Die Kinder schließen sich häufig einer Gruppe an, da die Eltern oft nicht anwesend sind und dadurch die notwendige elterliche Fürsorge und Zuneigung fehlt. Die Eltern können ihre Vorbildfunktion nicht mehr wahrnehmen, und die Kinder können sich nicht mehr mit den Eltern identifizieren. Die wichtige Sozialfunktion der Familie wird eben nicht mehr erfüllt.
Die Geschehnisse um die Rütli-Hauptschule in Berlin zeigen deutlich, wo wir in dieser Diskussion tatsächlich ansetzen müssen. Wenn für Hauptschüler – vor allem solchen mit Migrationshintergrund – Klassenzimmer und Schulhof zur Kampfzone um Macht und Anerkennung werden, wenn nur Respekt bekommt, wer anderen seine Sprache und seine Wertewelt aufzwingt, haben wir nur vordergründig ein Schulproblem. Gewaltsame Jugendliche haben oft die Erfahrung hinter sich, dass Familienangelegenheiten mit Gewalt geregelt werden. Sie glauben, dass es aus ihrer sozialen Biografie keinen Ausweg gibt. Irgendwann schlägt Frust in Gewalt um.
Das Gute an der aufgebrochenen Debatte ist der Ansatz, sich ganz lebenspraktisch an die Integrationsarbeit zu machen. Die fängt im Kindergarten an. Die CDU/FDP-Koalition im Landtag von Nordrhein-Westfalen hat daher die Beratung der Eltern in den neuen Familienzentren und die erzieherische Begleitung der Kinder bereits ab dem Kin
dergarten zu einem ihrer Ziele gemacht, um die Versäumnisse der abgewählten rot-grünen Landesregierung auszugleichen, und entsprechend neue Schwerpunkte gesetzt.
Es ist ein Irrweg, wenn nach dem Skandal um die Hauptschule in Berlin die Auflösung der Hauptschule gefordert wird. Solche Äußerungen sagen mehr über den Realitätsverlust von Ideologen aus als über die Wirklichkeit. Denn Problemschüler verschwinden nicht, wenn man eine Schulform auflöst. Wir haben kein Hauptschul- sondern ein Erziehungs- und Integrationsproblem. Die Entwicklung an Schulen läuft häufig dort aus dem Ruder, wo Einwanderer Fremde bleiben und die Erziehung der Eltern versagt.
Am meisten können immer noch die Eltern auf ihre Kinder einwirken. Sie müssen sich mehr um ihre Kinder kümmern und ihre erzieherische Verantwortung wahrnehmen, Werte und Grenzen vermitteln. Das bedeutet auch, dass Eltern ihre Prioritäten neu definieren müssen, wobei die Erziehung der Kinder einen höheren Stellenwert erhalten muss und diese Aufgabe zukünftig nicht mehr auf den Staat abgeschoben werden darf.
Deshalb geht der Antrag der CDU/FDP-Koalition in die richtige Richtung. Erziehungsberechtigte junger Straftäter müssen gezielt begleitet und unterstützt werden. Wenn die Familie ihre Erziehungsaufgabe nicht mehr erfüllen kann, muss der Staat handeln und dafür notfalls in die Erziehung durch den Erziehungsberechtigten eingreifen, wenn durch ein Erziehungsversagen des Erziehungsberechtigten erhebliche Entwicklungsschäden oder Gewalt drohen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Giebels. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Kollege Dr. Orth das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bereits den einen oder anderen Antrag zur Bekämpfung der Jugendkriminalität hier im Plenum behandelt, seitdem die neue Landesregierung im Amt ist. Daran erkennen Sie, dass wir in diesem Bereich einen deutlichen Schwerpunkt setzen.
Was den vorliegenden Antrag anbelangt, muss man sich die Situation vorstellen, wie wir sie in Köln auf der Domplatte häufig beklagt haben. Dort gibt es die sogenannten Klaukids, die teilweise
unter Duldung ihrer Eltern Beschäftigungen nachgehen, die in unserer Rechtsordnung keinen Platz haben. Wir sind der Ansicht, dass man sich einerseits mit den Kindern und Jugendlichen beschäftigen muss, die delinquentes Verhalten an den Tag legen. Dafür gibt es zum einen Gesetze und zum anderen unsere Überlegungen zu entsprechender erzieherischer Behandlung.
Andererseits dürfen wir nicht übersehen, dass es auch immer Eltern dieser Kinder und Jugendlichen gibt. Wir gehen davon aus, dass die Eltern eine starke Verantwortung tragen und autonom die Erziehung und Entwicklung ihrer Kinder befördern und begleiten sollen. Leider müssen wir aber auch feststellen, dass es häufiger Eltern gibt, die den Anforderungen einer solchen Erziehung nicht nachkommen wollen.
An der Stelle setzt der Antrag an. Wir sind der Ansicht, dass es auch für Eltern von auffällig gewordenen Kindern und Jugendlichen eine Beratung geben muss. Wenn sie sich dem entziehen, wünschen wir uns, dass zum Wohle des Kindes und des Jugendlichen das Sorgerecht leichter begrenzt und dort eingriffen werden kann, damit wir zukünftig nicht in eine Situation geraten, in der der Staat morgens „Du darfst nicht!, aber die Eltern abends „Ach, lass die mal reden!“ sagen.
In diesem Sinne möchten wir auch Sie von der Opposition dazu einladen, mit uns in die Beratung einzutreten und abzuschätzen, wie weit der Staat gehen darf. An der Stelle sind wir wirklich noch offen. Wichtig ist das Signal, dass es nicht sein kann, dass wir die Klaukids von Köln morgens einsammeln, nachmittags zurückbringen und sie am nächsten Morgen wieder da sind, was leider nicht unbedingt dem Willen der Kinder und Jugendlichen entspricht. Dahinter stecken auch andere Personen, häufig sogar die Eltern, sodass der Staat reagieren können muss.
Vielen Dank, Herr Dr. Orth. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Kollege Sichau das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast habe ich den Eindruck, ich könnte mein Manuskript zur Seite legen und bräuchte nur auf zwei Stichworte einzugehen.
Zum anderen ging es um ein Familienbild aus der Klamottenkiste: „Rabenmütter“, die sich nicht um die Erziehung ihrer Kinder kümmern. Herr Giebels, ich bitte Sie, ein bisschen zu präzisieren, was Sie damit meinen.
Drittens. Wenn es um Elternberatung geht, ist es ausgesprochen wichtig, Entwicklungspsychologen wie Rolf Oerter anzuhören, die sagen, dass mit der Pubertät der Einfluss der Eltern auf die Erziehung abnimmt, das heißt, dass der Einfluss der Peergroup zunimmt. Auch das muss in die Diskussion einfließen, denn sonst geht das an der Sache vorbei.
Hauptziel ist der Kampf gegen die Jugendkriminalität; da sind wir uns offensichtlich weitgehend einig. Die Einigkeit und Gemeinsamkeit wird dann aufhören, wenn ich Herrn Witzel angucke und zugleich an ein Wort von Friedrich Liszt denke: Sozialpolitik ist die beste Kriminalpolitik.- Ob das bei freien Märkten noch so möglich ist, ist schon die erste Frage, über die wir uns streiten können.
Herr Giebels hat in der Diskussion gesagt, dass wir es mit einer gesteigerten Jugendkriminalität zu tun haben. Dabei haben wir erst vor kurzem über die Kriminalitätsstatistik des Innenministeriums geredet – ich sehe schon, wie Herr Dr. Orth Pickel bekommt, wenn ich den Namen Pfeiffer in die Diskussion einführe –: Herr Prof. Pfeiffer aus Niedersachsen hat gesagt, dass die Jugendkriminalität und auch die Gewaltkriminalität gesunken sind. Gestiegen, Herr Engel, ist die Aufklärungsquote. Das ist ein Verdienst der Polizei. Von daher muss man genau hinsehen.
In Ihrem Antrag ist das Teilziel „Eingriffe ins Sorgerecht“ aufgeführt. Herr Dr. Orth, ich kann nur über etwas diskutieren, was hinreichend konkretisiert worden ist. Und das fehlt in Ihrem Antrag. Was wollen Sie – Sie haben einige Paragraphen aus dem BGB und dem JGG genannt – hier konkret ändern? Über unbestimmte Begriffe kann man schlecht diskutieren.
Sie haben in Ihrem Antrag – der eine lange Begründung hat, das ist keine Frage, aber es geht zunächst einmal um den Antrag – ein zweites Teilziel genannt: Resozialisierungsmöglichkeiten von Jugendlichen in den Gefängnissen auszubauen. Auch darüber kann man reden, aber ich mache darauf aufmerksam: Zwischen Eingriff ins Sorgerecht und Resozialisierung in Gefängnissen gibt es eine Masche, die man mit einem Lastwa
gen durchfahren kann, die alle Fragen der Jugendgerichtshilfe bei den Jugendämtern und den freien Trägern in Bezug auf ambulante Maßnahmen für Erstdelinquenten miteinbezieht.
Wenn Sie von Resozialisierungsmöglichkeiten von Jugendlichen in Gefängnissen sprechen, greifen Sie offensichtlich einen Vorschlag des Landesverbandes des Höheren Dienstes in Justizvollzugsanstalten auf, der gesagt hat, Ihr Vorschlag bezüglich der Jungtäterabteilungen für 21- bis 26-Jährige greife zu kurz. Sie müssen auch den Jugendarrest in den Blick nehmen. Da haben Eltern noch nicht einmal eine Besuchsmöglichkeit. Das heißt, wenn man Eltern einbeziehen will, dann muss man sie auch in den Arrestvollzug einbeziehen, nicht unbedingt mit Besuchsmöglichkeiten, aber mit Kontakt- und Gesprächsmöglichkeiten. Hier geht es um die ambulanten Dienste nach Delinquenz wie beispielsweise die vielen Brücke-Projekte, die inzwischen mindestens zehn Jahre alt sind, die vom Landesjugendplan NRW gefördert werden und außerordentlich erfolgreich sind. In dem Bereich ist Kriminalpolitik und Umgang mit Delinquenz ausgesprochen erfolgreich. In Ihrem Antrag steht dazu kein Wort.
Bei der Forderung an die Landesregierung greifen Sie Ihre Feststellungen zum Sorgerecht auf. Es geht – das wird in der Begründung präzisiert – um Einwirkung und Unterbringung per Gerichtsbescheid. Außer der Vermeidung von Jugend-U-Haft – wir haben dazu bereits einen Antrag gestellt – ist die Unterbringung hinreichend geklärt, allerdings nicht finanziert. Hier muss auf Konnexität geachtet werden, denn bekanntlich haben die Kommunen neuerdings einen Vorbehalt, was die Finanzierung betrifft, und dieser ist bundesgesetzlich geregelt.
Beim Thema Einwirkung fehlt die hinreichende Präzisierung – ich habe das in meiner Rede schon mehrfach gesagt –, obwohl auch hier möglicherweise eher ein Vollzugs- als ein Normdefizit gegeben ist.
Insgesamt geht Ihr Antrag auf die Koalitionsvereinbarung der großen Koalition zurück. Da ist von einem Arbeitskreis beim BMJ die Rede, der diese Fragen näher ventilieren möchte. Ich hoffe, dass es den notwendigen Erkenntniszuwachs in dem weiteren Verfahren geben wird.
Selbstverständlich stimmen wir der Überweisung in den Rechtsausschuss zu. – Herzlichen Dank, auch für die Zeitansage.
Vielen Dank, Herr Kollege Sichau. Das ist der kleine Ausgleich. Bei einem anderen Tagesordnungspunkt hat eine andere Fraktion die Redezeit etwas überschritten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen es sehr, dass die Justizministerin die Eindämmung der Jugendkriminalität zum wichtigsten rechtspolitischen Vorhaben in dieser Legislaturperiode erklärt hat. Wir unterstützen das, Frau Müller-Piepenkötter. Kinder und Jugendliche sind schließlich das Rückgrat unserer Gesellschaft. Deshalb können wir es uns nicht leisten, dieses Potenzial zu verschleudern und nicht ausreichend zu fördern und zu entwickeln.
Kinder und Jugendliche brauchen Chancen, Zukunftsperspektiven und emotionalen Rückhalt. Es ist richtig, dass es einer großen gesamtgesellschaftlichen Kraftanstrengung bedarf – dazu gehören natürlich die Eltern und die Elternhäuser –, um Kindern und Jugendlichen das richtige Maß an Bildung, Erziehung und Betreuung angedeihen zu lassen, damit diese sich in unserer Gesellschaft aufgehoben, unterstützt und akzeptiert fühlen. Nichts ist schlimmer als der Weg in die Perspektivlosigkeit, der vielen Migrantenkindern, Hauptschülern und Schülerinnen und Schülern von Lernbehinderten oder E-Schulen schon während ihrer Schullaufbahn vorgezeichnet erscheint.
Ich kann dazu nur sagen: Bildungspolitisch war die Einführung der offenen Ganztagsgrundschule in der letzten Legislaturperiode ein ganz entscheidender Schritt in die richtige Richtung, dem weitere folgen müssen, im Übrigen mit Blick auf alle Schulformen unseres Schulsystems.
Herr Orth, deshalb ist es richtig, dass Sie sagen: Wenn wir die Jugendkriminalität eindämmen wollen, gilt es, die Prävention weiter auszubauen, zum einen um Kriminalität zu verhüten, zum anderen aber auch um geeignete Hilfestellungen anzubieten, wenn ein junger Mensch mit dem Strafgesetz in Konflikt geraten ist.
Die aktuellen Haushaltskürzungen im Kinder- und Jugendbereich – bei den Kitas, beim Landesjugendplan, bei den Erziehungsberatungsstellen und auch bei dem sozialen Netz in den Justizvollzugsanstalten; ich nenne den Täter-Opfer-Ausgleich, die externe Drogenberatung, die Haftvermeidungsprojekte – sprechen allerdings eine andere Sprache und stehen in krassem Widerspruch zu dem Anspruch der Koalitionsfraktionen, Kriminalität vorbeugend zu bekämpfen. Da helfen auch die Familienzentren nicht weiter, wenn Sie diese finanziell nicht anständig ausstatten können.
Unabhängig davon fällt mir auf – wenn ich mir Ihren Antrag in Gänze ansehe –, dass Sie keinen einzigen konkreten Vorschlag zur Verbesserung einer vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung bei Jugendlichen auf den Tisch legen.
Obgleich Sie im letzten Abschnitt Ihres Antrages betonen, dass Sorgeberechtigte einen Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung haben, geht es Ihnen im Kern doch allein darum, die richterlichen Eingriffsmöglichkeiten in das Sorgerecht der Eltern straffällig gewordener Kinder und Jugendlicher auszubauen.
Selbst diese Forderung, die Sie ja – das wurde eben schon gesagt – aus dem Koalitionsvertrag von CDU und SPD auf Bundesebene abgeschrieben haben – das steht da wörtlich –, bleibt im Nebulösen. Wann, wie und unter welchen Umständen Sie in das elterliche Sorgerecht eingreifen wollen – das würde uns interessieren –, um auf junge Straftäter erzieherisch einwirken oder sie gegebenenfalls unterbringen zu können, das verraten Sie uns zumindest in diesem Antrag nicht. In der Debatte eben haben Sie auch kein Wort darüber verloren. Das ist höchst bedauerlich, da wir mit einem Antrag, der so im Unbestimmten bleibt und letztlich auch nur über eine Bundesratsinitiative realisiert werden könnte, herzlich wenig anfangen können. Sagen Sie also erst einmal klar, was Sie genau wollen.
So können wir leider nur vermuten, dass es Ihnen in diesem Antrag weder um Prävention noch um Hilfe zur Erziehung geht, sondern vielmehr um die Umsetzung eines restriktiven und nicht auf Erziehung vor Strafe setzenden Jugendstrafrechts. Wenn Sie auf sicherlich oftmals tragische Familienstrukturen aber rein repressiv reagieren wollen, sage ich Ihnen deutlich: Das können wir Grünen nicht mittragen. Denn letztlich lösen Sie das gesellschaftliche Problem der Vernachlässigung und