Protokoll der Sitzung vom 23.08.2007

den wir noch viel mehr Fakten auf den Tisch legen.

Zu der Argumentation, in welchen Ländern was wie wo gemacht wird. Ich würde mir wünschen, Sie würden sich öfter in anderen Ländern umschauen. Dann bekämen wir an der einen oder anderen Stelle tatsächlich innovative Schritte nach vorne. Das wäre zum Beispiel mit dem Blick auf Rheinland-Pfalz der Fall.

Aber wenn Sie hier sagen: „In anderen Ländern wurde dies gemacht“, darf ich Sie daran erinnern, dass gerade wir in Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland der Bundesrepublik Deutschland, in jahrelanger intensiver Arbeit eine soziale Infrastruktur aufgebaut haben, die den hier lebenden Menschen nachhaltig hilft. Und hier setzen Sie den Hammer an, hier holen Sie zum sozialen Kahlschlag aus und diskreditieren Zigtausende von Menschen.

Dann gibt es das Argument mit dem Landeshaushalt. Das war gerade in den letzten Tagen der Fall. Auch gestern, in der Haushaltsplanberatung, war das immer wieder ein Thema. Der Ministerpräsident ist mit keinem Wort darauf eingegangen. Das wird gerade in diesen Tagen gebracht, wenn es um die hohen Prioritäten des Haushalts geht, 4,6 Millionen € bei bedürftigen Menschen zu sparen.

Gleichzeitig reden Ihre Generalsekretäre darüber, über 40 Millionen € zusätzlich in die Hand zu nehmen, um einen zusätzlichen Wahltermin zu haben, damit Sie Ihre Wahlchancen besser ausloten. Das ist den Langzeitarbeitslosen gegenüber zynisch. Sie sollten sich schämen, mit diesem Argument nach vorne zu gehen.

(Beifall von der SPD)

Herr Minister, letzte Anmerkungen: Ich möchte nur einen Hinweis bezüglich der Frage der Kollegin Steffens geben. Eine Antwort auf die Frage nach den nicht versorgten Jugendlichen sind Sie – wie fast immer – schuldig geblieben.

Ich glaube, wir werden hier über das Thema Ausbildung – es ist gerade die Zeit der Ausbildungsbeginne – in absehbarer Zeit erneut diskutieren. Wir werden das mit Sachlichkeit machen. Wir werden auch sachlich darstellen, wo Ihre Fehlentscheidungen sind.

Aber es steht uns nicht zu, hier über die moralische Diskreditierung der Landesregierung – was wir machen würden – zu reden. Wie sich am Beispiel der Arbeitslosenzentren zeigt, diskreditieren Sie sich durch Ihre tägliche Arbeit selbst und sor

gen dafür, dass Sie mit Ihrer Rhetorik letztendlich als Sozialapostel dastehen werden.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Weitere Wortmeldungen liegen mir zu diesem Tagesordnungspunkt nicht vor, sodass wir zur Abstimmung über die Empfehlung des Ältestenrats kommen können, den Antrag Drucksache 14/4866 an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu überweisen und dort die abschließende Beratung und Abstimmung in öffentlicher Sitzung vorzunehmen. Wenn Sie damit einverstanden sind, tun Sie das bitte mit Handaufzeigen kund. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

4 Anpassung der Regelsätze jetzt!

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/4856

Für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Steffens das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit 2004 steht eine Menge Kritik an dem Regelsatz, der heute nach wie vor gilt – wenn auch jetzt um 2 € erhöht –, im Raum.

Die umfassendste Stellungnahme, die 2004 abgegeben wurde, war die des Vereins für öffentliche und private Fürsorge. Die Kritik an diesem Regelsatz bezog sich erstens auf die mangelnde Transparenz und die fehlende Nachvollziehbarkeit der normativen Setzung, und es wurde zweitens kritisiert, dass es keine wirklich detaillierten Erläuterungen zu dieser normativen Setzung gab und dass nie klar war: Wer sind die Experten und Expertinnen? Nach welchen Kriterien haben sie das, was sie erarbeitet haben, erarbeitet? Im Raum stand also der Vorwurf – das ist er auch heute noch – der willkürlichen Festsetzung eines Regelsatzes.

Der Inhalt dieses Vorwurfs wird auch heute noch von Wissenschaftlern und von Leuten, die in diesem Bereich beschäftigt sind, regelmäßig bestätigt. Die letzte Bestätigung erfolgte in der Studie

aus Bonn, in der es um die Höhe des Regelsatzes bezogen auf den Ernährungsbedarf geht.

Dabei kommt heraus, dass für 15- bis 18-Jährige schon vor den Preiserhöhungen, die wir gerade hatten, noch nicht einmal das, was nach dem Regelsatz für einen Erwachsenen an Ernährung vorgesehen ist, ausreichen würde, um sich gesund zu ernähren.

Herr Romberg, Sie haben an anderer Stelle in diesem Plenum schon einmal gesagt: Um sich gesund zu ernähren, muss man nicht teures Ökofleisch essen. Es gibt einfache Mittel, auch mit preiswerten Lebensmitteln gesund zu leben.

Die Studie aus Bonn hat wieder einmal deutlich vor Augen geführt, dass Sie ziemlich großen Quatsch geredet haben. Denn mit dem, was nach dem Regelsatz vorgesehen ist – das sagt Ihnen jeder Wissenschaftler –, ist eine gesunde Ernährung nicht möglich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Von daher geht es nicht um Ökofleisch, sondern es geht um gesunde Ernährung. Die ist mit diesem Regelsatz nicht möglich.

Es gibt aber noch ganz viele andere Fakten, die zeigen, dass der Regelsatz, wie er festgelegt worden ist, nicht haltbar ist. In einer Großstadt Köln gab es vor Hartz IV 20.000 Stromabschaltungen wegen Nichtzahlungsfähigkeit, jetzt gibt es 30.000 Stromabschaltungen. Das hat viel damit zu tun, dass die Preise steigen, aber das Geld nicht vorhanden ist.

Was besagt der Regelsatz eigentlich? – Der Regelsatz beschreibt das Existenzminimum. Der Begriff „Existenzminimum“ besagt: Das ist das Minimum, mit dem ein Mensch existieren kann. Das heißt aber auch: In dem Moment, in dem die Kosten zum Leben steigen, kann ich nicht neu definieren und sagen, man braucht weniger zum Existieren. Denn „Existenzminimum“ ist nichts, was man willkürlich, weil gerade die Preise steigen, eben einmal nach unten korrigieren kann, sondern das Existenzminimum stellt wirklich das Minimum dar. Das heißt: Wenn die Kosten für die Lebenshaltung steigen, muss auch der Betrag für das Existenzminimum steigen. Eine Gesellschaft muss entweder den Betrag für den Grundbedarf wie Nahrungsmittel, Grundnahrungsmittel und andere Dinge, die lebensnotwendig sind, automatisch wegen der Kostensteigerungen anpassen, oder aber sie erklärt, nicht bereit zu sein, den vorhandenen Grundbedarf zu bezahlen. Die Menschen müssten dann in bestimmten Lebenssituationen unterhalb des Existenzminimums leben.

Man muss sich einmal überlegen, in welcher Situation man sich selber befindet: Wir haben als Parlament in Nordrhein-Westfalen irgendwann einmal gesagt, wir wollten für die Diäten keine Willkür haben. Deshalb haben wir eine unabhängige Diätenkommission eingesetzt und einen Mechanismus beschlossen, nach dem die Diäten jedes Jahr angepasst werden. Das, was uns zugute kommt, wollen wir diesen Menschen nicht zugestehen, nämlich eine Anpassung, die sich an den gestiegenen Kosten orientiert? Wir wollen ihnen nur eine Anpassung anhand von Rentenerhöhungen gewähren, die aber nichts mit den Steigerungen der Lebenshaltungskosten zu tun hat? Das kann nicht sein. Deswegen wollen wir eine solche Anpassung und Erhöhung unabhängig und frei von jeglicher Willkür.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte noch einmal kurz auf unsere Haushaltsdebatte von gestern eingehen, als uns Hannelore Kraft vorgeworfen hat, wir würden viele einzelne Anträge formulieren, aber es fehle ein Gesamtkonzept. Es mag sein, dass das Gesamtkonzept nicht angekommen ist. Es gibt aber ein solches Gesamtkonzept. Das haben wir auch an mehreren Stellen erwähnt: Wir wollen eine unabhängige Kommission auf Bundesebene zur Festlegung der Höhe des Bedarfs sowohl für Kinder wie auch für erwachsene Menschen. Wir wollen, dass diese Bedarfe unabhängig und jenseits politischen Einflusses von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen ermittelt werden. Wir wollen darüber reden, dass Geräte und andere Sachen, die jetzt in der Pauschale erhalten sind, aber gerade zu den enormen Verschuldungen führen, aus den Regelsätzen eventuell herausgenommen werden. Wir wollen die Individualisierung von Sonderbedarfen, wie das früher nach dem BSHG der Fall gewesen ist. Wir wollen, dass die Kosten für Geschenke, die Kindern zur Kommunion, zu Weihnachten und zum Geburtstag gemacht werden, klar und deutlich geregelt und aus den Regelsatzleistungen herausgenommen werden. Schließlich wollen wir, dass regelmäßige Anpassungen entsprechend dem Preisindex durchgeführt werden und dass dieser Automatismus auf Bundesebene verankert wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das ist ein Konzept. Diesbezüglich wird aber auf Bundes- und Landesebene „herumgeeiert“: Von jeder Partei und jeder Fraktion schreit der eine, dass es mehr werden muss, während der nächste schreit, es müsse weniger werden. Toppen tut das Müntefering mit seiner Kopplung an einen Mindestlohn. Natürlich ist es wichtig, dass wir ei

nen Mindestlohn bekommen. An der Stelle kann ich die Blockadepolitik der CDU nur auf das Schärfste verurteilen.

Aber wenn wir über ein Existenzminimum reden, ist damit das Minimum gemeint, das Menschen brauchen, um existieren zu können, und zwar unabhängig davon, ob dem ein Mindestlohn gegenübersteht oder nicht. Ich kann nicht sagen: Weil die einen keinen Mindestlohn bekommen, müssen die anderen unterhalb des Existenzminimums leben. Das ist zynisch und eine unzulässige Kopplung.

Wir haben ein Gesamtkonzept und finden, dass dieser Baustein jetzt so schnell wie möglich auf Bundesebene eingebaut werden muss, weil eine solche regelmäßige Anpassung jetzt stattfinden muss. Den Eltern, die jetzt Milch und Fleisch kaufen wollen, nützt es überhaupt nichts, wenn die SPD, CDU und FDP irgendwann darüber reden wollen. Nein, wir müssen jetzt handeln, damit die Menschen das Geld in der Tasche haben, das ihnen fehlt, um das Existenzminimum bezahlen zu können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Als nächster Redner hat für die CDU-Fraktion der Kollege Burkert das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Zielsetzung der HartzGesetze vom 1. Januar 2005 formulierte der damalige Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

„Deutschland in Arbeit zu bringen, das ist unsere wichtigste Aufgabe in den kommenden Monaten und Jahren. Ob die Arbeitsmarktreformen mehr Arbeitsplätze bringen werden, ob Hartz IV dazu notwendig ist, das hat in den vergangenen Monaten viele Menschen bewegt. Zu Recht, denn es geht um unsere Zukunft.“

Weiter heißt es:

„Deshalb müssen wir gemeinsam anpacken die Agenda 2010, wobei die Arbeitsmarktreformen mit Hartz IV als Kernstück große Schritte in die richtige Richtung sind. Sie verbessern unsere Wettbewerbsfähigkeit und tragen auch dazu bei, Deutschland wieder in Arbeit zu bringen. Sie sind gerecht, denn es gibt nichts Ungerechteres als unfreiwillige Arbeitslosigkeit.“

Gezweifelt wurde an Hartz IV sofort. Wenn Leistungsberechtigte laufende Leistungen der Hilfen

zum Lebensunterhalt benötigen, richtet sich die Höhe des Bedarfs vor allem nach sogenannten Regelsätzen. Grundlage für die Bemessung der Regelsätze ist die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, die in der Regel alle fünf Jahre erhoben wird. Aus Einkommens- und Verbrauchsstichprobe leitet sich der Eckregelsatz ab. Die Leistungen des Eckregelsatzes werden nach den tatsächlichen, statistisch ermittelten Verbrauchsausgaben von Haushalten im unteren Einkommensbereich bemessen und decken dadurch den Bedarf. Der Eckregelsatz liegt inzwischen bundeseinheitlich bei 347 €.

Diesen gibt es grundsätzlich für jeden Haushalt. 347 € erhalten Alleinstehende und Haushaltsvorstände. Für jeden weiteren Haushaltsangehörigen gibt es dann zusätzliche Beträge, deren Höhe vom Alter dieser Haushaltsangehörigen abhängt. Für Kinder unter 14 Jahren werden 60 % des Eckregelsatzes gezahlt und für die übrigen Haushaltsangehörigen 80 % des Eckregelsatzes. Zusätzlich übernimmt das Sozialamt die angemessenen Kosten der Unterkunft und die Heizungskosten. Kindergeld, Unterhaltsvorschuss und andere Einkünfte werden auf diese Leistungen angerechnet.

Die Ermittlungsgrundlage für den Regelsatz setzt sich insbesondere aus folgenden Positionen zusammen: der Bedarf an Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarf des täglichen Lebens sowie die Teilnahme am kulturellen Leben.

Es ist schon erstaunlich, dass Sie, die Grünen, Frau Steffens, heute feststellen, dass Hartz IV und die von Ihnen festgelegten Regelsätze schlecht sind.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

In der Drucksache 15/4627 des Deutschen Bundestages ist nachzulesen, dass Fragen genau zu dieser Thematik gestellt wurden und die Fragesteller diese Probleme damals bereits erkannt haben. Rot-Grün hat diese Hinweise ignoriert. Und wer hier „eiert“, wie Sie es gerade beschrieben haben, das haben Sie damit eindeutig festgestellt.

(Vorsitz: Präsidentin Regina van Dinther)

Die Hartz-IV-Eckregelsätze sind an die Entwicklung der Renten gekoppelt, nicht an die Inflationsrate. Der Eckregelsatz ist daher zum 1. Juli 2007 von 345 € auf 347 € gestiegen. Die Rentenbezüge sind ebenfalls zum 1. Juli leicht angehoben worden. Ich frage: Gehen die Preissteigerungen etwa an den Rentnern vorbei, Frau Steffens?

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])