof, wenn dieser einen Gesetzentwurf – in dem Fall zum Kopftuch – geschrieben hat, als Sachverständigen in der entsprechenden Anhörung zu dieser ebenfalls verfassungsrechtlich sehr bedenklichen und wichtigen Frage zulassen, meine Damen und Herren.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Die Ermächtigung der Hochschulen zur Gebührenregelung durch Satzung steht im Widerspruch zu zwei verfassungsrechtlichen Anforderungen: Erstens widerspricht sie dem Grundsatz, dass der parlamentarische Gesetzgeber die wesentlichen Fragen in grundrechtsrelevanten Bereichen selbst regeln muss. Die Frage von Gebühren für das Erststudium, nach Ausbildung und Beruf, ist eine grundrechtsrelevante Frage. Deshalb kann man das, was Sie hier allgemein sagen, Herr Reck, nicht so ohne weiteres übertragen. Hier ist etwas Besonderes zu berücksichtigen.

Zweitens führt diese Regelung zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung der Studierenden und Studienbewerber, wenn sie für denselben Studiengang – dieselbe öffentliche Leistung – an verschiedenen Hochschulen verschiedene Gebühren zahlen müssen. Das kann man nicht delegieren. Das muss man schon selbst machen. Diese Verantwortung kann man nicht einfach abgeben.

Meine Damen und Herren, diese schwerwiegenden Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit Ihres Gesetzentwurfs haben Sie bis heute nicht ausräumen können. Sie haben es ja noch nicht einmal versucht, obwohl wir Sie bereits zu Beginn der vergangenen Woche über das Gutachten von Prof. Hermes in Kenntnis gesetzt haben – und zwar unmittelbar, weil es uns wichtig war, dass es vernünftig geprüft wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU, Sie werden heute – so befürchte ich – mit