Protokoll der Sitzung vom 19.12.2007

den den von der SPD initiierten Mindestlohn als blanken Zynismus, Herr Schmeltzer. Sie haben im nächsten Jahr weniger anstatt mehr Geld, sie sind dann nämlich arbeitslos.

(Zuruf von Gerda Kieninger [SPD])

Dafür trägt nicht nur das Management des Unternehmens Verantwortung, die SPD trägt Mitschuld an der drohenden Vernichtung von 9.000 Arbeitsplätzen der PIN AG. Die Grünen tragen zum Glück keine politische Verantwortung mehr in Flächenländern, sonst würden sie dieses Elend auch noch mittragen.

(Gerda Kieninger [SPD]: Demnächst laufen sie für 2 €!)

Nach Einschätzung des Deutschen Verbandes für Post, Informationstechnologie und Telekommunikation – DVPT – droht in dieser Branche ein Verlust von 20.000 Arbeitsplätzen, weil Unternehmen in großer Zahl zur Aufgabe gezwungen sind. Etwa die Hälfte der rund 700 kleineren Zustellfirmen, die in Deutschland tätig sind – auch in NordrheinWestfalen –, werden Ende 2008 voraussichtlich nicht mehr auf dem Markt sein, so der DVPT.

Auch die TNT Post kommt zu einer ähnlichen Einschätzung. „Einer ganzen Branche auf Druck der Deutschen Post überhöhte Mindestlöhne zu diktieren, halte ich für eine politische Fehlentscheidung“, so der Post-Geschäftsführer der TNT, Mario Frusch. Wettbewerb sei so nicht machbar.

Bekanntlich ist es eine zentrale Aufgabe des Staates, die Rahmenbedingungen in der Arbeits- und Wirtschaftspolitik so zu gestalten, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen begünstigt wird. Aus der Lohnpolitik sollte er sich nach Möglichkeit heraushalten, denn dies ist in erster Linie die Aufgabe der Tarifpartner.

Herr Kollege, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, aber der Kollege Schmeltzer würde gerne eine Zwischenfrage an Sie richten.

Ich würde gerne erst einmal ausführen. Herr Schmeltzer kann zum Schluss noch Fragen stellen.

Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tariflöhnen für eine ganze Branche muss aus Sicht der FDP-Fraktion aus diesem Grund eine Ausnahme bleiben.

Für die SPD erfüllen die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen vor allem einen Zweck: den gesetzlichen Mindestlohn durch die Hintertür einzu

führen. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Peter Struck, hat bereits angekündigt, dass der Mindestlohn durch Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes in zehn weiteren Branchen Einzug halten soll.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Meseberg!)

Die Tarifautonomie wird auf diese Weise ad absurdum geführt und eine ursprüngliche Zielsetzung des Entsendegesetzes gleich mit, denn ursprünglich ging es um nichts anderes als den Schutz der deutschen Bauwirtschaft vor ausländischen Dumpinglöhnen. Wir sehen mit Sorge, dass sich unter dem Deckmantel der staatlichen Fürsorge bei den Sozialdemokraten und den Grünen allmählich eine mentale Rückbesinnung auf die Planwirtschaft entwickelt. In diesem Zuge ist der Markt pauschal zum Lieblingsfeind Nummer eins erklärt.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Man muss schon sehr viel Nachsicht haben, um das ertragen zu können, Herr Kollege!)

Die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft, in der die zugegeben wichtige Rolle des Staates noch klar geregelt war, sind offenbar in Vergessenheit geraten.

Es ist also schon allein ordnungspolitisch zweifelhaft, wenn der Staat immer häufiger die Aufgaben von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der Tarifpolitik übernimmt. Erst recht verbietet es sich, wenn dieser Staat auch noch offenkundig Fehlentscheidungen seinen Segen gibt und damit den massiven Abbau von Arbeitsplätzen billigend in Kauf nimmt.

Bei der Gelegenheit will ich gerne noch daran erinnern, dass Florian Gerster, seines Zeichens Präsident des Arbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustelldienste und ehemaliger Sozialminister der SPD in Rheinland-Pfalz, die Einführung des Mindestlohns im Postbereich für einen abenteuerlichen Akt der Verbiegung von rechtlichen Grundlagen hält. Gerster befürchtet ein regelrechtes Debakel, wenn der Postmindestlohn auf andere Branchen ausgeweitet wird.

(Minister Karl-Josef Laumann: Das war der Arbeitsminister von Herrn Beck!)

Dann können wir uns wieder auf fünf Millionen Arbeitslose in Deutschland einstellen, hat er die Öffentlichkeit wissen lassen.

Gerster benennt damit einen der wichtigsten Gründe, warum Mindestlöhne nach unserem Verständnis ein hochproblematisches Mittel sind. Setzt man sie zu niedrig an, bringen sie nichts

und sind bestenfalls Ausdruck reiner Symbolpolitik, also Wahlkampfrhetorik frei nach dem Motto „Die tun was“. Setzt man Mindestlöhne zu hoch an – wie im vorliegenden Fall –, dann kosten sie Arbeitsplätze, und das nicht zu knapp.

Schon die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 7,50 € könnte nach Berechnungen des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle und des ifo Instituts Dresden zu einem Verlust von bis zu 1,1 Millionen Arbeitsplätzen führen. Das wären allein in Nordrhein-Westfalen rund 200.000 Arbeitsplätze, die gefährdet sind. Ein genereller Mindestlohn in Höhe des jetzt beschlossenen Mindestlohns für Briefdienstleistungen würde nach Berechnungen des ifo Instituts München, nämlich seines Chefs Herrn Sinn, 1,9 Millionen Arbeitsplätze gefährden. Das wären für Nordrhein-Westfalen rund 350.000 Arbeitsplätze.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auch noch auf einen anderen Aspekt richten. Das ifo Institut hat in einer Studie gleichfalls herausgefunden, dass ein Viertel aller gewerblichen Arbeitnehmer bzw. rund 4,3 Millionen Erwerbstätige weniger verdienen als Briefzusteller mit Mindestlohn. Mit dem vereinbarten Mindestlohn in Höhe von 9,80 € im Westen und 9 € im Osten stehen viele Postbedienstete sehr viel besser da als andere Arbeitnehmer, die über eine höhere Qualifikation und eine umfassendere Berufsausbildung verfügen.

(Beifall von der FDP)

Es würde mich schon sehr interessieren, wie die selbst ernannten Hüter der sozialen Gerechtigkeit ihre Politik gegenüber diesen 4,3 Millionen Erwerbstätigen erklären wollen.

(Beifall von der FDP)

Aus unserer Sicht ist dies eine verheerende Botschaft für gut qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und zwar in allen Branchen.

Für Menschen mit einer geringeren beruflichen Qualifikation brauchen wir in Deutschland einen funktionierenden Niedriglohnsektor. Denn es ist unverantwortlich, diesen Bürgerinnen und Bürgern die Teilhabe durch Arbeit zu verwehren. Aus Sicht der FDP brauchen wir dazu eine Vereinfachung und Entbürokratisierung innerhalb der Regelungen zur sozialen Sicherung. Mit der Einführung des liberalen Bürgergelds wäre dies möglich. Das böte ein Mindesteinkommen, das keine Arbeitsplätze vernichtet.

(Beifall von der FDP)

Es gibt noch weitere Verfehlungen, die mit dem Postmindestlohn verbunden sind. Davon betroffen

sind nicht nur die Konkurrenten der Post und deren Mitarbeiter, sondern auch die Kundinnen und Kunden, also wir alle. Wahlfreiheit bei der Wahl der Dienstleister erweist sich als Illusion, wenn der Monopolist allein das Sagen hat und die Preise diktiert. Die Verhinderung solcher Monopole ist im Übrigen ein Kernanliegen sozialer Marktwirtschaft. Freiheit macht nur Sinn, wenn man tatsächlich die Wahl zwischen verschiedenen Optionen hat, wie zum Beispiel im Telekommunikationsbereich.

Deshalb hat gestern die Monopolkommission in einem Sondergutachten wirklich eindrücklich vor den Postmindestlöhnen gewarnt. Die Senkung der Portopreise werde verhindert, sagte der Vorsitzende der Monopolkommission Dr. Jürgen Basedow.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Ich fasse zusammen: Mindestlöhne sichern nicht den sozialen Frieden. Die Menschen in den USA, die den Mindestlohn schon seit über 50 Jahren haben, leben nicht besser als die Menschen in Dänemark und Schweden, die auf einen gesetzlichen Mindestlohn verzichten. Denn Mindestlöhne schaffen keinen Wohlstand für alle. – Danke sehr.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Romberg. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Laumann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal ist es so, dass es – das steht auch im Beschluss des Koalitionsausschusses der Landesregierung – ein Instrument der nordrheinwestfälischen Landespolitik bleibt, durch Allgemeinverbindlichkeitserklärungen auch die Tariffindung und die Tarifbindung in diesem Land weiterhin zu unterstützen.

Herr Schmeltzer, es ist richtig: Es hat auch schon vor meiner Zeit Allgemeinverbindlichkeiten gegeben. Ich habe weitere Branchen aufgenommen. Sie sind ja als Gewerkschaftler wohl auch in der Lage, Tarifverträge zu kennen. Die Wahrheit ist, dass im Hotel- und Gaststättenbereich früher nur der Mantel für allgemeinverbindlich erklärt war. Mir ist es gelungen, zum ersten Mal nach 30 Jahren für das Hotel- und Gaststättengewerbe und damit für 160.000 Menschen in NordrheinWestfalen auch die Entgelte für allgemeinverbindlich zu erklären. Darauf kommt es doch wohl in allererster Linie an.

(Beifall von der CDU)

Ich habe mich gerade noch einmal bei Herrn Pollmeyer erkundigt, der seit ganz vielen Jahren der Tarifschlichter in unserem Ministerium ist und der ohne Frage, glaube ich, auch über Parteigrenzen hinweg einen hervorragenden Job macht. Er hat mir gerade noch einmal bestätigt, dass in der Zeit von Herrn Schartau keine einzige zusätzliche Branche in Nordrhein-Westfalen in diesem Punkt in die Allgemeinverbindlichkeit aufgenommen worden ist.

(Beifall von der CDU)

Ich will das nur zur Klarstellung ganz deutlich im nordrhein-westfälischen Landtag sagen.

Der nächste Punkt, den ich gerne ausführen will, ist: Ich glaube, dass Deutschland nach dem Krieg bis heute mit seinen Tarifverträgen und auch mit der Unabhängigkeit der Tarifvertragsparteien hervorragend gefahren ist und dass es jetzt auch Aufgabe von Politik ist, dafür zu sorgen, dass die Tarifautonomie in diesem Land gestärkt wird.

(Beifall von Dr. Stefan Romberg [FDP])

Wir sind der Meinung, dass für die Entgelte und die Arbeitsbedingungen sowohl in den Manteltarifverträgen wie auch in den Entgelttarifverträgen nur dann eine gerechte Lohnfindung stattfindet, wenn sie zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelt wird und man sich anschließend auch an das Ausgehandelte hält. Es ist die Aufgabe auch von Arbeitgeberverbänden in Deutschland, dafür zu sorgen, dass Tarifpolitik stattfindet.

Aber wenn man das so sieht, dann muss man gegen gesetzliche Mindestlöhne sein, wie sie SPD und Grüne in Deutschland zurzeit verlangen, denn gesetzliche Mindestlöhne haben mit Tarifautonomie überhaupt nichts zu tun.

(Beifall von der CDU – Rainer Schmeltzer [SPD]: Wir sprechen hier heute über das Entsendegesetz, Herr Minister!)

In den letzten Jahren haben wir in Deutschland Branchen, wo die Lohnfindung nicht mehr in Ordnung ist, wo das nicht mehr zwischen den Verbänden passiert und wo Löhne einseitig von Unternehmen festgelegt werden können. Wenn Löhne einseitig von Unternehmen festgelegt werden können, hat das mit einer fairen Lohnfindung nichts mehr zu tun.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das hat Frau Thoben heute beim Thema Managergehälter noch anders gesagt!)

Deswegen ist es ein legitimes Mittel der Politik, Branchen für allgemeinverbindlich zu erklären und in besonderen Fällen – da geht es um europäische Schutzinteressen – auch in das Entsendegesetz aufzunehmen.