Protokoll der Sitzung vom 27.08.2008

(Zuruf von der SPD)

wie Wissenschaft geht, was Forschung ist. Von oben herab: Kann ich, kenn’ ich, weiß ich. – Frau Kraft, diese Menschen aus Wissenschaft und Forschung werden alles daransetzen, nicht nochmals mit Ihnen zu tun zu haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich bin sicher, das wird sich in Nordrhein-Westfalen weit herumsprechen.

Demokratie, Frau Kollegin Kraft, lebt vom Streit, von der offenen Diskussion, vom Ringen um die beste Lösung, vom Ringen um den bestmöglichen Kompromiss. Wir wollen uns ja gerne mit Ihnen messen in einer Diskussion um Konzepte etwa zur Innovation, zur Energie- und Rohstoffpolitik, zum Verbraucherschutz, zur inneren Sicherheit, zu Konzepten auf anderen Politikfeldern. Aber nichts ist von Ihnen diesbezüglich zu hören und zu vernehmen, nichts außer hohler Rhetorik. Uns fehlt der Widerpart, uns fehlt das Gegenüber, mit dem wir uns in der Sache messen können. Tun Sie Ihren Job!

(Beifall von CDU und FDP – Sören Link [SPD]: Ist das Ihre Rede aus dem Koaliti- onsausschuss?)

Über drei Jahre sind Sie jetzt Führerin der größten Oppositionsfraktion. Nichts haben Sie zustande gebracht, was inhaltlich Hand und Fuß hätte. Doch, eines haben Sie zustande gebracht: einen Parteitagsbeschluss zur Schulpolitik. Dieser ist genauso rückwärtsgewandt wie Ihre Position zum subventionierten Steinkohlenbergbau.

(Beifall von CDU und FDP)

Sie können es, Sie kennen es, Sie wissen ja alles – angeblich. Aber wo, Frau Kraft, sind Ihre Antworten, Ihre seriösen Antworten auf Zukunftsfragen unserer Gesellschaft, beispielsweise in der Energiepolitik?

(Ralf Jäger [SPD]: Wer hat Ihnen die Rede wieder geschrieben?)

In der vorigen Woche hat Frau Kollegin Löhrmann Sie an die Hand genommen und mit Ihnen gemeinsam eine Pressekonferenz abgehalten. Im Kern war Inhalt dieser Pressekonferenz das, was der Kollege Priggen als Sondervotum für die Energie-Enquete ausgearbeitet hatte. Wir alle in Nordrhein-Westfalen und weit darüber hinaus

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

sind existenziell angewiesen auf verlässliche wie erschwingliche Energie. Wir sind angewiesen darauf, dass Strom stetig in gleichbleibender Qualität zur Verfügung steht. Sonst laufen weder die komplizierten Instrumente in einem Operationssaal oder bei der Flugsicherung noch die Steuerung von Industrieanlagen, noch Computer, noch Waschmaschinen oder Fernseher. Dann sind Wohlstand und Sicherheit futsch. Wir müssen die Fähigkeit zur Mobilität erhalten. Sprit darf nicht unerschwinglich werden. Wir brauchen warme Wohnungen. Der globale Hunger nach Energie und die Energiepreiskrise haben uns gelehrt: Wir brauchen für eine sichere, eine saubere, eine bezahlbare Energieversorgung, einen Energiemix aus allen technisch wie wirtschaftlich nutzbaren Energiequellen. Wir brauchen sie alle. Wir brauchen die Wasserkraft oder Braunkohle, Erd- oder Sonnenwärme, Bio- oder Windkraft, Gas- oder Kernkraft. Es macht keinen Sinn, das Energieangebot künstlich zu verknappen und dadurch die Preise weiter raketenhaft nach oben zu treiben. Es macht einfach keinen Sinn, sichere Kernkraftwerke in Deutschland stillzulegen.

(Beifall von CDU und FDP)

Wissenschaftler und anerkannte Experten sagen uns: Mit einem Ausstieg aus der Kernenergie katapultiert sich Deutschland an die Spitze der Verschmutzerstaaten. Die „Neue Zürcher Zeitung“ spricht in ihrer Ausgabe vom letzten Wochenende von einem sich anbahnenden Desaster in Deutschland. Das kann doch nicht im deutschen und schon gar nicht im nordrhein-westfälischen Interesse liegen.

Herr Kollege Priggen, ich wende mich an Sie, weil Sie im Unterschied zur SPD immer noch eine Position haben, über die man streiten kann. Leider offenbaren Ihre Konzepte ein statisches Denken, das auch Ihre Partei nicht zukunftsfest macht.

Dazu ein Beispiel: Sie fordern in Ihrem Papier den Aufbau einer Tankstelleninfrastruktur für Erdgas in den Städten und auf Autobahnen. Dazu sage ich: Löblich! Aber sind Sie damit auf der sicheren Bank? In welche Abhängigkeiten begeben wir uns damit? Wollen wir tatsächlich unsere Abhängigkeit von Erdgaslieferanten, insbesondere von Russland, weiter steigern? Können Sie das wirtschaftlich, können Sie das politisch wirklich verantworten?

Hinzu kommt: Hat der Verbrennungsmotor – einschließlich eines gasbetriebenen – eine Ewigkeitsgarantie? Geht der Trend nicht viel stärker zu Elektroantrieben, auch im motorisierten Individualverkehr? Namhafte deutsche Hersteller wollen in zwei, drei Jahren Fahrzeuge in der Golf- oder A-Klasse mit Elektromotor auf den Markt bringen. Da sieht Ihre Frau Künast mit ihrem Faible für Fahrzeuge japanischer Produktion ziemlich hybrid aus. Die wird dann wohl versuchen, an einer staatlich verordneten Tankstelle ihre Batterien aufzuladen. Ich wage vorherzusagen: Das wird nicht gelingen.

(Beifall von der CDU)

Der Ersatz von Verbrennungsmotoren durch Elektromotoren bedeutet ein Mehr an Strombedarf, bedeutet ein Mehr an Stromproduktion in Deutschland. Damit, Herr Priggen, sind all Ihre schönen Szenarien im Eimer, weil Ihr Denken diesbezüglich in der Gegenwart verhaftet bleibt und die Szenarien der Zukunft nicht kennt. Gleichzeitig gegen Kohle und gegen Kernkraftwerke zu kämpfen, das ist nicht nur dumm und konzeptionslos, sondern – davon bin ich überzeugt – damit versündigen Sie sich auch am Klimaschutz, am Geldbeutel und an den Mobilitätsbedürfnissen von Wirtschaft und Gesellschaft.

(Beifall von der CDU)

Autobatterien laden, nur wenn der Wind weht oder die Sonne scheint, das, Herr Priggen, kann nicht Ihr Ernst sein. Sie können mehr, oder verschweigen Sie, dass Sie den Menschen das Autofahren unmöglich machen wollen?

Frau Kollegin Kraft, da es Ihnen an politischer Substanz und Orientierung gebricht, suchen Sie immer neu Ihr Heil in dem Anspruch, für soziale Gerechtigkeit einzustehen. Sie tun das meist ohne Begründung, stets im Behauptungsstil. Sie missbrauchen die soziale Gerechtigkeit, um Ihre politische Substanzlosigkeit zu kaschieren.

(Widerspruch von der SPD)

Sie nutzen erkennbar das Leitbild sozialer Gerechtigkeit, um weniger einkommensstarken, weniger begüterten Menschen Hoffnung auf mehr Geld zu machen, um diese Hoffnung politisch zu nutzen, wenn nicht sogar auszunutzen.

Oder es geht darum – beispielsweise in der Debatte um die Studienbeiträge –, die Illusion zu nähren, alles könnte besser werden, ohne dazu selbst einen Beitrag zu leisten. Ich kenne, Frau Kollegin Kraft, kein Studiengebührenmodell, das unsozialer war und ist, als das von Ihnen in Nordrhein-Westfalen eingeführte Studienkontenmodell.

(Beifall von CDU und FDP)

Hin und wieder ist es gut, sich ein paar Obersätze klarzumachen; sonst geht die Urteilskraft verloren.

(Gisela Walsken [SPD]: Ja!)

Allen Menschen das Gleiche oder annähernd das Gleiche für ihre Arbeitsleistung in Form von Einkommen, Lohnersatzleistung, Alterseinkommen zu versprechen, das würde in kürzester Zeit jede Wirtschaft, jede Gesellschaft um ihre Zukunft bringen. Warum sich mehr anstrengen als andere, warum den Stress des Arztberufs, des selbstständigen Handwerkmeisters, der Stationsschwester oder der Pflegeleitung in Kauf nehmen, wenn es sich nicht lohnt? Seien wir also froh darüber, dass alle Menschen nicht das Gleiche wollen, nicht das Gleiche verdienen und auch nicht das Gleiche haben.

Genau diese Menschen sind es, die – leider Gottes – in all unseren Diskussionen kaum oder viel zu kurz zu Wort kommen. Es sind diejenigen, ohne die soziale Gerechtigkeit gar nicht herstellbar wäre. Es sind diejenigen, die morgens aufstehen, sich duschen, frühstücken, sich in den Bus oder in ihr Auto setzen, zur Arbeit fahren und abends wieder in den Bus oder ihr Auto steigen, um zu ihrer Familie zurückzukehren oder ihren Feierabend in Vereinen zu verbringen.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Zähne putzen!)

Das sind die Menschen, die Steuern und Sozialabgaben zahlen, die unter dem Energiekostenschub und den hohen Preissteigerungsraten stöhnen und oftmals an der Grenze ihrer Belastbarkeit stehen. Diese Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft brauchen wir für soziale Gerechtigkeit, weil sie es sind, die anderen helfen können und auch helfen müssen. Soziale Gerechtigkeit ist nicht nur auf der Ausgabenseite zu Hause. Sie muss auch auf der Einnahmeseite einen Stammplatz haben.

(Michael Groschek [SPD]: Mindestlohn!)

Sie haben das Thema Schule, das Thema Bildung angesprochen. Es ist zweifelsfrei so, dass Bildung die soziale Frage des 21. Jahrhunderts ist. Diesen Satz hat Jürgen Rüttgers sehr frühzeitig geprägt und konsequent begonnen in unserer Politik in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit der Koalition umzusetzen.

(Beifall von der CDU – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sie handeln nicht danach!)

Deshalb war es sozial ungerecht, dass Sie Kinder aus Migrationsfamilien in den Kindergärten über Jahre ohne Hilfe gelassen haben. Das war in hohem Maße sozial ungerecht.

(Beifall von der CDU)

Spracherwerb ist der Schlüssel zur Teilhabe an unserer Gesellschaft. Das haben Sie den Kindern über viele Jahre verweigert. Das haben wir durch Sprachstandsfeststellungen und Förderung schon im Kindergarten geändert. Das haben wir mit dem Kinderbildungsgesetz geändert. Und dieses Gesetz ist erfolgreich. Es wird angenommen.

(Beifall von CDU und FDP)

Die Menschen lernen, damit umzugehen. Und viele sagen schon: Ja, es klappt, dank KiBiz klappt es! – Das ist eine Politik, die den Leitsätzen sozialer Gerechtigkeit folgt.

(Marc Jan Eumann [SPD]: Gehen Sie doch mal in die Mitte der Kindertagesstätten!)

Sozial ungerecht war und ist es beispielsweise, dass Sie, Frau Kraft, Ihre Politik auf das Ruhrgebiet konzentrieren. 60 % der Menschen in Nordrhein-Westfalen leben im ländlichen Raum. Sie verdienen es, mit ihren Problemen wahrgenommen, mit ihren speziellen Anliegen anerkannt zu werden. Ihr Bild von Nordrhein-Westfalen, Frau Kraft, ist eines ohne Kopf und ohne Unterleib. Selbst Politik für die Region Ruhr machen wir zwischenzeitlich um Längen besser als Sie – mit Bür

germeistern im Ruhrgebiet, mit HunstegerPetermann oder Sauerland, mit Oliver Wittke und Christa Thoben, mit Wettbewerb zur Mobilisierung der Eigenkräfte statt mit der Gießkanne von Subventionen. Das bringt die Region voran und nicht Ihre Politik, die diese Region wieder abhängig macht.

(Beifall von CDU und FDP)

Frau Kraft, soziale Gerechtigkeit verkommt, wird entwertet, wenn sie zu einem verhängnisvollen Wettbewerb degeneriert. Dieser Wettbewerb geht von der irrigen Annahme aus, dass Kühe im Himmel gefüttert und auf Erden gemolken werden können.

(Lachen von der SPD)

In diesen verhängnisvollen Wettbewerb begeben Sie sich mit der PDS. Nur: Die Linken, die PDS, melken schneller. Der Vorsitzende dieser Gruppierung in NRW hat in einem Interview mit der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ die Vorgaben gesetzt. Dazu einige Beispiele: Abschaffung von Hartz IV, Rentenantritt mit 60, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, existenzsichernde Grundeinkommen für alle, Verstaatlichung der Energieversorgung. – Das ist, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf den Punkt gebracht ein Programm zur Zerstörung unseres Landes.

(Zuruf von der SPD: Das sind Versprechen, wie Sie sie 2005 gemacht haben!)

Da sind die Linken ganz nah bei den extrem Rechten – nur links herum im Kreis von Politik.

Frau Kraft, wie Sie es mit den Linken halten, diese Frage wird Sie begleiten, notfalls bis zum Mai des Jahres 2010.