Protokoll der Sitzung vom 27.01.2016

(Beifall von den PIRATEN)

Danke, Herr Kollege Herrmann. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Bialas das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, in der Tat, es gibt nach tragischen Ereignissen immer schnell einen geforderten Instrumentenkasten an Maßnahmen, der dann schnellstens umgesetzt werden soll – Maßnahmen, die man schon immer gefordert hat, Maßnahmen, die das Ungewünschte verhindert hätten und/oder in Zukunft verhindern werden, Maßnahmen, von denen man weiß oder annimmt, dass sie tauglich sind.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Kameras kön- nen nichts verhindern!)

Wir werden an dieser Stelle morgen ja auch noch einmal über Bodycams sprechen. Nach tragischen Ereignissen fehlt diese Debatte nie. Man muss bemüht sein, hier in der Tat keinen Hype entstehen zu lassen.

Dennoch muss man bedeutsame strafrelevante Ereignisse zur Kenntnis nehmen, gerade die Ereignisse in Köln aufgrund des immensen Ausmaßes sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen, aber auch aufgrund der damit verbundenen hohen Emotionalität, die geeignet ist, die Stimmungslage in vielen Bereichen unserer Gesellschaft zu vergiften. Man muss dies ernst nehmen. Man muss genau, sachlich, ruhig und nüchtern betrachten, welche Maßnahmen geeignet sind.

Mehr Überwachung ist nie ein guter Weg. Wir würden uns wünschen, dass wir ganz ohne diese auskommen könnten, ganz ohne friedlich miteinander leben könnten. Die Realität ist leider eine andere. Wir leben in keinen idealtypischen Räumen, sondern wir leben in einem realen Alltag. Und dieser ist auch dadurch gekennzeichnet, dass diese Räume nicht immer und überall für alle und gerade nicht für Frauen sicher sind. Daher können wir auch keine idealtypischen Antworten geben, sondern alltagstaugliche.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Warum fordern Sie dann jetzt schon mehr Überwachung?)

Wir können keine absolute Sicherheit gewähren, aber weitestgehende haben wir sicherzustellen. In der Tat umfasst das Recht auf informationelle Selbstbestimmung das Recht eines jeden, sich in der Öffentlichkeit frei und ungezwungen bewegen zu dürfen – ohne zum Objekt einer Videoüberwachung gemacht zu werden.

Richtig ist aber auch, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung der Person umfasst das Recht einer Frau, sich an jeder Örtlichkeit jederzeit frei und ungezwungen bewegen zu können. Dieses Recht wird ihr nicht vom Staat streitig gemacht; aber der Staat hat hierfür die Gewähr zu tra

gen. Ausnahmen kann er nicht vermeiden. Dauerhafte Destabilisierung hat er zu verhindern.

Unsere Menschenrechte, niedergelegt in den Artikeln unserer Verfassung, sind einzeln nie abschließend. Sie stehen untereinander in einem Spannungsverhältnis, im günstigsten Fall ergänzen sie sich, oftmals konkurrieren sie.

Videoüberwachung ist nach unserem Polizeigesetz bereits heute möglich. Es ist bei der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und bei der beweissicheren Strafverfolgung ein mögliches zur Verfügung gestelltes Mittel. In jedem Einzelfall muss entschieden werden, ob es sinnvoll ist.

Dabei sei auch auf die sogenannte Wirksamkeit eingegangen.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Wie ist das entschieden worden? Genau das möchten wir gern wissen!)

Wenn sich Menschen an unterschiedlichen Orten zu verschiedenen Zeiten unwohl fühlen, sich ängstigen, mag das mitunter nicht den objektiven Rahmenbedingungen einer realen gefährlichen Situation entsprechen. Die Angst aber ist real und ernst zu nehmen. Insoweit ist insbesondere das subjektive Sicherheitsempfinden eine entscheidende Größe und immer mit einzubeziehen.

Videoüberwachung ist keine Wunderwaffe. Auf die Frage, ob ich mir englische Verhältnisse wünsche, würde ich eher mit Nein antworten.

Auch ist es richtig, dass Daten geeignet sind, in der Hand eines bösen, gefährlichen Staates und einer schlechten Führung Verheerendes anzurichten. Wir kennen unsere Geschichte, und wir sind auch nicht blind gegenüber den Geschehnissen in anderen Staaten. Sicherheitsmaßnahmen können Freiheiten behindern, fehlende Sicherheitsmaßnahmen leider auch.

Sicherheit ist auch ein notwendiger und Freiheit erst mit ermöglichender Wert. Wenn wir es zulassen, dass sich Bürgerinnen und Bürger in unserem Land nicht mehr sicher fühlen oder zum Teil an verschiedenen Orten tatsächlich nicht mehr sicher sein sollten, muss Videoüberwachung als ein Mittel zur Beseitigung dieses Zustandes ernsthaft und konsequent geprüft werden. Diesem Gedanken verschließen wir uns nicht.

Daher lehnen wir den Antrag ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Bialas. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Schittges das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Antrag der

Piratenfraktion darf ich zuerst sagen, dass der Abschied von der gefühlten Sicherheit genau das ist, was in Nordrhein-Westfalen zurzeit passiert. Als das Thema „Kölner Silvesternacht“ in den Medien allgegenwärtig war, gehörte beim Internethändler Amazon Pfefferspray zu den zehn meistverkauften Artikeln im Bereich Sport und Freizeit.

In verschiedenen Kommunen – das wissen Sie alle – schlagen sich die Verwaltungen derzeit mit neu gegründeten Bürgerwehren herum. Dem kann man entgegenhalten, dass die Zahl der sexuellen Übergriffe und der angezeigten Vergewaltigungen seit gut einem Jahrzehnt quasi unverändert ist.

Die Wahrnehmung in einem Teil der Bevölkerung ist eine andere – nicht erst seit Silvester. Viele Menschen sind besorgt und reagieren darauf in der geschilderten Weise. Das kann und darf nicht in unserem Interesse sein. Dem Gewaltmonopol des Staates laufen Ereignisse wie an Silvester dramatisch entgegen. Aber auch eine Selbstbewaffnung sogenannter rechtschaffener Zeitgenossen widerspricht unserem Verständnis vom rechtschaffenden Staat.

Vieles an der derzeitigen Debatte ist, wie wir alle wissen, irrational – ohne Frage. Aber ich kann Menschen verstehen, die ein krasses Missverhältnis zwischen der Zahl der Täter, die an Silvester unterwegs waren, und der Zahl der ermittelten Verdächtigen beklagen. Natürlich haben die Menschen die Bilder im Fernsehen gesehen, aufgenommen von den vielen Handykameras und Smartphones, schlecht belichtet und verwackelt, auf deren Basis man kaum einen Verantwortlichen identifizieren kann. Deshalb – das haben Sie alle den Medien entnommen – arbeiten sachverständige Mitarbeiter des Landes Nordrhein-Westfalen sich jetzt bei Scotland Yard ein.

Die Piratenfraktion beantragt nun, nach tragischen Ereignissen keine schnelle Lösung zu verlangen. – Dem stimme ich ausdrücklich zu. Aber wir als CDU rufen auch nicht urplötzlich nach der schnellen Lösung. Vielmehr setzen wir uns schon seit Jahren gegen alle Widerstände – auch ohne ein unmittelbares tragisches Ereignis – für eine Ausweitung der Videoüberwachung ein.

(Vereinzelt Beifall von der CDU – Frank Herrmann [PIRATEN]: Warum? Auf welcher Grundlage?)

Insbesondere die Politiker wissen von den Praktikern der Polizei, dass der Einsatz von Videogeräten auf öffentlichen Plätzen zu einer Reduzierung der Straftaten führt – in dramatischem Umfang.

(Frank Herrmann [PIRATEN]: Das ist durch nichts belegt! Das stimmt doch gar nicht!)

Das mag, Herr Herrmann, bei sogenannten Affekttaten weniger ausgeprägt sein; da gebe ich Ihnen recht. Aber das, was wir in Köln und anderswo erlebt haben, waren keine Taten aus dem Affekt

heraus. Nein, das war geplant und organisiert, wie wir meinen und immer wieder sagen.

(Zuruf von Frank Herrmann [PIRATEN])

Gerade gegen solche Verbrechen hat sich der Staat als wehrhaft zu erweisen.

Zeugenaussagen helfen im Übrigen bei solchen Fällen wenig, wenn die Täter zahlreich sind, dem Opfer unbekannt, wenn es dunkel ist und bei den Betroffenen Panik ausbricht. Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen stellt keine anderen Informationen bereit als jene, die die Leute auch gewinnen können, denen ich auf der Domplatte oder anderswo begegne.

Ich gebe dem Kollegen Bialas völlig recht: Videoüberwachung ist keine Wunderwaffe. Da kann ich Sie nur unterstützen.

Der Antrag der Piraten, zunächst einmal wissenschaftlich zu ergründen, ob Videoüberwachung etwas bringt oder nicht, führt also nicht weiter. Die wissenschaftliche Evidenz ist erstens längst gegeben, und zweitens geht es Ihnen – bei allem Respekt gegenüber verschiedenen Kollegen Ihrer Fraktion – auch nicht um Wissenschaft, sondern um die Verzögerung der Einführung von Maßnahmen, die Ihrer ideologischen Position entgegenlaufen.

Wir als CDU-Fraktion sind immer und wollen immer wieder geschlossen für eine Ausweitung der Videoüberwachung für mehr gefühlte Sicherheit eingetreten, ohne die es tatsächliche Sicherheit auf Dauer nicht geben kann.

Wir lehnen den Antrag der Piratenfraktion selbstverständlich ab. – Danke schön.

(Beifall von der CDU – Marc Olejak [PIRATEN]: Das ist wie mit dem Christen- tum!)

Vielen Dank, Herr Kollege Schittges. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Frau Kollegin Düker das Wort.

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die gesetzliche Grundlage in Nordrhein-Westfalen, auf der die Polizei Videoüberwachung im öffentlichen Raum durchführen darf, gibt in ihrer jetzigen Form – mit kleinen Änderungen – seit 2003.

Seinerzeit habe auch ich an diesem Gesetz mitgewirkt. Uns war damals wichtig, mit der Videoüberwachung im öffentlichen Raum nicht eine Scheinsicherheit zu schaffen. Wir wollten aber auch nicht eine gesetzliche Grundlage für eine flächendeckende Videoüberwachung in Nordrhein-Westfalen

schaffen.

In unserem Polizeigesetz ist geregelt, dass Videobeobachtung nur an Kriminalitätsbrennpunkten, die tatsächlich nachgewiesen sind, eingesetzt werden darf; dass die Straftaten, die dort begangen werden, auch an den Ort gebunden sind und dass es nicht zu Verdrängungseffekten kommt. Zudem muss eine Prognose über weitere Straftaten vorliegen. Nur dann – und nur dann! – darf Videoüberwachung in Nordrhein-Westfalen durch die Polizei in öffentlichen Räumen durchgeführt werden.

Die Polizeipräsidenten in unserem Land sind sehr sparsam damit umgegangen. Ich glaube, Polizeipräsidenten – Praktiker – sind oftmals weiter als die Politik. Es gibt derzeit nur in Mönchengladbach und in Düsseldorf eine polizeiliche Videoüberwachung, eine Videobeobachtung im öffentlichen Raum.

Frau Kollegin, entschuldigen Sie, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Herrmann zulassen?

Bitte.

Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben gerade die Voraussetzungen erwähnt, unter denen ein Ausbau bzw. ein Einsatz der Videoüberwachung laut Polizeigesetz möglich ist. Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir mit dem Antrag die Vorlage eines Berichts erwirken wollen, und zwar auf der Grundlage des Beschlusses, wie er jetzt für die Kölner Ringe gefasst wurde? Diese Berichte möchten wir gerne vorliegen haben. – Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das der einzige Inhalt dieses Antrags ist?