Vielen Dank, Frau Kollegin von Boeselager. – Als nächster Redner spricht Kollege Brockes für die Fraktion der FDP.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft haben wir hier im Plenum gefordert, diese ehrgeizig als Motor für ein handlungsfähiges, bürgernahes und zukunftsfestes Europa zu nutzen. Die deutsche EURatspräsidentschaft hatte die Belebung des europäischen Verfassungsreformprozesses als ihr wichtigstes Ziel formuliert. Die Erwartungen an diese einmalige Chance waren groß.
Meine Damen und Herren, wir Liberale wollen seit jeher einen echten Verfassungsvertrag, einen Vertrag, der den Namen Verfassung trägt und auch verdient, einen Vertrag, der ausdrücklich allen EU-Bürgern ihre Grundrechte zusichert, einen Vertrag, in dem ein EU-Außenminister auch so heißen darf, und einen Vertrag, der zeitnah eine institutionelle, reformierte und handlungsfähige Europäische Union garantiert.
Dieses große Vorhaben war zuletzt mit den negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheitert. Ein Teil der Europäer hatte Nein gesagt. Die große Mehrheit hatte ihn gebilligt. Damit stand Volkes Wille gegen Volkes Wille, den man in Deutschland dann lieber nicht so genau erkunden wollte. Dies zeigt einmal mehr, dass unsere Vision von einem Europa der Bürger richtig ist und sich europäischer Geist eben nicht von oben verordnen lässt. Wir müssen die Menschen mitnehmen nach Europa, das dem Land Nordrhein-Westfalen und seinen Bürgerinnen und Bürgern beträchtliche Chancen eröffnet.
Meine Damen und Herren, mit dem heute hier zur Debatte stehenden Antrag ziehen wir nun Bilanz. Zwei Dinge stehen fest: Der EU-Gipfel hätte besser laufen können, er hätte aber auch bedeutend schlechter laufen können. Es gab auf dem Gipfel viele Vorbehalte und Widerstände bis hin zu einer drohenden Blockade. Denn sogar EU-Angehörige mit kürzerer Mitgliedszeit haben schnell gelernt, dass man sich seine Meinung und einmal erlangte Besitzstände nur teuer abkaufen lässt, ganz egal, wer sie einem verschafft hat.
Insbesondere vor diesem Hintergrund kann der mühsam gefundene Gesamtkompromiss als Fortschritt und wichtiger Erfolg für Europa bewertet werden, aber auch wenn der Vertrag die EU demokratischer, transparenter und kontrollierbarer
machen wird. Durch die zahlreichen Umbenennungen, Fristenlösungen und Ausnahmeregelungen werden viele Ideen des Verfassungsentwurfes bedauerlicherweise erst Jahre später umgesetzt oder sind gar ganz verwässert.
„Das Schiff namens EU, das, mit dem Gewicht des Verfassungsvertrages, auf Grund gelaufen war, liegt immer noch tief im Wasser. Es schwimmt aber wieder. Dafür musste manches über Bord geworfen werden, dem einige nachtrauern, andere jedoch nicht, auch wenn Ausnahmeregelungen und Verzögerungen die Geschwindigkeit sofort wieder gedrosselt haben.“
Meine Damen und Herren, für ein solch großes Reformprojekt reicht nun einmal keine einfache Mehrheit, sondern wir benötigen Einigkeit. Nunmehr sitzen wieder alle 27 Mitgliedstaaten im Boot, um die EU handlungsfähig und stark zu machen. Es bleibt zu hoffen, dass die Umstände des Zusammenkommens des Kompromisses nicht die Akzeptanz und das Vertrauen der Bürger in die EU weiter belastet haben. Denn schließlich muss auch der neue Vertrag in zahlreichen Ländern per Volksentscheid ratifiziert werden.
Meine Damen und Herren, die wesentlichen Inhalte des Kompromisses sind im Antrag aufgeführt: verbesserte Abstimmungsverfahren, Stärkung der außenpolitischen Kompetenz, effizientere Institutionen, Einbeziehung der Europäischen Grundrechtecharta und Stärkung der europäischen Regionen.
Der Rat hat der bereits tagenden Regierungskonferenz ein Mandat erteilt, die Detailausarbeitung des neuen europäischen Verfassungswerkes zu übernehmen. Dies muss nun zeitnah und konsequent umgesetzt werden, ohne dass ein Nachverhandeln oder gar Aufschnüren des Kompromisses von einigen Wenigen geduldet wird, zum Wohle der Bürger in Europa, in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Brockes. – Als nächster Redner hat nun Kollege Töns für die Fraktion der SPD das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Europa wird in der Region gelebt. Das ist richtig. So steht es im Antrag. Ich
kann das nur unterstützen, aber, meine sehr verehrte Baronin Freifrau von Boeselager, ich muss mich an dieser Stelle schon sehr wundern. Das ist ein Fleißantrag, das ist ein schöner Antrag, aber ich weiß nicht, warum wir uns heute und in der nächsten Zeit damit beschäftigen sollen.
Ich will an dieser Stelle noch hinzusetzen: Ich habe auch den Eindruck, dass der Entschließungsantrag der Grünen zwar wohl gemeint ist – das ist alles lieb und nett –, aber in den angesprochenen Fragen sind wir uns in diesem Hohen Hause alle einig.
Ich will trotzdem ein paar Bemerkungen machen, zu denen mich dieser Antrag veranlasst: Wir alle in diesem Hause begrüßen die Ergebnisse der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Der fast schon gescheiterte Verfassungsprozess hat neues Leben eingehaucht bekommen, wenn auch nicht in der Form, wie ich mir das gewünscht hätte. Ich habe auch Herrn Brockes so verstanden, dass er sich zwar mehr hätte vorstellen können, dass wir aber alle froh sind, dass es überhaupt noch zu diesem Verfassungsprozess gekommen ist. Jetzt muss möglichst das Vereinbarte umgesetzt werden. Auch das ist wichtig. Es ist aber schon ein wenig pittoresk, wenn Sie das in diesem Antrag wie folgt formulieren, was ich zitieren möchte, Frau Präsidentin:
Der Landtag fordert die Landesregierung dazu auf, sich bei der Bundesregierung dafür einzusetzen, dass
die Regierungskonferenz für ihre Arbeit das vorliegende Mandat als ausschließliche Grundlage erachtet und vom Mandat nicht gedeckte Nachbesserungsversuche oder gar ein Aufschnüren des Gesamtpaketes konsequent abgewendet werden …“
Das hat es in der Geschichte der Europäischen Union auch noch nie gegeben. Oder ist schon einmal etwas aufgeschnürt und dann verändert worden? Ich weiß nicht, was die Landesregierung dazu beitragen soll. Aber Herr Breuer wird sich dazu sicherlich gleich noch äußern.
Herr Kollege Töns, vielleicht helfen Sie meiner Fantasie etwas nach. Wie haben wir uns das vorzustellen? Wenn dieser Antrag mit dieser Aufforderung beschlossen wird, wird dann die Frau Bundeskanzlerin den Ministerpräsidenten anschreiben mit der Bitte, doch zuzulassen, dass bei den Verhandlungen zum Verfassungsvertrag auch vom Mandat abgewichen werden kann? Muss sich der Landtag dann damit beschäftigen? Ich bin da sehr irritiert und verunsichert.
Herr Kuschke, ich bin auch ein wenig irritiert und kann darauf keine Antwort geben. Vielleicht wird Herr Breuer darauf eine Antwort geben können, wie er sich das vorstellt, Einfluss auf die Kanzlerin zu nehmen. Vielleicht fragt die Kanzlerin vorher aber auch erst einmal nach, wie das läuft.
Ich möchte Ihnen noch ein zweites Beispiel nennen: Ihre Unterstützung für das europäische Bürgerbegehren ist ähnlich pittoresk. Eine Million Unterschriften reichen. Haben Sie einmal nachgerechnet, wenn Sie das so toll finden, meine Damen und Herren von CDU und FDP, wie viele Unterschriften dann für Nordrhein-Westfalen reichen würden? Das ist schon ein bisschen abenteuerlich.
Wir sind uns ja einig, dass erstens die Regierungskonferenz ein Erfolg war und dass wir zweitens weiter an dem europäischen Einigungsprozess arbeiten müssen. Wo ist aber Ihre landespolitische Perspektive? Welche landespolitischen Initiativen können wir von Herrn Minister Breuer erwarten? Von CDU und FDP gibt es ja nur Ergebenheitsadressen an Frau Merkel. Das ist auch gut so, das soll man auch so machen. Bei der FDP wundert es mich ein wenig. Ist die nicht im Bundestag in der Opposition?
Sie lenken zum wiederholten Male von der europapolitischen Ideenlosigkeit dieser Landesregierung ab. Tatsächlich fehlen dem Antrag die im Titel angesprochenen regionalen Perspektiven. Es ist noch nicht einmal klar, wie die Bundesländer ihre nach Artikel 23 GG zustehenden Kompetenzen in Europa vertreten sollen. Das zeigt, dass viele Hausaufgaben einfach nicht erledigt sind.
Ich will hierzu die Fernsehrichtlinie als ein Beispiel nennen. Der Bundestag soll als nationales Parlament innerhalb von acht Wochen für die Bundesländer der neuen Fernsehrichtlinie widersprechen. Es ist ungeklärt, wie dies in dieser Zeit – unter anderem unter Einbeziehung der Landesparlamente – überhaupt leistbar sein soll. Dazu enthält der Antrag kein Wort. Dazu enthält er auch keine Idee. Vielleicht kann uns auch hierzu Minister Breuer sagen, wie er sich das vorstellt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal kann man zu dieser Thematik feststellen, dass wir uns im Landtag vordergründig zumindest weitgehend einig sind, was die Einschätzung der Regierungskonferenz angeht. Dabei gibt es einige Nuancen. Es ist ein Erfolg, dass der europäische Reformprozess an Fahrt gewonnen hat. Daran gibt es nichts zu deuteln.
Es ist auch zu begrüßen, dass dabei die Substanz des bisherigen Verfassungsvertrages weitgehend erhalten geblieben ist. Europa hat durch diese Reform die Chance, handlungsfähiger zu werden. Gleichzeitig werden die Rechte der Menschen in Europa gestärkt. Die Grundrechte-Charta wird rechtsverbindlich. Das war uns Grünen immer besonders wichtig, genau wie die Stärkung des Europäischen Parlaments durch das Mitentscheidungsverfahren, das zukünftig zur Regel werden soll. Der Rat wird zukünftig auch häufiger per Mehrheit abstimmen, statt die EU durch das Einstimmigkeitsprinzip zu blockieren. In diesem Zusammenhang ist aber natürlich zu bedauern, dass die Einführung der Abstimmung nach dem Prinzip der doppelten Mehrheit einige Jahre länger auf sich warten lässt. Schließlich wird mehr europäische Außenpolitik möglich, auch wenn der europäische Außenminister oder die Außenministerin nicht mehr so heißen darf.
Diese und andere Punkte würdigen auch Sie in Ihrem Antrag. Hierzu besteht grundsätzliche Einigkeit. Ich finde es im Gegensatz zu Ihnen, Herr Töns, vom Grundsatz her richtig, dass in den Parlamenten – aber nicht nur dort – über Europa diskutiert wird. Die Grünen haben im Bundestag großen Wert darauf gelegt, dass auch der Deutsche Bundestag über diese Fragen diskutiert.
Dass die Kuh aber noch lange nicht vom Eis ist, zeigen die zahlreichen Zusätze in Form von Fußnoten, Protokollen, Erklärungen und Ausnahmen, beispielsweise für das Vereinigte Königreich von Großbritannien, Irland und Polen zur Grundrechtecharta. Der Einfachheit, Klarheit und Verständlichkeit, die eigentlich Ziel sein sollte, dient das alles nicht.
Deshalb ist das, was Sie, Frau von Boeselager und Herr Brockes, der Landesregierung in diesem Antrag alles mit auf den Weg geben wollen, aus meiner Sicht nicht hilfreich, um, wie Sie es formulieren, die Regierungskonferenz zum Erfolg zu führen. An der Stelle habe ich die gleichen Zweifel wie Herr Töns, dass Frau Merkel darauf wartet, was Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen dazu sagt, um danach etwas in irgendeiner Weise in Gang zu setzen.
Bei aller Einigkeit im Großen und Ganzen bricht bei Ihnen im letzten Teil Ihres Antrags dann wieder der übliche Provinzialismus durch, wie wir ihn aus anderen Anträgen der letzten Zeit zum Thema Europa bei CDU und FDP kennen. Denn was Ihnen wichtig zu sein scheint, sind wieder weniger die Gestaltungs- als vielmehr die Verhinderungsmöglichkeiten. An der Stelle werden Sie zu Bedenkenträgern und nörgeln an dem einen oder anderen herum.
Natürlich stehen auch wir zum Subsidiaritätsprinzip. Das wissen Sie, und das haben wir nicht zuletzt im Rahmen der Beteiligung des Landtags am Subsidiaritätstestlauf Ende letzten Jahres deutlich gemacht: Unsere Fraktion hat das ausdrücklich befürwortet und mit vorangetrieben. Sie haben dazu gesagt: Nein, nicht so oft, das wollen wir vielleicht nicht. Sie müssten ein bisschen mehr Schwung in die Beteiligung NRWs bringen.
Wenn man aber das Subsidiaritätsprinzip und die Stärkung der nationalen Parlamente in erster Linie als Möglichkeiten zur Minimierung des europäischen Einflusses versteht und als Mittel zur Bewahrung von nationalem oder regionalem Kleinklein – ich nenne wieder gerne das Stichwort der 1:1-Umsetzung –, zeigt das, dass es mit dem großen europäischen Ganzen bei Ihnen doch nicht so weit her ist.
So wundert es eigentlich auch nicht mehr, dass Sie auch in diesem Antrag wieder einmal ganz zum Schluss zumindest zwischen den Zeilen zum Ausdruck bringen, wen Sie in der EU haben wollen und wen nicht. Sie sagen es zwar nicht so offen wie Herr Jostmeier auf seiner Homepage – ich zitiere – :