Protokoll der Sitzung vom 18.05.2006

Was konkret im nächsten Jahr, das heißt zum Januar 2007, ansteht, wurde im Leitartikel der „Süddeutschen Zeitung“ unter der Überschrift „Koalition der Kassierer“ in der vergangenen Woche eindrucksvoll zusammengestellt: eine 3%ige Mehrwertsteuererhöhung, die Erhöhung der Versicherungssteuer, die Halbierung des Sparerfreibetrages, die Kappung der Pendlerpauschale, eine Reduzierung der Zahldauer des Kindergeldes und eine steuerlich induzierte Erhöhung des Spritpreises um 6 Cent, die sich daraus errechnet, dass die Mehrwertsteuer steigt und die Mineralölkonzerne zudem teurer werdenden Biokraftstoff in ihr Benzin und ihren Diesel mischen müssen.

Es gibt Anlass, an der Weisheit einiger der gerade genannten Maßnahmen zu zweifeln und wirklich wirksame Reformen zur notwendigen Modernisierung in Deutschland anzumahnen.

Darüber hinaus gilt es auch, manches zu kritisieren. Ich weise auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hin, vormals unter dem Titel Antidiskriminierungsgesetz einschlägig bekannt,

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das ist jetzt ein Ablenkungsmanöver!)

dessen Entwurf CDU und CSU seinerzeit aus der Opposition heraus bereits im Bundesrat wegen eines Übermaßes an Reglementierung gestoppt haben und jetzt als Regierungspartner mit so gut wie gleicher Reglementierungslast zur Gesetzeskraft erheben wollen. Dieser Koalitionskompromiss zum Allgemeinen Gleichstellungsgesetz ist der heimischen Wirtschaft kaum zu vermitteln.

Ich sage kritisch auch an die Adresse meiner Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU im Deutschen Bundestag: Wer vor der Wahl die Umsetzung von EU-Recht 1:1 versprochen hat und jetzt vom Koalitionspartner umfangreiche Dokumentationspflichten zum Minderheitenschutz oder das Verbandsklagerecht für Betriebsräte und Gewerkschaften in das Gesetz geschrieben bekommt, kann nicht zufrieden sein.

(Beifall von der CDU – Marc Jan Eumann [SPD]: Was ist da der Unterschied?)

Ebenso kritisch sehe ich die von der SPD erzwungene Reichensteuer, von der der frühere Ministerpräsident dieses Landes und ehemalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement kürzlich noch gesagt hat, dass ihr nicht einmal das Etikett einer Symbolhandlung zuerkannt werden kann; und der wird es ja wohl wissen. Das „Handelsblatt“ vom 3. Mai führt dazu aus:

„Selbst die eingeschworenen Anhänger dieser Einkommensteuererhöhung in der SPD glauben nicht ernsthaft daran, dass sie mit Zusatzeinnahmen von rund 350 Millionen € eine Bresche für soziale Gerechtigkeit schlagen können. Ökonomisch sendet Deutschland wieder einmal ein völlig falsches Signal der Leistungsfeindschaft im globalisierten Wettbewerb … Diese Neidabgabe“

so das Handelsblatt –

„muss nur aus einem einzigen Grund in das Bundesgesetzblatt:“

(Marc Jan Eumann [SPD]: Sie reden über die Politik Ihrer Kanzlerin!)

„Um die sozialdemokratischen Feierabendfunktionäre in den Ortsvereinen zu beruhigen und Oskar Lafontaines Linkspartei demagogisch endlich zu überholen …

(Beifall von der CDU – Marc Jan Eumann [SPD]: Das ist Ihre Kanzlerin!)

Ich weise auf das sogenannte Elterngeld hin, das einerseits für einen längeren Zeitraum als geplant ausgeschüttet wird, aber die öffentliche Hand weniger als geplant kosten soll.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Sie regieren in Berlin!)

Ob und inwieweit dieses Rechenexempel aufgeht, mag dahingestellt sein.

(Zuruf von Marc Jan Eumann und Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD])

Überlegenswert ist meines Erachtens auch der Einwand von Professor Kurt Biedenkopf gegen den Vätergeldanteil dieser Erfindung. Es ist die Frage erlaubt: Ist es wirklich richtig, dass der Staat per Geldanreiz in Familienleben einwirkt? Sollten wir wirklich wollen, dass der Staat in Zukunft regelt, wie sich Vater und Mutter untereinander die Erziehungsarbeit aufteilen?

Das ist bei genauer Betrachtung das Gegenteil dessen, was eigentlich notwendig ist in Deutschland: eine Rücknahme des Staates, der sich in unfinanzierbarer Weise immer mehr zum Wohlfahrtsstaat entwickelt hat.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Herr Droste, es ist Ihre Kanzlerin! – Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Das hat er nur noch nicht gemerkt mit seinem Redemanuskript von vor über einem Jahr! Das ist aber bei Herrn Droste so; Text- baustein von vor einem Jahr!)

Es gibt nur einen anderen Ausweg: weniger Richtlinien, weniger Gesetze in Berlin und Brüssel.

Was muss in Deutschland angesichts der fortschreitenden Globalisierung und Technisierung stattdessen geschehen, um der Herausforderung durch die kommenden Weltwirtschaftsmächte China, Indien, Brasilien und durch das Älterwerden unserer Gesellschaft wirklich gerecht zu werden? Der Umbruch ist eine Zeitwende und keine vorübergehende Erscheinung.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Das ist aber eine Weisheit!)

Notwendig ist deshalb in unseren Ländern eine grundlegende Erneuerung. Ich gestehe Ihnen, der Sozialdemokratie, gerne zu, dass Sie mit der Agenda 2010 einen, wenn auch nur zaghaften Anfang, aber immerhin einen Anfang mit Reformbewegungen in diesem Land gemacht haben. Aber mindestens drei Viertel des Weges sind noch zurückzulegen. Wichtige Vorhaben auf nationaler Ebene gilt es jetzt beherzt anzufassen.

Ich weise auf die Unternehmenssteuerreform ab 2008 hin. Wir brauchen eine Begrenzung der Besteuerung von Kapitalgesellschaften auf knapp unter 30 %, eine Erleichterung für Gewinne von Personengesellschaften, speziell für reinvestierte Gewinne. Wir brauchen eine Reform der Erbschaftsteuer im Sinne einer Steuerentlastung von Unternehmen bei Unternehmensfortführungen. Die Gesundheitsreform und die Reform der Pflegeversicherung müssen dringend noch in diesem Jahr umgesetzt und Ausgaben müssen korrigiert werden, damit es insgesamt zur Entlastung des Faktors Arbeit kommt.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Das ist Herr Droste, flach und von vorgestern!)

Die Bürokratie- und Föderalismusreform muss Ergebnisse zeitigen. Wir brauchen eine Politik zur Sicherung der Energieversorgung, die sich an den Realitäten orientiert und ideologischen Ballast abwirft. Wir brauchen Investitionen in schulische Bildung und berufliche Aus- und Weiterbildung, in Wissenschaft und Forschung statt Altlasten.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Textbau- stein Nummer 25!)

Was wir am meisten brauchen – das ist die Grundvoraussetzung für alle diese Anstrengungen –, das ist das Vertrauen der Menschen, dass sich diese Anstrengungen im Ergebnis auch lohnen.

Es ist die herausragende Aufgabe dieser Bundesregierung, der Koalition in Berlin, Vertrauen zu gewinnen. Und Vertrauen schafft man nur, wenn Politik für jede Frau und jeden Mann kalkulierbar bleibt, das heißt, wenn man nach der Wahl das tut, was man vor der Wahl versprochen hat, so, wie es im Übrigen diese Landesregierung in eindrucksvoller Weise unter Beweis stellt, die trotz unpopulärer Maßnahmen, vorgegeben durch einen Konsolidierungshaushalt, nach einem Jahr Regierungsarbeit vom überwiegenden Teil der Bevölkerung in diesem Lande große Zustimmung erfährt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Eumann, Sie haben es eben selber gesagt: Deutschland ist nach wie vor Exportweltmeister.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Jetzt redet er sich selbst Mut zu!)

Wir gehören immer noch zu den innovativsten Nationen dieser Welt, wenn wir die Anzahl der Patententwicklungen zum Maßstab nehmen. Wir sind immer noch die drittstärkste Volkswirtschaft der Welt, und es besteht kein Anlass, die Hoffnung auf den Gewinn der Fußballweltmeisterschaft sinken zu lassen. Aber wir müssen die jetzt wesentlich verbesserte Stimmungslage, die wieder enorme Zuversicht in dieses Land gebracht hat, zu mutigen Schritten nach vorne nutzen.

Da appelliere ich besonders an die Sozialdemokratie in Nordrhein-Westfalen, an Sie,

(Marc Jan Eumann [SPD]: Im Gegensatz zu Ihnen unterstützen wir ja die Bundesregie- rung! – Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Aber er hat das noch nicht begriffen!)

die Sie sich, gemessen an anderen Landesverbänden in Ihrer Partei, durchaus als wertkonser

vativ bezeichnen können: Ermutigen Sie jetzt diese Bundesregierung, indem Sie nicht rückwärtsgewandt den Status quo zementieren, sondern Reformen vorantreiben, die diesem Land wirklich helfen und die Bundesregierung tatsächlich zu einer großen Koalition der Erneuerung werden lassen, die diesen Namen wirklich verdient. Dazu hilft es nicht, einzelne Bestandteile herauszugreifen, die den großen Bogen, wie ich meine, nicht spannen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Droste. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Priggen das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Das war schon ein interessanter Beitrag. Wir befinden uns in der glücklichen Situation, dass uns die Medien nicht beobachten. Die haben ihre Zeilen mit den Themen „Kombilohn“ und der RAG-Bilanzpressekonferenz für heute gefüllt. Insofern können wir uns untereinander austauschen.

Spannend für mich war an diesem Tagesordnungspunkt, wie Herr Dr. Droste und die CDU sich verhalten. Denn das, was die SPD zum Antrag erhebt, ist für uns beide nichts weiter als identisch mit der Bundestagsdrucksache 16/931, die am 17. März 2006 im Bundestag behandelt wurde und ein gemeinsamer Antrag von SPD und CDU im Bundestag war.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Das macht es nicht besser. Dazu sage ich gleich noch etwas.

Es ist natürlich ein beliebtes Spiel, zu sagen: Das, was wir in Berlin einbringen, bringen wir auch hier ein, und dann schauen wir, wie sich die anderen dazu verhalten, weil sich die Koalitionspartner – bei uns in der Koalition war das auch so – nicht einfach gegenseitig von der Kette lassen. Sie können also nicht einfach zustimmen.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Tun wir nicht!)

Herr Eumann, freuen Sie sich nicht zu früh. Sie sind sehr, sehr freundlich auf die CDU zugegangen. Und Herr Droste hat Ihnen die Löffel lang gezogen, wie es doller nicht ging. Das heißt, Sie haben die Koalition in Berlin unterstützt, aber Herr Droste hat – um es auf den Punkt zu bringen – im Prinzip den Bundestagswahlkampf 2009 schon einmal mit einer klaren Ansage eröffnet. Ob Sie gut damit fahren, auch in Zukunft Koalitionsanträ

ge aus Berlin hier einzubringen, wenn die CDU mit Ihnen hier dann im Gegenzug Tacheles redet, möchte ich hinterfragen. Ohne Medienbeobachtung macht das nichts und ist ja auch interessant.

(Zuruf von der SPD)

Ich glaube es nicht. Ich bin ganz gespannt, weil er an bestimmten Punkten Recht hat. Ob Sie gut beraten sind, Berlin nach hier zu tragen, ist noch die Frage.

Ich greife nur einmal die Reichensteuer auf. Die nennt Herr Droste Neidsteuer. Die Bemessungsgrenzen von 250.000 € für einen Alleinverdiener und 500.000 für Ehepaare sind so etwas von lächerlich!