Protokoll der Sitzung vom 01.06.2006

Konzeptionen auf Grundlage künftiger Rahmenbedingungen, die der Antrag der SPD-Fraktion mit vagem Hinweis auf etwaige Änderungen anderer Bundesgesetze umreißt, werden öffentlich vorge

stellt, wenn diese Änderungen Fakt geworden sind – aber erst dann, wenn sie Fakt geworden sind; denn ich lasse mich nicht auf irgendwelche Spekulationen ein und will nicht irgendwelchen Gerüchten Vorschub leisten. Ich werde mich auch nicht daran beteiligen, die Nahverkehrsteilnehmer in Nordrhein-Westfalen an jeder sich bietenden Stelle zu verunsichern.

Drittens. Einer an die Landesregierung gerichteten Aufforderung, im Herbst einen SPNV-Finanzierungsplan vorzulegen, bedarf es nun wirklich nicht. Wenn Sie sich nur ein bisschen in der Materie auskennen würden, wüssten Sie, dass die Landesregierung in § 11 ÖPNV-Gesetz Nordrhein-Westfalen verpflichtet ist, einen solchen Bericht zu geben.

(Bodo Wißen [SPD]: Dann wird es einmal Zeit!)

Die geforderte Darstellung unterschiedlicher Szenarien sieht das Gesetz im Übrigen nicht vor – zu Recht, wie ich finde. Der SPNV-Finanzierungsplan ist nämlich entgegen seiner Bezeichnung kein Planungsinstrument, sondern dient der Ausweisung der Finanzmittel, die das Land den Zweckverbänden zur Finanzierung der SPNVBetriebskosten zur Verfügung stellt.

(Zuruf von der SPD: Lesen kann ich auch!)

Der Finanzierungsplan ist damit szenarischen Betrachtungen unzugänglich, auch wenn Ihnen das nicht schmecken mag. Aber so ist es im Gesetz nun einmal festgelegt.

Viertens. Das künftige, diesem Finanzierungsrahmen unterliegende ÖPNV-Grundangebot wird sich, soweit es den SPNV betrifft, aus diesem Finanzierungsplan ergeben. Die Bekanntgabe etwaiger verzichtbarer SPNV-Leistungen wird selbstverständlich nicht vorher erfolgen, da, wie ich gerade schon einmal dargelegt habe, eine vorzeitige öffentliche Diskussion den anstehenden Verhandlungen mit der Bundesseite nun wirklich abträglich ist. Sie können nicht allen Ernstes von uns verlangen, dass wir mitten in den Verhandlungen mit dem Bund die Hosen herunterlassen

(Bodo Wißen [SPD]: Bitte nicht!)

und sagen: Da können wir kürzen, da streichen wir eine Linie, da machen wir etwas. – Auf eine solche Debatte werden wir uns nicht einlassen.

Lassen Sie mich abschließend zwei Bemerkungen zum Eilantrag der Bündnisgrünen machen. Erstens. Herr Kollege Keymis, dass Sie sich mit der Materie nicht auseinander gesetzt und den Antrag mit heißer Nadel gestrickt haben, kann man schon daran sehen, dass Sie den Bundes

haushalt 2006 zur Grundlage Ihres Antrags gemacht haben. Die Sachverhalte, über die wir hier reden, sind aber im Haushaltsbegleitgesetz 2006 geregelt. Darum gilt der alte Spruch: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil.

(Beifall von der CDU)

Ein Blick in die Vorlagen hätte das vereinfacht und es Ihnen ermöglicht, einen Antrag mit Substanz zu stellen, statt eine Show zu veranstalten, wie Sie es hier getan haben.

(Beifall von der CDU)

Zweitens. Herr Kollege Keymis, Sie haben sich hierhin gestellt und groß getönt: Wir haben uns in der Vergangenheit immer sauber verhalten. Die neue Landesregierung bringt sich in Argumentationsnöte. – Das Gegenteil ist der Fall, und zwar sowohl auf die neue als auch auf die alte Landesregierung bezogen.

Erstens haben wir nicht einfach §-45a-Mittel durch Regionalisierungsmittel gedeckt. Wir haben sie nicht ersetzt, sondern wir haben schlicht dafür gesorgt, dass Vorhaltekosten künftig in einem größeren Umfang anerkannt werden. Das ist rechtlich nicht nur unverdächtig, sondern sogar einwandfrei und sauber.

Aber das, was Sie im Doppelhaushalt 2004/2005 gemacht haben, wird uns von dem, der es weiß, nämlich von dem beamteten Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, jetzt vorgehalten. Sie haben damals im Doppelhaushalt 2004/2005 20 Millionen € direkt aus den Regionalisierungsmitteln genommen und damit die Schülerbeförderungskosten in Nordrhein-Westfalen bezahlt. Da haben wir uns in Nordrhein-Westfalen falsch verhalten. Das wird mir jetzt vorgehalten. Nur, ich trage dafür nicht die Verantwortung, sondern der Verkehrsminister a. D., der gleich nach mir reden wird, trägt die Verantwortung dafür. Aber ich kann mich jetzt in Berlin dafür rechtfertigen.

(Beifall von der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren, ich habe eine ganz große Bitte: Da wir uns im Ziel einig sind, lassen Sie uns im Landtag ein so wichtiges Thema nicht im parteipolitischen Gezänk und im Kleinklein zerreden, sondern lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, jeder an seiner Stelle – wir im Bundesrat und innerhalb der CDU- und der FDP-Bundestagsfraktion, Sie bitte bei Ihren Parteifreunden im Finanzministerium und im Bundesverkehrsministerium –, dass wir das Schlimmste, was NordrheinWestfalen passieren könnte, abwenden. Das Schlimmste wäre in der Tat, wenn das, was jetzt

vom Bundestag auf den Weg gebracht worden ist und worüber wir in den nächsten Tagen noch zu beraten haben werden, 1:1 umgesetzt würde. – Herzlichen Dank für Ihre Mithilfe. Ich hoffe, dass ich auf sie bauen kann.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Wittke. – Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Horstmann für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Wittke, ich will das, was Sie gerade vorgetragen haben, eine „Sandwichrede“ nennen. Sie beginnen mit einem Appell an die Gemeinsamkeit, und Sie enden mit einem Appell an die Gemeinsamkeit. Dazwischen steckt ein Wust von Beschimpfungen.

(Zuruf von der CDU: Fakten!)

Das nehme ich nicht übel und auch nicht persönlich. Jeder hat seinen Stil. Im Übrigen ist es in der Substanz Taktiererei. Ja, bei dem, was Sie machen, handelt es sich um Taktiererei.

(Zuruf von der CDU: Damit kennen Sie sich aus!)

Ich will Ihnen das an einem Beispiel deutlich machen. Sie werfen uns vor, mit unserem Antrag machten wir dem Bund das Angebot, Kürzungen vorzunehmen. Wir würden den Bund sozusagen darauf aufmerksam machen, dass Einsparungen möglich seien. – Herr Minister Wittke, Sie haben in Ihrer ersten Rede zum Thema „Kürzung der Regionalisierungsmittel“ bereits gesagt, dass im ÖPNV Einsparungen möglich seien und auch realisiert werden sollten.

(Beifall von der SPD)

Sie haben sogar Spuren gelegt, zeigen, wo diese Einsparungen Ihrer Meinung nach möglich seien. Die Opposition zum gemeinsamen Handeln aufzufordern und sie gleichzeitig für das zu beschimpfen, was Sie selbst zu verantworten haben, finde ich nicht ganz in Ordnung – wenn ich das einmal in aller Bescheidenheit sagen darf.

(Beifall von der SPD)

Zunächst möchte ich auf eines aufmerksam machen. Herr Minister Wittke – damit richte ich mich auch an die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen –, Sie müssen für sich eine Frage klären. Sie müssen für sich die Frage klären: Wollen Sie mehr und besseren öffentlichen Nahver

kehr in Nordrhein-Westfalen? Oder wollen Sie weniger?

(Zuruf von der CDU)

Diese Frage müssen Sie beantworten. Sie müssen, bevor wir über das Geld aus Berlin reden, eine Vorstellung davon haben, wie der Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen fortentwickelt werden soll.

(Zuruf von Bernhard Schemmer [CDU])

Herr Kollege Schemmer, auch Sie waren Ohrenzeuge und haben gehört, dass der Verkehrsminister des Landes gesagt hat, jetzt sei endlich Schluss mit der ÖPNV-Vorrangpolitik in Nordrhein-Westfalen. Das hat er in seiner „kleinen Regierungserklärung“ vor dem Ausschuss für Bauen und Verkehr des Landtags gesagt. Wenn er sich jetzt als Vorkämpfer für zumindest gleich bleibende, wenn nicht sogar höhere Zuschüsse für den Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen in den nächsten Jahren hinstellt, fragt sich doch der einigermaßen mit logischem Verstand ausgestattete Zuhörer: Was will er nun? Will er weniger ÖPNV, oder will er mehr ÖPNV?

Wenn man das geklärt hat und zu dem Schluss gekommen ist, dass man mehr und besseren ÖPNV will, kann man in Berlin glaubwürdiger auftreten. Dann hat das einiges mehr an Substanz. Das muss ich einmal sagen.

An einer Stelle bin ich etwas empfindlich – nicht nur persönlich, weil ich einmal Verkehrsminister war, sondern auch im Namen vieler Kolleginnen und Kollegen, die sich um den Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen bemüht haben, nicht alleine, sondern gemeinsam mit vielen Kommunalpolitikern –: In den letzten zehn Jahren, nachdem die Länder die Verantwortung für den Regionalverkehr übernommen haben, ist von allen Beteiligten wirklich Beträchtliches geleistet worden.

(Beifall von der SPD)

Herr Rasche, wenn Sie einfach von schlechter Nahverkehrspolitik sprechen – ich kann das ab –, müssen Sie doch einmal überlegen, was Sie damit öffentlich bewirken. Sie wissen doch: Wir haben heute im Schienenpersonennahverkehr in Nordrhein-Westfalen über ein Drittel mehr Angebot und über ein Drittel mehr Leistung.

(Beifall von der SPD)

Anfang der 90er-Jahre hätte niemand mehr einen Pfifferling auf den öffentlichen Nahverkehr gegeben – jedenfalls in der Fläche. Das waren die Zeiten, in denen Schienenstrecken abgebaut, Halte geschlossen und Bahnhöfe aufgegeben worden

sind. Jeder hat gesagt: Das ist der Siegeszug des Automobils; der ÖPNV hat keine Zukunft mehr. – So ist es doch gewesen. Das, was wir in den letzten zehn Jahren erreicht und erlebt haben, ist nicht mehr und nicht weniger als eine Renaissance des öffentlichen Nahverkehrs von Bus und Bahn in ganz Nordrhein-Westfalen – sogar in der Fläche –:

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

mit der Wiedereröffnung von Bahnstrecken, mit der Wiedereröffnung von Halten an diesen Bahnstrecken. Das kann man doch nicht einfach in dieser Form, wie Sie es getan haben, schlechtreden.

Auf eines bin ich stolz – lesen Sie einmal den Bericht der Verbraucherzentrale, der vor wenigen Tagen erschienen ist und eine Bilanz über die Entwicklung der Qualität im ÖPNV und die Zufriedenheit der Fahrgäste mit dem öffentlichen Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen, die manchmal im Argen gelegen hat, darstellt! –: Die von uns seinerzeit gestartete Qualitätsoffensive im Nahverkehr ist ein großer Erfolg gewesen, jedenfalls im Spiegel der Meinungen der Fahrgäste und der Schlichtungsstelle Nahverkehr, die uns eine entsprechende Veröffentlichung in die Fächer gelegt hat. Deswegen: Der Nahverkehr in NordrheinWestfalen ist eine Erfolgsgeschichte. Hören Sie auf, ihn schlechtzureden! Ich weiß nicht, warum Sie das tun.

(Beifall von der SPD)

Das, was aus Berlin kommt, ist eine ernste Gefährdung dessen, was wir haben.

(Beifall von der SPD)

Ja, das ist eine ernste Gefährdung. Ich habe damit, das festzustellen, Herr Kollege Keymis, überhaupt kein Problem. Ich will mich auch nicht herauswinden. Ich will auch nicht so tun wie Herr Wittke, als sei der sich mit seinem CDU-Kollegen in Berlin einig, während wir uns bei unseren nicht durchsetzen könnten. Nein, das ist ein Konflikt zwischen Land und Bund, den es oft gibt. Und bei einer solchen Konfliktlinie ist die entscheidende Frage für einen Landespolitiker doch ganz einfach zu beantworten.