Protokoll der Sitzung vom 06.04.2006

So können wir leider nur vermuten, dass es Ihnen in diesem Antrag weder um Prävention noch um Hilfe zur Erziehung geht, sondern vielmehr um die Umsetzung eines restriktiven und nicht auf Erziehung vor Strafe setzenden Jugendstrafrechts. Wenn Sie auf sicherlich oftmals tragische Familienstrukturen aber rein repressiv reagieren wollen, sage ich Ihnen deutlich: Das können wir Grünen nicht mittragen. Denn letztlich lösen Sie das gesellschaftliche Problem der Vernachlässigung und

Verwahrlosung von Kindern in schwierigen Familiensituationen nicht, wenn Sie nun verstärkt in den Schutzbereich von Ehe und Familie eingreifen.

Lassen Sie mich deshalb abschließend darum bitten: Legen Sie endlich ein umfassendes Konzept zur Verhinderung der Jugendkriminalität vor, das Kinder und Jugendliche nicht vorschnell als Kriminelle abstempelt! Es wäre auch schön, wenn Sie Ihre Vorschläge etwas konkretisieren könnten; denn einzelne Bausteine, die sich alleine auf die Verschärfung des Jugendstrafrechts beschränken, lehnen wir ab. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Dr. Seidl. – Als nächste Rednerin hat nun für die Landesregierung Frau Ministerin MüllerPiepenkötter das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der gemeinsame Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP, den Sie heute beraten, greift ein aus Sicht der Landesregierung besonders wichtiges Anliegen auf. Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität ist eines der Schwerpunktziele der Justiz- und Rechtspolitik dieser Koalition.

Mit Blick auf das Jugendstrafrecht nimmt der Antrag ganz zutreffend Bezug auf das erste Jugendgerichtsgesetz aus dem Jahre 1923. Damals wurde die Idee von Erziehung statt Strafe im Jugendkriminalrecht verankert. Das Gesetz ist deshalb noch heute als fortschrittlich, ja sogar bahnbrechend anzusehen.

Der Antrag lässt sich auf dieser Grundlage auch nicht von aktuellen Extremforderungen leiten, die bis zur vollständigen Abschaffung des Jugendgerichtsgesetzes reichen, was, wie ich meine, ein großer Rückschritt wäre. Der Antrag zieht sich auch nicht allein auf historische Positionen zurück, sondern verdeutlicht Erziehungsverständnisse in einer aktuellen Lesart.

Dazu gehört der Hinweis auf die breite Palette von Reaktionsmöglichkeiten, die durch das erste Jugendgerichtsgesetz-Änderungsgesetz von 1990 aufgenommen wurde. Bei dieser umfassenden Novelle wurden insbesondere die sogenannten neuen ambulanten Maßnahmen in das JGG einbezogen. Mit der Betreuungsweisung und dem sozialen Trainingskurs einerseits wurden neue Möglichkeiten der sozialpädagogischen Betreuung und mit dem Täter-Opfer-Ausgleich andererseits neue Schattie

rungen der eher tatbezogenen Konfliktvermittlung in § 10 JGG eingeführt.

Im Sinne eines komplexen Erziehungsansatzes weist der Antrag zutreffend auch auf die Informationsrechte der Erziehungsberechtigten hin, die das geltende Recht in § 67 JGG allerdings noch eher zurückhaltend wahrt.

Meine Damen und Herren, dem Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP ist uneingeschränkt zuzustimmen. Wir müssen einen Schritt weitergehen. Die Bekämpfung der Kriminalität junger Menschen stellt uns heute vor Aufgaben, die nicht allein vom Strafrecht bewältigt werden können. Vielmehr müssen wir die Idee einer möglichst früh ansetzenden Kriminalitätsprävention aufgreifen. Ich nenne hier nur folgende Stichworte: die zunehmende soziale Desintegration und Bindungslosigkeit junger Menschen und den Kulturkonflikt hinsichtlich der Kriminalität junger Migranten.

Nach den Vorstellungen der Landesregierung geht es deshalb auch um eine Vernetzung aller am Entwicklungsprozess junger Menschen beteiligten Einrichtungen. Herr Sichau, deshalb greift der Verweis auf den Jugendarrest zu kurz und kommt an einer falschen Stelle. Es handelt sich um einen Aspekt, der viel früher als der Jugendarrest zum Tragen kommt.

Bereits seit Herbst vergangenen Jahres – so weit kann ich Sie beruhigen – finden ressortübergreifende Beratungen statt. Mit Beschluss vom 28. März 2006 hat die Landesregierung unter gemeinsamer Federführung des Justizministeriums und des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet. Diese soll ein umfassendes Programm zur Prävention von Kinder- und Jugendkriminalität erarbeiten. Ziel ist ein von allen betroffenen Ressorts gemeinsam getragener Katalog präventiv wirkender Maßnahmen, die durch pädagogische und unterstützende Hilfe dazu beitragen sollen, dass Kinder und Jugendliche nicht straffällig werden.

Bei Kindern und Jugendlichen, die bereits durch massive Delinquenz aufgefallen oder schon straffällig geworden sind, müssen schnelle und angemessene Reaktionen sichergestellt werden.

Es geht hier sowohl um eine Koordination kriminalpräventiver Maßnahmen als auch darum, weitere sinnvolle Änderungen des JGG zu unterstützen. Genau in diese Richtung zielt zutreffend auch der vorliegende Antrag.

Der im Antrag der Koalitionsfraktionen ebenfalls angesprochene Ausbau der Interventionsmöglich

keiten des Familiengerichts ist – das wurde bereits erwähnt – Gegenstand einer im März 2006 vom Bundesministerium der Justiz eingerichteten Arbeitsgruppe. Es geht dabei darum, Eltern wirkungsvoll anhalten zu können, erzieherische Hilfen in Anspruch zu nehmen. Der Auftrag ist, die gesetzlichen Vorschriften zu gerichtlichen Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls zu überprüfen mit dem Ziel, familiengerichtliche Maßnahmen hinsichtlich schwerwiegend verhaltensauffälliger, insbesondere straffälliger Kinder und Jugendlicher zu erleichtern. Dieses Ziel unterstützen wir durch unsere Mitwirkung in der Arbeitsgruppe.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung begrüßt die Unterstützung des Landtages im Kampf gegen Kinder- und Jugendkriminalität. Gemeinsam wollen wir zum Wohl unserer Kinder und Jugendlichen alles uns Mögliche tun, um kriminelle Karrieren frühzeitig zu verhindern und Zukunftschancen nicht zu zerstören.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir sind damit am Ende der Beratung zu Tagesordnungspunkt 8.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 14/1546 an den Rechtsausschuss – federführend –, an den Ausschuss für Generationen, Familie und Integration sowie an den Innenausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dann in öffentlicher Sitzung im federführenden Ausschuss erfolgen. Sind Sie mit dieser Überweisungsempfehlung einverstanden? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist diese Überweisungsempfehlung mit Zustimmung aller vier Fraktionen angenommen.

Wir kommen zu:

9 Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Regelung des Austritts aus Kirchen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften des öffentlichen Rechts (Kir- chenaustrittsgesetz – KiAustrG) und des Gesetzes über die Kosten im Bereich der Justizverwaltung (Justizverwaltungskosten- gesetz – JVKostG)

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 14/1518

erste Lesung

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Beratung und erteile zur Einbringung des Gesetzentwurfs für die Landesregierung Frau Ministerin Müller-Piepenkötter das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf der Landesregierung soll eine Gebühr für die Entgegennahme von Erklärungen des Austritts aus einer Kirche oder aus einer sonstigen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft des öffentlichen Rechts eingeführt werden.

Wie Sie wissen, muss der Austritt aus einer Kirche oder einer sonstigen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft gegenüber dem Amtsgericht erklärt werden, damit der Austritt auch für den staatlichen Bereich seine Wirkung entfaltet. Dies war bisher kostenfrei, das heißt, es wurden keine Gebühren oder Auslagen erhoben.

Beim Amtsgericht entsteht durch einen solchen Vorgang aber ein nicht unerheblicher Personal- und Materialaufwand. Der Austrittswillige erscheint in der Regel bei Gericht, um den Austritt dort protokollieren zu lassen. Das Amtsgericht erteilt dem Austretenden eine Bescheinigung und unterrichtet zudem die maßgeblichen Stellen, also die betroffene Kirche oder Religionsgemeinschaft und außerdem die Finanzverwaltung. Dass dies alles eine Gebühr nicht nur rechtfertigt, sondern geradezu verlangt, dürfte klar sein.

Zur Berechnung des Aufwands der Amtsgerichte beziehen wir uns auf eine Untersuchung des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2005. Der Landesrechnungshof hatte damals für jeden einzelnen Fall bereits für die Entgegennahme der Austrittserklärung einen personellen Zeitwand von mindestens 15 Minuten ermittelt. Die Landesregierung ist deshalb der Auffassung, dass die vorgesehene Gebühr in Höhe von 30 € als angemessen und ausreichend angesehen werden kann.

Im Übrigen sind wir in Nordrhein-Westfalen hinsichtlich der Gebührenpflicht für Kirchenaustrittsverfahren nicht etwa Vorreiter: In elf anderen Bundesländern sind die Kirchenaustritte bereits gebührenpflichtig. Die Gebühren liegen dort zwischen zehn und 50 €. Die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Gebühr liegt also im Mittelfeld.

Der geeignete Standort für die Gebührenregelung ist das Justizverwaltungskostengesetz des Landes Nordrhein-Westfalen. Darin ist durch Verwei

sung auf die entsprechende Rahmenvorschrift des Bundes, und zwar auf die Justizverwaltungskostenordnung, auch vorgesehen, dass die Gebühr ausnahmsweise ermäßigt oder erlassen werden kann. Ermäßigung oder Erlass kommen immer dann in Betracht, wenn dies mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Zahlungspflichtigen oder sonst aus Billigkeitsgründen geboten erscheint. Ich denke, damit sind die im Vorfeld dieser Beratung von Teilen der Medien erhobenen Vorwürfe entkräftet, mit diesem Gesetz würden die Rechte derjenigen beschnitten, für die eine Austrittsgebühr von 30 € bereits eine soziale Härte darstellt.

Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit noch ganz kurz auf zwei ebenfalls häufig gestellte Fragen eingehen. Das Kirchenaustrittsgesetz regelt – wie seine Bezeichnung sagt – den Austritt aus einer Kirche oder Religionsgemeinschaft. Ein Kircheneintrittsgesetz gibt es nicht. Deshalb muss ein Kircheneintritt auch mit Wirkung für den staatlichen Bereich nur gegenüber der Kirche oder der Religionsgemeinschaft erklärt werden. Staatliche Gebühren – abgesehen vom Eintritt der Kirchensteuerpflicht – fallen dafür nicht an.

Damit ist auch schon mein letztes Stichwort gefallen: Das heute zur Debatte stehende Kirchenaustrittsgesetz regelt keineswegs die Kirchensteuerpflicht selbst. Das Ende der Kirchensteuerpflicht als Folge des Kirchenaustritts ergibt sich wie bisher aus dem Gesetz.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Vesper?

Ja.

Frau Minister, Sie haben gerade zu Recht darauf hingewiesen, dass es zwar ein Kirchenaustrittsgesetz, aber kein Kircheneintrittsgesetz gibt. Halten Sie diesen Zustand eigentlich noch für hinnehmbar? Brauchen wir nicht auch ein Kircheneintrittsgesetz?

(Heiterkeit von GRÜNEN und SPD)

Nein, Herr Abgeordneter Vesper. Wer Mitglied einer Kirche sein will oder sein soll, ist zunächst einmal Angelegenheit der Kirchen. Die Kirchensteuerpflicht ist dabei das Einzige, was den Staat etwas angeht, denn er erhebt die Kirchensteuer für die Kirchen. Nur die Beendigung der Kirchen

steuerpflicht durch den Kirchenaustritt ist von Staats wegen zu regeln.

Der heute eingebrachte Gesetzentwurf enthält die erforderlichen Änderungen des Landesrechts sowohl aus dem Zuständigkeitsbereich der Staatskanzlei als auch aus dem Justizbereich.

Das Gesetz wird kostenmäßige Auswirkungen auf die privaten Haushalte haben. Die erscheinen aber angesichts der geringen Höhe der vorgesehenen Gebühr und der Ermäßigungs- oder Erlassmöglichkeiten tragbar.

Mehrkosten für das Land entstehen nicht. Vielmehr sind Mehreinnahmen zu erwarten, deren Höhe bei 1,8 Millionen € jährlich liegt, wenn man von der Zahl der Kirchenaustritte im Jahr 2004 mit rund 60.000 ausgeht.

Ich bitte Sie um Unterstützung der Gesetzesinitiative.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Für die Fraktion der CDU hat nun der Kollege Möbius das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hinter der umfangreichen Überschrift des heutigen Tagesordnungspunktes 9 steckt – Frau Ministerin Müller-Piepenkötter hat soeben darauf hingewiesen – nichts anderes als die Einführung einer Verwaltungsgebühr von 30 € für den Austritt aus Kirchen oder Religionsgemeinschaften.

Dieser Austritt wird in Nordrhein-Westfalen beim zuständigen Amtsgericht erklärt und war bisher kostenlos. Alle anderen Bundesländer – bis auf wenige Ausnahmen – verlangen – auch das hat die Ministerin eben erklärt – für das Austrittsverfahren eine Gebühr zwischen 10 und 50 €. Mit Erhebung einer Gebühr von 30 € wird dem Verwaltungsaufwand Rechnung getragen, der durch das Austrittsverfahren selbst entsteht.

Bisher ist es so gewesen, dass der Verwaltungsaufwand aus dem allgemeinen Justizhaushalt getragen werden musste, also eine Quersubventionierung in diesem Bereich erfolgte. Damit wird nun Schluss sein; denn das bisherige Verfahren ist weder mit dem Grundsatz der Gebührentransparenz noch mit dem Grundsatz der Gebührengerechtigkeit vereinbar. Daher ist die Gesetzesinitiative der Landesregierung nur zu begrüßen.