Protokoll der Sitzung vom 17.09.2010

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Die Leute müssen wissen, wie es in Deutschland in Zukunft mit dem Energiebereich weitergeht.

Es darf nicht sein, dass die Bundeskanzlerin Sicherheitsfragen an Geldbeträge knüpft. Das ruft die Menschen auf die Barrikaden, und das zu Recht, Kolleginnen und Kollegen.

Augenscheinlich kann all das nur noch verhindert werden, wenn der Bundesrat beteiligt wird. Sie versuchen dies zu umgehen. Das werden wir nicht durchgehen lassen.

In diesem Zusammenhang ist auch die Kommunikation innerhalb der NRW-CDU interessant. Das ist schon spannend. Am 12. September 2010, also vor ein paar Tagen, berichtete die „Bild am Sonntag“ unter der Überschrift „Störfall Röttgen?“, dass der Bundesumweltminister dem Arbeitskreis Umwelt der CDU-Fraktion im NRW-Landtag in Berlin offenbart habe – jetzt wird es spannend –, er halte den Atomkompromiss schlicht für verfassungswidrig. Lediglich eine Laufzeitverlängerung um etwa fünf Jahre sei ohne den Bundesrat möglich.

Diese Auffassung von Herrn Röttgen passt nicht zu dem Gesetz, das Sie vorgelegt haben, und auch nicht zu dem Vertrag, den Sie geschlossen haben, Kolleginnen und Kollegen.

Jetzt interessiert sich die Öffentlichkeit natürlich sehr dafür, wie sich denn der für Reaktorsicherheit zuständige Minister wirklich geäußert hat. Ich bin froh, dass wir heute wahrscheinlich aus erster Hand erfahren können, was Herr Röttgen da gesagt hat. Herr Deppe, der die CDU-Delegation angeführt hat, ist im Raum und wird uns sicherlich gleich informieren. Dann kann er den Bundesumweltminister von dem Verdacht freisprechen, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen.

Einem Zeitungsbericht ist allerdings zu entnehmen, dass Herr Kollege Deppe sich an die Angabe

„fünf Jahre“ nicht erinnern kann. Herr Kollege Deppe, es kann doch nicht stimmen, dass Sie extra nach Berlin fahren, um danach den entscheidenden Teil verpasst zu haben. Das will ich Ihnen nicht wirklich vorwerfen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das so ist.

Falls es aber doch so sein sollte, kann Ihnen vielleicht Christina Schulze Föcking oder Hendrik Wüst oder Hubertus Fehring oder Gregor Golland oder Margret Vosseler oder Josef Wirtz oder Josef Hovenjürgen auf die Sprünge helfen. Einer von ihnen wird schon noch wissen, was der Minister gesagt hat; denn sie alle werden in dem Artikel „Ein Maulkorb und zwei Dementis“ der Zeitung „Die Welt“ vom Dienstag dieser Woche genannt.

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Das sind die Teilnehmer dieses Gesprächs, und alle tun so, als wüssten sie nicht mehr, was der Bundesumweltminister von sich gegeben hat. An Ihrer Stelle würde ich mir, wenn ich das einmal so sagen darf, ernsthaft Sorgen um Ihre Truppe machen, wenn sie, kaum dass sie zurück in Düsseldorf ist, kollektiv schon nicht mehr weiß, was in Berlin besprochen wurde. Das sollte nicht das Bild sein, das die CDU hier abgibt, Kolleginnen und Kollegen.

Also noch einmal: Es wäre ein echter Erkenntnisgewinn, wenn Sie heute erklären könnten, welche Laufzeitverlängerung der Bundesumweltminister nun für schlicht verfassungswidrig hält und welche nicht. Das wäre ein wichtiger Hinweis, um die Position Nordrhein-Westfalens in diesem Diskurs zu stärken. Ich bin gespannt, was wir darüber heute noch erfahren. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Eiskirch. – Als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Abgeordnete Markert das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Meine lieben anwesenden Kolleginnen und Kollegen! Die Themen der heutigen Aktuellen Stunden sind in der Tat grüne Kernanliegen.

(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)

Erlauben Sie mir am Anfang ein Wort in eigener Sache. Als ich Mitte der 80er-Jahre anfing, mich als Jugendlicher für Politik zu interessieren, war die Auseinandersetzung um die Atomkraft ein entscheidender Beweggrund, mich politisch zu engagieren. Damals hätte ich mir allerdings nicht vorstellen können, dass ich das ein Vierteljahrhundert später immer noch mit der gleichen Leidenschaft tun muss. Ich habe die Hoffnung, dass es uns

gelingen wird, dass meine eigenen Kinder – sie sind jetzt acht und zehn Jahre alt – irgendwann nicht mehr an den Bauzäunen von Atomanlagen rütteln müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der Grund für die derzeit hohen Sympathiewerte unserer Partei liegt möglicherweise auch darin, dass die Menschen spüren, dass wir Ökonomie, Ökologie und Soziales zusammen denken. Wir nennen das den „Green New Deal“, einen grünen neuen Gesellschaftsvertrag.

Was Merkel, Westerwelle, Röttgen und Seehofer bei diesem schmutzigen Deal mit der Atomwirtschaft tun, ist aber das genaue Gegenteil. Sie spielen wirtschaftliche Interessen gegen Umwelt- und Sicherheitsinteressen aus. Schlimmer noch: CDU und FDP, die Koalition der den Atomkonzernen Willfährigen, bedienen hiermit nichts anderes als wirtschaftliche Partikularinteressen von E.ON, RWE und Co. – und das auf Kosten der Allgemeinheit, der Länder und der Kommunen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist in der Tat – da gebe ich Sigmar Gabriel völlig recht – ein in der Geschichte der Bundesrepublik einmaliger Vorgang.

Der hier von der Bundesregierung angestrebte Deal – werte Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU, Sie haben mit Ihrem gestern vorgelegten Entschließungsantrag deutlich gemacht, dass Sie voll hinter der Bundesregierung stehen – ist in keiner Weise mit dem rot-grünen Atomkonsens von 1999 vergleichbar.

Damals wurde eine politische Absprache getroffen. Nunmehr hingegen werden konkrete gesetzgeberische Maßnahmen – die der Gesetzgeber noch gar nicht getroffen hat – wie die Verlängerung der Laufzeiten in einem verbindlichen Vertrag zur Voraussetzung von Zahlungen der Industrie an den Staat gemacht – Zahlungen, die zusätzlich noch daran gebunden werden, dass erstens der Gesetzgeber die Kernbrennstoffsteuer nicht über den von den Vertragspartnern vorgesehenen Umfang hinaus erhöht und zweitens durch die staatliche Atomaufsicht keine Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung getroffen werden, die die Konzerne Geld kosten.

Insgesamt will die Bundesregierung der Atomlobby damit 11 Milliarden € zusätzliche Kosten für Nachrüstungsmaßnahmen erlassen, und zwar auf Kosten unser aller Sicherheit. Mit diesem Deal wird die Sicherheit der AKWs gegen Geld verkauft!

(Zuruf von der FDP: Blödsinn!)

Das ist kein grüner neuer Gesellschaftsvertrag, kein „Green New Deal“, mit dem wir Grüne die Industriegesellschaft umbauen wollen, das ist ein schmutziger Deal – da gebe ich dem Kollegen

Eiskirch, der das eben angesprochen hat, ausdrücklich recht –,

(Beifall von den GRÜNEN und von Britta Al- tenkamp [SPD])

mit dem unsere Zukunft an die Atomlobby und die Atomkonzerne RWE, E.ON und Co. verkauft wird.

Nun dürfen sogar die uralten Schrottreaktoren bis zu 50 Jahre am Stück laufen. Die Umstellung auf erneuerbare Energien wird ausgebremst – die Kollegin Brems wird gleich noch darauf eingehen – und die Marktmacht der vier Stromoligopolisten zementiert, die nun pro Jahr mit zusätzlichen 10 Milliarden € an Gewinnen rechnen können.

Ich will gerne auch noch einmal in Erinnerung rufen: Der Verband kommunaler Unternehmen beklagt daher völlig zu Recht, dass die Bundesregierung einen großen gesellschaftlichen Konflikt und Verfassungsstreit auslöst, der die anstehende Energiewende auf Jahre hin blockieren könnte, und dass zudem eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung zulasten der Stadtwerke und der mittelständischen Unternehmen stattfindet.

Als es gestern darum ging, alten Lkws die Zufahrt in die Umweltzonen zu ermöglichen, da hatten Sie Ihr Herz für Handwerk und Mittelstand auf der Platte. Aber jetzt, wenn es darum geht, klimafreundliche Investitionen zu schützen und herbeizuführen, da haben Sie das scheinbar vergessen. Ihre Wirtschaftspolitik ist überhaupt nicht konsistent, und sie ist auch nicht handwerks- und mittelstandsfreundlich.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser schmutzige Deal von Merkel, Röttgen und Co. mit der Atomlobby hat auch konkret für Nordrhein-Westfalen Konsequenzen …

(Zuruf von den GRÜNEN: Röttgen war nicht dabei!)

Was höre ich da? Röttgen war nicht dabei. Stimmt, den hat Frau Merkel schon abgeschaltet.

Also: Auch für Nordrhein-Westfalen hat dieser schmutzige Deal von Merkel, Röttgen und Co. mit der Atomlobby seine Konsequenzen; denn die vereinbarte Brennelementesteuer soll als Betriebsausgabe voll abzugsfähig sein. Das heißt, dadurch könnten die Energiekonzerne weniger Gewerbesteuern an die Städte und Gemeinden zahlen. Der Bundeshaushalt würde also wieder einmal auf Kosten der Kommunen in NRW saniert.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Meine Damen und Herren, zwar haben wir in Nordrhein-Westfalen kein Atomkraftwerk mehr – und das ist auch gut so, die Atomkraftgegnerinnen der Generation vor uns haben hier schon gute Arbeit geleistet –, aber die Anlagen in Ahaus, Gronau und

Duisburg sind leider immer noch bedeutend für die gesamte Atomindustrie. In Ahaus – das will ich in Erinnerung rufen – dürfen jetzt schon 3.960 t Kernbrennstoff eingelagert werden – mehr als im Zwischenlager Gorleben. Durch den schmutzigen Deal der Bundesregierung vermehrt sich die Menge an Atommüll jährlich um weitere 400 t. „Wohin mit diesem Müll?“, frage ich.

Bei jeder Pommesbude im Land wird von den Behörden zu Recht geprüft, wie und wo das Frittenfett entsorgt wird. Die Atomkonzerne sollen hingegen weiterhin und nun auch noch vermehrt Müll produzieren können, ohne dass irgendwo eine Idee im Raum stände, wo der Müll zu bleiben hätte. Das nenne ich sehr fatal und zukunftsvergessen.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)

Meine Damen und Herren, wir, die Fraktionen von Rot und Grün, werden Ahaus jedenfalls nicht zum Atomklo Deutschlands und auch nicht zur Drehscheibe des internationalen Atommülltourismus verkommen lassen.

(Rüdiger Sagel [LINKE]: Da sind wir mal ge- spannt!)

Ja, Herr Sagel, ich kann Sie beruhigen. Da können Sie gespannt sein. Wir werden das gemeinsam hinbekommen, und wenn Sie mögen, machen Sie dabei gerne mit.

Gerade auch deshalb halten wir am vereinbarten Atomausstieg fest und verfolgen das Prinzip der Zwischenlagerung vor Ort bis zur Lösung der Endlagerfrage. So wollen wir gefährliche Atomtransporte vermeiden.

Dieser schmutzige Deal der Bundesregierung mit den Energiekonzernen ist, meine Damen und Herren, im Ganzen so skandalös gemeinwohlschädigend, dass wir uns mit aller Kraft parlamentarisch, außerparlamentarisch und juristisch dagegen zur Wehr setzen werden. Darum laden wir die zukunftsorientierten Demokratinnen und Demokraten zu der morgigen Antiatomdemonstration nach Berlin ein. Sie, meine Damen und Herren von der FDP und der CDU, laden wir vor das Bundesverfassungsgericht. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und von der SPD)