Genauso haben wir noch relativ allgemeine Äußerungen zur Bedeutsamkeit der Medienkompetenz gehört und natürlich über die lobenswerten Projekte, die endlich verbindlich in die Fläche müssen.
Aber so deutlich die Ergebnisse der Studie sind, die Prof. Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen in der letzten Woche an der Seite der Schulministerin präsentiert hat, so wenig neu sind sie. Schließlich ist Herr Pfeiffer mit dem Thema und mit den Forschungsergebnissen hinreichend medial präsent. Die Studie zeichnet allerdings ein ungeschminktes Bild der Lebenslagen vieler Kinder und Jugendlicher. Diese für Sie offensichtlich doch neue Erkenntnis
Allerdings bleibt die Antragstext dazu sehr schmal und seltsam eindimensional. Ich muss schon sagen: Die Zumutung der Vortragsweise von Herrn Witzel angesichts dieses Themas, wenn es sich denn um eine Aktuelle Stunde handelt, spricht in Kombination mit diesem Antrag für sich. Bei keinem Vorlesewettbewerb in einer Grundschule hätte er damit reüssieren können. Das war eine sehr seltsame Vorstellung.
Wenn der Medienkonsum Auswirkungen auf die Schulleistungen hat, stellt sich natürlich dadurch auch die Frage nach der Verantwortung. Die formulieren Sie in Ihrem Antrag – ich zitiere –: „auch auf Seiten der Eltern.“ Das Wörtchen „auch“ jedoch führen Sie aber wohlweislich nicht aus. Ich denke, um von zentralen schulpolitischen Konsequenzen abzulenken, die Ihnen Herr Pfeiffer ungeschminkt in der letzten Woche auf den Tisch gelegt hat.
Selbstverständlich: Eltern verantworten die Erziehung und Bildung ihrer Kinder mit; aber eben: auch. Das ist die andere Seite der Medaille, die Sie bewusst bei Ihrem Antrag für diese Aktuelle Stunde ausgespart haben: eben auch das Gemeinwesen. Das Land NRW muss Verantwortung für die beste Bildung für alle Kinder übernehmen, für Chancengleichheit und dafür, dass Kinder nicht durch mögliche Versäumnisse der Erziehungsberechtigten oder Versäumnisse des Bildungssystems zahlen müssen.
Wieder einmal lädt sich das Schulministerium einen Experten ein, dessen Expertise es dann doch nicht folgt. Aber das kennen wir schon von Herrn Schleicher oder Herrn Domisch. Das passiert genauso nun auch Herrn Pfeiffer. Deswegen ist in der Tat heute die richtige Zeit und der richtige Ort zu fragen, was das Schulministerium nun tatsächlich angesichts der dargestellten Problemlage macht.
Wir Grünen schließen uns Prof. Pfeiffer in seinen Schlussfolgerungen an: Schule, Familie und Peers, also die Gruppe der Gleichaltrigen, spielen eine entscheidende Rolle. Deshalb ist auch seine folgende Forderung absolut richtig: Wir brauchen die flächendeckende Einführung von Ganztagsschulen, die ein anderes Lernen ermöglichen.
Das beschränkt sich eben nicht auf Hauptschulen, sondern gilt ohne Einschränkungen für alle Schulen und ohne dass die Schülerinnen und Schüler
Schülerinnen und Schüler brauchen positive Vorbilder, positive Orientierung auch untereinander. Sie lernen voneinander, dass es auch andere Lebensstile gibt, wenn sie nicht durch sozial ausgrenzende Schulformen blockiert und eingekesselt werden.
Sie lernen gemeinsame Aktivitäten und Alternativen zum ungebremsten Medienkonsum kennen, der doch in seiner Unmäßigkeit gerade eine Ersatzhandlung für fehlende Beziehungen signalisiert. Schülerinnen und Schüler entwickeln im Ganztag personale, soziale und emotionale Kompetenzen. Isolation, Vereinsamung und dem Rückzug in eine virtuelle Welt kann besser in einer Ganztagsschule begegnet werden.
Prof. Pfeiffer belegt in seiner Studie, dass durch eine fundierte Medienkompetenzentwicklung schon in der Grundschule – begleitet von intensiver Elternarbeit, und das heißt in der Konsequenz: Zeit für Elternberatung – die Prävention greift und dass sich der Medienkonsum deutlich qualitativ verändert.
Aber wie sieht denn die Politik der Landesregierung aus? Zeit für Elternberatungstage ist gestrichen. In der notwendigen Lehrerfortbildung wurde Tabula rasa gemacht. Seit eineinhalb Jahren haben wir geradezu eine Fortbildungsbrache. Die Kompetenzteams kommen nur mit Ach und Krach an den Start; von den E-Teams gar nicht zu reden.
Intensive Konzepte zur Medienkompetenzentwicklung schon in der Grundschule – wie in Berlin erfolgreich erprobt – bleiben in Nordrhein-Westfalen nur Schall und Rauch.
Aber das ist NRW: Isolation und soziales Abgehängtwerden von Kindern in der nicht mehr gewünschten Hauptschule, deren Statistik von Ihnen durch Zwangszuweisungen schöngerechnet wird. Das ist NRW: ein Druck in der Schule, an dem viele Kinder zu zerbrechen drohen, durch eine von Ihnen, Frau Ministerin, und vom Ministerpräsidenten zu verantwortende verkorkste Schulreform zum Turboabitur am Gymnasium, bei dem die gelben Antreiber jetzt so tun, als ob sie nie etwas damit zu tun gehabt hätten.
Wir sollten doch nicht verdrängen, dass Leistungsdruck, Vereinsamung, Isolierung, Schulfrust und Versagensängste, Realitätsverlust und Flucht in eine virtuelle Welt sich bei labil veranlagten Jugendlichen schon jetzt wiederholt in Gewalt an Schulen bis hin zum Amoklauf entladen haben. Wollen Sie das eigentlich alles nicht zur Kenntnis nehmen?
Derweil pflegen Sie ihre schwarz-gelbe ideologische Spielwiese und betonieren die Schulformgrenzen und die Ganztagsschulgrenzen. Ich zitiere gern den Experten, den Sie sich zur Pressekonferenz eingeladen haben, Frau Ministerin:
„Eine nachhaltige Verbesserung der Situation wird nur über die flächendeckende Einführung von Ganztagsschulen zu erreichen sein, die primär dem Motto verpflichtet sind: Lust auf Leben wecken durch Sport, Musik, kulturelles und soziales Lernen.“
Aber das braucht Zeit. Das heißt: weg vom Bimsen und von der Stoffhuberei, die Schwarz-Gelb den Schulen verordnet. Das heißt auch: weg von der Dreifächerschule und in aller Konsequenz endlich weg von der Ständeschule des 19. Jahrhunderts – hin zu einer Schule, die eine qualitativ hohe Grundbildung für alle Kinder gewährleistet, allen Kindern Lebensgestaltungskompetenzen vermittelt, soziales und emotionales Lernen, Leistung und Chancengleichheit ermöglicht, einer Schule, die Lust auf das Leben macht!
Genau das ist der öffentliche Anteil an der Verantwortungsgemeinschaft für die Erziehung und Bildung unserer Kinder, die gemeinsam mit den Eltern besteht. Diese Aufgaben setzt die Landesregierung grandios in den Sand und will sie offensichtlich nicht wahrhaben. Sie haben versucht, all das in Ihrem Antrag zur Aktuellen Stunde unter den Tisch fallen zu lassen. Sie mahnen Eltern an ihre Pflichten und lenken von den von Ihnen zu verantwortenden Versäumnissen ab. Frau Ministerin, das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am vergangenen Freitag hat Herr Prof. Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen seine Untersu
chung über den Zusammenhang von Mediennutzung und schulischem Erfolg vorgestellt. Sie trägt einen sehr provozierenden Titel: „Die PISAVerlierer – Opfer ihres Medienkonsums“.
Dadurch wurde eine Diskussion von großer Tragweite für unsere Kinder und Jugendlichen angestoßen. Wir müssen über den verantwortungsvollen Umgang mit Medien jeder Art diskutieren. Denn wir wissen, dass unreflektierter, zeitlich ausufernder Medienkonsum nicht folgenlos bleibt.
Pfeiffers zentrale Aussage lautet: Die übermäßige und unkontrollierte Nutzung elektronischer Medien beeinträchtigt die Bildungschancen zu vieler junger Menschen. – Er weist eindrücklich nach, was wir bereits geahnt haben. Bereits Viertklässler verfügen in ihren Kinderzimmern oft über eine erhebliche Ausstattung mit Fernsehern und Spielekonsolen.
Als Folge dessen weisen sie schon als Zehnjährige und später als Fünfzehnjährige einen weit höheren Medienkonsum auf als die in der PISAStudie besser abschneidenden Vergleichsgruppen. Das belegen zwei vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen durchgeführte Querschnittsbefragungen von 5.500 Viertklässlern und 17.000 Neuntklässlern.
So fasst Prof. Pfeiffer die Ergebnisse seiner zugegebenermaßen sehr plakativen Studie wie folgt zusammen: Ungehemmter und unkontrollierter Medienkonsum macht Kinder dick, dumm, krank und aggressiv. – Dazu möchte ich allerdings ergänzen: Wir wissen, dass es immer ein Geflecht von Gründen gibt, dass Schülerinnen und Schüler die erhofften schulischen Leistungen nicht erreichen. Einer davon – und daran gibt es wohl keine Zweifel mehr – ist übermäßiger Medienkonsum.
Um es ganz klar zu sagen: Es geht dabei nicht um Medienschelte oder gar um die Verteufelung von Medien. Das wäre völlig unangebracht. Medien eröffnen uns die Welt und ihre komplexen Zusammenhänge. Das Wort „Medien“ bedeutet dem Wortsinn nach ja auch Vermittler. Wir sind also für die Nutzung von Medien, aber mit Verstand und zeitlicher Begrenzung.
Die Welt unserer Kinder ist geprägt von Medien und ihrer Nutzung. Oft werden morgens schon vor der Schule der neueste Film aus dem Internet über das Handy oder DVDs, Spiele, Spielekonsolen usw. ausgetauscht. Kinder und Jugendliche bringen ihre Spiele und Filme von zu Hause mit. Jede Mutter und jeder Vater weiß, dass es nicht immer einfach ist, Kindern in diesem Bereich Grenzen zu setzen. Natürlich haben alle anderen
Aber die uneingeschränkte und unbeobachtete Mediennutzung findet nun einmal zu Hause statt. Hier ist das verantwortliche Handeln der Erwachsenen gefragt, der Eltern und der Erziehungsberechtigten. Sie müssen den Kindern klare Regelungen zur Mediennutzung vorgeben, ihnen aber auch eine verantwortungsvolle Mediennutzung vorleben.
Dabei kommt es darauf an, dass Eltern auch einmal den Fernseher ausstellen und ihr Handy ausschalten, wenn sie mit ihrer Familie gemütlich zusammensitzen. Wir alle müssen diese Studie zum Anlass nehmen, Eltern und Erziehungsberechtigte zu ermutigen, der Medienzeit ihrer Kinder zu deren eigenem Wohl Grenzen zu setzen.
So müssen wir zum Beispiel die Ratschläge von Medienpädagogen zur Kenntnis nehmen. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass es eine vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration bestellte Broschüre zum Thema „Computerspiele. Fragen und Antworten“ gibt. Sie sagt deutlich, dass die Fernseh- und Computerzeit für die bis zu Siebenjährigen eine Stunde täglich nicht überschreiten sollte. Kinder unter 10 Jahren sollten nicht ohne Begleitung im Internet surfen. In das Kinderzimmer eines Grundschulkindes gehört kein Fernsehapparat.
Ich möchte die Erwachsenen aber auch auffordern, sich ihrer Vorbildfunktion bewusst zu sein, denn wir wissen, wie wichtig Vorbilder für Kinder sind. Ich wünsche mir, dass die gewonnene Zeit für kreative Freizeitaktivitäten und Hobbys wie Musik, Sport oder Lesen genutzt wird.
Wichtig ist, dass unsere Schulen das Thema immer wieder ansprechen und es den Eltern immer wieder bewusst machen – bei der Einschulung, beim Schulwechsel und bei Elternabenden. Wichtig ist, dass es in den Schulen bei der Mediennutzung zu einem Konsens mit den Eltern kommt. Neben einem Nutzungskanon kann er vor allen Dingen auch beinhalten, wie die Schülerinnen und Schüler auf eine sinnvolle Mediennutzung vorbereitet werden können.
Ich möchte, dass die Jugendlichen in unseren Schulen lernen, Medien zur Meisterung ihrer Zukunft sinnvoll zu nutzen, ihnen aber gleichzeitig Grenzen gesetzt werden, damit sie sich diese Zukunft nicht durch übermäßigen Medienkonsum verbauen. – Danke.
Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich vorschlagen, dass wir die Aktuelle Stunde beschließen; denn die CDU hat vorhin mit zwei und später mit drei Abgeordneten hier gesessen. Es ist die Fraktion, die diese Aktuelle Stunde immerhin beantragt hat. Ich finde das zu diesem Thema schon ein bisschen peinlich.
Nach der Rede der Schulministerin juckt es einen aber doch in den Fingern, zu fragen: Wo sehen Sie eigentlich Ihre Verantwortung, Frau Ministerin?