Protokoll der Sitzung vom 24.01.2007

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Mancher der Berichterstatter meint, es wäre Zeit, dass die NRW-SPD wieder auf die politische Bühne käme. Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich:

„Die jüngste große Sozialdebatte fand ohne die NRW-SPD statt.“

So der Leitartikel einer Zeitung.

(Hannelore Kraft [SPD]: Welcher?)

Wohl wahr!

Auch ich sage: Natürlich braucht die Regierung eine Opposition. Das hält uns jung. Das hält uns frisch. Das hält uns kreativ. Ihren Genossinnen und Genossen haben Sie, Frau Kraft, in Ihrer Bochumer Rede versprochen: Ich sorge für kräftigen Wind! – Tun Sie das! Oppositionswind ist gut für die Landesregierung und gut für uns. Sie wissen ja: Flugzeuge und Segelschiffe nutzen die Gegenströmung, um vorwärts zu kommen. So wollen wir das auch machen: Wir werden die Segel so setzen, dass wir mit Ihrem Wind bei der Erneuerung unseres Landes noch besser voran kommen.

(Beifall von CDU und FDP)

Frau Kraft, nach Ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden erwartet natürlich alle Welt von Ihnen heute Morgen Attacken. Sollten Sie aber nun erwarten, dass wir uns mit jedem Ihrer Angriffe auseinandersetzen, hätten Sie sich kräftig geirrt. Wir lassen uns von Ihnen doch nicht die Agenda diktieren. Das wäre nicht nur taktisch falsch. Noch schlimmer: Es lohnte nicht einmal. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meiner Fraktion, die wache Menschen sind, haben mir die ganze Zeit über Zettel hereingereicht, auf denen zu allem, was Sie uns vorwerfen, ein Zitat steht, das ich verwenden könnte.

Ein Zitat will ich repräsentativ auswählen. Es ist die Antwort auf eine Anfrage, die der Kollege Lindner in der letzten Legislaturperiode zum Thema Kind und Kindergarten gestellt hatte. Die Landesregierung – damals hatten Sie die Mehrheit – antwortete, eine Beitragsfreistellung im letzten Kindergartenjahr widerspräche dem Auftrag des Landtags, im Rahmen der Neuordnung des Elternbeitragssystems sicherzustellen, dass das Beitragsaufkommen auf dem am 1. August 2000 erreichten Niveau konstant gehalten wird.

(Gisela Walsken [SPD]: Was? Noch einmal! Erklären Sie das noch einmal!)

In diesem verquasten Deutsch haben Sie damals mit den Menschen kommuniziert. Es heißt: Es gibt keine Beitragssenkung beziehungsweise -freiheit für das dritte Kindergartenjahr, weil die Finanzierung eben so ist, wie sie ist. So lautet die Antwort, die Sie in der Drucksache 13/3140 nachlesen können. Und heute Morgen weinen Sie sich aus. Das ist unglaubwürdig.

(Beifall von der CDU)

Sie nehmen nicht einmal zur Kenntnis, dass wir bei der Weiterbildung nicht sparen, sondern 10 Millionen € drauflegen. Das nehmen Sie nicht zur Kenntnis, sondern fahren eine gegenteilige Behauptung. Nichts davon ist wahr. Glauben Sie

es mir: Damit überzeugen Sie in diesem Land niemanden, der einigermaßen ausgeschlafen ist.

Ich will Ihre Arena über Bochum hinaus einmal erweitern. Erst dann wird das Spielfeld in seiner wahren Größe erkennbar: Die Arbeit von Jürgen Rüttgers, der Landesregierung und der Koalition der Erneuerung wird nicht nur von den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Bundesland hoch geschätzt. Hoch geschätzt wird sie auch bundesweit.

Ein Beispiel – ich könnte viele nennen –: Die Förderung von Kindern und Familien war ein Schwerpunkt Ihrer heutigen wie auch Ihrer Bochumer Rede. Ich lade Sie ein, den Blick einmal über die Landesgrenzen zu werfen und sich anzuhören, wie Ihre Genossinnen und Genossen in anderen Bundesländern das sehen, was wir hier in Nordrhein-Westfalen auf den Weg bringen. Etwa in Hessen: In der Plenardebatte des hessischen Landtags am 12. Juni 2006 erklärte ein Mitglied der dortigen SPD-Fraktion – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident –:

„Der Aktionsplan ‚Integration’ aus NordrheinWestfalen macht bemerkenswerte Vorschläge … Die Familienzentren sollen sich in den Stadtteilen zu Integrationszentren entwickeln … Das ist etwas 0anderes, als nur und ausschließlich Deutschkurse anzubieten …

Ein hoher Prozentsatz der Kinder mit Migrationshintergrund erreicht die Grundkompetenz in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften nicht.“

Darüber haben wir gerade gesprochen. –

„Diesen Tatsachen will Nordrhein-Westfalen begegnen, indem es den Ausbau von qualifizierten Ganztagsangeboten vorantreibt. Das ist der Unterschied: Nordrhein-Westfalen erkennt die Situation und tut etwas.“

(Beifall von CDU und FDP)

Das war ein Beispiel aus dem Hessischen Landtag, Drucksache 16/5767.

Ein weiteres Beispiel aus Niedersachsen. Dort hat die SPD in einem Antrag gefordert, „Mehrgenerationenhäuser light durch Familienzentren“ zu ersetzen.

Das ist die Strahlkraft eines Konzeptes, die noch nicht einmal vor SPD- und Grünen-Fraktionen halt macht, wie das nächste Zitat aus SchleswigHolstein zeigen wird: Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen fordert in einem Antrag „Kindertagesstätten zu Familienzentren weiterentwi

ckeln“ Drucksache 16/1079“. In der Begründung heißt es:

„Schauen wir nach Nordrhein-Westfalen … Ich finde, wenn ein Bundesland wie NordrheinWestfalen ein gutes Konzept auf den Tisch legt, dann sollten wir zumindest den Mut haben, uns das im Ausschuss einmal anzuschauen.“

(Beifall von CDU und FDP)

Wie wahr! – Es gibt also bundesweit eine hohe Lernfähigkeit, die allerdings manche in diesem Saal noch nicht erreicht hat. Diese Beispiele zeigen, dass unsere Politik vorbildhaft ist, auch für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten außerhalb dieses Bundeslandes und für Menschen grüner Couleur.

Frau Kraft, sind das nach Ihrer Auffassung Belege dafür, welch eine „unsoziale“ oder „bildungsfeindliche“ Politik wir in Nordrhein-Westfalen betreiben? Jede Begründung dafür sind Sie komplett schuldig geblieben. Nicht einmal Ihre eigenen Parteifreundinnen und Parteifreunde nehmen Ihnen das ab. Vielmehr schauen viele aus anderen Bundesländern, auch aus Ihrer Partei, auf uns in Nordrhein-Westfalen und auf das, was wir hier tun.

(Ralf Jäger [SPD]: Die gucken vor Schau- dern wieder weg!)

Und, Frau Kraft, Sie schauen weg, weil Sie unsere Fortschritte und unsere Erfolge beim Erreichen sozialer Gerechtigkeit nicht mit Ihren linken, Ihren ideologischen Vorstellungen vereinbaren können. – Frau Kraft, man kann einmal ein Auge zudrücken, wenn es um die Wahrnehmung der Realität geht. Aber bitte nicht ständig beide!

(Beifall von CDU und FDP)

Nehmen wir einmal die soziale Gerechtigkeit, die Sie für sich reklamieren. Sie bezeichnen sich als das Original und sagen, dass Jürgen Rüttgers eine Fälschung sei, gar marktradikal und sozial ungerecht. Andererseits sagen Sie, derselbe Mensch sei eine Kopie von Ihnen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Er versucht es!)

Ja, wie passt das denn zusammen? Das ist eine Frage der Logik, nicht aber der sozialistischen Dialektik. Sie müssen sich schon entscheiden. Ich denke, Sie können nicht entscheiden, weil Sie selbst orientierungslos sind. Sie wissen nicht, worin eine zeitgemäße Politik der sozialen Gerechtigkeit tatsächlich bestehen müsste.

Sie reden dauernd davon, dass es sozial gerechter zugehen müsse. – Das wollen wir auch. Das

wollen alle politischen Kräfte, von der Linken über die Mitte bis zur demokratischen Rechten. Alle wollen, dass es sozial gerecht zugeht. Aber was das in concreto heißt, welches Profil sich daraus ergibt und was das für die Politik ganz praktisch bedeutet – eine Antwort auf diese Frage bleiben Sie uns schuldig.

Ich habe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Fraktion gebeten, mir einen Ordner mit Ihren programmatischen Äußerungen und Aussagen zusammenzustellen. Auf den warte ich noch heute. Aber das liegt nicht

(Zuruf von der SPD: Dies liegt an den Mitar- beitern!)

auf diesen Zuruf habe ich gewartet – an den Mitarbeitern. Ich werde den Ordner nicht bekommen, weil das Ergebnis zu mager ist. Es gibt nirgendwo eine belastbare Aussage, in der Sie formulieren und definieren, was soziale Gerechtigkeit bedeutet. Nirgendwo. Sie haben bisher nichts anderes geleistet, als zu behaupten, dass es sozial gerecht zugehen muss.

Sie formulieren einen Führungsanspruch, füllen den aber in keiner Weise aus. Da, wo Sie einen Ihrer Lieblingssprüche verwenden, nämlich „klare Kante“, sehen Sie verdammt alt aus. Da springt uns die alte, die steinalte SPD-NRW ins Gesicht.

(Beifall von CDU und FDP)

Das heißt, Sie wollen „Staat vor Privat“. Sie wollen „Gleichheit vor Freiheit“. Sie wollen „Verteilen vor Erarbeiten“. Das ist das alte Profil Ihrer Partei, aufgemöbelt mit ein wenig modischem Make-up: mit klarer Kante rückwärts.

(Hannelore Kraft [SPD]: Ach, Herr Stahl!)

Klare Kante für einen subventionierten Steinkohlesockelbergbau, koste es auch Tausende von Arbeitsplätzen, und zwar im weißen, im zukunftsträchtigen Bereich. Frau Kraft, das haben Sie hier unterschlagen.

(Beifall von CDU und FDP)

Klare Kante für die Einheitsschule, koste es auch jahrelange Unruhe an unseren Schulen. Sie haben jahrzehntelang mit dem Thema Schule experimentiert, und die Ergebnisse kennen wir alle. Wir alle bedauern, was dabei herausgekommen ist.

(Beifall von CDU und FDP)

Klare Kante gegen eine Unternehmensteuerreform, koste es auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen in der globalen Wirtschaft.

Klare Kante gegen die Haushaltskonsolidierung, koste es auch die Lebenschancen unserer Kinder.