Protokoll der Sitzung vom 17.09.2010

Vielen Dank, Frau Ministerin Löhrmann. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass ich die erste Aktuelle Stunde schließe.

Somit kommen wir zur zweiten Aktuellen Stunde:

2 Geheimvertrag der Bundeskanzlerin mit der Atomwirtschaft gefährdet Sicherheit und ruiniert Wettbewerbsfähigkeit der Stadtwerke

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/169

In Verbindung mit:

Geheimer Atomdeal der Bundesregierung zulasten Dritter

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion DIE LINKE Drucksache 15/170

Und:

Atomkraft abschaffen: Laufzeitverlängerung verhindern – Keine Milliardengeschenke an Atomkonzerne

Antrag der Fraktion DIE LINKE Drucksache 15/129

Sowie:

Atomkurs der Bundesregierung stoppen – am Atomausstieg festhalten

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/142

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 15/193

Die Fraktion der SPD und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben mit Schreiben vom 13. September 2010 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem erwähnten aktuellen Thema der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Auch die Fraktion Die Linke hat mit Schreiben vom 13. September 2010 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zum genannten aktuellen Thema der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

In Verbindung damit werden zwei Anträge, einer der Fraktion Die Linke und einer der Fraktionen von SPD und Grünen, sowie ein Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP beraten.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner vonseiten der antragstellenden Fraktionen dem Abgeordneten Eiskirch von der SPD das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor einigen Monaten habe ich mich – damals noch aus der Opposition heraus – hier zu den Steuergeschenken von Schwarz-Gelb an Hoteliers geäußert. Heute muss ich mich hier als wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der SPD-Fraktion erneut zu einem Thema äußern, das die Menschen in ganz Deutschland erzürnt: Schwarz-Gelb in Berlin will eine geradezu überbordende Gewinnermächtigung gegenüber den Atomkonzernen aussprechen. Es geht um die Lizenz zum Gelddrucken für wenige. Für alle anderen bedeutet dies mehr strahlenden Müll, weniger Investitionen und weniger Wettbewerb.

Der Grund für die Aktuelle Stunde ist ein schmutziger Deal: Die Bundesregierung hat die Energiezukunft Deutschlands an die Atomkonzerne verkauft.

(Beifall von der SPD)

Sie gefährdet damit die Sicherheit der Menschen in Deutschland und ruiniert die Wettbewerbsfähigkeit der Stadtwerke. Ein Skandal! Noch vor der ersten Befassung des Deutschen Bundestages wird deutlich, dass die Kanzlerin offensichtlich Nebenabreden mit den AKW-Betreibern getroffen hat.

Nachdem die Bundesregierung am 6. September das Ergebnis ihrer Verhandlungen zur Laufzeitverlängerung der Öffentlichkeit dargestellt hat, kommt jetzt die Wahrheit Stück für Stück ans Licht. Befürchtungen, dass die ersten Verlautbarungen der Bundesregierung die Wahrheit über den Atomdeal verschleiern würden, haben sich brutal bestätigt. Zwei entscheidende Aspekte aus dem Geheimpapier wurden inzwischen deutlich: Zum einen ist die Bundesregierung bereit, die Sicherheitsanforderungen an Atomkraftwerke von wirtschaftlichen Erwägungen abhängig zu machen. Zum anderen zeigen die vorgesehenen Reststrommengen, dass die realen Abschaltzeitpunkte einzelner Atomkraftwerke um weit mehr als 20 Jahre bis etwa zum Jahre 2050 verschoben werden. Das kann doch nicht Ihr ernst sein, Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP!

(Beifall von der SPD)

In Nordrhein-Westfalen hätte die Umsetzung eines solchen Vertrages massive Auswirkungen in Bezug auf Sicherheitsfragen für den weiteren Betrieb der Atomanlagen in Gronau und Ahaus auf der einen

Seite und die Wettbewerbssituation von kommunalen Unternehmen und Industrie sowie des Maschinen- und Anlagenbaus auf der anderen Seite.

Kolleginnen und Kollegen, um es unmissverständlich vorab zu sagen: Die Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen hat in ihrer Regierungserklärung klar gemacht: NRW wird alle rechtlich verfügbaren Mittel ausschöpfen, um den Atomkurs dieser Bundesregierung zu stoppen.

(Beifall von der SPD)

Jede Laufzeitverlängerung ohne Zustimmung des Bundesrates – und diese Zustimmung wird es nicht geben – verletzt die im Grundgesetz geschützte Handlungs-, Verwaltungs- und Organisationshoheit der Länder und ist daher verfassungswidrig.

Die Gründe gegen eine Laufzeitverlängerung sind vielfältig. Auf Fragen der Proliferation, die ungelöste Endlagerfrage, die Transporte und das erhöhte Aufkommen radioaktiver Abfälle will ich nicht näher eingehen. Die Bundesregierung hat keine schlüssige Lösung zur Endlagerungsproblematik vorgelegt. Solange die Endlagerfrage nicht gelöst ist, Kolleginnen und Kollegen, verbietet es sich, über Laufzeitverlängerungen überhaupt nur nachzudenken. Das ist so, und das bleibt so!

(Beifall von der SPD)

Es gibt viele weitere gute Gründe gegen den weiteren Einsatz der Atomenergie speziell für das Energieland Nordrhein-Westfalen:

Erstens. Laufzeitverlängerungen sind wettbewerbsfeindlich. Eine Laufzeitverlängerung behindert durch den Weiterbetrieb abgeschriebener alter Kraftwerke den Wettbewerb. Diese Wettbewerbsverzerrung geht vor allem zulasten von kommunalen Stadtwerken und Stadtwerkeverbünden; denn diese haben im Vertrauen auf den Atomkonsens weitreichende Investitionen getätigt und beabsichtigen darüber hinaus weitere Investitionen in moderne und ortsnahe Energieversorgung. Diese Investitionen müssen auf den Prüfstand gestellt werden, wenn Schwarz-Gelb jetzt im Bund den Energiemix zugunsten der Atomkonzerne verschiebt.

Der Hauptgeschäftsführer des VKU, unser ehemaliger gemeinsamer CDU-Landtagskollege HansJoachim Reck, hat das ganz klar gesagt – ich zitiere –:

„Die Äußerungen, dass die Laufzeitverlängerungen keinen negativen Einfluss auf den Wettbewerb auf dem Erzeugungsmarkt haben, zeugen von Realitätsferne. Die Effekte sind gravierend, darauf haben auch Monopolkommission und Bundeskartellamt mehrfach hingewiesen.“

Zweitens. Laufzeitverlängerungen sind investitionsfeindlich. Eine Laufzeitverlängerung verhindert In

vestitionen in neue Technologien. Hier will ich nur die VDI-Nachrichten zitieren. Unter der Überschrift „Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke: Deutsche Maschinenbauer gehen auf Distanz“ wird deutlich, dass viele Unternehmen ihre Geschäftsgrundlage für die Zukunft gefährdet sehen, so zum Beispiel der VDMA, Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau:

„Die VDMA-Mitglieder – sie setzen mit rund 900 000 Beschäftigten circa 160 Mrd. € im Jahr um – profitierten in den letzten Jahres vom Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Branche hatte darauf gesetzt, dass der Investitionsstau für die Erneuerung oder den Neubau von Kohlekraftwerken bald aufgelöst und in Zukunft gute Umsätze für die Mitglieder bringen würde.“

Der VDMA hat darauf hingewiesen, dass sich jedes neue Kraftwerk nicht gegen den Betrieb alter Atomkraftwerke rechnet, da die Anlagen abgeschrieben und die Betriebskosten gering sind.

Also noch einmal: Laufzeitverlängerungen behindern Investitionen in Nordrhein-Westfalen und gute Aufträge für die heimische Industrie. Das ist schlicht und ergreifend investitionsfeindlich.

Dritter Punkt: Laufzeitverlängerungen kommen NRW teuer zu stehen. Das ist vorgestern schon einmal angeklungen. Zur Entlastung des Bundeshaushalts plant die Bundesregierung eine Brennelementesteuer. Diese entlastet den Bund, belastet aber die Kommunen. Städte und Gemeinden rechnen zunächst mit Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer in Höhe von 300 Millionen € jährlich.

Die Präsidentin des Deutschen Städtetages, die CDU-Oberbürgermeisterin von Frankfurt, Petra Roth, weist darauf hin, dass der Bund noch nicht gesagt hat, wie er dieses neue Loch stopfen möchte und ob er es überhaupt stopfen möchte. Weiter führt Frau Roth aus:

„Die Städte und ihre Unternehmen investieren in großem Umfang in umweltfreundliche Energieerzeugung. Längere Laufzeiten für Atomkraftwerke dürfen diese Investitionen nicht gefährden.“

Kolleginnen und Kollegen, es kann doch nicht wahr sein, dass Schwarz und Gelb deutlich machen: Wir wollen durch diese Atomkraftverlängerung im Energiemarkt weniger Wettbewerb, wir wollen in der Industrie weniger Investitionsfreundlichkeit, und wir wollen auf der anderen Seite auch noch die kommunalen Kassen schröpfen, nur damit Schwarz und Gelb in Berlin einen solchen Deal abschließen können. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Es sind aber nicht nur die Steuern. Der Vorsitzende der Stadtwerkevereinigung 8KU, Albert Filbert,

sieht darüber hinaus sogar noch einen Milliardenschaden auf die kommunalen Versorger zukommen. Der Atomkompromiss werde die städtischen Versorger mit 4,5 Milliarden € belasten, sagte er.

Das sind die praktischen Auswirkungen dieses Atomdeals, Kolleginnen und Kollegen. Dem reden CDU und FDP leichtfertig das Wort.

Ich sage es ganz deutlich, Kollege Lienenkämper: Die Brücke, die Sie mit der Laufzeitverlängerung zu bauen behaupten, die ist auf Sand gebaut, und zwar auf dem Sand, den CDU und FDP den Menschen in die Augen streuen.

Zentrale Fragen wie die energetische Zukunft Deutschlands gehören in die öffentliche Debatte und dürfen nicht in Hinterzimmern ausgekungelt und in Geheimverträgen besiegelt werden. Das gehört auf den Tisch, auf den Marktplatz – und nicht in Hinterzimmer!

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)