Protokoll der Sitzung vom 31.05.2006

Wir sind davon überzeugt, dass sich die Menschen, die uns aus allen Ländern der Welt besuchen, bei uns wohl fühlen und bei uns sicher fühlen werden. Sie werden unser Land, unsere Landschaften und unsere Städte kennen lernen und ganz bestimmt in positiver Erinnerung behalten.

Sie werden auf fröhliche und sportbegeisterte Menschen treffen. Sie werden erfahren, dass wir ein freiheitliches Land sind, ein Land, in dem die Menschen ihre Freiheit zu schätzen und zu verantworten wissen, ihre Freiheit als Aufgabe und Verantwortung auch für unsere Gäste begreifen und wahrnehmen. Sie werden erleben, dass Freiheit und Sportbegeisterung in Nordrhein-Westfalen gelebt werden.

Es wird deutlich werden, dass Nordrhein-Westfalen ein starker Wirtschaftsstandort und aufgrund seiner zentralen Lage in Europa ein wichtiger Partner von

Wirtschaftsbeziehungen ist, ein Land mit kreativen Köpfen und enormer Innovationskraft.

Sportereignisse wie die Fußball-WM, aber auch andere Spitzensportereignisse setzen in den Köpfen der Menschen Kräfte frei, verringern Distanzen, schaffen Freundschaften und Vertrauen, wecken Interesse wiederzukommen, sich hier wirtschaftlich oder sportlich zu betätigen und geschlossene Freundschaften zu pflegen.

Nordrhein-Westfalen ist das Sportland Nr. 1 in Deutschland. Nordrhein-Westfalen wird die starke Stellung nutzen und ausbauen. 16 WM-Spiele in NRW und acht Quartiere für Nationalmannschaften werden die Aufmerksamkeit auf NRW lenken. Sie weisen auf die vielfältigen Möglichkeiten hin, die unser Land durch seine Stadien und Austragungsorte mit einer hervorragenden Infrastruktur bietet. Diese Möglichkeiten stehen und fallen mit einem vom Sport begeisterten Publikum, mit Menschen, die selbst Sport treiben, mit Menschen, die sich in den Vereinen sportlich und mit hohem persönlichem Engagement ehrenamtlich betätigen.

Meine Damen und Herren, globale Ereignisse des Spitzensports sind der Motor für den Breitensport. Wenn der Motor läuft, ist er auch in der Lage, Spitzenleistungen zu erzeugen und insbesondere die Jugend zu motivieren. Spitzenleistungen sind die innovative Kraft, die Idole hervorbringt. Jugend braucht sportliche Vorbilder. Deshalb sind solche Ereignisse für uns alle und für eine funktionierende Gesellschaft sehr wichtig. Vorbildliche Fußballstars sind noch kein Ersatz für eigenes Bemühen. Sie weisen aber in die richtige Richtung und motivieren. Sie zeigen, dass mit Leistungsbereitschaft und Leistungswillen Erfolge und Ziele erreichbar sind. Damit bekommt der Sport mit seinen Spitzenleistungen eine gesellschaftspolitische Bedeutung und bildet den Antrieb dafür, sich selbst zu betätigen, sich Vereinen anzuschließen, mitzumachen, das Vereinsleben zu bereichern und schließlich Menschen in den Vereinen zusammenzuführen.

Lassen Sie mich am Ende schlicht all denen danken, die die Fußball-WM vorbereitet haben und mithelfen, diese durchzuführen. – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Preuß. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Dr. Vesper das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich

freue mich wie meine Vorredner, dass der heutige Tag im Landtag ganz im Zeichen der Fußballweltmeisterschaft 2006 steht. Übermorgen in einer Woche ist Anpfiff. Die Stimmung in unserem Land steigt von Tag zu Tag, unabhängig von den Ergebnissen der deutschen Nationalmannschaft. Natürlich war und ist es richtig von Jürgen Klinsmann, den Weltmeistertitel anzupeilen. Aber sind wir doch einmal ehrlich: Bei allen heißen Fangefühlen bin und bleibe ich auch auf diesem Feld Realo. Und als solcher glaube ich nicht an den Titel.

Wenn das so ginge, wie Herr Becker eben ausgeführt hat, wäre das einfach: Dann könnten wir das hier beschließen. Es bestünde aber immer noch die Gefahr, dass das holländische Parlament einen ähnlichen Beschluss fassen würde. Und ich wüsste nicht, welches Parlament sich durchsetzen könnte.

Wir natürlich!

(Beifall von der FDP)

Der Präsident meint, das Sitzparlament, also wir, könnte sich durchsetzen. Darüber könnte man reden.

Aber, meine Damen und Herren, darauf kommt es meines Erachtens auch gar nicht an. Fan sein heißt bekanntlich – außer wenn man Fan von Bayern München ist –: mit Vergnügen leiden können;

(Heiterkeit von der FDP)

so hat das Nick Hornby einmal formuliert. Diese Fähigkeit macht den wahren Fan aus. Natürlich wollen wir gewinnen, aber Fußball kann auch dann Spaß machen, wenn man begeistert spielt und ehrenvoll verliert. Wer könnte das kompetenter und glaubwürdiger sagen als ein Mitglied des FC Landtag, der am vergangenen Mittwoch eine herrliche Niederlage mit 2:9 gegen eine Mannschaft aus Altinternationalen eingefahren hat. Die dritte Halbzeit am Tresen und Buffet haben wir dann gewonnen.

(Zuruf von der SPD: Ihr müsst doch auch mal gewinnen!)

Deswegen, meine Damen und Herren, ist für mich nicht entscheidend, ob Deutschland 1:0 gewinnt, oder wie gestern 2:2 unentschieden spielt. Entscheidend ist, dass wir in den vier Wochen der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland ein großes multikulturelles Fest miteinander feiern. Wir freuen uns auf die Gäste aus aller Welt, die zu uns reisen, auf die Teams, die zu uns nach Nord

rhein-Westfalen kommen, und auf die vielen tausend Fans, die in unseren Stadien und um sie herum die Fußball-WM live erleben wollen. Wir wollen und werden gute Gastgeber sein. Wir werden alle Chancen nutzen, die die WM bietet, um unser Land und seine Menschen zu präsentieren.

Meine Damen und Herren, es ist in dieser Debatte schon deutlich geworden: Wir werden uns dieses große Fest verschiedenster Kulturen weder durch hirnlose Hooligans noch durch Rassisten oder Ausländerfeinde verderben lassen – auch nicht durch Trittbrettfahrer, die die Popularität der Fußballweltmeisterschaft missbrauchen wollen.

(Allgemeiner Beifall)

Dabei geht es nicht nur und nicht in erster Linie um das Ansehen unseres Landes in der Welt; darum geht es natürlich auch. Es geht in allererster Linie um die angegriffenen und gedemütigten Menschen und um ihre Würde. Es hilft nicht, zu leugnen, dass wir hier ein leider wachsendes Problem haben. Wir müssen uns diesem Problem durch entschiedene parteiübergreifende Zivilcourage stellen.

Der Fußball selbst sieht heute anders aus als noch vor Jahrzehnten. Wäre es 1974 oder 1990 denkbar gewesen, lieber Kollege Müller, lieber Kollege Rasche, dass in der deutschen Mannschaft Gerald Asamoah, David Odonkor und Oliver Neuville zur Stammelf gehören? Polnische Zugewanderte hatten wir immer schon in der Mannschaft; deswegen fallen Lukas Podolski und Miroslav Klose vielleicht nicht so auf.

(Beifall von Hendrik Wüst [CDU])

Aber, meine Damen und Herren, das ist auch eine neue Qualität unserer Mannschaft. Deswegen sollte uns schon zu denken geben, dass begabte Jungspieler wie Nurin Sahin aus Dortmund lieber in der türkischen Nationalelf als in der deutschen spielen wollen.

Alle Mannschaften, auch die weniger berühmten und nicht nur die Favoriten, alle haben einen Anspruch darauf, dass wir sie freundlich empfangen und unterstützen. Wenn man bedenkt, welche Weltfußballmannschaften nicht dabei sind, weil sie die Qualifikation nicht überstanden haben – wenn ich an den amtierenden Europameister Griechenland, an die Türkei oder an den mehrfachen Weltmeister Uruguay denke –, wird deutlich: Alle Teams, die es bis in die Endrunde geschafft haben, haben schon eine enorme Leistung vorgelegt. Deswegen werden alle 16 Spiele in Nordrhein-Westfalen hoffentlich fröhliche Fußballfeste werden. Wir werden diese Feste feiern, wie sie

fallen – egal, ob Deutschland gegen Polen, die Schweiz gegen Togo oder Angola gegen seine frühere Kolonialmacht Portugal spielt.

Lieber Kollege Wolf, lieber Herr Innenminister, ich empfinde es als einen nicht besonders gelungenen Stil, wenn ich das in zarter Zurückhaltung sagen darf, dass sich die Regierung mit ihrer Unterrichtung auf eine Initiative des gesamten Parlamentes draufsetzt. Wir Grüne hatten unseren Antrag schon vor zwei Monaten eingebracht, waren dann aber gern bereit, auf die übrigen drei Fraktionen zu warten, um gerade heute, am Tag des Parlamentarischen Abends zur Fußballweltmeisterschaft, einen gemeinsamen Antrag einzubringen und zu beschließen. Dann wurde endlich auch die Regierung wach, und es fiel ihr ein, dass es etwas zu unterrichten gäbe.

Was Sie dem Hohen Haus eben mitgeteilt haben, lieber Herr Wolf und auch Herr Palmen, der immer noch gerne an seine früheren Zeiten erinnert, als er von seinem Abgeordnetenplatz unten die Zwischenrufe gemacht hat, die immer einen hohen Unterhaltungswert hatten – großes Kompliment –,

(Parl. Staatssekretär Manfred Palmen: Dan- ke schön!)

hat ungefähr den Neuigkeitswert einer Wegbeschreibung, wenn man am Ziel angelangt ist.

(Lachen von GRÜNEN und SPD)

Das ist ja auch kein Wunder; denn nachdem die Entscheidung der Fifa für Deutschland kurz nach der vorletzten Landtagswahl gefallen war, haben wir sofort mit den Vorbereitungen begonnen. Wir haben das „NRW-Team Fußballweltmeisterschaft 2006“ mit Arbeitsgruppen der zuständigen Ressorts zu den Komplexen Sicherheit, Infrastruktur, Rahmenprogramm und Tourismus gebildet. Gemeinsam mit den ausrichtenden Städten, den Vereinen, den Stadien, den Sportverbänden und den Ehrenamtlichen arbeiten wir gemeinsam seit fünf Jahren daran, diese WM zu einem weltweit strahlenden Aushängeschild unseres Landes zu machen.

Deshalb danke ich allen, die sich hierbei engagiert haben, und ganz besonders auch Ihren Mitarbeitern, Herr Wolf, die wirklich eine großartige Arbeit geleistet haben.

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren, machen wir uns klar: Ein solches Mega-Ereignis kann und wird nicht ohne Fehler und Pannen ablaufen. Dazu ist schon einiges gesagt worden. Aber bei allem, was diskussionswürdig ist, wie zum Beispiel die umstrit

tene Regelung beim Ticketverkauf, die Sicherheitsproblematik oder auch die negativen Begleiterscheinungen wie Zwangsprostitution oder Rassismus, freuen wir uns auf die Spiele und auf das Begleitprogramm. Wir heißen alle im Sport- und Fußballland Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen.

Wir freuen uns, dass es gelungen ist, nun wirklich in fast jeder größeren Stadt Nordrhein-Westfalens öffentliche Angebote durchzusetzen – Stichwort: Public Viewing –, die Weltmeisterschaft gemeinschaftlich zu erleben nach dem Motto: Weg vom heimischen Fernseher, hin zum Gemeinschaftserlebnis vor Großbildleinwänden.

Ein wenig zu kurz kommt mir in dieser Debatte des Pudels Kern, nämlich der Fußball. Fußball ist, wie Giovanni Trappatoni einmal treffend sagte, „Ding, Dang, Dong – nicht nur Ding.“ Wir hoffen – ich glaube, wir hoffen das alle –, dass wir auf dem grünen Rasen möglichst viel Dang und Dong erleben und nicht nur phantasieloses horizontales Ding. Jeden Tag, jede Stunde, wo die Weltmeisterschaft näher rückt, erleben wir mehr gespannte Begeisterung für dieses Ereignis. Sie ergreift zunehmend auch Leute, die noch nie ein Fußballstadion von innen erlebt haben.

Woher kommt diese Begeisterung, meine Damen und Herren? Warum spüren wir sie so selten hier bei uns im Landtag oder auch im Bundestag, wenn wir wechselseitig versuchen, den politischen Ball möglichst elegant im Tor der anderen zu versenken? Warum ist es so schwer, die Faszination des Fußballs bei uns im Landtag zu erzeugen? – Dafür gibt es natürlich eine Reihe von Gründen.

Erstens. Man weiß beim Fußball nie, wie es ausgeht, hier im Landtag aber eigentlich immer. Die Mehrheit stimmt, wie sie will, und sie hat die Mehrheit. Die Minderheit kann sich einen Wolf argumentieren, bleibt aber Minderheit. Beim Fußball dagegen kann selbst der 1. FC Köln mal gegen Bayern München gewinnen.

(Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers: Zu selten!)

Zu selten, da sind wir uns völlig einig, lieber Herr Ministerpräsident.

Zweitens. Ein Spiel dauert 90, vielleicht 94 Minuten. Das Plenum dauert jetzt aber schon ungefähr 123 Minuten und am Ende des Tages wird es fast 500 Minuten gedauert haben.

Drittens. Beim Fußball darf man den Schiedsrichter bekanntlich – das macht ja auch die Würze aus – lauthals kritisieren oder zum Teufel wünschen. Bei uns sitzt er auf der Höhe des Balles,

nämlich genau hinter dem ballführenden Spieler, und darf gerade nicht kritisiert werden. Auf dem Platz trifft der Schiedsrichter Tatsachenentscheidungen, die bombensicher stehen, im Landtag gilt hingegen der Video- bzw. der Protokollbeweis. Auch wenn ein Foul nicht sofort bemerkt und geahndet wurde, kann bei uns der Schiri die gelbe Karte noch Stunden später zücken. Platzverweise sind allerdings äußerst selten.

Fußball beruht auf dem Prinzip Hoffnung. Genau das macht den Fußball so unvergleichlich spannend, und zwar auf Dauer. Warum gehen die Leute ins Stadion? – Sie gehen dorthin, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht.

Unser Leben wird sich vom 9. Juni bis zum 9. Juli stark verändern. Termine werden zu kuriosen Zeiten stattfinden, um nicht mit Fußballspielen zu kollidieren. Einladungen werden den dezenten Hinweis enthalten, ein Fernseher stehe selbstverständlich zur Verfügung.