Protokoll der Sitzung vom 17.05.2006

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Ach du lieber Gott! Das hat er nicht gemacht!)

Damit bringen Sie zum Ausdruck, dass Sie den formulierten Protest klassifizieren und werten wollen. Das möchte ich hier sehr deutlich sagen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ich nenne noch ein anderes Beispiel, bei dem wir uns hoffentlich einig sind: Es gibt überall schwarze Schafe – auch in der Politik.

(Manfred Kuhmichel [CDU]: Rote und grüne auch!)

Es ging jetzt ausnahmsweise nicht um die politische Farbe, Herr Kuhmichel. – Wir leiden alle darunter, dass solche Einzelfälle, die es bedauerlicherweise gibt, auf alle übertragen werden. Herr Rüttgers, wenn Sie das so nicht gemeint haben, dann stellen Sie das richtig. Entschuldigen Sie sich dafür, dass dieser Eindruck entstanden ist, damit das aus der Welt ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich finde, dass das noch einmal gezeigt hat, wie dünnhäutig Sie offensichtlich sind. Die gestrige Bilanzkonferenz und das alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie mit Ihrer Regierungsbilanz nicht zufrieden sind, dass es Ihnen lieber wäre, wenn es nicht so viel Protest gäbe, dass es Ih

nen natürlich lieber wäre, wenn Sie beim Deutschen Städtetag nicht ausgebuht würden – und zwar nicht nur von SPD-Leuten, sondern ausdrücklich in einer gesamt abgestimmten Haltung von allen Parteien, die im Städtetag meinungsbildend tätig sind.

(Parl. Staatssekretär Manfred Palmen: Das stimmt nicht!)

Herr Palmen, Sie sind dabei gewesen. Das ist ja richtig. Ich bin auch da gewesen und habe mir hinterher im Forum von CDU-Bürgermeistern berichten lassen – ich nenne jetzt keine Namen, um die Leute nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Sie sagten: Wir haben uns gewundert, wie dünnhäutig der Ministerpräsident gewesen ist. – Alle waren dort höchst irritiert.

(Parl. Staatssekretär Manfred Palmen: Dann haben Sie aber etwas anderes erlebt!)

Die CDU-Kollegen haben sich gewundert, dass er die Kritik nicht einfach ertragen hat – die haben sich andere Ministerpräsidenten auch anhören müssen –, sondern meinte, noch einmal darauf reagieren zu müssen. Das ist auch in den Medien so berichtet worden. Es kann doch nicht sein, dass die sich alle vertun, und das zeigt, dass Sie sich eine Glocke um die Wirklichkeit herumbasteln, damit Sie nicht merken, dass die Menschen mit Ihrer Politik einfach nicht einverstanden sind.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Ach, Frau Löhr- mann!)

Ich habe Ihnen die Zitate eben bewusst etwas ausführlicher vorgetragen. Dass es zum Teil Menschen Ihrer Partei sind, die sagen, wenn wir das gewusst hätten, dann hätten wir Sie nicht gewählt, ignorieren Sie. Dass 500 Millionen Menschen bei zwei Volksinitiativen unterschrieben haben, zeigt doch, dass offensichtlich nicht nur wir, sondern auch ganz viele Menschen in NordrheinWestfalen Sie im Wahlkampf anders verstanden haben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Ministerprä- sident Dr. Jürgen Rüttgers: 500 Millionen?)

500.000!

(Ilka Keller [CDU]: Sie haben die Umstruktu- rierung nicht verstanden!)

Umstrukturierung? Liebe Frau Keller,

(Ilka Keller [CDU]: Liebe Frau Löhrmann!)

erinnern Sie sich bitte an die Haushaltsdebatten und die Demonstrationen vor zwei Jahren. Da ist doch Herr Rüttgers und da sind auch Sie zu jeder

Demonstration hingegangen und haben behauptet: Diese Kürzung machen wir nicht, und diese machen wir nicht!

(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers: Das stimmt nicht!)

Sie waren beim Beamtenbund und auch bei vielen anderen Organisationen. Sie haben gleichzeitig viele Wohltaten und die Senkung der Nettoneuverschuldung versprochen. Deswegen ist es richtig, wenn wir Ihnen nachweisen, dass Sie das nicht einhalten. Wir haben Sie davor gewarnt, den Mund nicht so voll zu nehmen. Genau vor diesem Verhalten haben wir Sie in den Debatten hier gewarnt.

Jetzt, meine Damen und Herren, möchte ich noch einmal auf zwei, drei Punkte in der Sache eingehen.

Hinsichtlich der Lehrerstellen ergeht es mir genauso wie Frau Kraft: Es gibt immer wieder neue Zahlen, aber im Haushalt – das haben wir Ihnen in ausführlichen Diskussionen im Schulausschuss dargelegt – schaffen Sie netto 500 neue Stellen mehr. Netto 500 Stellen mehr, weil man Englisch in den Grundschulen, was wir früher gemacht haben, und die Ganztagsplätze, die Sie jetzt anders ausweisen, verrechnen muss. Also: Netto bleiben dort 500 Stellen übrig.

Zweiter Punkt bei der Bildungspolitik ist die Durchlässigkeit. Das hört sich ja auf dem Papier schön und gut an, dass Sie Durchlässigkeit und individuelle Förderung wollen. Aber in Fachanhörungen, die wir ja machen – Sie sagen ja, Sie wollen sich mit den Leuten auseinander setzen –, haben wir danach gefragt. Wenn das Schulgesetz wie vorgesehen kommt, mit der Abkopplung des Gymnasiums durch die Veränderung der Stundentafeln in der Sekundarstufe I, dann ist die Durchlässigkeit faktisch nicht mehr möglich. Das haben hier alle Fachleute, die sich in der Materie auskennen, formuliert. Das ist das Problem. Deswegen können Sie das nicht auf der einen Seite so erklären und auf der anderen Seite nicht zur Kenntnis nehmen, dass es einfach nicht geht. Das waren auch keine Fachleute, die allein die Grünen eingeladen haben.

Bezogen auf die Haushaltskommission freut mich ja, dass auch Sie das so gewürdigt haben.

Ich glaube, es kommt im weiteren Verfahren – wir setzen natürlich darauf, dass wir uns darüber auch auseinander setzen können – darauf an, dass man sich mit einem solchen Vorschlag, der, wie gesagt, von einer externen Kommission gemacht worden ist, auseinander setzt. Wir werden

das diskutieren, auch mit Fachleuten. Wir werden uns im Laufe dieses Jahres natürlich zu den einzelnen Punkten eine Meinung bilden. Bei uns läuft das nicht so: Bericht, abgestimmt, fertig, aus. Sondern bei uns wird so etwas grundsätzlich diskutiert.

(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers: Das war beim Haushalt auch so!)

Ich bin gespannt, auf welche Punkte wir uns mit Ihnen einigen können. Einige, die wir für vernünftig halten, habe ich Ihnen ja schon genannt. Ich habe aber den Eindruck, Sie betreiben da eine gewisse Rosinenpickerei und nehmen nicht den Bericht insgesamt zur Kenntnis, denn dann wären, glaube ich, aus Ihrer Sicht einige Kröten darin, die Sie nicht so gerne schlucken würden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich habe den Beamtenstatus genannt. Ich habe das WNA-Budget genannt. Ich habe die Verrechnung der Beamtenpension in die aktive Beschäftigung hinein genannt, was natürlich den Haushalt sehr drastisch umstrukturieren und anders darstellen würde.

Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt ist die Frage einer Generalrevision Hartz IV. Darauf möchte ich gern noch einmal eingehen. Ich glaube, wir müssen uns in der Frage der Reform unserer sozialen Sicherungssysteme irgendwann entscheiden – ich behaupte, da sind alle Parteien noch nicht ganz entschieden, welchen Weg sie gehen wollen –, ob wir unser Sozialmodell darauf anlegen, auf Statussicherung zu setzen – das sprechen Sie mit Ihren Korrekturen an –, oder ob wir uns, wie in den skandinavischen Ländern, darauf einlassen zu sagen, wir wollen Zieldefinitionen, etwa Grundeinkommen sichern, und das ist das, was die Menschen dann haben können. Das muss man irgendwann grundsätzlich entscheiden, weil wir in Deutschland ein Mischsystem haben, das sehr stark auf Statussicherung setzt. Deswegen fällt die Veränderung auch in der Frage der Steuerfinanzierung schwer. Deswegen muss man solche Entscheidungen irgendwann grundsätzlich treffen.

Aber was bleibt, Herr Rüttgers? – Der Eindruck, der bleibt, ist, dass Sie sich von etwas distanzieren, was irgendwann unbequem wird, obwohl auch Ihre Partei im Bundesrat genau diese Regelung von Hartz IV ja mit zu verantworten hat.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zum Teil haben Sie als Koalition sogar Verschärfungen durchgesetzt. Das können die Menschen, glaube ich, nicht nachvollziehen, dass Sie einer

seits als CDU hier in der Verantwortung stehen, sich andererseits dann aber an solchen Stellen, wenn es unbequem wird, einen schlanken Fuß machen und sich aus der Verantwortung stehlen wollen.

(Rüdiger Sagel [GRÜNE]: Populismus ist das!)

Das ist bei der Mehrwertsteuerdiskussion genau das Gleiche.

Ein anderer Punkt, über den es sich lohnt sich auseinander zu setzen, ist sicher die Frage, welchen Freiheitsbegriff man anwendet. Wir hatten schon mehrfach die Gelegenheit, uns darüber auszutauschen. Wir verstehen Freiheit, Verantwortung und Gleichheit als gleichwertig und Verantwortung und soziale Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit in der Politik als gleichwertig. Wir setzen nicht einen Begriff absolut, weil wir glauben, dass dann das Gemeinwesen unter die Räder kommt und Grundwerte unserer Gesellschaft zur Disposition gestellt werden, zum Beispiel die staatliche Verantwortung für das Bildungssystem.

Der letzte Punkt betrifft die Mehrwertsteuer. Herr Papke, mich würde wirklich interessieren, was aus Ihrem lautstarken Protest gegenüber dieser Mehrwertsteuererhöhung, die uns ja in der Sache eint – das habe ich ja ausdrücklich dazu gesagt –, folgt. Was machen Sie mit Ihrem Koalitionspartner, um das zu verhindern? Sie finden das ja so toll, dass Sie noch an dieser Regierung beteiligt sind. Was folgt denn jetzt für die Menschen aus Ihrem lautstarken Protest? – Nichts folgt aus meiner Sicht daraus außer einer Enthaltung im Bundesrat. Deswegen ist das populistisch. Deswegen ist das billig, dass Sie sich hier so lautstark geben, weil im Ergebnis nichts dabei herauskommen wird.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, ich finde, das war eine durchaus interessante Haushaltsdiskussion. Wir bleiben dabei, dass wir diesen Haushalt ablehnen werden. Selbstverständlich werden wir auch bei Folgehaushalten versuchen, hier unsere Vorschläge für ein soziales, ökologisches und nachhaltiges Nordrhein-Westfalen einzubringen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Frau Löhrmann. – Für die FDP spricht die Kollegin Freimuth.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle

gen, bevor ich gleich auf ein paar kritische Punkte eingehe, will ich zwei oder drei Anmerkungen machen, bei denen wir vielleicht Einvernehmen in diesem Hause herstellen können.

Ich möchte mich ganz herzlich bedanken beim Gutachterdienst des Landtags, der uns bei den Haushaltsberatungen als Parlament insgesamt sehr unterstützt hat, beim Stenographischen Dienst, der uns auch wenn das gelegentlich sehr kurzfristig war, die Beratungsunterlagen zur Verfügung gestellt hat, und beim Ausschusssekretariat, insbesondere bei Frau Winands. Denn das, was in diesem Haushaltsberatungsverfahren auch an Zuarbeit von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung geleistet wurde, ist für uns als Parlamentarier hier in diesem Parlament eine große Hilfe gewesen und verdient auch unseren Dank und unsere Anerkennung.

(Allgemeiner Beifall)