Warten Sie doch mal ab, Herr Hovenjürgen. Wenn man sich dann die Mühe macht, sich einzelne Schulen anzusehen, dann findet man beispielsweise bei einer Hauptschule in meinem Wahlkreis nur noch eine zusätzliche Stelle. Diese Schule hat einen Migrantenanteil von 72 % und liegt durchaus in dem, was man so schön „belastetes Umfeld“ nennt. Das ist wiederum ein sehr mickriger Gartenschlauch, Herr Witzel.
Jetzt ist eine zusätzliche Lehrerstelle für diese Schule sicherlich besser als keine. Das ist überhaupt keine Frage. Aber so beeindruckend diese Zahlen in der Gesamtheit waren – wenn man sie sich konkret auf die Schule bezogen ansieht, dann sind sie jedenfalls nicht mehr so beeindruckend. Ich denke, wir müssen alle mutiger sein und spürbar mehr Lehrerstellen und Sachmittel über den Sozialindex, den ich – wie gesagt – richtig finde, bedarfsgerecht verteilen.
Zweitens. Wir brauchen einen transparenten Kriterienkatalog. Es muss offengelegt werden und nachvollziehbar sein, welche Kriterien mit welcher Gewichtung zu welchen Ergebnissen führen.
Drittens. Wir brauchen eine ehrliche politische Aussage, was mit den Mitteln und Stellen politisch wirklich bezweckt wird. Denn Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie mit den Stellen wollen. Geht es um die Vermeidung von Unterrichtsausfall, um Vertretungsaufgaben, um mehr individuelle Förderung oder um den Ausgleich sozialer Benachteiligung? Da müssen Sie schon irgendwie entscheiden. Dieser Katalog erinnert mich jedenfalls an die eierlegende Wollmilchsau, und das gibt es in der Praxis leider nicht.
Viertens. Wir brauchen eine schulscharfe Zuweisung der Stellen und der Mittel, damit sie treffsicher und zielgenau dort ankommen, wo sie gebraucht werden, nämlich an den benachteiligten Schulen.
Ich möchte zum Abschluss meine Zweifel an der jetzigen Praxis dieser Zuweisung äußern, und ich bringe dafür drei Beispiele.
An mehreren Hauptschulen wurden Stellen aus dem Sozialindex mit Überbesetzungen an der Schule verrechnet. Unter dem Strich hat sich für die betroffene Schule also nichts verbessert. Sie haben eine Stelle aus dem Sozialindex bekommen, aber gleichzeitig wurde die Überbesetzung an der Hauptschule abgebaut. Im Ergebnis haben wir jetzt nicht mehr Zeit für bessere Förderung
durch mehr Lehrer, sondern es ist im Endeffekt gleich geblieben. Ich halte das nicht unbedingt für zielgerichtet, wenn Sie die Hauptschulen besserstellen oder besser fördern wollen.
Das gleiche Prinzip gilt offenbar beim Programm „Geld statt Stellen“, wo Ersatzeinstellungen für erkrankte Lehrkräfte mit dem Argument abgelehnt worden sind, die Schule habe ja eine Stelle aus dem Sozialindex erhalten und sei insofern schon bessergestellt. Auch hier ist als Ergebnis keine Verbesserung für die konkrete Schule.
Jetzt kommt das, was ich persönlich am allerschlimmsten finde. Die Bildung kleinerer Klassen durch zusätzliche Lehrkräfte über den Sozialindex ist durch das Ministerium ausgeschlossen worden, fehlt den Schulen also von Beginn an als Instrument zu einer besseren individuellen Förderung besonders benachteiligter Schüler.
Ich finde, das ist ein Problem. Ich hoffe, dass die Landesregierung – die Frau Ministerin wird gleich reden – zumindest an diesen drei Punkten schleunigst nachbessert. Es gibt also eine Menge zu tun. Für oberflächliche Anträge und reine Jubelanträge wie den vorliegenden Antrag gibt es dagegen keinen Anlass. – Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Link. – Jetzt hat für die Grünen Frau Abgeordnete Beer das Wort. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Sommer, ich möchte mich gleich zu Anfang an Sie wenden. Sie wissen, wir können harte und konsequente Kritik austeilen, aber wir können auch loben, wenn es ansteht.
Wir werden Sie an der Stelle unterstützen, wo es nach unserer Einschätzung von Ihnen den richtigen Ansatz gegeben hat. Wir erkennen eine solche Arbeit an. Ich sage deshalb ganz deutlich: Frau Ministerin, es ist gut, was Sie sich mit dem grundsätzlichen Vorhaben, zusätzliche Stellen nach Sozialindex in die Schulen zu geben, vorgenommen haben. Das ist bildungspolitisch an der Zeit, es ist richtig und wichtig, und wir werden Sie bei diesem Vorhaben unterstützen.
Sie haben schon mit Runderlass vom 29. Juni 2006 Bezug nehmend auf den Runderlass vom 13. Juni 2006 für die Grund- und Hauptschulen die Verteilung der Stellen nach Sozialindex konkretisiert. Die Presse hat dazu schon berichtet.
Das Lob gehört hier der Ministerin, nicht den Fraktionen. Ich finde es eher ein bisschen amüsant, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, dass Sie vier Monate später diesen Antrag heute vorlegen.
Haben Sie gemerkt, dass Sie irgendetwas verpasst haben, was hier noch nicht thematisiert worden ist? Da war Ihre Ministerin eindeutig schneller und gut.
Auch wenn Herr Hollstein heute sehr einladend gesprochen hat, will ich die Gelegenheit doch nutzen, nicht nur das Vorhaben, sondern jetzt schon die Ausführung etwas näher zu beleuchten.
Da ist es bedauerlicherweise schon wieder vorbei mit dem zu verteilenden Lob. Denn die Bilanz der Umsetzung der Koalition der Fehlsteuerung sieht wie folgt aus – ich will es mal in drei Punkten konkretisieren –:
Erstens. Sie gehen mit dem Instrument inkonsequent um. Sie nehmen die Stellen, die Sie den Grundschulen gerade über den Sozialindex zugewiesen haben, zum Teil wieder für andere Aufgaben weg.
Machen wir uns einmal klar, was Sozialindex übersetzt heißt: Die Kinder, die diese Schule besuchen, wohnen in Stadtquartieren mit einer besonders hohen Arbeitlosen- und Sozialhilfequote, mit einer hohen Zahl von Zuwandererfamilien – dabei sind die Eingebürgerten in der Statistik gar nicht erfasst, sodass man sie eigentlich dazurechnen müsste –, und sie wohnen vorwiegend in größeren Mehrfamilienwohneinheiten.
Das sind die Zuweisungskriterien, und ich erinnere an dieser Stelle an die Debatte um die Unterschicht, an die neu bewusst gewordene Armut in nicht mehr wegzudiskutierendem Ausmaß. Die Schulen mit Kindern in diesen Lebenslagen brauchen die zusätzlichen Stellen in der Tat, um ihre Schülerinnen und Schüler zu mehr Bildungserfolg führen zu können. Sie müssen anders arbeiten können als die Schulen, die quasi nur das kulturelle Kapital der Familie verwalten müssen, das die Kinder aus ihren Familien mitbringen und wo Bildungserfolg vorgezeichnet ist.
Die Stellen, die Sie den Schulen gerade gegeben haben und die die Kinder dringend brauchen, belegen Sie schon wieder mit Aufgaben abseits der Schule. Genau diese Lehrkräfte werden abgezogen, um die Sprachstandserhebungen in Kitas durchzuführen. Da wird den Kindern, die massiv von materieller Armut und Bildungsarmut bedroht sind, die gerade gewährte zusätzliche Unterstützung teilweise wieder entzogen.
Ich denke, Sie stehen in Kontakt zu Herrn Bos, der in Hamburg das Instrument KESS 4 entwickelt hat. Er hat deutlich belegt, dass 70 % der Leistung gerade vom Sozialindex abhängig sind und dass da ein sehr enger Zusammenhang besteht. Insofern kann man doch nicht die Ressourcen, die man gerade an einer Stelle richtig platziert hat, nicht sofort wieder für andere Aufgaben verfrühstücken. Sie werden vielmehr voll und ganz gebraucht.
Warum Sie das machen, ist mir klar: Beim Finanzminister gab es nicht mehr zu holen. Das ist für Bildungsleute immer schwierig; das muss man sehr deutlich sagen. An dieser Stelle ist schon ein großes Stück gelungen, aber offensichtlich nicht genug.
Noch etwas anderes ist deutlich geworden: Die Gespräche mit kommunalen Spitzenverbänden und freien Trägern sind anstrengend. Da laufen bei Ihnen im Augenblick noch einige Auseinandersetzungen, und es besteht auch noch erheblicher Gesprächsbedarf auf einigen Feldern. Hier denke ich an die Debatte um die Lernmittelfreiheit, bei der sich der Staatssekretär ständig in die Nesseln setzt.
Auf die Lehrkräfte haben Sie allerdings direkten Zugriff. Die schicken Sie jetzt auf Stippvisite in die Kitas, anstatt mit den Trägern und den Fachkräften in den Kitas ein fundiertes Verfahren zu entwickeln und die Zuständigkeiten dort zu belassen, wo die Förderung stattfinden soll. Das würde aber ein grundsätzlich anderes Umgehen mit den Trägern und beispielsweise auch den kommunalen Spitzenverbänden erfordern.
Ferner gibt es hinsichtlich der bisherigen Form der Umsetzung der Sprachstandserhebung immer noch Klärungsbedarf, gerade was die Sprachstandserhebungen angeht. Also werden die Sozialindexstellen einfach an dieser Stelle mit verfrühstückt, anstatt sie uneingeschränkt in den Schulen zu belassen, wo sie dringend benötigt werden.
Vertretbar, Frau Sommer, haben Sie das im Rahmen meiner Anfrage im Schulausschuss genannt. Ich meine, „vertretbar“ ist ein Wort, das Sie als politisch verantwortliche Ministerin vermeiden sollten. In diesem Zusammenhang verweise ich erneut auf die katastrophalen Kürzungspläne in Sachen Weiterbildungsmittel. Auch diese haben sie „vertretbar“ genannt. Ich glaube, das ist ein Wort, das in der momentanen Debatte nicht hilfreich ist.
Ich mache Ihnen zweitens den Vorwurf, dass Sie die Stellen ungerecht verteilen. Wenn Sie gerade den Schulen helfen wollen, die sich der Schülerinnen und Schülern aus prekären sozialen Lagen annehmen und von vielen Kindern aus Zuwandererfamilien mit hohen Förderbedarfen besucht werden, dann dürfen Sie die Stellenzuweisungen nicht auf Grund- und Hauptschulen verengen. Wo bleiben denn die Förderschulen, und wo bleiben wieder einmal die Gesamtschulen in Ihrem Konzept? – Im ersten Fall haben Sie sie schlicht vergessen, im zweiten Fall ideologisch ausgeblendet.
Warum benachteiligen Sie eigentlich systematisch die Gesamtschulen bei der Zumessung von zusätzlichen Stellen, wie wir es auch schon in Bezug auf die Stellen für die Vertretungsreserve für verschiedene Schulformen feststellen mussten? – Wenn Sie die Stellen nach Sozialindex zumessen, dann gehören sie an alle Schulen und Schulformen. Sie gehören also auch an Realschulen und in angemessenem Umfang an Gymnasien, abhängig davon, wie diese Schülerinnen und Schüler in schwierigen Lernausgangslagen aufnehmen.
Schließlich – und das halte ich Ihnen als dritten Punkt vor – bleibt das Konzept unverbunden. Die Schülerinnen und Schüler brauchen ein Unterstützungssystem inklusive einer intensiven Eltern- und Familienbildung sowie Elternarbeit, das systematisch aufgebaut werden muss, das sozialräumlich verankert ist und von der Kita über die Grundschule bis hin zur Sekundarstufe I geführt wird.
Durch die Aushebelung der Grundschulbezirke entziehen Sie einem solchen sozialräumlichen Unterstützungsnetzwerk den Boden und gehen ganz bewusst die Gefahr ein, dass sich die Schichten dieser Gesellschaft in den Schulen noch stärker abbilden.
Der ruinöse Existenzwettbewerb, den Sie den Schulen verordnen, getrieben von einem kleinen Stoßtrupp mit marktradikaler Ausrichtung,