Protokoll der Sitzung vom 23.08.2007

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Mit Ihrem Antrag „Anpassung der Regelsätze jetzt!“ kommt es zu einem Systembruch. Auch das gesamte Tarifgefüge kann damit ausgehebelt werden. Ich pflichte dem Ministerpräsidenten bei, wie er gestern gesagt hat: Wir müssen den Kindern einkommensschwacher Familien in den Ganztagsschulen eine warme Mahlzeit anbieten können.

(Beifall von der CDU)

Dazu hat die Landesregierung einen Fonds eingesetzt „Kein Kind ohne Mahlzeit“, mit dem sie den Kommunen 10 Millionen € zur Verfügung stellt. Damit wird 50.000 Kindern geholfen. Auch über „OPUS NRW“ Netzwerk Bildung und Gesundheit“, nutzen bereits 700 Schulen und 300 Kindertageseinrichtungen Unterstützungsangebote zur gesunden Ernährung und Bewegung.

Über die Behandlung einmaliger Mehrbedarfe für Kinder, z. B. für Lernmittel, sollte nachgedacht werden. Hier gilt es, möglichst bundeseinheitliche Instrumente zu entwickeln, die die finanzielle Notlage von Familien mit schulpflichtigen Kindern lindert. Hier sind Lösungsansätze gefragt. Daran muss gearbeitet werden. Das Anheben der Regelsätze ist keine Lösung. Deshalb können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen.

(Beifall von der CDU – Barbara Steffens [GRÜNE]: Das ist mir klar!)

Danke schön, Herr Burkert. – Herr Killewald spricht nun für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zum wiederholten Mal haben wir in diesem Jahr einen Antrag im Bereich der Regelsätze vonseiten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorliegen.

Wir sind uns durchaus der Unterschiede Ihrer Anträge bewusst. Ich zweifle auch gar nicht an Ihrer ehrlichen Absicht, Frau Steffens, im Interesse der Betroffenen Verbesserungen herbeiführen zu wollen. Ich finde sogar die Zielrichtung, die Sie vorhin beschrieben haben, durchaus erwähnenswert. Nach Ihrer Rede und Ankündigung, hier eine namentliche Abstimmung zu beantragen, zweifle ich daran, dass Sie mit diesem Antrag Ihrem Ansinnen wirklich dienen.

(Beifall von der SPD)

Sie schreiben:

„Die Landesregierung wird beauftragt, über eine Bundesratsinitiative darauf hinzuwirken,

dass die Sozialgesetze SGB II und XII sofort geändert werden.“

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Ja!)

Sie wissen, dass dieses „sofort“ zeitlich über eine Bundesratsinitiative sehr schwierig ist. Ferner wissen Sie auch, dass Sozialdemokraten und Christdemokraten noch diese Woche erklärt haben, im November zu dem Thema zu kommen. Das heißt für Ihren Antrag – zumindest sehe ich das so –, abgesehen von Ihrer ehrlichen Absicht, hier scheint es Ihnen heute nur um Populismus zu gehen.

Denn aus den vergangenen Diskussionen sollten Sie wissen, dass SPD und CDU auf Bundesebene wohl eher nicht bereit sind, die bundespolitische Koalitionsrunde im Düsseldorfer Landtag zu führen. Sie wissen, dass Berlin diese Woche – wie gerade erwähnt – klar und deutlich gemacht hat: In diesem Herbst wird es bei diesem Sachverhalt zu Veränderungen und zu Angleichungen kommen. Da sind inhaltliche Anregungen gefragt und nicht bloßer Populismus.

Sie werden auch wissen – Sie haben das gerade erwähnt –, dass wir Sozialdemokraten in diesem Landtag bereit sind, auf Landesebene ein Gesamtpaket im Sachzusammenhang für NRW zu erarbeiten. Dies können Sie mit uns auf der Ebene der Sachauseinandersetzung, z. B. in den Ausschüssen, machen. Dort liegen bereits Anträge von Ihnen vor.

(Zuruf von Barbara Steffens [GRÜNE])

Ja, Sie wollen jetzt gleich Briefe aus der letzten rot-grünen Koalition auf Landesebene zitieren.

Frau Steffens, klar ist doch Folgendes: Die Parteien haben damals Reformen beschlossen. Diese Beschlüsse sind zum Teil fünf Jahre alt und bedürfen in diesem Herbst der gründlichen Überprüfung. Frau Kraft hat gestern ganz deutlich gesagt, dass sie bereit ist, Gesamtpakete zu schnüren, und dass sie bereit ist, Tabus, die bisher galten, anzusprechen, z. B. Einmalregelungen wieder einzuführen. Wir als nordrhein-westfälische Sozialdemokraten stehen dafür im Gesamtzusammenhang durchaus ein. Wir werden in den nächsten Wochen hierzu konkreter werden.

Die berechtigten Anliegen von Empfängerinnen und Empfängern von Sozialhilfe und Grundsicherung auf Überprüfung und gegebenenfalls Erhöhung der Regelsätze sind ernsthaft zu diskutieren und dürfen nicht politisch missbraucht werden.

Es kann nicht sein, meine Damen und Herren der CDU –, dass führende Politiker Ihrer Partei im

vergangenen Jahr noch eine 30%ige Kürzung der Regelsätze von arbeitsfähigen ALG-II-Empfängern verlangten, und nun diese Herren Stoiber und Althaus sozusagen in einem Beliebtheitswettbewerb nicht näher quantifizierte Erhöhungen fordern.

Diese Diskussionskultur wird der Situation der Betroffenen nicht gerecht. Ich fordere Sie auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Bedürfnisse der Betroffenen im Mittelpunkt stehen und solche Stimmen bei Ihnen keinen Platz mehr haben.

Eine Erhöhung der Regelsätze muss zwangsläufig mit der Beachtung des Lohnabstandsgebotes und der Einführung eines bundeseinheitlichen Mindestlohnes gesehen werden. Gegenwärtig werden über die Steuerlast aller Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Arbeitsverhältnisse von Menschen subventioniert, deren Einkommen nicht ausreicht, um davon ihren Lebensunterhalt selbstständig zu bestreiten. Über ergänzende Sozialleistungen wird ein weit verbreitetes System prekärer Beschäftigungsverhältnisse ermöglicht. Dadurch werden indirekt solche Unternehmen mit öffentlichen Mitteln subventioniert, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu niedrig entlohnen. Das wollen wir abschaffen, meine Damen und Herren.

Auch aus diesem Grunde können und werden wir an dieser Stelle einer isolierten Betrachtung der Regelsätze nicht folgen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Killewald. – Herr Dr. Romberg hat für die FDP-Fraktion nun das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Steffens, Aussagen von mir so pauschal als Quatsch hinzustellen, erhöht nicht Ihre soziale Kompetenz.

Sie weisen auf die Untersuchung des Instituts für Kinderernährung in Dortmund hin. In der Dortmunder Untersuchung werden für den Bereich der älteren Kinder von 12 bis 16 Jahren die Defizite gesehen, wenn man dies mit dem Einzelbetrag, der bei Hartz IV aufgeführt ist, vergleicht. Bei den älteren Kindern sehe ich auch Defizite. Man muss das aber im Pauschalzusammenhang sehen. Aber es geht um den diffizilen Bereich der älteren Kinder. Aber pauschal zu sagen, es beträfe alle Kinder und keiner könne sich mit dem Geld gesund ernähren, ist etwas, was nicht in Ordnung ist.

Wenn die Lebenshaltung teurer geworden ist, so geht das zum Teil auch auf die Grünen zurück.

(Lachen von Barbara Steffens [GRÜNE])

Ich denke an die hohen Energiepreise, bewirkt durch die Ökosteuer. – Ja, da können Sie lachen, Frau Steffens. Viele, die wenig Geld haben, können darüber überhaupt nicht lachen

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Über Sie schon!)

und fänden Ihr Lachen ziemlich hämisch.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Es geht darum, dass Landwirte immer mehr zu Energiewirten geworden und natürlich dadurch auch Lebensmittel teurer geworden sind. Das ist doch eine von Grünen gewollte Politik. Jetzt beklagen Sie das erst einmal.

Es hat auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer stattgefunden; was ebenfalls die Lebenshaltungskosten deutlich gesteigert hat. All das belastet Menschen mit wenig Einkommen besonders. Das sind Maßnahmen, die wir Freien Demokraten von Anfang an sehr kritisch gesehen haben.

Das Für und Wider dieser Regelsatzerhöhung diskutieren wir seit mehreren Monaten. Die aktuelle Diskussion auf der Bundesebene ist aber kein Grund, auf eine sorgsame Prüfung zu verzichten und eine Entscheidung übers Knie zu brechen.

Nicht zuletzt die Uneinheitlichkeit des Meinungsbildes der Großen Koalition offenbart einen Bedarf an fundierten Informationen. Da werden ganz unterschiedliche Ansichten darüber vertreten, ob eine Anhebung der Regelsätze erforderlich oder doch eher schädlich ist. Da gibt es diese unsägliche Koppelung an den Mindestlohn, die schon äußerst skurril ist. Das alles wird zum Glück jetzt vom Bundessozialminister geprüft. Die Bundeskanzlerin hat angekündigt, nach der Prüfung würden die im November vorliegenden Daten für eine Entscheidung bereitgestellt. Allein schon deshalb ist der Antrag der Grünen mit seiner Aufforderung „Anpassung jetzt“ reiner Populismus.

Wie auch immer das Ergebnis der Prüfung ausfallen wird, muss man sich schon jetzt die Konsequenzen einer Regelsatzerhöhung klarmachen. Eine Orientierung an der Inflationsrate, wie sie der thüringische Ministerpräsident Althaus vorgeschlagen hat, ist genauso problematisch. Denn dies müsste dann für alle Sozialleistungen gleichermaßen gelten. Was ist mit der Entwicklung der Löhne, wenn die Lebenshaltungskosten steigen? Was ist mit den Renten? Da brauchen wir eine Verhältnismäßigkeit. Es ist sicher keine Lö

sung, die Hartz-Leistungen immer weiter ansteigen zu lassen, in einem Fall, in dem Renten und vielleicht auch Löhne sinken. Durch höhere Sätze beim ALG II wird dann das Lohnabstandsgebot, was jetzt schon bei den unteren Einkommensklassen sehr problematisch ist, endgültig zur Farce. Das darf nicht sein. Es demotiviert die Bezieher geringer Einkommen, wenn dann die Empfänger staatlicher Transfers mehr haben als sie.

(Zuruf von Rüdiger Sagel [fraktionslos])

Eine Regelsatzerhöhung ändert zudem nichts an dem Zustand der Langzeitarbeitslosigkeit selbst, Herr Kollege Sagel. Mit einer Verbesserung bei der Stellenvermittlung, mit einer veränderten Hinzuverdienstgrenze wäre den Betroffenen eher geholfen. Es muss das oberste Ziel bleiben, den Menschen den Weg von der Erwerbslosigkeit in den Arbeitsmarkt zu ebnen.

Seitens der Politik sollten diese Rahmenbedingungen so gestaltet sein, dass ihnen keine bürokratischen Steine in den Weg gelegt werden. Es ist ohne Zweifel erforderlich, in diesem Zusammenhang vor allem das Problem der Kinderarmut aufzugreifen. Der Sozialbericht der Landesregierung hat dies eindrucksvoll offengelegt. Die Bundesagentur für Arbeit hat erklärt, dass die Zahl der Kinder, die von ALG II leben müssen, dramatisch gestiegen ist, und zwar um 44.000 im Vergleich zum Jahr 2006. Diese Erkenntnis basiert auf einer Untersuchung des Bremer Instituts für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe.

Laut BA lässt sich daraus aber noch keine objektiv gestiegene Kinderarmut nachweisen, da diese, wie es heißt, vermutlich durch die Hartz-Reform einfach besser erfasst wird. Das ist sicher nicht als Verharmlosung zu verstehen, sondern dient einfach der Versachlichung des Themas. Emotional geführte Debatten helfen den Betroffenen überhaupt nicht.

(Beifall von der FDP)

Die Diskussion darf jedenfalls nicht dazu führen, dass man die mit dem SGB II verbundenen Reformanstrengungen in Bausch und Bogen verdammt. Natürlich wurden Fehler gemacht. Manches wurde überhastet angegangen. Schon allein den Aufwand des Vorhabens hat man gehörig unterschätzt. Dies ändert aber nichts daran, dass der Grundansatz richtig ist.

Im Übrigen waren die Grünen bei der HartzGesetzgebung in der Verantwortung; Herr Kollege Burkert hat es angesprochen. Jetzt so zu tun, als sei man nie beteiligt gewesen, ist ziemlich unehrlich.

(Beifall von FDP und CDU)

Gerade wenn man wichtige Errungenschaften der Sozialstaatsidee bewahren will, muss man angesichts der nationalen und internationalen Entwicklung bereit sein, die Strukturen zu verändern.