Protokoll der Sitzung vom 28.03.2007

(Beifall von CDU und FDP)

Die CDU-Fraktion wird für eine lückenlose Aufklärung eintreten.

Eine Anmerkung möchte ich noch machen. In Nummer V Ihres Antrags erwähnen Sie die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, Gewalt unter Gefangenen zu verhindern. – Das ist nichts Neues, wie wir alle wissen. Diese Pflicht bestand natürlich immer schon, und zwar unabhängig von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem vergangenen Jahr, die sich übrigens auf einen Fall aus der Amtszeit der rot-grünen Landesregierung bezieht.

Insoweit wird die Untersuchung des Zeitraums von Januar 2003 an besonders interessant werden. Es sei noch einmal ausdrücklich gesagt: Ernstzunehmende Aktivitäten für einen korrekten Strafvollzug entwickelte erst die im Mai 2005 gewählte Landesregierung mit Frau Justizministerin Müller-Piepenkötter.

(Beifall von der CDU)

In den vergangenen 20 Monaten nach Amtsantritt hat die CDU-geführte Landesregierung mehr für den Strafvollzug geleistet als die SPD in den vielen Jahren davor. Der Untersuchungsausschuss wird Gelegenheit geben, auch dies detailliert herauszuarbeiten, meine Damen und Herren von der SPD. – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Giebels. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Abgeordneter Groth das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Der Ausschuss soll den Tod eines jungen Mannes in der JVA Siegburg am 11. November des vergangenen Jahres untersuchen und aufklären. Da die Umstände des Todes von Hermann H. bereits ausführlich vorgetragen wurden, will ich an dieser Stelle auf eine Wiederholung verzichten.

Es ist mir aber wichtig, darauf hinzuweisen, dass meine Fraktion an einer seriösen und unabhängigen Untersuchung der Situation und insbesondere an den Gründen für Gewalt in den nordrheinwestfälischen Haftanstalten brennend interessiert ist und war. Wir haben deshalb unmittelbar nach dem 11. November, unmittelbar nach der Tat, eine unabhängige Untersuchungskommission gefordert.

Die dem vorliegenden Untersuchungsantrag zugrundeliegenden Vorfälle eignen sich nach unserer Überzeugung eben nicht für den politischen Kampf, den wir gerade schon wieder erlebt haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dazu eignet sich dieser Vorfall wahrlich nicht. Die Umstände der Tötung eines 17-jährigen Menschen durch Mitgefangene gleichen Alters in der Haftanstalt Siegburg sind zu traurig und erschütternd, als dass wir uns hier im Hause gegenseitig politisch angehen. Das kann doch nicht wahr sein. Neben der Aufklärungsarbeit droht aber genau das, was klassischerweise bei einem Untersuchungsausschuss passiert.

Daran, dass die Umstände durch den Landtag selbst zu untersuchen und aufzuklären sind, möchten meine Fraktion und ich keinen Zweifel aufkommen lassen.

Gerade weil die Tat brutal vor Augen führt, was in einer Einrichtung des Landes geschehen kann, müssen wir uns damit sehr intensiv beschäftigen. Ich bin dafür, dass wir den Strafvollzugsalltag der Jugendlichen und Heranwachsenden ganz nah an uns heranlassen, in unsere heile Welt holen, um uns überhaupt eine Vorstellung machen zu können, wie es ist, inhaftiert zu sein, um selber beurteilen zu können, was im Vollzug von Jugendhaft an Erziehung überhaupt leistbar ist, und – natürlich – damit das nicht wieder vorkommt, was da geschehen ist.

Hierfür sind einige Anstrengungen nötig, kurzfristige wie langfristige. Aber das setzt gerade eine offene qualitätsvolle Diskussion über den Weg voraus. Ob das in einem Untersuchungsausschuss leistbar ist, daran habe ich meine Zweifel, gerade vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung, die ich von Ihnen, Herr Giebels und Herr Stotko, gehört habe.

Wer nur dem anderen die Schuld in die Schuhe schieben will, wer es nur darauf anlegt, zu erklären, wer mehr Schuld hat an dem, was da passiert ist, dem kann ich nur sagen, der springt zu kurz, auch in einem Untersuchungsausschuss.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb wäre sicher eine unabhängige Kommission richtig gewesen. Wir hätten uns das gewünscht, damit es nicht zum Kampfmittel der Opposition gegen die Regierung kommt.

Die Kommission allerdings, die die Ministerin daraufhin eingesetzt hatte, hatte aber leider mit Unabhängigkeit wenig zu tun. Der Vorsitzende der Kommission verfügt über keine Vorkenntnisse im Hinblick auf den Strafvollzug. Da waren wohl eher persönliche Bekanntschaft zur Ministerin und das richtige Parteibuch entscheidend für die Auswahl.

Ihm zur Seite stand und steht der ehemalige Leiter des Vollzugsamts Rheinland, der jahrelang die Fach- und Dienstaufsicht – nicht nur über Siegburg – ausübte. Wie uns jetzt berichtet wurde, waren bereits damals Missstände bekannt. So wurde bereits in den 90er-Jahren die Personalausstattung der Justizvollzugsanstalt immer wieder bemängelt. Jetzt hat Herr Dr. Koepsel die Möglichkeit, von ihm selbst mit verursachte Missstände oder zumindest nicht behobene Missstände zu finden, um sie dann schnellstmöglich unter den Tisch zu kehren.

Meine Damen und Herren, von Unabhängigkeit kann da keine Rede sein. Deshalb reicht uns das nicht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ergo dürfen Sie von der CDU- und FDP-Fraktion und auch Sie, Frau Ministerin Müller-Piepenkötter, sich nicht wundern, wenn jetzt tatsächlich ein Untersuchungsausschuss eingerichtet wird. Nur so kann die Opposition ihre Aufgabe, die Kontrolle der Regierungsarbeit, erfüllen. Wir hätten uns gewünscht, dass das nicht notwendig gewesen wäre.

Konkret heißt das für uns Grüne: Wir brauchen dringend ein modernes und zugleich humanes Jugendstrafvollzugsgesetz, das den Resozialisierungsgedanken ernst nimmt, vom jetzigen Verwahrvollzug hin zu einem Vollzug, der die jugendlichen Gefangenen tatsächlich befähigt, eigenverantwortlich und gemeinschaftsfähig am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. Dafür brauchen wir ein Gesamtkonzept, das auch die Möglichkeiten der Haftvermeidung einbezieht. Davon ist nach wie vor von der Ministerin nichts zu hören. Neue Haftanstalten zu planen, Frau Ministerin, reicht einfach nicht aus.

Wir werden nach der heutigen Abstimmung streng an den Einsetzungsantrag gebunden sein. Abweichungen, Ausdehnungen des Untersuchungsgegenstandes werden nicht mehr so einfach möglich

sein. Vor allen Dingen besteht die Gefahr, dass die zielführende Diskussion auf der Strecke bleibt.

Was verstehen wir Grüne unter einer zielführenden Diskussion? Die Konsequenzen, die aus den Vorkommnissen in Siegburg zu ziehen sind, Antworten, die sich aus Punkt V des Antrags ergeben müssen, die Frage, was strukturell, inhaltlich und auch finanziell für den Strafvollzug des Landes getan werden muss. Es geht nicht um Schuldzuweisungen. Das alles können wir sehr genau untersuchen.

Was müssen wir jetzt für die Zukunft des Strafvollzuges in Nordrhein-Westfalen, für die Gegenwart und für die nahe Zukunft, tun? Was ist im Bereich der Haftvermeidung, im Bereich der Prävention, im Bereich des frühzeitigen Eingreifens der Gesellschaft bei Jugendlichen, die abzugleiten drohen und abgleiten, noch möglich?

Das sind wir den Jugendlichen schuldig, die als Täter inhaftiert zu Opfern geworden sind. Das sind wir der Gesellschaft schuldig, die im Ergebnis vor den Rückfällen geschützt werden muss.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es kann doch nicht wahr sein, dass wir einen Strafvollzug haben, wo sich dermaßen viele Rückfälle ereignen. Der „Durchlauferhitzer Jugendstrafanstalt“ – ich nenne das ausdrücklich so – darf nicht so bleiben, wie er im Moment ist. Wir müssen dafür sorgen, dass tatsächlich resozialisiert wird, dass die Rückfallquoten gesenkt werden und dass die Täter eine Chance auf ein vernünftiges Leben haben. Das sind wir auch dem Rest der Gesellschaft und uns selbst schuldig, damit wir uns selbst vor Gewalt schützen.

Meine Damen und Herren, das Land NRW selbst – ich will das so global sagen – ist schuldig geworden, weil wir alle es zugelassen haben, dass es Verhältnisse im Strafvollzug gibt, die einen Foltermord, die Gewalt, die Missbrauch zugelassen haben und immer noch zulassen. Das kann alles heute, morgen, heute Nacht oder übermorgen oder nächste Woche wieder passieren. Wir nehmen den Jugendlichen die Freiheit, wir schränken deren Grundrechte zu Recht massiv ein. Dann sind wir aber auch den Gefangenen gegenüber verpflichtet und in einer besonderen Verantwortung, für den Rest ihrer Grundrechte, insbesondere für den Schutz vor Gewalt in der Haftanstalt, zu sorgen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich komme zum Ende. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns die schrecklichen Ereignisse in Siegburg und die Hintergründe auf

klären. Die von der Ministerin eingesetzte Kommission ist leider nicht ausreichend. Lassen Sie uns aber auch zugleich die notwendigen Konsequenzen aus den bereits jetzt offensichtlichen Missständen ziehen, den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts erfüllen und ein Jugendstrafvollzugsgesetz auf den Weg bringen.

Wir als Grüne werden für dieses Jugendstrafvollzugsgesetz eigene konstruktive Vorschläge machen. Wir werden die Kultur des Rechts im Interesse der Gesamtgesellschaft und der jugendlichen Gefangenen hochhalten sowie die Menschen- und Grundrechte zur Richtschnur unserer Vollzugspolitik, auch im anstehenden Untersuchungsausschuss, und zum Maßstab der Kritik an der Regierung machen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Groth. – Für die Fraktion der FDP hat jetzt Herr Dr. Orth das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Nacht vom 11. auf den 12. November des letzten Jahres geschah in der JVA Siegburg in der Tat etwas Furchtbares und Unentschuldbares. Der in einer Gemeinschaftszelle Untergebrachte wurde von drei Mithäftlingen ermordet. Sein Tod scheint ein wahres Martyrium gewesen zu sein.

Ich möchte daher an dieser Stelle wie in den bisherigen Plenardebatten betonen, dass unser Mitgefühl bei aller politischen Auseinandersetzung, die wir führen, in erster Linie den Angehörigen des Opfers gehört. Ich denke, bei allem, was wir weiterhin diskutieren, sollten wir das im Hinterkopf behalten.

Wenn ich mir allerdings den hier vorliegenden Antrag anschaue, sehr geehrter Herr Kollege Stotko, frage ich mich bei allem guten Recht, dass eine Fraktion einen Untersuchungsausschuss beantragen und fordern kann, wirklich: Was hat Sie geritten, als Sie diesen konkreten Untersuchungsauftrag formuliert haben?

Das einzig Interessante bei dem Untersuchungsausschuss ist doch, warum die SPD diesen Zeitraum so eingegrenzt hat. Wieso wurde das Datum 1. März 2003 gewählt?

(Beifall von der FDP – Thomas Stotko [SPD]: 1. Januar 2003!)

1. Januar 2003, Entschuldigung. – Es fällt auf, dass – dies hat bereits der Kollege Giebels angedeutet – die Zeit ausgeklammert werden soll, in

der der ehemalige Justizminister Dieckmann im Amt war.

Niemand kann behaupten, dass wir bei 18.500 Inhaftierten in einem kurzen Zeitraum von drei bis vier Jahren die gesamte Landschaft umkrempeln könnten. Das hätte Herr Gerhards nicht gekonnt und das konnte auch Frau Müller-Piepenkötter nicht erreichen. Vielmehr mussten wir an einem bestimmten Punkt die Situation aufgreifen und beginnen, sie zu verändern, und wir haben begonnen, sie zu verändern.

Ich bin davon überzeugt, dass wir, um beurteilen zu können, warum die Situation im Strafvollzug unter Gerhards und Müller-Piepenkötter so war, wie sie ist, natürlich auch die Zeit davor mit einbeziehen müssen, weil wir nur so zu einem Urteil und einer Wertung kommen können. Ich glaube, dass Sie mit diesem Antrag, so, wie Sie ihn formuliert haben, aus der Bredouille nicht herauskommen, meine Damen und Herren von der SPD.

Wir werden feststellen wollen, woran es gelegen hat. Anschließend werden wir überlegen müssen, wie es zukünftig besser geht. Hierzu hat die Landesregierung inzwischen einen Entwurf eines Jugendstrafvollzugsgesetzes vorgelegt. Die Zuständigkeit für den Jugendstrafvollzug liegt seit der Föderalismusreform erstmalig in unserer eigenen politischen Zuständigkeit. Hieran werden wir die zukünftige Arbeit messen. Des Weiteren werden wir Einzelzellen einrichten. Wir haben bereits vor dem Vorfall in Siegburg Jungtäterabteilungen eingerichtet und zum Glück, Herr Stotko, das Gutachten zur Gewalt in Auftrag gegeben. Offenkundig hat sich Rot-Grün über Jahrzehnte mit den Grundlagen überhaupt nicht beschäftigt. Damals wurde Politik betrieben, ohne wissenschaftlich fundiert das Eigene zu reflektieren. Das haben wir zum Glück anders gemacht. Hätten wir dieses Gutachten nicht in Auftrag gegeben, dann würden wir heute ganz anders dastehen.

(Beifall von FDP und CDU)

Herr Stotko, Sie haben eben ausgeführt, wir würden das Justizvollzugsamt offenkundig zu spät auflösen, da es dort Missstände gebe.