Protokoll der Sitzung vom 29.09.2010

(Beifall von der LINKEN)

Aus diesem Grund lehnen wir den Eilantrag der FDP-Fraktion hierzu ab und fordern die Landesregierung auf, sich der Hartz-5-Gesetzgebung im Bundesrat in den Weg zu stellen.

(Beifall von der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Für die SPD hat Herr Abgeordneter Garbrecht das Wort.

Guten Morgen. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Britta Altenkamp [SPD]: Nicht so laut! – Hei- terkeit)

Muss die Lautstärke runtergefahren werden?

„Von der Leyen fordert Gerechtigkeit für die arbeitende Bevölkerung“ – so eine Schlagzeile in der „FAZ“ von gestern. Aber wo ist ihr Beitrag? Das fragen wir uns. In der Begrenzung prekärer Be

schäftigung, der Begrenzung des Niedriglohnsektors, der Beendigung der Zeitarbeit, der Einführung von Mindestlöhnen, auf den Arbeitsmärkten der Republik wieder Ordnung herzustellen, damit das Arbeiten in diesem Land wieder existenzsichernd wird und Arbeit wieder anständig entlohnt wird – in all diesen Fragen ist sie eine Fehlbesetzung.

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Das aber verstehen Sozialdemokraten unter Gerechtigkeit für die arbeitende Bevölkerung in unserem Land. Nur so und nicht anders lässt sich Lohnabstand von Transferleistungen gewährleisten. Das ist auch die Grundbotschaft des Bundesverfassungsgerichtsurteils, die Sie ganz offensichtlich nicht annehmen oder verstehen wollen. Die spätrömische Dekadenz, meine Damen und Herren, weht nun mit dem lächelnden Gesicht von Frau von der Leyen durchs Land.

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Warum schlägt Ihnen eigentlich die Empörung so entgegen? – Weil Schwarz-Gelb willfährig gegenüber Atomlobby, Pharmaindustrie und Hoteliers ist,

(Zurufe von der CDU und von der FDP: Oh!)

Vermögende entlastet und anderen Belastungen zumutet. Schwarz-Gelb ist eine Zumutung für dieses Land.

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Sie bauen im Übrigen keine Brücken aus dem Transfersystem, nein, durch die Streichung des Zuschlags aus dem Arbeitslosengeld I, durch Minderung des Wohngelds und insbesondere durch die Abschaffung des Heizkostenzuschlags pressen Sie zusätzlich Menschen hinein. Sie streichen das Elterngeld für sozial Schwache. Den Arbeitsmarktakteuren in diesem Land wurde schlecht, als sie die Bundeskanzlerin vor zwei Tagen bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs sagen hörten: Wir sind unserem Ziel, Arbeit für alle zu schaffen, einen gewaltigen Schritt nähergekommen. –

(Zuruf von der CDU: Da hat sie recht!)

Näher gekommen? Wir sind weiter davon entfernt als je zuvor. Allein für die aktive Arbeitsmarktpolitik in Nordrhein-Westfalen stehen im nächsten Jahr 350 Millionen € weniger zur Verfügung. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung für diejenigen zu schaffen, die weit weg sind vom ersten Arbeitsmarkt, Herr Laumann, das war doch auch Ihr besonderes Anliegen. Wie dieses Instrument nun runtergefahren wird, wie auch Ihre Position auf der Bundesebene kalt ausgehebelt wird, das müssen Sie doch registrieren.

Und wenn gestern Frau Haderthauer im „SPIEGEL“ erklärt, alle Kosten, die über die im Bundeshaushalt geplanten 480 Millionen € hinausgehen, würden im Haushalt des BMAS erbracht, dann wissen wir, wo die Reise hingeht, nämlich zu einer

weiteren Reduktion aktiver Arbeitsmarktpolitik. Noch weniger fördern und noch mehr fordern, das wird mit den Sozialdemokraten in diesem Land nicht zu machen sein.

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Jetzt möchte ich mit einer Mär aufräumen, die sich immer wiederholt, aber dadurch nicht an Wahrheitsgehalt gewinnt und auch im Antrag der FDP zu finden ist. Die Bundesministerin zieht mit dem Vorwurf einer schlechten rot-grünen Gesetzgebung durch die Lande. Ich möchte in Erinnerung rufen: Alle, außer den Linken, waren an dieser Gesetzgebung beteiligt. Auch während der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung, Herr Laumann und Herr Papke, stand die Frage der Regelsatzverordnung im Bundesrat zur Abstimmung, nämlich im Jahre 2008. Ich habe im Protokoll nachgeguckt, ob Sie die damalige Diskussion, die wir hier im Lande insbesondere zu den Regelsätzen für Kinder schon geführt haben, in irgendeiner Weise aufgenommen haben, etwa in einer Protokollnotiz. Nichts! Das Protokoll registriert Einstimmigkeit.

Zugestanden, eine optimale Sozialreform sieht anders aus. Aber es gibt schon eine gemeinsame politische Verantwortung. Wir Sozialdemokraten stehen dazu, registrieren aber auch, dass andere stärker dem Bedürfnis erliegen, sich aus dem Staube zu machen. Und weil wir zu unserer Verantwortung stehen, weil wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts quasi als eine Ohrfeige verstanden haben, nehmen wir die Umsetzung dieses Urteils auch besonders ernst.

Wir haben berechtigte Zweifel daran, dass bei dem vorliegenden Gesetzentwurf die Maßstäbe des Urteils hinreichend angelegt worden sind.

Ein wesentlicher Punkt des Gerichtes war, dass in die Vergleichsgruppe der unteren Einkommensbezieher keine Transfereinkommensbezieher einbezogen werden. Gegen diesen Grundsatz des Gerichtes verstoßen Sie in eklatanter Weise in dem Gesetzentwurf, nämlich schon im § 2. Sie haben ausdrücklich die Aufstocker sowie diejenigen, die ergänzend Elterngeld oder den befristeten Zuschlag beziehen, einbezogen.

Bei den Ein-Personen-Haushalten wird willkürlich von den bisherigen 20 % abgewichen und auf 15 % gegangen. Wenn man sich die Anlagen, die ich mir auch angeschaut habe, genau anschaut, stellt man fest: Es sind noch nicht einmal 15 %, sondern nur 13,8 %. Also auch bei mathematischer Aufrundung komme ich höchstens auf 14 %, nicht aber auf 15 %.

Fazit: Die Vorgabe des Verfassungsgerichtes, sogenannte Zirkelschlüsse auszuschließen, ist in eklatanter Weise missachtet worden. Zu diesem Schluss kommen im Übrigen nicht nur wir, sondern auch diejenigen, die den Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht gefasst haben, nämlich

das Hessische Landessozialgericht, und insbesondere die beauftragte Gutachterin, Frau Becker.

Deswegen ziehen wir die Validität der von Ihnen vorgelegten Daten, wie sie sich in den Anlagen wiederfinden, in Zweifel. Deswegen fordern wir die Veröffentlichung der Rohdaten. Ich glaube, eine Bundesministerin, die nichts zu verbergen hat, wird dieser Forderung der Sozialdemokraten sicherlich entsprechen. Also, mehr Fragen als Antworten, meine Damen und Herren.

Zu der medial aufgeblasenen Mogelpackung des Bildungspakets wird meine Kollegin Gebhard nachher noch sprechen.

Ich möchte abschließend die Diskussion nach dem Urteil in Erinnerung rufen. Da spreche ich insbesondere Herrn Laumann an, weil es um Sie geht. Die SPD in Nordrhein-Westfalen vertritt seit Jahren die Auffassung, dass die Einmalbeihilfen einbezogen werden müssen. Ich zitiere das, was Sie nach dem Urteil im damaligen Ausschuss vorgetragen haben.

Herr Abgeordneter, …

Ja. – Ich darf noch gerade den ehemaligen Minister zitieren:

Die Meinung des MAGS ist, dass es gute Gründe gibt, in bestimmen Bereichen – einer Schule, in einem Kindergarten – auch strukturelle Leistungen vorzusehen, damit die Teilhabechancen auf jeden Fall gewährleistet sind. Das menschliche Leben zeigt gute Gründe dafür, den Behörden die Möglichkeit einzuräumen, auch nicht pauschalierte Einmal-Leistungen zu gewähren, wie das früher bei der Sozialhilfe möglich war.

(Karl-Josef Laumann [CDU]: Richtig!)

Am Ende wird politisch zu entscheiden sein, in welchem Umfang man Bargeldleistungen, Sachleistungen, Strukturleistungen gewährt.

Meine Damen und Herren, das war Karl-Josef Laumann, zitiert nach dem Protokoll des AGS.

Ja, Herr Laumann, es ist entschieden: keine Strukturleistungen, keine Einmalzahlungen. Auch Ihre Grundanforderung an das Gesetz wird im Prinzip nicht erfüllt. Deswegen stellen wir auch in Ihrem Namen dieses Gesetz auf den Prüfstand. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Für die Fraktion der Grünen hat Frau Abgeordnete Asch das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es geht – das möchte ich klarstellen – in dieser Debatte nicht um vermeintliche Almosen, die zu gewähren sind, sondern es geht im Kern um die Menschenwürde und die soziale Teilhabe derjenigen, die nicht aus der eigenen Kraft für ihr Auskommen sorgen können. Das ist die Aufgabe, die das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung aufgegeben hat. Damit geht es um die zentrale Frage des Zusammenhaltes in unserer Gesellschaft, die sich – das wissen wir alle – immer mehr in Arm und Reich aufspaltet. Darauf muss er Sozialstaat, darauf müssen wir als Politik eine Antwort geben.

Die Antwort der Bundesregierung auf diesen Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes, hier konkret und transparent nachzubessern, ist einfach erbärmlich. Es sind eine Handvoll Euro mehr, ein dürres Hartz-IV-Häppchen mehr für die Benachteiligten, die am unteren Rand unserer Gesellschaft stehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Zudem wurde diese Antwort in einem Akt der politischen Willkür entwickelt; denn wir wissen alle – es wurde ja auch letzte Woche verkündet –: CDU und FDP haben im Vorhinein festgelegt, wie viel zu geben sie bereit sind, und dann so lange nach dem Rechenweg gesucht, bis es passt. Wie auf dem Basar wurden die Regelsätze gehandelt nach dem Motto „Darf es noch ein bisschen weniger sein?“

Was ist es anderes als Willkür, dass die Bundesregierung sich bei Alleinstehenden an den untersten 15 % der Haushalte und für die Haushalte mit Kindern an den untersten 20 % orientiert hat sowie die Rohdaten des Statistischen Bundesamtes, aus denen sie ihre Rechentricksereien abgeleitet hat, nach wie vor unter Verschluss hält? Das ist das Gegenteil von Transparenz und einer sauberen Rechnung.

(Beifall von den GRÜNEN, von der SPD und von Dr. Carolin Butterwegge [LINKE])

Wir stellen fest: Die Bundesregierung hat sich wieder einmal von der sozialstaatsfeindlichen Haltung der FDP lenken lassen. Herrn Westerwelles Einlassungen dazu sind ja bekannt. Wer populistisch von „spätrömischer Dekadenz“ spricht, der zeigt, dass er eben nicht bereit ist, den Bedürftigen das Existenzminimum zu finanzieren und den Menschen den Ausstieg aus der Armut zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren, wir müssen feststellen, dieser Bundesregierung fehlt vollständig der soziale Kompass. Sie haben im doppelten Sinne nichts übrig für die Armen.

(Beifall von den GRÜNEN – Rüdiger Sagel [LINKE]: Den Grünen fehlt der soziale Kom- pass auch!)

Das hat sich schon überdeutlich beim Sparpaket gezeigt – das zeigt ja eine deutliche soziale Schieflage und Schlagseite –: Diejenigen, die die Krise verursacht haben, diejenigen, die die Milliardenlöcher in den Bundeshaushalt gerissen haben, werden verschont. Das sind die Banken, die Hochvermögenden, die Millionenerben; auch die gut und sehr gut Verdienenden werden geschont. Die Ärmsten, die unten stehen, haben den Hauptsparbeitrag zu leisten: mit Kürzungen des Übergangsgeldes für Arbeitslose, des Wohngeldzuschusses und der Streichung des Erziehungsgeldes. Das ist eiskalte Politik, das öffnet die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter, und es verschärft die soziale Spaltung in unserem Land.