Protokoll der Sitzung vom 16.04.2008

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind uns dessen bewusst, dass es deutliche Geschlechterunterschiede gibt – das meine ich nicht nur aus der biologischen Betrachtungsweise heraus –, die sich eben nicht nur in der unterschiedlichen Berufswahl zeigen, sondern auch in der Bezahlung und im gesellschaftlichen Ansehen deutlich werden.

Daher muss es unsere politische Aufgabe sein, unsere Kinder, ob Jungen oder Mädchen, umfassend zu fördern und ihnen das ganze Spektrum der beruflichen Möglichkeiten, die sich ihnen bieten, nahezubringen. Insbesondere unsere Jungen sind derzeit die Bildungsverlierer, wobei man durchaus die Frage stellen dürfte, ob nicht eine jahrzehntelange rot-grüne oder überwiegend rote Bildungspolitik eventuell dazu beigetragen hat. Aber die Mädchen erreichen trotz ihrer besseren Schulleistungen im Durchschnitt in der beruflichen Entwicklung dennoch nicht den Status, den sich ihre männlichen Altersgenossen verschaffen.

Mit dem Antrag „Jungen fördern – ohne Mädchen zu benachteiligen“ haben FDP und CDU für die Notwendigkeit der individuellen Förderung auch unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten bereits umfangreiche Maßnahmen vorgesehen.

So sollen die geschlechtsspezifische Förderung, etwa die Unterstützung der Jungen beim Lesen oder der Mädchen bei den Naturwissenschaften, die generelle individuelle Lernentwicklung und die Förderung innerhalb der bestehenden Strukturen nachdrücklich verbessert werden. So begrüßt und unterstützt die FDP ausdrücklich das Projekt Landesinitiative Jungenarbeit – um hier nur ein Beispiel zu nennen –, das viele geschlechtsspezifische Aspekte aufgreift. Aber Vorsicht an der Bahnsteigkante! All diese Aussagen betreffen zwar eine Mehrheit, aber eben nicht alle Vertreter und Vertreterinnen des jeweiligen Geschlechts.

Die SPD verweist in ihrem Antrag zu Recht auf die oftmals vorhandene Erwartungshaltung und

Einflussnahme von Eltern auf die Berufswahl ihrer Kinder. Die Schlussfolgerung der SPD jedoch, dann über den Umweg der Elternabende die Kinder zu steuern, halte ich für problematisch. Sollte es nicht die Aufgabe der Gesellschaft sein, dass sie ihre Kinder und Jugendlichen zu eigenverantwortlichen und mündigen Erwachsenen und Bürgern erzieht, die eigenständige Entscheidungen treffen können? Gehört hierzu nicht gerade auch die Entscheidung über die berufliche Zukunft?

Wir sollten nicht vergessen, dass es in der individuellen Entscheidung eines jeden Jugendlichen und jungen Erwachsenen liegt, wie er oder sie das zukünftige berufliche Leben gestalten möchte. Es ist nicht die Aufgabe der Politik, in diese Entscheidungsfindung steuernd einzugreifen. Politik kann hier nur Perspektiven aufzeigen, kann bestmöglich fördern und Schwächen ausgleichen und auf vermeintlich unbekannte oder auf den ersten Blick auch uninteressante Berufsfelder aufmerksam machen und für sie werben.

Selbstverständlich brauchen wir mehr Absolventen in technischen und naturwissenschaftlichen Berufen. Das bedeutet auch, dass wir vor allem auch deutlich höhere Zahlen von Absolventinnen benötigen. Die Politik sollte gerade in diesem spezifischen wissenschaftlichen Bereich, in dem Frauen nach wie vor unterrepräsentiert sind, alles versuchen, junge Frauen für den technischen Unterricht zu interessieren.

Als gute Beispiele möchte ich hier Angebote nennen wie „Mädchen wählen Technik“ oder die Einführungsangebote wie die Sommer-Uni oder das Projekt MINT oder das Frauenprojektlabor im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich an den Hochschulen.

Ich denke, dass es diese Maßnahmen sind, die den Frauen die Vielfalt der Chancen aufzeigen, die tradierten Berufsschemata zu überwinden. Dass die Einkommen zwischen Frauen und Männern häufig große Unterschiede aufweisen, ist bekannt, aber dennoch nicht gut. Die Gründe sind hierfür vielfältig. Ich kann nur davor warnen, dass der Staat versucht, hier regulierend einzugreifen. Lohnfestlegung ist nicht die Aufgabe des Staates, sondern der Tarifpartner. Im Lohnfindungsprozess hat die Politik nichts zu suchen.

Meine Damen und Herren, mit den von der Landesregierung bereits ergriffenen Fördermaßnahmen für beide Geschlechter befindet sich Nordrhein-Westfalen auf einem sehr guten Weg. Unser Ziel muss es letztlich dabei sein, dass eine geschlechtersensible Politik nicht mehr notwendig ist, sondern dass wir je nach Interessenlage, nach

Voraussetzungen, auch nach Perspektiven Jungen und Mädchen gleichermaßen fördern, damit sie in der Lage sind, sich frei und kompetent für ein bestimmtes Berufsleben, für eine bestimmte Ausbildung zu entscheiden. – Danke schön.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Pieper-von Heiden. – Jetzt hat für Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Steffens das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin schon ein bisschen erstaunt. Ich habe das Gefühl, dass Frau Westerhorstmann und Frau Pieper-von Heiden bei der Anhörung, die wir zu dem Thema hatten, nicht anwesend waren. Anders kann ich mir ihre Redebeiträge hier und heute nicht erklären.

Die Anhörung hat doch ziemlich klar und deutlich gezeigt: Wir haben die bestausgebildete Generation von Mädchen in der Schule. Sie sind besser als die Jungen, sie haben Superabschlüsse. Trotzdem landen die Mädchen hinterher in den niedrigstbezahlten Berufen und nicht wie die Jungs in den Berufen, die gut bezahlt sind. Das hat auch etwas mit dem Equal Pay Day zu tun, weil dort Information über Ausbildung, Berufsausbildung und hinterher berufliche Perspektiven in einem Gang möglich ist. Das ist ziemlich logisch und müsste Ihnen eigentlich auch klar sein.

Deswegen ist es richtig, dass man diesen Zusammenhang herstellt, auch mit der Berufsausbildung von Mädchen anfängt und sich überlegt, wo nach wie vor die Defizite sind. Noch haben vorhandenen Defizite viel mit Rollenverhalten und Rollenmuster innerhalb der Schulen, innerhalb der Lehrerschaft und des gesamten Systems zu tun und nicht damit, dass in der Schule die Lesekompetenz von Jungen schlechter ist als die von Mädchen. Wenn weiterhin an Schulen mit den bestehenden Lehrkräften, egal ob Frauen oder Männer, tradierte Rollenmuster vermittelt werden, wird das nicht aufgebrochen.

Das Ansetzen bei den Jungen muss doch an einer anderen Stelle anfangen. Es geht nicht darum, wenn Sie wieder mit diesem Antrag kommen, ob Jungen besser lesen können, sondern es geht darum, ob sich Jungen in dieser Gesellschaft auch für Sorgearbeit verantwortlich fühlen.

(Beifall von einzelnen Abgeordneten der SPD)

Sind auch Jungen diejenigen, die Pflegearbeit übernehmen, oder ist Pflege ein Frauenberuf? Sind Jungen auch diejenigen, die Erzieher werden wollen, oder ist das den Frauen angeboren? Das sind doch die Rollenmuster, die nach wie vor vermittelt werden und die aufgebrochen werden müssen. Das hat nichts mit Lese- und Rechtschreibkompetenz zu tun. Das ist eine andere Baustelle, die man hier nicht verwechseln sollte.

Man sieht es auch an anderen Beispielen. Wenn man einmal die falschen Rollenbilder, die in Grundschulen, Gymnasien bis hin zu Universitäten vermittelt werden, beiseite legt, dann sehen wir auch Beispiele, wie man es positiv und anders gestalten kann. Informatik an der Uni Bremen beispielsweise ist ein geschlechterspezifischer Lehrgang. Plötzlich sehen wir, dass bei diesem geschlechterspezifischen Studiengang viel mehr Frauen am Studium teilnehmen und die Abbrecherinnenquoten ganz gering sind. Also: Wir müssen Sachen geschlechtergerecht gestalten.

Wenn ich dann hier höre, dass Frau Pieper-von Heiden uns wieder erzählt, was der Staat alles nicht soll, kann ich nur sagen: Es geht doch nicht darum, auf Elternabenden Eltern einzureden, was die Kinder werden sollen. Aber schauen Sie sich einmal an, welche Rollenbilder und Rollenmuster im öffentlichen Leben vermittelt werden! Wer Zeit hat, sollte sich einmal nachmittags die Daily Soaps oder die Talk-Sendungen im Fernsehen anschauen. Dort sieht man, welche Rollenbilder vermittelt werden. Dort werden nicht Rollenbilder vermittelt, wo die Frauen als Informatikerinnen oder als Ingenieurinnen in die Welt ziehen, sondern da werden weiterhin die klassischen Rollenbilder vermittelt. Da existieren ganz typische Klischees, die aufgebrochen werden müssen.

Wir haben gerade als Grünen-Fraktion am 7. März eine Veranstaltung hierzu im Landtag gemacht, wo wir uns mit der Medienverantwortung – denn wir leben in einer Mediengesellschaft – beschäftigt haben. Wir haben unter anderem mit der WDR-Intendantin, Frau Piel, versucht zu untersuchen, was die Medienbilder mit den jungen Frauen machen. Man kann erkennen: Wenn plötzlich Kommissarinnen, Polizistinnen, Pathologinnen – hier geht es eigentlich nicht um Pathologinnen, sondern um Rechtmedizinerinnen – vorkommen, werden auch positive Bilder vermittelt. Wenn diese Berufsbilder vorkommen, gibt es plötzlich auch von den jungen Frauen einen Run auf diese Berufe. Damit müssen wir uns beschäftigen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Da liegt doch die Verantwortung, dass darauf einwirken müssen, dass in der öffentlichen Gesellschaft, im öffentlichen Leben, in den Medien alle anderen Rollenbilder vorkommen, dass junge Frauen positive Vorbilder bekommen und dass sie nicht weiter in den klassischen Rollenbildern verharren und Mädchen einfach keine Vorbilder an der Stelle haben.

Wenn hier wieder gesagt wird, das müssten wir den Tarifpartnern überlassen, wissen wir doch, was dabei herauskommt. Wir sehen es in ganz vielen Bereichen, in denen es eingeschliffen ist, egal ob es im Kindergarten die Erzieherinnen sind, ob es die Grundschullehrerinnen sind, ob es im Verkauf ist: Es ist nicht gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. Das haben wir nicht. Das müssen wir erreichen, und wir müssen gucken, wie hier die Frauenberufe aufgewertet werden können.

Warum ist es denn in anderen Ländern anders? Dort werden bestimmte Berufsbilder auch anders bewertet, und es gibt andere Löhne dafür. Das müssen wir aufbrechen. Wir müssen dahin kommen, dass Frauenberufe anders bewertet werden. Denn wenn diese Berufe besser angesehen werden, dann werden auch Männer in die Sorgearbeit gehen. Jetzt ist es klassischerweise so, dass die Frauen da bleiben, wo das Gehalt am schlechtesten ist. Da werden wir noch viel tun müssen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sie, Frau Westerhorstmann, Sie, Frau Pieper-von Heiden, haben keine Antworten geliefert,

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Sie haben nichts geliefert, was die Frauen auch nur einen Millimeter nach vorne bringt. Sich dann hinzustellen und zu sagen, das sei populistisch, ist ein Armutszeugnis für Ihre Politik.

(Beifall von den GRÜNEN)

Mir geht der Antrag der SPD-Fraktion auch nicht weit genug. Aber er ist ein Schritt, der vielleicht doch einmal dazu führt, dass wenigstens der Minister – wenn Sie es schon nicht schaffen – versucht, ein Stück nach vorne zu kommen. – Danke.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Jetzt hat Herr Minister Laschet das Wort. Bitte schön.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Jetzt wollen wir ein paar positive Botschaften von Ihnen hö- ren!)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu dem vorliegenden Antrag der SPD fällt mir nur ein schönes Gedicht von Wilhelm Busch ein. Ich zitiere ihn mit Erlaubnis des Präsidenten:

„Eben geht mit einem Teller Witwe Bolte in den Keller, dass sie von dem Sauerkohle eine Portion sich hole, wofür sie besonders schwärmt, wenn er wieder aufgewärmt.“

Das ist das, was wir hier erleben.

(Beifall von der CDU)

Sie legen exakt den gleichen Antrag vor, den Sie schon einmal vor einem Jahr hier vorgelegt haben. „Junge Frauen in Berufe mit Zukunft“ hieß das damals. Das Aufwärmen scheint ja bei der Sozialdemokratie inzwischen Tradition geworden zu sein.

(Zuruf von der SPD: Dann haben Sie beide Anträge nicht gelesen!)

Wir haben am Montag von Ihrem Landesparteitag gelesen, dass Sie schon Anträge der Grünen aus dem Landtag als Ortsverbandsanträge einbringen, um auch noch eine originelle Idee auf einem Landesparteitag zu haben.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Das sollten Sie einmal machen!)

Insofern ist das, was Sie heute machen, nur unoriginell. Anstatt schön rote Taschen hier zu verteilen, um Symbolpolitik zu machen, würde ich mir wünschen, dass Sie mehr Substanz in die Debatte bringen und keine Anträge, die Sie alle schon vor einem Jahr einmal gestellt haben, noch mal stellen.

Über den alten Antrag „Junge Frauen in Berufe mit Zukunft“, der hier vor einem Jahr zur Debatte stand, habe ich Ihnen damals schon gesagt: Sie haben die Situation nicht hinreichend angemessen und keinesfalls innovativ beschrieben. Heute liegt uns dieser identische Antrag vor. Er heißt jetzt: „Junge Frauen und Männer brauchen Berufe und Lebensperspektiven mit Zukunft“. Sie haben sich zumindest sprachlich ein bisschen weiterentwickelt. Sie haben den Antrag gegendert und jetzt auch junge Männer gleichermaßen hineingenommen. Das zeigt, dass Sie jedenfalls ein bisschen Innovation mit drei neuen Adjektiven hineinbringen können.

Positiv ist ebenfalls, dass sie nunmehr auch von jungen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sprechen. Integrationspolitik ist ja bisher nicht Ihre Stärke gewesen. Wir haben Ihnen ein Jahr lang gesagt, dass Sie auch diese jungen Frauen hinzunehmen sollen; jetzt haben Sie sie wenigstens mit in Ihren Text aufgenommen.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Gießelmann?

Ja.

Bitte schön.

Danke. – Herr Minister, Sie haben aber mitbekommen, dass der Antrag in den Ausschuss überwiesen und dort beraten wurde und eine Anhörung stattfand. Wir haben diskutiert: Können wir nicht, weil wir in der Sache doch wirklich die Situation für junge Frauen und junge Männer verbessern wollen, etwas Gemeinsames hinbekommen? Das ist nicht passiert. Aber wir haben uns dann allein auf den Weg gemacht, die Anhörung ausgewertet und daraufhin den Antrag verändert.