Protokoll der Sitzung vom 22.06.2006

Sie setzen auch die mittlere Abschlussprüfung um, die wir unter Rot-Grün eingeführt haben. Auch das wird der Transparenz der Leistungen dienen. Und es wird ein positiver Wettbewerb sein, dem sich auch Rot und Grün niemals versagt haben.

Sie setzen ferner unsere Schulinspektionen fort, ebenfalls die Einrichtung einer Qualitätsagentur, die wir erfolgreich mit den Niederlanden umgesetzt haben. Auch das begrüßen wir natürlich, ganz klar.

Sie setzen sogar – jetzt staunen wir an der Stelle – die Einrichtung der offenen Ganztagsgrundschule fort, die Sie jahrelang als Verwahranstalt gegeißelt haben, unter Rot-Grün eingeführt!

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Aber was Sie dann gleichzeitig tun, meine Damen und Herren von der FDP – und der Ministerpräsident trägt seinen Teil der Verantwortung –: Sie schaffen es nicht, in Berlin bei der Föderalismusreform dafür zu sorgen, dass so großartige Kooperationsprojekte wie Ganztagsschulen von Bund und Land weiterhin gemeinsam durchgeführt werden können. Das müssen Sie sich zuschreiben lassen.

(Beifall von der SPD – Rainer Schmeltzer [SPD]: Weil Rüttgers in Berlin nichts zu sa- gen hat! – Gegenrufe von der CDU)

Aber alles andere, was in diesem Schulgesetz dann noch auftaucht, sind leere Worthülsen. Ich möchte das am Beispiel der Durchlässigkeit deutlich machen. Landauf, landab verkünden Sie, das System werde durchlässiger. Sie belügen die Menschen. Sie schotten das Gymnasium ab.

(Beifall von der SPD)

Das heißt weniger Durchlässigkeit, und das heißt weniger Bildungsbeteiligung. Das ist Gift für eine Gesellschaft, die sich Wissensgesellschaft nennen will.

Dabei beschaffen Sie sich noch schnell eine Umfrage zur zweiten Lesung, Frau Ministerin, die übrigens nur in der „Bild“-Zeitung zu lesen war. Ich konnte sie gestern nicht im Internet nachlesen. Das ist sehr, sehr traurig; nur die „Bild“-Zeitung bekommt sie. Da steht dann, dass 91 % der Menschen in Nordrhein-Westfalen es toll finden, dass die individuelle Förderung im Schulgesetz veran

kert wird. – Donnerwetter, sage ich, das ist wirklich eine tolle Fragestellung mit einer tollen Antwort!

(Rainer Schmeltzer [SPD]: „Bild“ war dabei!)

Und aus dieser Umfrage zitieren Sie auch nur das Positive, Frau Ministerin. „Schönsprech“ heißt das, glaube ich. Denn die Aufhebung der Schulbezirke, die Sie mal eben en passant für die Grundschulen machen, wird von den Menschen in Nordrhein-Westfalen abgelehnt.

(Beifall von der SPD)

Abgelehnt wird sie! Ich darf dazu einmal aus Ihrer durchgestylten Rede zitieren. Darin heißt es:

„Weil starre Grenzen den Leistungswillen erschlaffen lassen, brauchen wir den Wettbewerb. Dazu soll auch die Auflösung der Schulbezirksgrenzen dienen.“

Das haben Sie hier gestern gesagt. Wissen Sie eigentlich, dass unsere Grundschulen im internationalen Leistungsvergleich oben liegen? Und wissen Sie eigentlich, was Sie mit Ihrer Politik in den Grundschulen jetzt erreichen werden? Kopfnoten, Druck, Prognoseunterricht – die gesamte gute Grundschulpädagogik der letzten Jahre

(Lachen bei der CDU)

werden Sie damit zunichte machen. Bestreiten Sie, dass unsere Grundschulen erfolgreich waren in den internationalen Schulleistungsstudien? Bestreiten Sie das?

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Lebhafte Zurufe von Josef Hovenjürgen [CDU])

Dann müssen Sie einmal nachlesen! Dann haben Sie sich nicht richtig informiert. Das ist eine Unverschämtheit! Unsere Grundschulen sind sehr erfolgreich.

In Wahrheit geht es Ihnen nämlich nicht um mehr Durchlässigkeit; sonst hätten Sie dieses Schulgesetz nicht zugelassen. Sie tragen ab heute die Verantwortung für ein Schulgesetz, das für weniger Bildungsbeteiligung, für weniger Chancengleichheit und für weniger Durchlässigkeit sorgt.

(Beifall von Carina Gödecke [SPD])

Das ist ab heute Ihre Verantwortung. Herr Recker, dann werden sich Ihre Reden auch ändern. Wir warten einmal ab, wie sich das in der Praxis umsetzen wird. – Danke.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Schäfer. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Löhrmann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben gestern sehr ausführlich diskutiert. Uns geht es heute noch um etwas Weiterführendes.

Wir haben gestern festgestellt, dass über die Zielsetzung „mehr Leistung und Bildung von mehr Jugendlichen sowohl in der Breite wie auch in der Spitze“ kein Dissens in diesem Hause besteht, sondern dass wir uns im Wesentlichen über die Instrumente und über die Wege streiten. Wir haben außerdem gelernt, dass der Ministerpräsident höchstpersönlich voll und ganz hinter diesen Zielen steht.

Ich will Ihnen einmal sagen, was die Schülerinnen und Schüler, um die es ja geht – über deren Zukunft reden wir ja –, von diesem Gesetz halten. Sie haben das gestern so erklärt:

„Das neue Schulgesetz ist für die Landesschüler/innen/vertretung in NRW weder modern noch innovativ. …Barbara Sommer hat mit der Novelle ein weiteres Mal das Wohl der Kinder NRWs nicht im Blick.“

(Beifall von der SPD)

Und weiter heißt es:

„Insgesamt wird das neue Schulgesetz Chancengleichheit minimieren, soziale Unterschiede verstärken und Schuldemokratie in die Bedeutungslosigkeit schicken.“

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Christian Weisbrich [CDU]: Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben? – Gegenruf von der SPD: Sie nicht! – Weitere Zurufe)

„Die Novelle ist weder aus pädagogischer noch aus demokratischer oder aus schulpolitischer Sicht nachvollziehbar. Wir appellieren hiermit an die Landesregierung und das Ministerium für Schule und Weiterbildung, diesen zum Scheitern verurteilten Versuch, Schule zu reformieren, aufzugeben und zusammen mit den Schülerinnen und Schülern einen Neuanfang zu wagen.“

Das erwarten die Jugendlichen, die Schülerinnen und Schüler, von Ihnen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wenn Sie unterstellen, dass wir oder die SPD ihnen das aufgeschrieben haben, finde ich das sehr erbärmlich. Das möchte ich Ihnen ausdrücklich

sagen. Das haben wir gar nicht nötig, und das haben auch die Jugendlichen nicht nötig, dass man ihnen etwas aufschreibt, weil sie selber wissen, was für ihre Zukunft am besten ist.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Auch wir sind der Auffassung – das haben wir gestern ausführlich besprochen; das sage ich heute nur noch einmal kurz –, dass dieses Gesetz die Ziele einer besseren Bildung nicht erfüllen wird

(Widerspruch von der CDU)

und dass man mit den Rezepten der 50er-Jahre die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts – das impliziert: Bildung als soziale Frage – nicht erreichen wird.

Das wird auch nicht dazu führen, dass die Wirtschaft die Anforderungen, die sie an das Schulgesetz hat, erfüllt bekommt, weil dieses Gesetz vor diesem Hintergrund zukunftsfeindlich ist: aus Sicht der Kinder und ihrer Bildungschancen und aus Sicht der Wirtschaft, die im Innovationsprozess des globalen Wettbewerbs mithalten muss.

Deswegen fordern inzwischen auch Wirtschaftsexperten ein anderes System: Lothar Späth und Hans-Werner Sinn – um nur zwei zu nennen. Die Bertelsmann-Stiftung und viele andere Institute haben gesagt: Das geht so nicht weiter in Deutschland. Es geht um Deutschland und natürlich auch um Nordrhein-Westfalen. Die Grundprobleme sind in den Ländern die gleichen. Es gibt graduelle Unterschiede zwischen den Bundesländern; da hilft Ihnen Ihre fein ziselierte Argumentation nicht weiter.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist auch nicht im Interesse der Kommunen dieses Landes. Deswegen unternehmen wir heute einen letzten Versuch. Sie haben gestern die diesbezüglichen Anträge der SPD, die auf den Status quo zielen, abgelehnt. Das hat mich nicht weiter überrascht.

Aber wir legen Ihnen heute zur namentlichen Abstimmung einen Änderungsantrag vor, der im OTon dem Wunsch und Willen der kommunalen Spitzenverbände dieses Landes entspricht, und zwar auf Punkt und Komma. Das haben Ihnen die kommunalen Spitzenverbände als Kompromiss vorgelegt.

Sie sind das Parlament, und Sie haben darüber vor Ihrem Gewissen zu entscheiden.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Demonst- rativer Beifall von der CDU – Zuruf von Ralf Witzel [FDP] – Weitere Zurufe)

Auch Ihre Leute in den Kommunen wollen das so; das hat die Befragung des Städte- und Gemeindebundes gezeigt.