auf der Strecke. Stattdessen ist es nun eine Frage des Geldbeutels der Eltern, Kinder zu einer weiter entfernten, scheinbar attraktiveren Schule zu schicken.
An dritter Stelle sind die sozialen Auswirkungen zu nennen, die mit dem Wegfall der Schulbezirke verbunden sind. Es kommt zur Konzentration bestimmter sozialer Schichten bzw. Problemlagen an einzelnen Schulen. Zur ohnehin schon starken sozialen Selektion tritt die soziale Segregation hinzu. Kinder werden doppelt benachteiligt: aufgrund ihrer sozialen Herkunft und aufgrund schwieriger werdender Lernmilieus.
Die Punkte vier – bürokratischer Aufwand – und fünf – Gefährdung kommunaler Investitionen – erwähne ich an dieser Stelle nur, ohne sie im Einzelnen aufzuführen. Dazu ist in den Anhörungen schon alles gesagt worden.
Das alles ist das Ergebnis ideologisch motivierter Übertragung des Steuerungsinstruments Wettbewerb auf den Schulbereich. Fördert diese Art von Wettbewerb tatsächlich die Qualität von Schule? – Bisher sind Sie uns einen solchen Nachweis schuldig geblieben.
Die Qualitätsentwicklung lässt sich sicherlich auf vielfältige Weise fördern. Dazu gehören aber auf jeden Fall faire Wettbewerbsbedingungen bei der Personal- und Sachausstattung.
Welche Handlungsmöglichkeiten bekommen die einzelnen Schulen, um mögliche negative Trends zu stoppen? Das ist auch der einzig konkrete Punkt, den Sie in Ihrem Antrag aufgreifen. Der Rest sind Leerformeln. Damit ist dieser Antrag genauso überflüssig wie die Aufhebung der Schulbezirke. – Danke schön.
Danke schön, Herr Dr. Bovermann. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Beer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gratuliere zur freien Schulwahl. Ich gratuliere den Kommunen Horstmar und Schöppingen zur freien Schulwahl, die heute die erste Gemeinschaftsschule in Nordrhein-Westfalen gegründet haben,
Leider hat das nicht sehr viel mit dem zu tun, was Sie hier heute zu dem Thema freie Schulwahl verkünden. Sie versuchen ja an diesen beiden Plenartagen verzweifelt, sich selbst zu feiern. Sie müssen es wirklich verdammt nötig haben. Mit Ihrem Antrag haben Sie sich ausgerechnet ein Thema gegriffen, bei dem Sie nicht so waghalsig sein sollten, vor allem dann, wenn man nur eine eingeschränkte Wahrnehmung hat oder zulässt und nicht differenziert genug hinschaut, um zu sehen, was sich eigentlich abspielt. Ich werde gleich noch darauf zurückkommen, was Herr Bovermann schon für Düsseldorf ausgeführt hat.
Sie kennen offensichtlich die Anmeldezahlen in den Grundschulen nicht und die Bewegungen, die dahinter stehen. Deswegen ist es schon viel mehr als kühn, wenn Sie sich mit der These herauswagen, die freie Grundschulschulwahl habe sich bewährt.
Wie gesagt, es lohnt sich, genau in die Kommunen zu schauen, die in diesem Anmeldezeitraum schon mitgemacht haben, und darauf zu sehen, welche Vorwehen es auch in anderen Kommunen gibt, bevor sie die zwangsweise Auflösung der Grundschulbezirke vollziehen müssen.
Es ist kein Geheimnis, dass Kommunen vorgeprescht sind, weil sie sich davon versprochen haben, vorrangig mit zusätzlichen Lehrerstellen bedacht zu werden. Das reicht aber auch in Düsseldorf offensichtlich nicht aus, um die Schulen in Brennpunkten zu stützen, die jetzt ins Trudeln geraten.
In Ihrem Antrag reden Sie davon, nirgends gebe es mehr als 15 % abweichende Schulwahlentscheidungen. Dabei – das betone ich auch gern noch einmal – halte ich es für unsinnig, bei gerade einmal 15 Kommunen von fast 400 überhaupt irgendwelche Tendenzen stichhaltig ausmachen zu können.
Die zu verzeichnenden Abweichungen sind allerdings mit erheblichen Effekten verbunden. Diese Effekte wollen Sie gerne kleinreden und marginalisieren. Das lassen wir Ihnen aber weder heute noch in Zukunft durchgehen.
Ich habe natürlich mit den Düsseldorferinnen – auch mit den Schulen – gesprochen. Die haben mir sehr wohl von einem echten Anmeldechaos berichtet. Sie haben davon berichtet, dass es ewig gedauert habe, bis Eltern endlich gewusst hätten, ob ihr Kind die gewünschte Schule besuchen könne, und davon, wie schwierig es für die Kinder gewesen sei, diese Hängepartie auszuhal
ten. Außerdem wurde uns sehr wohl davon berichtet, dass es Tendenzen zunehmender Gettoisierung und sozialer Entmischung gibt. Statt sensibel zu evaluieren, versuchen Sie vorschnell populistisch Kapital zu schlagen.
Ich will noch einmal sagen, was auch Herr Bovermann ausgeführt hat: Es gibt zum Teil eine Abwanderung von mehr als 50 % der Kinder aus einem Schulbezirk, die sonst dort angemeldet worden wären. Sie treiben allein sechs Schulen in die Einzügigkeit und bedrohen sie damit in ihrer Existenz.
Ich finde es einfach vermessen und unangemessen, diesen Schulen dann zu unterstellen, sie leisteten keine gute Arbeit. Sie treiben sie in einen unfairen Wettbewerb. Deswegen machen Sie die Schulen ungerechtfertigt zu Verlierern im System und die Kinder, die dort im Quartier wohnen, gleich mit.
Haben Sie überhaupt ein Gespür für die demaskierende Unverfrorenheit und auch für den gesellschaftlichen Zynismus, den Sie in Ihrem Antrag formulieren? Ich will das gern noch einmal ausführen. Ich zitiere:
„Die Schulsituation an sozialen Brennpunkten hat sich entspannt. Der Wechsel in ein bildungsanimierendes Umfeld wurde besonders auch von Kindern genutzt, die in sozial benachteiligten Wohngebieten leben bzw. aus Familien mit Migrationshintergrund stammen.“
Was für ein pauschales Urteil für die bisher für die Grundschüler im Stadtteil zuständig gewesenen Grundschulen! Was sagen Sie über diese Schulen aus? Dieses Urteil müssten Sie ja auch für die Grundschule Kleine Kielstraße fällen. Schließlich arbeitet sie genau in einem solchen Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf. Was für eine kurzschlüssige Überheblichkeit.
Und was sagen Ihre Sätze aus für die Kinder, die in dem nicht bildungsanimierenden Schulumfeld verbleiben müssen, denen Sie keine Unterstützung gewähren, die Sie dort lassen? Die haben dann wohl die Verliererkarte gezogen. Gut, wer sich wegbewegen kann. Für den Rest tun Sie nichts. Sie bringen diese Schulen in Existenznot, anstatt Umfeldqualität zu entwickeln, wo es wirklich nötig wäre. Sie etikettieren Schulen und hängen ihnen damit ein Label an, das sie nicht verdienen. Pech gehabt; die Unterstützung reicht
nämlich für diese Schulen hinten und vorne nicht. Diese Schulen haben auch gerade nicht die potenten Fördervereine, um sich für die nächste Wettbewerbsrunde um Schülerinnen und Schüler mit viel kulturellem Kapital in ihren Familien herauszuputzen.
Ich muss Ihnen auch noch einmal sagen: Es gibt nicht die Migranten, wie Ihre naiv anmutende Formulierung Glauben macht. Es gibt Familien in prekären Lebenslagen. Es gibt arme Familien. Es gibt soziokulturell benachteiligte und isolierte Familien. Und viele dieser Familien haben auch eine Zuwanderungsgeschichte. Aber eine sehr große Anzahl von Familien mit Migrationshintergrund ist schon immer bildungsbewusst gewesen, und das sind diejenigen, die jetzt auch aus den Quartieren gehen.
Deshalb ist mit der Auflösung der Grundschulbezirke für die Problemgruppen kein gordischer Knoten durchschlagen worden. Sie klöppeln sich heute Ihr Weltbild zurecht und verbrämen die tatsächliche Lage mit schwarz-gelber Raschelspitze.
Ich empfinde es allerdings als zynisch und empörend, dass Sie es in diesem Antrag als Erfolg abfeiern, dass Kinder endlich in ein bildungsanimierendes Umfeld wechseln dürfen, obwohl Sie gleichzeitig für die Sekundarstufe Kinder in Schulformen empfehlen lassen und sie in Schulformen zwingen, die nachgewiesenermaßen wenig bildungsanimierend und motivierend sind. Sie sind weniger anspruchsvoll und müssen die Verlierer im Bildungssystem einsammeln.
Warum das alles? – Weil Sie die Bildungsprivilegien bei den Bildungsprivilegierten belassen und diese abschotten wollen. Sie sollten sich schämen – ich sage das deutlich – für das, was Sie den Kinder, den Jugendlichen und den Schulen ganz offensichtlich und bewusst antun.
Was Sie sonst noch als Koalition der Beteuerung anrichten – das aufzuzeigen werde ich Ihnen auch nicht ersparen können. Die Schulleitungen der Grundschulen müssen sich doch verschaukelt vorkommen, wenn Sie munter von Bürokratieabbau schwadronieren, die Schulleiterinnen aber Aufnahmegespräche und den dazugehörigen Papierkrieg bis hin zu Ablehnungen, die auch noch rechtlich anfechtbar sind, am Hals haben, ohne dafür auch nur im Ansatz über eine entsprechende Verwaltungsausstattung zu verfügen.
Was ernten Schulen für diese neue Freiheit? – Von Eltern stark nachgefragte Schulen müssen zum Teil mit großen Klassen und sogar mit Band
breitenüberschreitungen reagieren. Ein Ausgleich in der Lehrerzuweisung, wie sie bisher vorgesehen ist, wird aufgrund des Wahlverhaltens in Bezug auf die Einzelschule viel schwieriger. Vor allen Dingen wird es für diejenigen Schulen sehr viel schwieriger, die nun erhebliche Schülerverluste zu verkraften haben und in die Einzügigkeit gedrängt werden.
Der Druck der Eltern, die ihre Wunschschule durchgesetzt haben, wird auch in Sachen Lehrerversorgung erheblich sein. Das zieht nämlich genau die nächste Bewegung nach sich.
Der Jubelantrag, den Sie hier vorgelegt haben, vermeidet im Übrigen jede weitreichende Analyse. Wie wirkt sich die Regelung neben den bereits wirksamen Segregationen durch die Bekenntnisschulen zum Beispiel aus?
Frau Beer, ich habe eine Rückfrage. Sie haben gerade davon gesprochen, dass es künftig Schulen gibt, in denen es aufgrund des Anmeldeverhaltens auch zu kleineren Klassen kommt. Stimmen Sie mit mir darin überein, dass kleinere Klassen eine bessere individuelle Förderung möglich machen, dass daraus eine Stärke für diese Schule erwachsen könnte und damit für diese Schule auf Dauer auch bessere Chancen verbunden sein könnten?
Herr Kaiser, ich kann Ihnen darin grundsätzlich zustimmen, dass wir dann, wenn wir in den Grundschulen zu kleineren Klassen kommen, eine noch bessere Förderung machen können. Nur, ich habe nicht gesagt, dass sich automatisch auch in den einzügigen Schulen überall kleinere Klassen einstellen. Ganz im Gegenteil: Diese müssen nämlich jetzt damit leben, dass sie unter Umständen 30 oder 26 Kinder haben, und dann wird es mit der Lehrerversorgung schwierig.
Zum Schluss möchte ich sagen: Die große neue Freiheit, die Sie hier propagieren, nehmen Sie sich nur für die Formulierung Ihrer Anträge heraus. Für Kommunen und Schulen hingegen gilt sie nicht. Es ist mir immer noch nicht erklärlich, warum Sie die Kommunen zwangsverpflichtet haben, die Grundschulbezirke aufzulösen.
Auch für die Eltern gilt die große Freiheit in Wahrheit nicht. Denn es ist bestenfalls die halbe Wahrheit: Eltern können sich nur innerhalb der Kapazitäten entscheiden; das sagt auch der Düsseldorfer Schulverwaltungsleiter Gucht.