Protokoll der Sitzung vom 04.05.2007

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Lesen Sie es im Protokoll nach. Herr Hegemann wollte gestern auch nicht glauben, dass ich besser zuhören kann als die eigenen Fraktionskollegen, was die Äußerungen der eigenen Minister und eigenen Redner betrifft.

Frau Pieper-von Heiden, das, was Sie hier geleistet haben, war fast eine Büttenrede. Es war eine „Sternstunde des Parlamentarismus“.

Sie behaupten, das Schulgesetz hätte bewirkt, dass sich 2006 die Zahlen verbessert hätten. Weniger Schülerinnen und Schüler hätten 2006 die Schule ohne einen Schulabschluss verlassen. Kollegin Pieper-von Heiden, für wie dumm halten Sie eigentlich die Menschen in diesem Land?

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Tinte unter den Zeugnissen war längst trocken, da war das Schulgesetz immer noch nicht verabschiedet.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wenn Sie meinen, dass allein die Ankündigung, dass ein schwarz-gelbes Schulgesetz irgendwann einmal verkündet werde, die Schülerinnen und Schüler in diesem Land dazu befähige, Schulabschlüsse zu erreichen, dann ist das wirklich eine Qualität, die spottet jeder Beschreibung.

Das ist aber auch Teil der Philosophie. Frau Ministerin Sommer, Sie haben das gerade auch noch einmal deutlich gemacht. Man erkennt ein Problem, schreibt das in einen Antrag oder in ein Gesetz und meint, dann sei es schon gelöst. Man sagt: Das Schulsystem braucht mehr Durchlässigkeit. Dann schreibt man den Begriff ins Schulgesetz, lehnt sich zurück und sagt: Oh, was sind wir toll. Wir haben das Problem gelöst.

(Beifall und Heiterkeit von SPD und GRÜ- NEN)

Oder: Wir haben zu viele Sitzenbleiber. Wir schreiben in das Schulgesetz: Die Versetzung ist der Regelfall. Schon haben wir das Problem gelöst. Das ist aktuelle Politik dieser Landesregierung.

Das setzt sich im vorliegenden Antrag fort. Meine Damen und Herren, ich will jetzt hier nicht die fünf Punkte noch einzeln würdigen. Die Formulierungen sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ich empfehle, das sorgfältig zu lesen.

Ich will nur den vierten Punkt auf der zweiten Seite herausgreifen. Ich verkürze das etwas: Der Landtag fordert die Landesregierung auf … intensiv zu arbeiten.

(Beifall und Heiterkeit von der SPD – Rainer Schmeltzer [SPD]: Hey!)

Hey, das ist eine ganz neue Qualität. Frau Ministerin Sommer, ist das notwendig, dass die Regierungsfraktionen die Landesregierung auffordern, intensiv zu arbeiten? Das wäre eine neue Qualität. Man müsste dazu auch fragen: In welche Richtung denn? In welcher Qualität? In welchem Umfang? Was wollen wir eigentlich? Allein die Aufforderung, dass die Landesregierung intensiv arbeiten muss, macht eigentlich die Qualität dieses Antrags mehr als nur deutlich.

Meine Damen und Herren, wir müssen natürlich der Überweisung zustimmen. Aber meine Empfehlung wäre – auch der Ernsthaftigkeit des Themas angemessen –: Ziehen Sie den Antrag zurück!

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wir verplempern wirklich nur Zeit im Ausschuss. Schmeißen sie ihn weg! Er ist es nicht wert! – Danke fürs Zuhören.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Große Brömer. – Für die FDPFraktion hat der Abgeordnete Witzel das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst zu meinem Vorredner: Sie als Sozialdemokraten haben unsere Qualifizierungsoffensive,

(Zuruf von der SPD: Die haben Sie auch nö- tig!)

die sich mit den Sprachstandsfeststellungsverfahren und der Sprachförderung, die dafür sorgt, dass weniger junge Menschen in unseren Schulen scheitern und sich nun wirklich unbestreitbar zum Wohle aller Kinder auswirkt, mit dem Begriff „Kinder-Abitur“ lächerlich gemacht.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Herr Witzel, waren Sie gestern nicht da?)

Dazu habe ich gestern in der Debatte im Landtag in der Tat gesagt, dass nach unserem schwarzgelben Verständnis zu einem Abitur mehr gehört, als nur die Sprache zu beherrschen. Das ist richtig. Dazu stehe ich, Herr Große Brömer, auch weiterhin.

(Beifall von FDP und CDU)

Aber es geht in diesem Antrag um etwas anderes. Jeder Schüler, der scheitert, ist einer zu viel. Das gilt für die persönliche Perspektivlosigkeit, die Schüler durchmachen. Das gilt aber natürlich auch für die gesellschaftliche Hypothek für uns alle, wenn man in Begleituntersuchungen einmal feststellt, wozu Abschlusslosigkeit, mangelnde Perspektive des Eintritts in das Erwerbsleben und Jugendarbeitslosigkeit führen und welches erheblich höhere dispositive Risiko auch damit verbunden ist für Kriminalitätskarrieren und anderes. In jedweder Hinsicht, aus Gründen der persönlichen Betroffenheit des Einzelnen, aber auch aus gesamtgesellschaftlichen Erwägungen heraus, müssen wir deshalb daran arbeiten, die Anzahl von Schulscheiterern zu reduzieren.

Da sagen wir ganz klar – dazu stehe ich selbstverständlich auch; das zu meinen Vorrednern –: Unser Weg, mehr Schüler mit Schulabschluss zu erreichen, ist nicht der, dass wir das Anforderungsniveau senken, dass wir es leichter machen, weil wir auf Standards verzichten, sondern wir

wollen Leute befähigen, die notwendigen Standards besser zu erreichen, indem wir individuell fördern. Wir wollen keine Abstriche bei den Anforderungen, aber eine bessere Unterstützungskultur, um die notwendigen Anforderungen auch zu erfüllen.

(Beifall von FDP und CDU)

Natürlich ist deshalb individuelle Förderung die Schlüsselressource zum Erfolg. Aus diesem Grunde haben wir natürlich auch die notwendigen Stundenkontingente in der Stundentafel ausgewiesen, damit völlig klar ist, dass es zur Entwicklung eines jeden Schülers hinreichende Ressourcen gibt.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Wir stellen Lehrerstellen zur Verfügung, um eine bessere Versorgung mit Förderung und Unterricht zu gewährleisten. Sie haben auf die Stellenrechnung verwiesen. 6.400 zusätzliche Stellen haben wir für diese Legislaturperiode verabredet, 4.000 zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung und 2.400 Stellen für den Ganztagsbereich. Das sind 6.400 Stellen. Das ist bei den Zahlen, die Sie hier genannt haben, zwischen 4.000 und 8.000, nicht so weit von unserer Zielmarke entfernt.

Wir müssen Überforderungssituationen vermeiden. Deshalb ist es uns wichtig, am differenzierten Bildungssystem festzuhalten. Wir verbessern qualitativ das Schulübergangsverfahren in den weiterführenden Bereich, um weniger Schulscheiterer zu produzieren. Wir sorgen ausdrücklich dafür, dass es Erfolgserlebnisse gibt, wenn jeder seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten entsprechend möglichst adäquat beschult wird.

Herr Witzel, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Kommen Sie bitte zum Schluss. Danke schön.

Deshalb, Herr Präsident, ende ich auch mit meinem Hinweis, dass wir auf einem guten Weg sind. Wir sind der Auffassung, dass die zusätzlichen Ressourcen, die wir in diesem Bereich einsetzen, sinnvoll eingesetzt sind und allemal besser als die Daten, die Sie uns aus der Vergangenheit hinterlassen haben. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die CDU-Fraktion hat sich noch einmal der Kollege Recker gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur zur Aktualität des Antrages: Wir wollten mit diesem Antrag ein wichtiges Signal setzen. Denn jeder weiß, dass die Hauptgründe in Folgendem liegen: Diejenigen ohne Schulabschluss waren oft in der Hauptschule, und hier haben wir einen ganz wichtigen neuen Ansatz gesucht. Wir stärken die Hauptschule.

Der zweite Grund war auch laut PISA überwiegend die mangelnde Sprachfähigkeit. Genau hier setzen wir an. Wir gehen hier den Weg, dass junge Menschen die Chance haben, dem Unterricht folgen zu können, wenn sie in die Schule kommen. Darum ist der Antrag höchst aktuell und ein wichtiges Signal nach draußen, um jungen Menschen mehr Chancen zu geben.

(Beifall von CDU und FDP)

Herr Kollege, haben Sie noch Zeit für eine Zwischenfrage der Abgeordneten Beer? – Nein. Danke schön. – Als Nächste hat die Vorsitzende der Fraktion der Grünen das Wort. Frau Löhrmann, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte dem schönen Sezieren des Antrags durch Herrn Große Brömer in der Sache nichts mehr hinzufügen. Das hat er wirklich brillant gemacht.

Lassen Sie mich nur noch Folgendes sagen: Herr Recker, was Sie gerade noch einmal angeführt haben, belegt doch nur, dass vorher das Richtige gesagt worden ist. Sie wollen einzelne Details herauspflücken. Damit machen Sie aber deutlich, dass Sie ein technisches Verständnis von Bildung haben. Sie packen Vokabeln oben drüber und merken überhaupt nicht – oder wollen nicht merken –, dass das in der Gesamtphilosophie nicht zusammenpasst und dass das, was Sie proklamieren, in der Art und Weise, wie Sie es ausgestalten, gar nicht funktionieren kann.

Frau Ministerin, als Sie gestern Herrn Schleicher zitiert haben, habe ich Sie gebeten: Bitte nehmen Sie den ganzen Schleicher. – Herr Schleicher hat gesagt – das will ich zum Abschluss dieser Debatte noch einmal deutlich zu Protokoll geben –: Individuelle Förderung ist gut und richtig. In einem selektiven System kann individuelle Förderung aber nicht funktionieren. Das geht nicht; denn beides schließt sich aus.

Deswegen werden Sie mit all Ihren technischen Einzelmaßnahmen nicht weiterkommen. Sie werden scheitern, weil Sie auf diese Weise nicht die

soziale Selektivität des Bildungssystems aufheben können.

Herr Recker, Sie sagen, dass Sie das Ganze schon irgendwie mit den Kommunen lösen würden. Es ist deutlich gemacht worden, dass die Kommunen die Verbundlösungen, die sie vor Ort realisieren wollen, irgendwie regeln werden. Es ist aber doch bereits verkündet worden, dass ein solcher ganzheitlicher Ansatz vor Ort – der von den Kommunen, auch von CDU geführten Kommunen, gewollt ist – unterbunden wird.

Des Weiteren haben Sie gesagt, Hamburg könne man nicht mit NRW vergleichen. An dieser Stelle schotten Sie sich aber doch ab. Sie reden Schulformen hoch, die von Menschen und von Kindern als Sackgassen empfunden werden.

(Bernhard Recker [CDU]: Warum denn?)

Sie setzen sich nicht mit diesem Problem auseinander. Ihre Kolleginnen und Kollegen in Hamburg haben hingegen das getan. Alle Welt ist bereit, über Strukturen zu diskutieren. Das Fatale ist, dass Sie Strukturen ändern, aber gar nicht darüber reden wollen – und zwar Strukturen, die die Selektivität des Bildungssystems verschärfen. Deswegen ist Ihr Weg eine Sackgasse.