Protokoll der Sitzung vom 17.09.2010

Frau Schneckenburger, Herr Laumann möchte Ihnen auch eine Zwischenfrage stellen. Würden Sie die zulassen?

Bitte gerne.

Frau Kollegin, ich möchte Sie, da Sie das mit den 60 Sonntagen in Köln eben in Ihrer Rede erwähnt haben, fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass jedes Geschäft in Köln wie überall in Nordrhein-Westfalen nur an vier Sonntagen öffnen kann,

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Nein, das stimmt nicht!)

und zwar nur an den Sonntagnachmittagen. Morgens darf nicht geöffnet werden. In einer Stadt wie Köln kann der Rat für einzelne Bezirke beschließen. In der Kölner Innenstadt zum Beispiel können die Geschäfte nur an vier Sonntagen im Jahr öffnen. Natürlich können in einem anderen Stadtteil die Geschäfte an einem anderen Sonntag geöffnet haben.

Ich wollte Sie fragen, ob Sie es für richtig hielten, wenn man in einer so großen Stadt wie Köln nicht mehr auf Stadtteile Rücksicht nehmen würde, sondern dann nur noch die Möglichkeit hätte, an einer bestimmten Anzahl von Sonntagen in der gesamten Stadt die Geschäfte zu öffnen.

Lieber Herr Laumann, das ist mir alles bekannt. Das liegt daran, dass Sie sich von der FDP haben auf die falsche Spur führen lassen.

(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])

Sie haben nämlich den Stadtteilbezug aus dem Ladenöffnungsgesetz herausgenommen. Das führt zu solchen Entwicklungen, dass zum Beispiel in einer Stadt wie meiner Stadt, in Dortmund, an 48 Sonntagen im Jahr die Läden geöffnet haben. Dann haben Sie in der Tat die Ströme aus den anderen Stadtteilen. Sie schleifen also den Sonntagsschutz an der Stelle.

(Beifall von den GRÜNEN – Rüdiger Sagel [LINKE]: Und das als Christdemokrat!)

Herr Laumann, christlich-soziales Menschenbild, christlich-soziales Familienbild: Machen Sie doch bitte niemandem weis, dass die Verkäuferin, die sonntagnachmittags in Köln in irgendeinem Stadtteilladen stehen muss, weil geöffnet ist, mit ihrer Familie noch den Sonntag verbringen kann. Erzählen Sie das doch bitte niemandem!

(Dietmar Brockes [FDP]: Viermal im Jahr! – Rainer Schmeltzer [SPD]: Das stimmt doch nicht, Herr Brockes! – Dietmar Brockes [FDP]: Doch!)

Also: Es gibt Probleme beim Sonntagsschutz. Man muss genau hinschauen, welche Form von Arbeitsplätzen entstanden ist. Man muss sehr genau überprüfen, wie die Umsatzströme gelaufen sind. Herr Brockes, gerade dann, wenn man für sich in Anspruch nimmt, mittelstandsfreundliche Politik zu machen, sollte man das sehr genau evaluieren. Daher werden wir das auch evaluieren. Wir werden genau das tun, was CDU und FDP in das Gesetz geschrieben haben, und eine Evaluation durchführen. Wir werden nachsehen, wie sich der Sonntagsschutz entwickelt hat. Wir werden auch sehr genau, Herr Laumann, auf die Position der Kirchen hören, insbesondere der Katholischen Kirche, die sich erfolglos an Sie gewandt hat. Wir werden das mit berücksichtigen und diese Stimmen auch mitnehmen.

Wenn wir evaluiert haben, werden wir in einer gemeinsamen Debatte identifizieren können – da können die unterschiedlichen Positionen auch innerhalb der eigenen Fraktion zum Tragen kommen –, worin der Änderungsbedarf am Ladenöffnungsgesetz in Nordrhein-Westfalen besteht, ob er an einzelnen Punkten besteht. Da gibt es überhaupt keine Vorfestlegungen.

Aber, Herr Brockes, ich glaube, es macht schon Sinn, zumindest dem zu folgen, was Sie ursprünglich vorgegeben haben. Sinnvoll ist auch, die Beschäftigungsentwicklung in Nordrhein-Westfalen im Einzelhandel sehr genau zu betrachten. Prekäre Arbeitsverhältnisse, Minijobs, eine solche Beschäftigungssituation wollen wir in Nordrhein-Westfalen nicht fördern. Ich weiß, dass Sie als FDP das wollen, dass Sie keinen Wert auf die Qualität der Arbeitsplätze legen, dass gute Arbeit für Sie kein Kriterium ist. Aber wir werden uns das sehr genau ansehen.

Der Überweisung in den Fachausschuss stimmen wir zu, um im Fachausschuss die einzelnen Aspekte noch einmal genauer zu diskutieren, einen Zeitplan zu vereinbaren und sich eine Zeitspanne vorzunehmen, in der das Ladenöffnungsgesetz evaluiert werden kann. Dann, lieber Herr Brockes, gehen wir in eine völlig ideologiefreie Debatte. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN – Dietmar Brockes [FDP]: Da bin ich aber gespannt!)

Danke, Frau Schneckenburger. – Für die Fraktion Die Linke spricht Herr Zimmermann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon viel gesagt. Es hat natürlich präventiven Charakter, wenn die FDP-Fraktion auf ein Interview des Kollegen Priggen reagiert, auf eine genauso richtige Äußerung von Herrn Minister

Schneider. In diesem Bereich muss etwas getan werden, weil das, was dort passiert, erstens völlig sinnlos ist und zweitens nur zulasten der Beschäftigten in diesem Bereich geht.

Sie wollen das alles zementieren. Ich allerdings sage hier deutlich: Es muss etwas an diesem Gesetz getan werden, weil auch die 22-Uhr-Regelung für die Beschäftigten in dieser Branche nicht akzeptabel ist. Das gilt vor allem für die Frauen, die dort arbeiten und die große Mehrheit stellen.

(Beifall von der LINKEN –Ralf Witzel [FDP]: Was ist denn mit den Arbeitnehmern, die ge- rade dann arbeiten wollen?)

Das sind nicht die Frauen, die das wollen. Die Mehrzahl dieser Beschäftigten würde gerne mehr arbeiten und nicht in diesen prekären Jobs für 400 €, Herr Witzel. Das müssen Sie mal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall von der LINKEN)

Sie loben das Ladenöffnungsgesetz von 2006 als eine der fortschrittlichsten, verbraucherfreundlichsten, freiheitlichsten Regelungen in Deutschland.

(Ralf Witzel [FDP]: So ist es, genau!)

Genau. – Es ist eines der reaktionärsten in Deutschland. Das ist das Problem.

(Beifall von der LINKEN – Lachen von Ralf Witzel [FDP])

Man muss das nämlich immer von den Betroffenen aus sehen, Herr Witzel. Das ist die Kunst der Politik, darauf Bezug zu nehmen.

Die Bürger und Einzelhändler in NordrheinWestfalen haben in der Tat damit ein großes Stück Freiheit gewonnen,

(Ralf Witzel [FDP]: Aha!)

die Beschäftigten nicht. Wir sollten uns fragen, warum es früher striktere Regelungen gegeben hat. Sie von der FDP wollen uns suggerieren, das hätte mit der Marotte einiger Menschen zu tun, die immer unbedingt alles staatlich regulieren wollen, weil ihnen die Freiheit – Sie meinen natürlich an dieser Stelle die Konsumfreiheit – der Bürgerinnen und Bürger nicht in den Kram passt. Aber wir sollten nicht vergessen, dass es nicht zuletzt um den Schutz der abhängig Beschäftigten in dieser Branche geht.

Im Antrag der FDP wird behauptet, es sei mit den Arbeitnehmerinteressen ein vernünftiger Ausgleich geschaffen worden. Eines können Sie mir glauben, meine liberalen Damen und Herren von der FDP: Als langjähriger Gewerkschafter kann ich die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gerade in diesem Bereich etwas besser einschätzen als Sie.

Sie betonen in Ihrem Antrag, die neuen Möglichkeiten, Geschäfte bis 24 Uhr zu öffnen, würden bei Weitem nicht in dem Umfang genutzt wie manche erwartet bzw. befürchtet haben. – Aber das stimmt nur bedingt. Gerade die Supermärkte großer Konzerne wie Edeka, Rewe, Real und Kaufland nutzen die neuen Möglichkeiten und haben teilweise bis 24 Uhr auf. Discounter wie Aldi, Lidl, Penny, Netto machen sich immer mehr breit, und die Leidtragenden sind die Beschäftigten. Diese extrem langen Öffnungszeiten gehen mit der Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse einher – es ist eben mehrfach erwähnt worden –, mit 400-€-Jobs. Es gibt – ich kenne das auch aus dem Klinikbereich – abhängig Beschäftigte, die entweder nebenher oder aus persönlichen, familiären Gründen für 400 € arbeiten wollen. Das ist aber nicht das Gros der Beschäftigten.

Die Arbeitszeit für manche Beschäftigten wird auf bis zu 14 Stunden täglich ausgedehnt und wird nicht selten – das sollten Sie sich merken – ohne Zuschläge und oft untertariflich bezahlt.

(Ralf Witzel [FDP]: Rechtswidrig!)

Aber dass es passiert, Herr Witzel, das wissen Sie.

Sie wissen aber auch – das muss sich auch bei Ihnen herumgesprochen haben –, dass diese prekären Beschäftigungsverhältnisse – und das in Bezug auf die Arbeitszeit – immense Auswirkungen auf die Psyche und die Physis der dort Beschäftigten haben. Es ist nicht umsonst so, dass immer mehr Menschen psychisch erkranken, gerade in den Bereichen, in denen – ich nenne das mal so – rund um die Uhr gearbeitet werden muss, in denen immer alle rund um die Uhr zur Verfügung stehen müssen.

In vielen Bereichen – bei der Polizei, bei der Feuerwehr, im Gesundheitsbereich – ist dies auch vonnöten, aber im Einzelhandel ist das nur zur Befriedigung von einigen vonnöten, die nichts Besseres zu tun haben, als noch nach 20 Uhr in diesem Lande einkaufen zu müssen.

(Beifall von der LINKEN)

Solche Zustände sind Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, offensichtlich gleichgültig. Uns ist diese Arbeitssituation der Beschäftigten eben nicht gleichgültig.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Was Ihnen aber nicht gleichgültig sein sollte, ist die Situation Ihrer ureigensten Klientel. Lassen Sie doch einmal nachprüfen – Frau Schneckenburger hat es eben angesprochen –, wie viele der wenigen verbliebenen kleinen Läden, wie viele Restaurants und kleine Geschäfte schließen mussten wegen der von Ihnen so sehr gelobten schwarz-gelben Liberalisierung der Öffnungszeiten, von denen nur die großen Geschäfte profitieren.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Sie loben an der schwarz-gelben Reform von 2006, dass immerhin Sonn- und Feiertage geschützt bleiben. Es gibt allerdings Ausnahmen von der Regel; die sind eben dargestellt worden. Wessen Verdienst es jedoch ist, dass Sonn- und Feiertage zumindest partiell geschützt werden, das lasse ich einmal dahingestellt. Ein Verdienst von Ihnen, meine Damen und Herren, ist das mit Sicherheit nicht. Immerhin gibt es ja das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen die generelle Erlaubnis, am Sonntag die Geschäfte zu öffnen. Wenn Sie könnten, meine Damen und Herren Antragstellerinnen und Antragsteller, würden Sie auch Sonn- und Feiertage weitaus mehr öffnen, als es jetzt schon möglich ist.

Unsere Fraktion fordert den Schutz der Beschäftigten.

(Dietmar Brockes [FDP]: Gar nicht! Das war Die Linke in Berlin!)

Wir sind hier in Nordrhein-Westfalen. Ich verweise Sie jetzt auch nicht auf Berlin, Brandenburg oder ein anderes Bundesland.

(Rüdiger Sagel [LINKE]: Nach China!)

Wir sind der Auffassung, dass es deutliche Regelungen geben muss. Wir sind für einen generellen Ladenschluss ab 20 Uhr. Da befinden wir uns in guter Gesellschaft mit der Vertretung der Beschäftigten dort, der Gewerkschaft ver.di.

(Ralf Witzel [FDP]: Sprechen Sie nicht nur mit Funktionären, sondern direkt mit den betrof- fenen Menschen!)