Protokoll der Sitzung vom 24.01.2007

Ich bedanke mich.

(Allgemeine Heiterkeit – Lang anhaltender Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Stahl. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nach dem freundlichen Applaus der CDU-Fraktion und der FDP-Fraktion für den Fraktionsvorsitzenden der CDU-Fraktion nun die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Frau Sylvia Löhrmann, das Wort. Bitte schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Schönen Dank, Herr Präsident. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Stahl, Ihr Redebeitrag war aus meiner Sicht eine Mischung:

Angesichts des schönen Wetters schieben Sie sich ein paar schöne Wolken durch die Gegend. Sie nehmen einige Erfolge und einige positive Entwicklungen in unserer Gesellschaft wahr, die wir angesichts unserer ökonomischen Situation alle begrüßen, und sagen, diese seien Ihrer Politik zu verdanken. – An Ihrer Stelle würde ich das wahrscheinlich genauso machen.

Alle aufgezeigten Schwierigkeiten blenden Sie aber aus. Dass Sie das nach nur eineinhalb Jahren Regierungszeit bereits so systematisch ausblenden, stimmt mich sehr, sehr nachdenklich.

Auch wenn Sie jetzt schon mit der Entwicklung in Nordrhein-Westfalen zufrieden sind, so sind wir Grünen es nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir wollen noch viel mehr Energie und Kraft und vor allem viel mehr Zukunftsfähigkeit hineinstecken.

Zunächst einmal gratuliere auch ich Frau Kraft zu ihrem neuen Amt und wünsche ihr im Namen unserer Fraktion alles Gute.

(Beifall von den GRÜNEN)

Mit Blick auf darauf, wie Sie sich über die Meinung von Frau Kraft lustig gemacht und was Sie vorzuweisen haben, möchte ich eine Weisheit anführen, was sich schon in den Klassikern findet: „Hochmut kommt vor dem Fall!“ Denn für die kurze Zeit, die Sie Verantwortung tragen, haben Sie sich schon sehr schnell über die Frage hinweggesetzt, welche Probleme es gibt, an denen wir arbeiten müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meines Erachtens ist das sehr leichtfertig und hochmütig. Und mit dem, was Sie zum Haushalt und zu der konkret von Ihnen zu verantwortenden Politik gesagt haben, haben Sie noch einmal eine Schippe draufgelegt.

Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen und seine Menschen haben großes Potenzial. Nordrhein-Westfalen ist ein Land, das in Konkurrenz und Kooperation, Wettbewerb und Freundschaft zu anderen Ländern, Regionen und Staaten steht. Die Politik eines solch exportorientierten und von Weltwirtschaft und Industrie geprägten Landes wie Nordrhein-Westfalen kann es sich nicht leisten, die globalen und nationalen Herausforderungen zu ignorieren.

Für Nordrhein-Westfalen heißt das, dass wir als politisch Verantwortliche Antworten auf die zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts finden müssen, Herr Stahl.

An erster Stelle nenne ich als Grüne heute und hier, denn das müsste uns allen klar geworden sein, den Klimawandel und seine Folgen, die wir in der letzten Woche alle hautnah und bisweilen schmerzhaft – Sie haben auf die Todesopfer hingewiesen – zu spüren bekommen haben. Selbstverständlich schließe ich mich im Namen meiner Fraktion dem Dank an die vielen Helferinnen und Helfer, an die vielen Aktiven an.

Spätestens seit dem Stern-Bericht ist doch klar: Klimaschutz ist auch Wirtschaftspolitik, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Eine weitere Herausforderung ist die Gestaltung der Wissensgesellschaft. Wir müssen allen Menschen – unabhängig von ihrer sozialen Herkunft – gerechte Chancen bieten, um die bestmögliche Bildung zu erhalten. Der sozialen Auslese durch Schulformschubladen kann kein Kind entkommen.

Ich fand es hämisch und zynisch, dass Sie gelacht haben, als Frau Kraft Beispiele von Kindern genannt hat, die Angst davor haben, wie es mit ihnen in Zukunft weitergeht, die Angst haben, es nicht aufs Gymnasium zu schaffen, weil sie wissen, was sie dann erwartet.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sie haben gelacht. Ich fand das zynisch.

(Gisela Walsken [SPD]: Das passt: Hämisch! – Weitere Zurufe von der SPD)

Wer die Berichte der OECD liest, weiß: Bildungspolitik ist auch Wirtschaftspolitik.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die dritte Herausforderung ist der demografische Wandel. Wir brauchen die Erfahrung der Älteren in der Arbeitswelt. Wir brauchen Zuwanderung. Wir brauchen eine moderne Familienpolitik, die Kind und Karriere möglich macht. Wir müssen auch die Chancen der Demografie sehen und altersbezogene Dienstleistungen fördern, um den aufstrebenden Markt nicht zu verpassen. Wir müssen das Gesundheitssystem fit für die Zukunft machen. Das bedeutet auch nachhaltige Prävention, also gesundes Essen, gesundes Wasser, gesunde Umwelt.

Wer einen ganzheitlichen Blick auf die Dinge hat, wer ein Feld nicht isoliert betrachtet, weiß: Demografiepolitik ist auch Wirtschaftspolitik, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Land ist als eine Ebene der Politik nicht ohnmächtig, sondern mächtig. Es gibt für Sie und Ihre Regierung also viel zu tun, Herr Rüttgers.

Doch was tut der Ministerpräsident des größten deutschen Bundeslandes? – Er sorgt sich um sein soziales Image –, und das auch noch erfolglos. Die „Aachener Nachrichten“ titeln am 13. Januar „Das Ende eines Arbeiterführers!“ – Selbst das Leitmedium der Staatskanzlei, die „Bild-Zeitung“, fragt am 8. Januar: „Ist Rüttgers ein Mann mit zwei Gesichtern?“

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Oh, oh!)

Die CDA protestiert und CDU-Mitglieder fühlen sich hintergangen.

Herr Ministerpräsident, so ist das, wenn man sich als Arbeiterführer inszeniert, die Mitbestimmungsrechte aber drastisch beschneiden will.

(Beifall von den GRÜNEN)

Frau Kraft hat zu Recht aus dem Brief zitiert. Ich glaube, die Geschichte ist noch nicht gegessen.

Herr Ministerpräsident, so ist das, wenn man sich als soziales Gewissen der Union inszeniert, aber höhere Kindergartenbeiträge verursacht. So ist das, wenn man sich als Robin Hood inszeniert, aber dafür verantwortlich ist, dass benachteiligte Kinder in Nordrhein-Westfalen an ihren alten Schulbüchern erkannt werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Rüttgers, auch wenn es Sie aufregt, sage ich noch einmal: Sie reden wie Blüm und Sie regieren wie Westerwelle. Sie reden sozial und Sie handeln unsozial. Die „NRZ“ zieht den Robin-HoodVergleich zu Recht in veränderter Form:

„Der Grüne aus dem Sherwood forest schenkte Bedürftigen Geld, der Schwarze aus Düsseldorf warme Worte.“

(Beifall von den GRÜNEN)

So ist es, Herr Rüttgers.

Kaum ein halbes Jahr nach Ihrer Sommersozialshow ist das soziale Tarnmäntelchen weg. Ihren gebügelten Blaumann können Sie getrost in die Altkleidersammlung der Caritas geben, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ihre pseudosozialen Vorschläge zum Arbeitslosengeld, mit denen Sie Jung und Alt in fataler Weise gegeneinander ausspielen wollten, hatte Frau Merkel doch schon vor dem letzten CDUParteitag geschreddert, Beschluss hin oder her. Das erinnert mich an Erich Mühsam:

„War einmal ein Revoluzzer, im Zivilstand Lampenputzer; …“

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen – oder sollten wir uns im Land des Hobby-Sozialisten Rüttgers in Zukunft einfach mit Genossinnen und Genossen anreden? Vielleicht kommen Sie darauf auch noch, wenn Ihnen nichts anderes mehr einfällt. Die FDP würde dabei glatt mitmachen, denn sie will nun auch auf Rüttgers sozialen Geisterzug aufspringen. Die FDP und sozial – was für ein Paar. Die FDP und sozial ist wie Taliban und Frauenrechte.

(Beifall von den GRÜNEN – Johannes Rem- mel [GRÜNE]: So ist es!)

Herr Ministerpräsident, Sie lassen die Sachpolitik links liegen, lassen Ihre Ministerinnen und Minister machen, was sie wollen. Zum Beispiel Innenminister Wolf: Dieser Minister „Gnadenlos“ handelt nach dem Motto: Weil wir abschieben dürfen, schieben wir auch ab – gegen das einstimmige Votum aller Fraktionen dieses Hauses im Petitionsausschuss. Zutiefst unmenschlich nimmt er so bewusst in Kauf, dass die durch jahrelange sexuelle Misshandlung der Kinder durch den Vater schwer traumatisierte, hier integrierte Familie Rustemi nach Serbien abgeschoben wurde. Wie Sie alle wissen, ist die Familie dort an Leib und Leben bedroht.