Protokoll der Sitzung vom 16.11.2006

Wir werden heute eine ehrliche Ablehnung zu diesem Gesetz abgeben, wenn Sie die Zeit der Besinnung nicht genutzt haben. Aber Kollege Lienenkämper hat eben schon sinngemäß gesagt: Besinnung hat hierzu nicht stattgefunden. Von daher gibt es eine klare Ablehnung mit all den Gründe, die unserem Entschließungsantrag und vielen Wortbeiträgen zu entnehmen sind.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Abgeordnete Steffens das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vertreter der Koalitionsfraktionen sind seit gestern noch einmal inständig von den Kirchen, in den letzten Tagen von den Gewerkschaften und von den gestrigen Protestaktionen draußen vor dem Landtag aufgefordert worden, im Detail über die Ladenöffnungszeiten nachzudenken und vielleicht doch an der einen oder anderen Stelle wenigstens ein Stück weit nachzubessern, wenn Sie schon nicht zur kompletten Umkehr kommen.

Aber wie wir gerade gehört haben, gibt es überhaupt keine Auseinandersetzung von Ihrer Seite mehr mit dem, was gesagt und an Argumenten vorgebracht worden ist, also keinerlei Veränderung Ihrer Position. Das heißt für mich, Sie müssen sich dem, was Sie heute beschließen werden, stellen und die Verantwortung dafür übernehmen.

Sie müssen die Verantwortung dafür übernehmen, was die Einzelunternehmer in der Anhörung gesagt haben, dass die kleinen, die inhabergeführten Unternehmen keine Perspektive mehr haben und von den großen Unternehmen verdrängt werden. Das sind dann nicht die Insolvenzen der kleinen Unternehmen, sondern Ihre Insolvenzen, meine Damen und Herren von der CDU.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie müssen die Verantwortung dafür übernehmen, dass es durch diese Reform keinen volkswirtschaftlichen Gewinn, sondern nur eine Umverteilung zwischen den jetzt bestehenden Unternehmen gibt, dass Qualität vom Markt verdrängt wird und die großen Ketten übrig bleiben.

Sie werden die Verantwortung dafür übernehmen müssen, dass weniger Zeit für Familie und für soziale Kontakte bleibt. Sie können nicht auf der einen Seite sagen, die Familien vernachlässigen die Erziehung und kümmern sich nicht um die Kinder, und andererseits verlangen, die Familien sollen hinter der Ladentheke stehen oder shoppen gehen.

Auch bezüglich der Diskussion um Ehrenamt und Pflege werden Sie die Verantwortung übernehmen müssen. Heucheln Sie dann nicht wieder, im Ehrenamt müssten sich mehr Leute engagieren, wenn Sie gleichzeitig den Raum dafür immer mehr verengen.

Sie müssen die Verantwortung für die Kosten übernehmen, die in den Kommunen entstehen werden. Denn die Kommunen werden den ÖPNV ausbauen, sie werden die Infrastruktur vorhalten müssen, damit die Geschäfte öffnen können. Die Finanzmittel, die in den Kommunen eingesetzt werden, werden an anderer Stelle gekürzt werden. Jede Kürzung, die wegen des Ausbaus der Infrastruktur, wegen Ihres Ladenöffnungsgesetzes vollzogen wird, ist eine Kürzung, die Sie zu verantworten haben und für die Sie in Zukunft einstehen müssen.

Sie als CDU-Abgeordnete werden die Verantwortung dafür übernehmen müssen, dass sie den Kirchen immer mehr Raum wegnehmen und dem Sonntag nicht seinen Raum lassen. Die Menschen müssen vielmehr perspektivisch samstags bis in den Sonntag hinein arbeiten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Da Sie von der CDU Ihren Redebeitrag damit begonnen haben, was sie am meisten bei Herrn Schmeltzer beeindruckt hat, möchte ich meinen damit schließen, was mich am meisten bei Ihnen beeindruckt hat. Am meisten hat mich beeindruckt, mit welcher Arroganz und mit welcher geringen Auseinandersetzungsfähigkeit sich die CDU gegenüber den Argumenten der Kirche verhalten

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

und all das, was an Argumenten gekommen ist, vom Tisch gewischt hat. Das hat mich gewundert,

wie Sie mit Ihren Menschen, für die Sie mit Ihrem „C“ im Namen meinen, Politik zu machen, umgehen. Sie haben die Politik für die Christen in diesem Land aufgegeben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Rudolf Henke [CDU]: Das ist die Unwahrheit!)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Steffens. – Für die Fraktion der FDP hat der Abgeordnete Brockes das Wort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Steffens, es ist schon bemerkenswert, mit welcher Arroganz Sie meinen, über die anderen Parteien urteilen zu müssen. Scheinbar haben Sie die Entwicklungen der letzten Wochen verschlafen.

Wir erleben heute einen Meilenstein der Liberalisierung auf der Grundlage christlicher Wert.

(Heiterkeit von der SPD)

6 mal 24 ist die Regelung, die wir heute treffen, und der Sonntag bleibt geschützt. Genau das – ich habe es gestern schon gesagt – steht auch in der Bibel: Gott selbst ruhte am siebten Tag nach sechs Schöpfungstagen, segnete den Ruhetag und heiligte ihn.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: In der Bibel steht auch: „Du sollst nicht lügen“!)

Genau auf dieser Grundlage beschließen wir heute das neue Ladenöffnungsgesetz. Wir geben den Menschen damit neue Freiheiten, die sie bisher leider nur aus dem Urlaub kannten. Ich bin mir sehr sicher, dass die Kunden, die Einzelhändler, die Arbeitnehmer und auch die Arbeitgeber sehr verantwortungsbewusst mit diesen neuen Freiheiten umgehen werden.

Meine Damen und Herren, es gab Kritikpunkte in der Anhörung, denen wir uns sehr offen gestellt haben. Deshalb haben wir einige Veränderungen an dem guten Gesetzentwurf vorgenommen, so dass dieser noch besser geworden ist.

Der Arbeitsschutz ist nach wie vor im Arbeitszeitgesetz geregelt. Was die Kritikpunkte zu den Sonntagen angeht, so haben wir gerade die Einwände der Kirchen und anderer Gruppierungen berücksichtigt.

Ich muss feststellen, der Widerstand gegen das neue Gesetz ist gebrochen. Selbst Verdi hat gestern lieber einen Betriebsausflug auf dem Rhein veranstaltet, statt eine Großdemonstration vor dem Landtag zu organisieren.

(Beifall von der FDP – Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie sind und bleiben ein Zyniker!)

Lassen Sie mich deshalb mit den Worten Fausts enden und sagen:

„Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehn! Indes ihr Komplimente drechselt, kann etwas Nützliches geschehn.“

In dem Sinne freue ich mich auf die Abstimmung. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man den Geräuschpegel im Saal hört, hat man den Eindruck, dass der Worte noch nicht genug gewechselt sind. Ich bitte Sie, der folgenden Rednerin wieder so konzentriert zuzuhören, wie wir das hier im Saal sonst gewohnt sind.

Für die Landesregierung spricht Ministerin Thoben.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn es der eine oder andere im Saal für völlig unverständlich hält: Ich komme selbst aus dem Einzelhandel. – Ich habe diese Debatte um eine gesetzliche Regelung seit ungefähr 40 Jahren verfolgt. Es gab immer wieder einmal eine Debatte, ob das geltende Recht vor Strukturwandel schützt. Manche haben sich Schutz davon versprochen.

Wenn man die Entwicklung des Einzelhandels in den letzten 40 Jahren verfolgt hat, weiß man, der Strukturwandel ist nicht darauf zurückzuführen – er ist auch nicht dadurch verhindert worden –, dass man den einzelnen Unternehmen nicht gestattet hat, die Öffnungszeiten zu wählen, von denen sie sich am ehesten eine gute Kundenfrequenz versprechen.

Frau Steffens, eines lasse ich mir nicht bieten, nämlich dass Sie reklamieren, mit Ihrer Sicht der Dinge für die Christen im Land zu sprechen.

(Beifall von CDU und FDP – Zurufe von den GRÜNEN)

Nein. Ich könnte jetzt sehr persönlich werden. Das lasse ich einmal weg.

(Zurufe)

Ich will Ihnen aber sagen, in welchen Punkten wir uns anders entschieden haben, als es uns die Zuschriften der Kirchen nahe gelegt haben. Die Kirchen wollten gern, dass wir gegenüber dem gel

tenden Ladenschlussgesetz eine weitere Verschärfung verabreden. Dies betraf Bahnhöfe, Flughäfen und die Frage des Sortiments. Die Kirchen wollten, dass wir auch die Möglichkeit einer Kommune abschaffen, bestimmte Stadtteile von der Inanspruchnahme der Sonntagsregelung auszuschließen und damit gleichzeitig eine Öffnungszeit für bestimmte Stadtteile vorzusehen. Wir haben versucht, den Kirchen zu erklären, warum wir eine solche Regelung rechtlich für unnötig halten: Die Kommunen sind imstande, diese Entscheidungen zu treffen.

Dann gab es die Frage, ob man durch die Möglichkeit, an Samstagen bis 24 Uhr zu öffnen, nicht dafür sorgt, dass Arbeitnehmer danach Aufräum-, Putzarbeiten oder was auch immer anfällt, erledigen. Den Kirchen war meiner Einschätzung nach nicht bewusst, dass das gültige Arbeitsschutzrecht das verbietet. Wenn ich Aufräum-, Sortier- und sonstige Arbeiten zu erledigen habe, dann müssen diese vor 24 Uhr erledigt sein. Das ist geltendes Recht.

Schließlich kam die Frage des Ehrenamts und der Pflege auf. Die Arbeitszeit des einzelnen Arbeitnehmers ändert sich nicht. Sie wird sich je nach Ort des Geschäfts und nach Art der Dinge, die dort angeboten werden, unterschiedlich verteilen.

Es gibt übrigens nicht wenige – gerade jüngere Familien –, die beklagen, dass die Öffnungszeiten zum Beispiel in eher kleineren Städten morgens so spät beginnen, dass ihnen ein Einkauf vor dem Weg zur Berufstätigkeit nicht möglich ist. Wir könnten uns vorstellen, dass sich daran etwas ändert, weil man künftig den jeweiligen Standortvorteil besser nutzen kann als heute.

(Beifall von CDU und FDP)

Lassen Sie mich eine letzte Anmerkung machen. Mich erreichen viele Zuschriften. Ich möchte eine Zuschrift erwähnen, die mich gestern aus der Stadt Werl erreicht hat.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Hat Herr Uhlen- berg Ihnen geschrieben?)

Nein, sondern einer, der einen Hofladen betreibt.

Wir haben den Hofläden eingeräumt, dass sie sonntags fünf Stunden öffnen dürfen. Wissen Sie, was er schreibt? Er schreibt: Die fünf Stunden reichen nicht.