Protokoll der Sitzung vom 19.12.2007

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Wir benehmen uns, wie wir es für richtig halten! Das ist ja lächerlich!)

So wirkt Ihr heutiger Antrag wie eine Show. Eine Show lehnen wir in diesem Haus jedoch ab. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Lenken Sie doch nicht ab!)

Vielen Dank, Herr Kollege Kleff. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der SPD der Kollege Schmeltzer das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Also, das war gerade ein Eiertanz. Es war ein Hin und Her, nicht zum Antrag und nicht zu dem zu sprechen, was insbesondere der Arbeitsminister dieses Landes in den letzten Wochen von sich gegeben hat.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die „Frankfurter Rundschau“ titelte am 13. Dezember, also vor gut einer Woche – ich zitiere –: „Arbeiterführer Rüttgers knickt ein.“ Weiter schrieb sie: „Der große Sozialflüsterer aus dem

Rheinland bleibt diesmal stumm …“ Das ist bezeichnend für die Politik der Landesregierung an dieser Stelle – bezeichnend dafür, dass der kleine Partner in dieser Koalition wieder einmal mit dem Arbeiterführer wedelt.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Schlitten fährt er mit ihm!)

Am 5. Dezember hörte ich morgens auf dem Weg nach Düsseldorf im Auto auf WDR 2 den Arbeitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Herrn Laumann. Auszüge will ich Ihnen hier und heute nicht vorenthalten. Ich zitiere:

„Der Druck, dass man akzeptiert, dass man nur niedrige Löhne zahlt, nur weil man damit Arbeit organisiert, der Druck ist für die Arbeitnehmerschaft eine Vorstellung, die wird am Ende dazu führen, dass wir in der Arbeitnehmerschaft unseren Wohlstand verlieren.“

Weiter heißt es – ich zitiere, Herr Minister –:

„Aber es ist auf der einen Seite so, dass in der sozialen Marktwirtschaft der Wettbewerb doch über Qualität, über Innovation, über Vertrauen stattfinden soll, aber nicht über die Frage, wer den billigsten Anbieter findet.“

Genau das ist richtig. Das Interview war so anregend, dass – wenn ich die Stimme nicht erkannt hätte – ich mich gefragt hätte, welcher führende Sozialdemokrat da gesprochen hat.

(Minister Karl-Josef Laumann: Quatsch!)

Deshalb ist die Begründung der Landesregierung zur Enthaltung im Bundesrat in dieser Woche fadenscheinig, Herr Minister.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Lächerlich!)

Sie sagen, Sie hätten eine gemeinsame Position gefunden, die lautet, Wettbewerb würde unterdrückt. Herr Laumann, waren Sie nicht in dieser Kabinettsitzung? Haben Sie die Inhalte, die Sie in dem WDR-2-Interview dargelegt haben, nicht ebenso im Kabinett vertreten? Oder ist es vielmehr so, dass auf Druck der allgewaltigen FDP in Nordrhein-Westfalen nur schnell eine Begründung zur Enthaltung gefunden werden musste? – Dann hätten Sie lieber öffentlich zwei Positionen kundgetan und mitgeteilt: Aufgrund von Uneinigkeit wurde die Koalitionskarte gezogen.

Stattdessen lavieren Sie und schauspielern die große Einigkeit. Dem Sozialschauspieler Rüttgers folgt die Laienspielschar nach dem Motto: „Wir haben uns alle lieb.“ Das kann nicht Ihr Ernst sein.

Diese Truppe hat es geschafft, nicht nur die Bundeskanzlerin Merkel zu düpieren, sondern auch einen ihrer Solisten, nämlich den NRWArbeitsminister und CDA-Bundesvorsitzenden Laumann. Anders ist es auch nicht zu erklären, dass Arbeitsminister Laumann am Mittwoch, den 12.12., laut „Frankfurter Rundschau“ zu keiner Stellungnahme mehr bereit war. Dass der Herr Minister düpiert worden ist, zeigt auch das Verhalten des CDU-Fraktionsvorsitzenden, der es vorzog, bei der Abstimmung im Koalitionsausschuss nicht mehr anwesend zu sein.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wer sich jetzt gegen Mindestlöhne stellt, nimmt in Kauf, dass Menschen trotz Vollzeitbeschäftigung als Bittsteller ergänzend auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Das ist Subventionierung von Arbeit aus Steuergeldern zugunsten von unternehmerischen Hasardeuren, die Menschen zu Dumpinglöhnen beschäftigen. Diese Unternehmer verfolgen ein Geschäftsmodell, das auf Dumpinglöhnen basiert, obwohl der Arbeitsminister hier im Haus exakt vor zwei Monaten erklärt hat – ich zitiere noch einmal –:

Ich will, dass dieser Tarifvertrag in das Entsendegesetz aufgenommen wird und die Regelungen so schafft, wie sie vereinbart worden sind.

(Zuruf von Hubert Kleff [CDU])

Herr Kleff, Tarifvertrag, genau das ist es nämlich. Und Ihr Arbeitsminister hat das bestätigt. Nur Sie haben das noch nicht verstanden. Im Gegenteil: Sie argumentieren mit sittenwidrigen Löhnen und sagen gleichzeitig, sittenwidrige Löhne seien von Einzelpersonen abhängig. Das heißt, Menschen, die eventuell niedrigschwellige Arbeit verrichten, dürfen laut Ihrer Definition nach sittenwidrigen Löhnen bezahlt werden. Das, was Sie hier in Verbindung mit dem Entsendegesetz lostreten, ist sittenwidrig.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Hubert Kleff [CDU]: Unglaublich!)

Nein, es ist unglaublich, was Sie von sich gegeben haben.

Herr Laumann, Ihre Stellungnahmen zu den Briefdienstleistern im Zusammenhang mit dem Entsendegesetz, die ich gehört und gelesen habe, sind richtig. In Ihrer Regierung scheint Ihre Fachmeinung allerdings keinen Pfifferling Wert zu sein. Das bedaure ich an dieser Stelle.

Bevor Sie gleich mit Ihren Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von der Niederlage im Koalitionsausschuss ablenken wollen, sei Ihnen Folgendes zwecks Richtigstellung gesagt: Ja, Allgemeinverbindlichkeitserklärungen sind ein gutes Instru

ment für die Länder und auch den Bund. Ja, Allgemeinverbindlichkeitserklärungen hat es sehr wohl bereits vor Karl-Josef Laumann in NordrheinWestfalen gegeben. Ja, Allgemeinverbindlichkeitserklärungen im Wach- und Sicherheitsgewerbe und im Hotel- und Gaststättengewerbe hat es auch schon vor Karl-Josef Laumann in NordrheinWestfalen gegeben.

(Minister Karl-Josef Laumann: Wann denn?)

Das ist schließlich das übliche Geschäft eines Arbeitsministers.

Zu Ihren Bemerkungen bezüglich des Bäcker- und Friseurhandwerks sei Folgendes angemerkt: Auch die dort getroffenen Allgemeinverbindlichkeitserklärungen hat es schon vor Ihnen gegeben. – Ilse Brusis und Harald Schartau lassen an dieser Stelle herzlich grüßen.

All das ist im Übrigen in der Aufstellung, die ich Ihnen unter Ihrem vehementen Kopfschütteln im Mai übergeben habe, nachzulesen. Es ist nämlich kein leeres Papier gewesen, sondern eine Aneinanderlistung von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen in Nordrhein-Westfalen von 2000 bis 2007. Das hat man zwar nicht so gerne, wenn man vorher etwas anderes behauptet hat, aber man muss die Wahrheit zur Kenntnis nehmen, Herr Minister.

(Helga Gießelmann [SPD]: Da geht er wei- chen!)

Bei allen guten Eigenschaften von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen – abgesehen von einigen verstreuten – waren wir uns hier im Hause immer einig, dass an erster Stelle – das haben wir eben zumindest in den ersten Überschriften gehört – die Tarifautonomie stehen muss.

Wir waren uns aber auch einig, Herr Minister, dass wir rückläufige Tarifvertragsabschlüsse und rückläufige Tarifbindungen haben. Deshalb dürfen und können wir nicht tatenlos zuschauen, dass sich ganze Branchen durch Tarifflucht aus der Tarifbindung verabschieden und dass Wettbewerb auf den Schultern der Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer ausgetragen wird. Hier scheinen wir einig zu sein. Denn ich interpretiere all Ihre Stellungnahmen und Interviews der jüngsten Vergangenheit genau so.

Gerechte Löhne sind Ausdruck der Anerkennung guter Leistung. Lohndrückerei ist menschenunwürdig, und, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle sind doch auf „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ verpflichtet. Ist das mit Ihrer Politik an dieser Stelle noch vereinbar?

Wie peinlich waren doch im Mai dieses Jahres in diesem Zusammenhang die Wortbeiträge der Kollegen Weisbrich und Brockes, die sich hier hingestellt und dargelegt haben, dass wir keinen Mindestlohn bräuchten bzw. dass wir bereits mit dem Arbeitslosengeld II einen faktischen Mindestlohn hätten. Sie haben gar behauptet, dass jeder Mindestlohn, der oberhalb des ALG-II-Niveaus liege, zwangsläufig Arbeitsplätze vernichte und Schwarzarbeit fördere. Diese Äußerungen markierten eine peinliche Stunde in diesem Parlament.

(Beifall von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Mit der in der vergangenen Woche vom Deutschen Bundestag beschlossenen Aufnahme des Postmindestlohns in das Entsendegesetz sind auch die Kritiker in der Union in Berlin mit beachtlicher Mehrheit einverstanden. Die Bundeskanzlerin steht zum Postmindestlohn und die Aufnahme in das Entsendegesetz wie auch der NRWArbeitsminister, die CDA und sicher – wenn auch schweigend in diesem Hause – viele Kolleginnen und Kollegen in den Reihen der Union.

Das christliche Menschenbild, die christliche Soziallehre, das, was Sie gerne als Ihre Leitlinien benennen, entspricht nicht dem allzeit konkurrierenden Menschen. Vor gut 30 Jahren – Herr Kleff hat es angesprochen – wäre kein Unionspolitiker auf die Idee gekommen, dass Hungerlöhne in die soziale Marktwirtschaft passen könnten. Man hätte damals sehr wohl zur Kenntnis genommen, dass sich Unternehmen, die mit Niedriglöhnen konkurrieren wollen, Tarifverhandlungen immer verschlossen haben, wie im Übrigen von KarlJosef Laumann in dem WDR-2-Interview bestätigt. Er sprach von dem Unternehmen PIN – ich zitiere –, dass „dieser Arbeitgeber ja auch dafür bekannt ist, dass er eigentlich überhaupt keine Tarifverträge will, denn er hat sich nie bemüht, einen Tarifabschluss mit ver.di hinzubekommen. Erst dann, als die Post einen Mindestlohn vereinbart hatte, haben sie überhaupt einen Arbeitgeberverband gegründet.“

Ich frage mich, wie es sein kann, Herr Minister, dass Sie, wenn Sie zu all dem stehen – und das glaube ich Ihnen –, immer noch Post mit PIN aus Ihrem Ministerium verschicken. Mittlerweile ist darauf nicht nur der PIN-Stempel – PIN ist gar nicht mehr in der Lage, Ihre Post zu verschicken –, sondern daneben auch der Stempel der Deutschen Post. PIN gibt das nämlich an die Deutsche Post weiter. Das zeigt, wie unfähig, wie unsäglich dieses Unternehmen tatsächlich ist.

Dieser Arbeitgeberverband oder auch der Arbeitgeber selber hat etwas bisher nie Dagewesenes in der Bundesrepublik Deutschland organisiert: eine Demonstration von Beschäftigten – bezahlt natürlich; jetzt müsste eigentlich der Aufschrei der Empörung der FDP kommen; das machen Sie immer so, wenn vor dem Landtag demonstriert wird – für niedrigere Löhne. Das war einmalig in der Bundesrepublik Deutschland. Wie unmenschlich können Unternehmer sein, die ihren Arbeitnehmern eine Demonstration vergüten, um sich vor dem Brandenburger Tor für Dumpinglöhne auszusprechen? Das ist an Unmenschlichkeit nicht mehr zu überbieten und zeigt das wahre Gesicht des Unternehmens und Arbeitgeberverbandes, der sich erst kürzlich gegründet hat.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das Entsendegesetz mit dem Mindestlohn für Briefdienstleistungen muss kommen – für die Menschen im Gewerbe, für einen fairen Wettbewerb ohne Lohndumping.

Herr Minister Laumann, in der Anmoderation im WDR 2 hieß es, Sie hätten für den Mindestlohn bei Briefträgern gekämpft. Es hieß aber auch: Er redet sich den Kompromiss mit der FDP schön. – Zeigen Sie der überwältigenden Mehrheit der Menschen heute, dass dieser Kampf, Ihr Kampf, ein richtiger war. Stimmen Sie mit Ihren CDAKollegen den vorliegenden Anträgen zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schmeltzer. – Für die Fraktion der FDP hat nun der Kollege Dr. Romberg das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einführung eines Mindestlohns für Postdienstleistungen ist wirtschaftspolitisch eine Rolle rückwärts ins Reich der bestens geschützten Monopolisten, die sich hinter dicken Mauern vor anderen Wettbewerbern verstecken. Es geht also nicht um die Verhinderung von sittenwidrigen Löhnen, sondern stattdessen wird die private Konkurrenz der Post im Bereich der Briefzustellung faktisch ausgehebelt. Zu berücksichtigen ist im Falle der Post auch noch der Wettbewerbsvorteil durch das Mehrwertsteuerprivileg.

Die böse Bescherung des Postmindestlohns ist leider schon da. Die im nächsten Jahr auf der Straße stehenden Briefträger, die zurzeit noch für den privaten Briefzusteller PIN tätig sind, empfin

den den von der SPD initiierten Mindestlohn als blanken Zynismus, Herr Schmeltzer. Sie haben im nächsten Jahr weniger anstatt mehr Geld, sie sind dann nämlich arbeitslos.