Aber man muss doch unterscheiden zwischen dem harten Kern der Wähler, die rechtsradikale Vorstellungen haben, und einem größeren Teil von Bürgern, die aktuell angesichts der politischen Lage verunsichert sind und in der AfD lediglich ein Protestventil sehen. Herr Römer, wohlmeinend will ich sagen: Die Mitglieder Ihrer SPD-Ortsvereine in Essen sind doch keine Rechtspopulisten, sondern sie haben große Sorge, dass die Politik mit den Problemen nicht fertig wird.
Der Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland sagt, die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition sei chaotisch. Selten hatte ein Genosse so recht.
Julia Klöckner legt einen Plan A2 vor; man würde sich wünschen, den Plan A1 von Frau Merkel zu kennen. CDU, CSU und SPD kommen seit Monaten nicht zu Potte. Das Asylpaket ist immer noch nicht durch den Bundesrat.
Und dann erleben wir öffentlich nur Schuldzuweisungen und Blockade. Mit Schuldzuweisungen und Blockade macht man die Rechtspopulisten groß; klein macht man sie mit Problemlösungen. Ich fordere Sie auf, dahin zurückzukehren.
Es liegt doch auf dem Tisch, was wir tun müssen: Einwanderungsgesetz, europäische Lösungen, notfalls auch unvollkommenes europäisches Recht wieder in Kraft setzen, nämlich Dublin III. So chaotisch wie heute waren die Zustände mit Dublin III nicht. Über diese Dinge müssen wir reden und dann auch handeln.
Das, was gegenwärtig passiert, macht die Leute verrückt. Die sehen die Probleme und lassen sich ihre Alltagsbeobachtungen auch nicht von der Ministerpräsidentin ausreden. Die wollen, dass die Politik diese Probleme löst, und damit holt man sie dann auch von den Rechtsradikalen und Rechtspopulisten weg.
Frau Ministerpräsidentin, was Sie in dieser Lage geritten hat, öffentlich zu erklären, Sie wollen nicht mit der AfD diskutieren, erschließt sich mir nicht. Ich muss Ihnen wirklich sagen: Es ist für mich völlig unverständlich, was Sie da geritten hat. Zunächst einmal halte ich es ohnehin für ein demokratisches Problem, wenn die Regierung öffentlich entscheidet, mit wem sie spricht und mit wem nicht. Das ist schon ein etwas merkwürdiges Debattenverständnis.
Aber, Frau Ministerpräsidentin, merken Sie nicht, welche Macht Sie der AfD geben, wenn Sie sie zu einem solchen Faktor hochjazzen, dass Sie sich über ein Jahr vor der NRW-Landtagswahl damit auseinandersetzen, ob Sie mit denen in ein wie auch immer geartetes TV-Duell oder in eine Debatte gehen? Sie machen die groß damit, Sie machen sie damit zu einem Faktor.
Der Punkt ist doch: Wenn wir uns das anschauen, stellen wir natürlich fest, dass das eine Bedrohung ist. Aber im Vergleich zum europäischen Ausland sind die eben trotz der Flüchtlingskrise am Anschlag und trotz maximaler Nervosität nicht ein bestimmender Faktor unserer Politik. Sie sind in den Umfragen eben nicht so bärenstark wie ansonsten im europäischen Ausland.
Das heißt doch, dass das demokratische Immunsystem unserer Gesellschaft im Prinzip funktioniert. Wir können doch stolz darauf sein, dass sie keinen Siegeszug angetreten sind wie in Frankreich.
Ich bin gleich fertig, Frau Präsidentin. – Frau Kraft, geben Sie denen doch nicht einen Märtyrerstatus, indem Sie öffentlich den Eindruck erwecken, Sie würden sich vor der Auseinandersetzung mit denen fürchten, bzw. irgendjemand hätte etwas zu befürchten, wenn er mit der AfD in eine Debatte tritt. Als ob die sich, wenn sie im Fernsehen sind, nicht selbst sofort entzaubern würden, weil sie keine Substanz haben!
Also müsste man ihnen eigentlich möglichst viele Gelegenheiten verschaffen, sich öffentlich zu blamieren und argumentativ gestellt zu werden. Das sind die Souveränität, die Gelassenheit und die Substanz, die ich von einer Regierungschefin in der Frage erwarte.
Lasst uns die also nicht zu groß machen, und lasst sie uns in der Sache bekämpfen. Aber wir dürfen ihnen keinen Märtyrerstatus geben, und wir müssen vor allen Dingen an den Problemen arbeiten. Ich sage noch einmal: Rechtspopulisten macht man mit Blockade und Schuldzuweisungen durch eine Regierung groß. Mit Problemlösungen macht man sie wieder klein. Das erwarte ich in Düsseldorf und in Berlin von denen, die Verantwortung tragen.
Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Union hat eine Aktuelle Stunde zum Thema „Rechtspopulismus“ beantragt und einen Text vorgelegt, in dem viele richtige Punkte sind. Den Satz, dass es sich – Zitat – „bei Teilen der AfD um eine fremdenfeindliche und in Schwarz-Weiß-Mustern denkende Partei handelt“, können wir Grüne vorbehaltlos unterschreiben, und wir können das auch noch verstärken. Die Zitate sind ja eben gekommen.
Der Thüringer AfD-Mann Höcke hat mit seinem unsäglichen Vortrag zum angeblichen Wesen des Afrikaners doch deutlich gemacht, dass die AfD zumindest in Teilen rassistisch, wenn nicht sogar faschistisch ist.
Spätestens seine „1.000-Jahre-Deutschland“-Fantasien lassen doch sicherlich den letzten Demokraten nicht nur in diesem Saal, sondern im ganzen Land erschaudern.
Im Unionsantrag finden sich viele richtige Aussagen zum vergifteten Debattenklima – das hat der Kollege Laschet auch angesprochen –, zu Europa und zur sträflichen Vereinfachung der Flüchtlingspolitik.
Trotzdem, Herr Kollege, reicht es heute wieder nur zu parteitaktischen Spielchen. Die Union will nur darüber sprechen, wie man mit der AfD reden soll. Das steht bei Ihnen im Mittelpunkt. Sie flüchten sich auf die Metaebene. Die Ursachen des Rechtspopulismus bekämpfen Sie mit diesem Antrag nämlich nicht.
Ich frage Sie: Lösen Sie mit der heutigen Sitzung auch nur ein einziges Problem, oder verschaffen Sie der AfD damit nicht noch mehr Aufmerksamkeit, als sie ohnehin schon hat?
Deswegen sage ich Ihnen: Sie machen den größten handwerklichen Fehler in der Politik; denn Sie denken nicht vom Ende her. Sie haben nämlich keine Strategie. Sie verlieren sich mit der heutigen Debatte wieder in politischen Kleintaktierereien.
„Wird ausgerechnet die Regierungschefin des größten deutschen Bundeslandes... in Zukunft auf eine öffentliche und direkte Auseinandersetzung mit Vertretern der AfD verzichten?“
Herr Kollege Laschet, das ist doch eine Ablenkungstaktik. Sehen Sie nicht, dass, wenn Sie mit einem Finger auf die Ministerpräsidentin zeigen, drei Finger auf Sie zurückzeigen? Es ist doch Ihre Unionsschwester, die CSU, die der AfD mit ihrer enthemmten Politik scharenweise Wählerinnen und Wähler zutreibt.
Die CDU in Nordrhein-Westfalen ist in dieser Frage zutiefst gespalten. Sie haben im Kampf gegen rechts in Nordrhein-Westfalen immer wieder versagt.
Wo war die CDU denn vorletzte Woche, als in Paderborn 3.000 Demokratinnen und Demokraten gegen den Aufmarsch der AfD protestiert haben? – Sie haben gefehlt. Ihr Platz auf der Gegenkundgebung ist leer geblieben, Herr Kollege Laschet.
Ich frage Sie, und zwar mit Ihren eigenen Worten, Herr Kollege Laschet: Will die CDU des größten Bundeslandes in Deutschland in Zukunft etwa auf eine öffentliche und direkte Auseinandersetzung mit der AfD auf der Straße verzichten?
Was ist mit Gregor Golland, der medienwirksam die Sicherheitsüberprüfung aller Flüchtlinge fordert und damit alle Flüchtlinge unter Generalverdacht stellt?
Gänzlich gruselig wird es, Herr Kollege, wenn man die Gedanken zum Jahreswechsel auf der Homepage von Theo Kruse liest. Dort steht – ich zitiere –:
„Für die einwandernden oder einsickernden Flüchtlinge gilt nicht die im Rechtsstaat ansonsten prinzipielle Unschuldsvermutung.“