Protokoll der Sitzung vom 27.09.2006

Für uns ist ebenfalls sehr wichtig, dass durch diesen Feldversuch festgestellt werden kann, wie Gigaliner die Verkehrsabläufe auf Autobahnen und ausgesuchten Bundesstraßen beeinflussen.

Herr Abgeordneter Burkert, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen Keymis?

Nein, ich möchte erst zu Ende ausführen. Am Schluss kann er die Frage gerne stellen.

Es darf durch diese extrem langen Fahrzeuge zu keinen zusätzlichen Verkehrsbehinderungen des PKW-Verkehrs kommen. Die Ergebnisse und Erkenntnisse aus diesem Versuch, die landesübergreifend verglichen und ausgetauscht werden sollten, können dann erst zu einer Entscheidungsgrundlage führen, ob die Gigaliner auf nordrheinwestfälischen Straßen beziehungsweise deutschen Straßen fahren können und dürfen. Brückenlasten, Straßenquerschnitte, Unterbau der Straßen, Tonnagenbelastungen der Straßen, Stellplätze auf Rasthöfen, Rangiermöglichkeiten etc. und die Verkehrssicherheit stellen gegebene Grenzen dar. Alle diese Kriterien geben ebenfalls Erkenntnisse darüber, ob ein Einsatz von Gigalinern wirtschaftliche Vorteile oder Nachteile bringt.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, einfach von Monstern zu sprechen, ist nicht besonders innovativ. Prognostizierte Gehirnkrankheiten bei Eisenbahnfahrenden sind selbst bei Hochgeschwindigkeitszügen fast 170 Jahre später nicht eingetreten. Lassen Sie uns mit Gelassenheit und Objektivität den Versuch abwarten, ob der Gigaliner auf unseren Straßen heimisch wird oder nicht. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Burkert. – Jetzt hat für die SPDFraktion der Abgeordnete Wißen um das Wort gebeten.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Offensichtlich hat der Verkehrsminister dieses Landes eine neue Profilierungsspielwiese für sich entdeckt. Mit Ausnahmegenehmigungen versucht er, eine bundeseinheitliche Regelung für die sogenannten Gigaliner auszuhebeln. Aber für Ihre Profilierung gegenüber dem Bund ist dieses Thema viel zu ernst, Herr Minister.

(Minister Oliver Wittke ist im Gespräch mit Minister Armin Laschet vertieft.)

Er hört gar nicht zu. – Denn alle wissen, unsere Infrastruktur ist für Gigaliner nicht ausgelegt. 25 m lange und möglicherweise in einem späteren Schritt 60 t schwere Trucks sind einfach nicht für unsere Straßen, Bauwerke, Brückenbauwerke, Rastplätze, Parkplätze, Kreisverkehre, Innenstäd

te und Landstraßen geeignet. Sie gehören nicht in unsere Dörfer, sie gehören nicht in unsere Städte.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Aber sie gehören auch nicht auf unsere sowieso schon heillos verstopften Autobahnen.

(Beifall von der SPD)

Herr Minister, Sie sollten dazu beitragen, dass sich die Arbeitsbedingungen für die Truckerfahrer verbessern. Stattdessen sorgen Sie dafür, dass künftig mehr Berufskraftfahrer ihren Job verlieren werden. Da für den Transport weniger LKW benötigt werden, werden dementsprechend auch weniger Fahrer benötigt. Es lässt sich gut nachvollziehen, dass auch die persönliche Belastung der Fahrerinnen und Fahrer zunehmen wird, wenn möglicherweise künftig ein Umstieg von einem normalen LKW auf einen Gigaliner ansteht.

Für den Profit von einigen wenigen Fachspediteuren sollen wir alle bezahlen. Das scheint die wahre Verheißung Ihres „Privat vor Staat“-Gedankens zu sein. Das Gefährlichste an den Riesentrucks sind ihre Auswirkungen auf die anderen Verkehrsteilnehmer. Lieber Herr Kollege Burkert, da kann man doch nicht einfach einen so alten Vergleich heranziehen, was die Menschen gedacht haben, als die erste Eisenbahn ihren Betrieb aufgenommen hat. Das wird der Sache nicht gerecht.

Das Aus- und Einfädeln auf den Autobahnen wird zum Vabanquespiel. Überholvorgänge werden lebensgefährlich verlängert. Schließlich sind die Gigaliner bis zu 8 m länger als die bekannten LKWs. Wenn ein Gigaliner außer Kontrolle geraten sollte – das hat Kollege Keymis gerade an einem tragischen Beispiel erläutert –, werden die Folgen katastrophal sein. Zweiradfahrer, sowieso schon viel zu häufig Opfer von schweren Unfällen mit Lastkraftwagen, werden künftig noch länger im toten Winkel sein.

Sie, Herr Minister, sorgen mit der Zulassung von Gigalinern für eine enorme Zunahme der Gefahren im Straßenverkehr. Lassen Sie die Finger davon! Sorgen Sie für eine bessere Anbindung der verschiedenen Verkehrsträger! Sorgen Sie dafür, dass nicht mehr, sondern weniger Fracht auf unseren Straßen transportiert wird! – Danke.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wißen. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Rasche.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Eine der wesentlichen Aufgaben der nordrhein-westfälischen Verkehrspolitik ist eine angemessene und bedarfsgerechte Infrastruktur für die Bürgerinnen und Bürger, für die Wirtschaft und für den Mittelstand in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der FDP)

Alle Verkehrsträger müssen dazu beitragen, damit unsere Verkehrsinfrastruktur den Anforderungen der Zukunft entspricht.

(Beifall von der FDP)

Dazu gehört auch der Hauptverkehrsträger Straße.

Meine Damen und Herren, wir sollten einmal unseren Blick darauf richten, wie es auf der Straße aussieht. Die bereits bestehende Überlastung vieler Bundesfernstraßen wird in Zukunft zunehmen. Der Güterverkehr auf der Straße wird bereits im Jahre 2009 das im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung für 2015 prognostizierte Niveau erreichen. Die Investitionen des Bundes in das Straßennetz sind seit Jahren zu gering. Der Schienengüterverkehr allein wird nicht in der Lage sein, das Wachstum aufzufangen.

Deshalb dürfen wir uns neuen innovativen Konzepten und Transportsystemen, die einen Beitrag zur Entlastung im Straßengüterverkehr leisten können, nicht prinzipiell verschließen. Genau diesen Fehler begehen die Grünen und offenbaren damit einmal mehr ihre Innovations- und Technikfeindlichkeit.

(Rüdiger Sagel [GRÜNE]: Ach!)

Merkwürdig ist, dass Herr Wißen mit der SPD den gleichen Weg Richtung Innovations- und Technikfeindlichkeit geht – offensichtlich vordergründig mit dem Ziel, dem Minister mal eben eins auszuwischen. Dafür ist aber der Gütertransport in Nordrhein-Westfalen auf allen Verkehrsträgern und vor allem auf der Straße viel zu wichtig, als nur auf diese eine Gelegenheit, Herr Wißen, zu schauen.

Die FDP wird sich sachlich mit dem Thema auseinandersetzen. Natürlich sind mit den Gigalinern mit einer Länge von 25 m und einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 60 t Risiken verbunden.

Zu den Risiken: Wie sind die Auswirkungen auf den Zustand von Straßen und vor allem auf die Brückenbauwerke? Gibt es eine höhere Belastung oder gar eine Entlastung durch geringere Achslast? Kommt es zu unerwünschten Rückverlage

rungen von der Schiene auf die Straße? Wie gehen wir mit dem Thema Sicherheit um?

Kommen wir zu den Chancen! Der spezifische Kraftstoffverbrauch je Tonne sinkt um bis zu 15 %. Es kommt zu einer deutlichen Reduzierung der Transportkosten der Unternehmen. Weit geringere Schadstoffemissionen wirken sich positiv auf die Umwelt aus. Die Reduzierung von Fahrten sorgt für eine deutliche Entlastung auf unseren Straßen.

Meine Damen und Herren, in Schweden und Finnland kommen diese Fahrzeuge bereits seit längerer Zeit zum Einsatz. In den Niederlanden läuft seit zwei Jahren ein Praxistest, der zurzeit positiv bewertet wird.

Die Vorgehensweise der Grünen ist bezeichnend. Sobald es um das Thema Straße geht, verschließen sie Augen und Ohren, sagen Nein und lehnen sogar einen Modellversuch ab.

Meine Damen und Herren, dieser Modellversuch ist genau der richtige Weg, um die unbestreitbaren Vorteile sachlich gegen die Risiken abzuwägen. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat festgestellt, dass der Bund Modellversuche in Niedersachsen oder woanders nicht verbieten kann. Dieses Recht hat er nicht.

Vielleicht sollten wir die Überschrift des Antrags der Grünen ändern. Ersetzen wir die Überschrift „Monstertrucks als Risikofaktor auf den Straßen in NRW“ durch die Überschrift: Grüne als Risikofaktor für Verkehrsfluss, Wirtschaft und Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Rasche. – Für die Landesregierung hat Herr Minister Wittke das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Keymis, Herr Wißen, ich glaube, Ihre Wortbeiträge haben gezeigt, dass es in Wahrheit nicht um Monstertrucks, sondern um eine Geisterdebatte geht. Halloween ist nicht mehr weit. Vielleicht liegt es daran, dass Sie ganz knapp an der Wahrheit vorbei einen Popanz aufgebaut haben, über den niemand redet.

(Vorsitz: Vizepräsidentin Angela Freimuth)

Niemand spricht davon, in Nordrhein-Westfalen einen Modellversuch mit 60-t-LKWs zuzulassen. Niemand spricht davon, jede Straße oder jede Autobahn in Nordrhein-Westfalen für 25 m lange Sat

telzüge freizugeben. Niemand spricht davon, dass es hier grenzenlose Freiheit gibt. Vor allem spricht niemand davon, Herr Kollege Wißen, dass der LKW-Verkehr in Nordrhein-Westfalen zunehmen soll. Wir sind ganz im Gegenteil auf der Suche nach Wegen, wie wir das Anwachsen des Güterkraftverkehrs in Nordrhein-Westfalen – die Prognosen sagen aus, dass in den nächsten zehn Jahren 60 % mehr Güter über die Straße transportiert werden – einschränken und die Belastungen für die Autofahrerinnen und Autofahrer sowie die übrigen Verkehrsteilnehmer reduzieren können.

(Beifall von der CDU)

Fahrzeugkombinationen, die länger und schwerer sind, werden seit langem in Mitgliedstaaten der Europäischen Union, zum Beispiel in Skandinavien, problemlos genutzt.

(Bodo Wißen [SPD]: In Lappland!)

Da die dort gemachten Erfahrungen jedoch nicht vorbehaltlos auf das deutsche Straßennetz übertragbar sind, ist ein Versuch mit einer begrenzten Zahl von Fahrzeugen notwendig. Auf diese Idee sind im Übrigen bereits unsere Kolleginnen und Kollegen in den Niederlanden gekommen. Der dortige Versuch mit über 100 Fahrzeugkombinationen ist nach bisherigen Erkenntnissen positiv verlaufen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Probleme der bestehenden Straßen und Brückeninfrastruktur sind mir in diesem Zusammenhang durchaus bewusst. Daher steht die Anhebung des Gesamtgewichtes der Fahrzeuge auf die heute zitierten 60 Tonnen bei uns nicht zur Debatte. Es bleibt bei den bisher schon zulässigen 40 Tonnen bzw. 44 Tonnen im kombinierten Verkehr.

Der Versuch erstreckt sich lediglich auf die Erhöhung des Ladevolumens. Dies wird über eine Verlängerung der Züge auf maximal 25,25 m erfolgen. Die Fahrzeuge entsprechen dem durch die Europäische Union definierten modularen Nutzfahrzeugkonzept und sind wie auch die mit ihnen transportierten Ladungsträger bahngängig.

Da sich die Zahl der Achsen bei diesen Zügen von bisher fünf auf sieben bis acht erhöht, ist tendenziell eher von einer Verringerung statt von einer Erhöhung der Straßenbeanspruchung auszugehen.

(Bodo Wißen [SPD]: Nicht bei dem Gesamt- gewicht!)