Protokoll der Sitzung vom 17.09.2010

Seitdem ist klar, dass die Bundesregierung im Bundesrat in dieser zentralen Frage für die Entwicklung unserer industriepolitischen Zukunft keine Mehrheit hat. An dieser Frage werden sich auch in Zukunft Mehrheit und Minderheit in diesem Land zu messen haben. Darum werden wir streiten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Remmel. – Ich möchte die Fraktionen darauf aufmerksam machen, dass die Landesregierung ihre Redezeit um 1:42 Minuten überschritten hat. Werden die Fraktionen noch das Wort wünschen? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich hiermit die Debatte um die Beratung der beiden vorliegenden Anträge und gleichzeitig die Aktuelle Stunde.

Wir kommen zur Abstimmung, erstens über den Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 15/129. Die antragstellende Fraktion hat um direkte Abstimmung gebeten, die wir jetzt durchführen. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag bei Zustimmung durch die Fraktion Die Linke, Ablehnung durch die Fraktionen von CDU und FDP und Stimmenthaltung der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Wir kommen zweitens zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 15/142. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, hier empfiehlt Ihnen der Ältestenrat die Überweisung des entsprechenden Antrags einschließlich des vorliegenden Entschließungsantrags der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 15/193 federführend an den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Mittelstand und Energie. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dann im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer dieser Überweisungsempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann haben wir in die entsprechenden Ausschüsse überwiesen und verlassen den Tagesordnungspunkt 2.

Ich rufe auf:

3 Modernisierung des Kraftwerkparks fortsetzen, Bau des Kraftwerks Datteln IV vollenden

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/69

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/173

In Verbindung mit:

Datteln 4 muss weitergebaut werden – Das modernste Kohlekraftwerk der Welt darf nicht grüner Industriefeindlichkeit zum Opfer fallen

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 15/101

Ich eröffne die Beratung zu den beiden Anträgen. Als Erstem erteile ich für die antragstellende Fraktion der CDU Herrn Wüst das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Tun, was man sagt, und sagen, was man tut: So hat Frau Kraft vorgestern Johannes Rau zitiert. Das klingt einfach. Wenn man aber herausfinden will, was die Minderheitsregierung in Sachen Datteln 4 tun will, wird es schwierig.

Also schauen wir erst einmal, was gesagt wird. Der Koalitionsvertrag stellt die großartig überflüssige Binsenweisheit in den Raum: Die Landesregierung selbst baut keine Kraftwerke und reißt auch keine begonnenen Projekte ab. Es muss spät und die Verhandler müssen ziemlich – sagen wir – müde gewesen sein, als dieser Satz entstanden ist.

Diese Kompromissformel scheint „weiße Salbe“ für traditionelle SPD-Anhänger zu sein, die noch an die Industriefreundlichkeit ihrer eigenen Partei geglaubt haben. Der Satz legt den Schluss nahe, dass die Politik mit dem Wohl und Wehe des 800-Millionen-€ -Projekts in Datteln nichts mehr zu tun hat. Das ist evident falsch.

Gerade aufgrund der schwierigen planungsrechtlichen Situation ist dieser Satz nicht die Wahrheit. Gerade weil das Verfassungsgericht Mängel gerügt hat, liegt für die Heilung dieser Mängel der Ball wieder bei der Politik. So zu tun, als hätte die Politik mit dem Kraftwerk nichts mehr zu tun, ist also falsch.

Der Satz ist aus einem zweiten Grund unwahr, nämlich weil er suggeriert, dass die Politik in dieser Sache nichts tut. Auch das ist falsch. Wenn sie nichts tun würde, hätten Sie den von der Vorgängerregierung auf den Weg gebrachten Entwurf des Landesentwicklungsplans ja laufen lassen. Aber Herr Minister Remmel hat für die für Planungssachen ja neuerdings eigentlich zuständige Ministerpräsidentin angekündigt, ihn zurückzunehmen. Der Formelkompromiss des Koalitionsvertrages hat also nicht einmal die ersten hundert Tage überdauert und ist als doppelte Unwahrheit entlarvt.

Anders ist auch Herr Priggen am gestrigen Tag nicht zu verstehen gewesen. Herr Priggen hat in aller Seelenruhe die Abrissbirne geschwenkt und wortreich begründet, warum Datteln 4 nicht sein darf. Jetzt scheint man – so ist zu hören – E.ON darauf zu verweisen, das LANUV, die nachgelagerte Behörde von Herrn Remmel, werde jetzt die Abstände begutachten. Da allein ist schon Skepsis geboten. Wenn man dann noch weiß, dass Herr Priggen gestern ausführlich begründet hat, warum aus Sicht der Grünen der Abstand nie und nimmer reicht, dann kann man die sprichwörtliche Nachtigall schon trapsen hören. Damit folgt Herr Priggen dem grünen Landesvorsitzenden Lehmann, der schon Anfang August das Aus von Datteln 4 in der Presse gefeiert hat. In den „Westfälischen Nachrichten“ vom 6. August lautet die Überschrift: „Koalitionskrach um Datteln“. Wir erinnern uns: Am 6. August war die Tinte unter dem Koalitionsvertrag gerade einmal 25 Tage trocken.

Aber offensichtlich hat die SPD die falschen Lehren aus den Streitereien um Garzweiler gezogen, oder vielleicht gibt es auch keine Industriepolitiker vom Schlage Wolfgang Clement mehr. Jedenfalls lässt sich die SPD offensichtlich kampflos von den Grünen deren Willen aufzwingen.

Heute scheint klar zu sein: Diese Regierung will Datteln 4 nicht, aber keiner will es gewesen sein. Tun, was man sagt, und sagen, was man tut – das ist in dieser Sache Fehlanzeige.

Kalkar war das Symbol der AKW-Bewegung in Nordrhein-Westfalen. Datteln soll offensichtlich das Monument der Antikohlepolitik der aktuellen Landesregierung werden.

Nach mir kommen ja noch viele Redner, die mir vielleicht ein paar Fragen beantworten können. Ich stelle mir die Frage: Was haben die Grünen eigentlich gegen dieses Kraftwerk? Eine trickreiche Begründung, es abzulehnen – das haben wir ausführlich gehört. Aber was haben Sie eigentlich in der Sache dagegen? Ein Viertel der Züge der Deutschen Bahn wird mit dem Strom aus Datteln betrieben. Das muss den Grünen doch eigentlich gefallen. Nun gut, zwar sind sie mittlerweile auch gegen Bahnhöfe, aber eigentlich halte ich die Grünen immer noch für eine bahnfreundliche Partei. 100.000 Haushalte und Unternehmen bekommen Wärme aus der Kraft-Wärme-Kopplung. Auch das ist eigentlich im Sinne grüner Energiepolitik. Das entscheidende Argument lautet: Jeder Monat Zeitverzögerung bringt 100.000 t CO2 zusätzlich. Das kann ernsthaft nicht in Ihrem Sinne sein.

Es liegt also der Verdacht nahe: Es geht den Grünen um Symbolpolitik, um Lebenslügen grüner Energiepolitik. Dabei weiß doch jeder: In Wahrheit brauchen wir noch einige Jahre Energiemix, in dem eben neben Atom – wir haben eben darüber gesprochen – auch Kohle ihren Platz hat, bis die Voraussetzungen – Herr Remmel hat diese eben

definiert – für eine weitestgehende Versorgung mit regenerativen Energien geschaffen sind.

Auf das Verhalten der Grünen vor Ort, wenn es um Leitungsbau geht, will ich jetzt gar nicht näher eingehen.

Es ist Ihre Aufgabe, Herr Remmel. Sie sollten anfangen, Ihrer Klientel das zu erzählen und sich auch ein Stück ehrlich zu machen. Sonst passiert Ihnen mit dieser Lebenslüge das Gleiche, was der SPD gerade mit Herrn Sarrazin passiert.

Wenn Datteln 4 nicht kommt, nehmen die Umwelt, die Industrie und die Wirtschaft in NordrheinWestfalen nachhaltig Schaden: weil es eben nicht, wie Sie, Herr Priggen, es gestern gesagt haben, eines neben vielen ansonsten problemlos laufenden Projekten ist, sondern weil Datteln 4 mittlerweile ein Symbol ist. Und dafür haben Sie selber gesorgt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Deshalb sollte gerade die SPD in der Regierung endlich anfangen, für Datteln 4 zu kämpfen. Wir lassen uns dazu gerne von Ihnen einladen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU und von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Wüst. – Als nächster Redner hat für die ebenfalls antragstellende FDP Herr Kollege Brockes das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man in den Koalitionsvertrag schaut oder auch der Ministerpräsidentin am Mittwoch zugehört hat – es fiel nicht leicht –, so wird deutlich, dass man beim Thema „Industriepolitik in Nordrhein-Westfalen“ Angst haben muss, Angst um den Standort.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Das geht nicht nur uns als Liberalen so, nein, Herr Kollege von der SPD, das geht auch der IG BCE so. Deshalb möchte ich zu Beginn eine Pressemeldung des Vorsitzenden Michael Vassiliadis zitieren. Dort steht:

„Nach Einschätzung des IG-BCE-Vorsitzenden betont der Koalitionsvertrag an vielen Stellen einseitig ökologische Aspekte und vernachlässigt ökonomische und soziale Fragen.“

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

„So bleibe offen, wie die sichere und bezahlbare Versorgung insbesondere der energieintensiven Industrie mit Energie gewährleistet werden soll.“

Das passt im Übrigen sehr gut zu dem Tagesordnungspunkt zuvor.

Er wird zitiert:

„‚NRW ist Standort von zwei großen Aluminiumhütten und energieintensiver Chemie-, Glas- und Papierproduktion.’“

Weiter steht dort:

„Vassiliadis fordert die Koalitionsparteien auf, sich für die Akzeptanz industrieller Produktion in Nordrhein-Westfalen einzusetzen.“

„‚Noch offene oder laufende Großprojekte wie zum Beispiel das Kraftwerk Datteln und die Bayer-CO-Pipeline müssen zügig positiv entschieden werden.’“

Das schreibt die IG BCE Ihnen, Herr Römer, ins Stammbuch.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Und das ist Ihre Gewerkschaft, Herr Römer. Denen wird angst und bange, weil die Grünen dem Industrieland den Kampf angesagt haben und die SPD, die unter Steinbrück und Clement noch dagegenhalten hat, dem nun unter Ministerpräsidentin Kraft nichts mehr entgegensetzt. Die CO-Pipeline versucht Minister Remmel nun mit seiner grünen Regierungspräsidentin auf dem Verfahrensweg platt zu machen. Und Datteln? Datteln hat der Minister schon für tot erklärt.

Meine Damen und Herren, die Ministerpräsidentin spricht in blumigen Worten von der ökologischindustriellen Revolution und verliert in fast zwei zähen Stunden Regierungserklärung kein einziges Wort mehr über das modernste, umweltfreundlichste Kohlekraftwerk der Welt: das in Datteln.

(Beifall von der FDP)

Das tut Frau Kraft im Übrigen nicht erst seit Mittwoch, sondern bereits seit dem Wahltag nicht mehr. Seit dem 9. Mai 2010 hat sie das Wort „Datteln“ öffentlich nicht mehr geäußert. Anscheinend hat sie es aus ihrem Wortschatz gestrichen.