Protokoll der Sitzung vom 16.03.2016

Eine der absoluten Kernforderungen der Piraten war bisher immer: evidenzbasierte Politik. Und wenn ich mir jetzt die Ergebnisse der Landtagswahlen anschaue, bei denen offen agierende Nazis in weitere Parlamente eingezogen sind, dann muss ich zu dem Schluss kommen: Das ist der richtige Weg: evidenzbasiert, keine Politik mit Angstmache, so, wie Sie es hier tun.

(Beifall von den PIRATEN)

Kritik am Regierungshandeln ist natürlich richtig – das ist unsere Aufgabe als Opposition –, aber bitte faktenbasiert – dumme Sprüche führen genau da hin, wohin wir nicht wollen –; alles andere ist schlechter Stil.

Wo wir gerade bei dem Thema „Schlechter Stil“ sind: Herr Lürbke, Sie schreiben in Ihrem Antrag im letzten Satz – ich zitiere –:

„Vor diesem Hintergrund muss der Landtag … über die besorgniserregende Kriminalitätsentwicklung in NRW und etwaige Strategien und

Maßnahmen einer … Kriminalitätsbekämpfung diskutieren.“

Ich habe viel über die besorgniserregende Entwicklung gehört, aber nichts über Strategien und Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zurufe)

Deshalb jetzt zu den Fakten: Ja, die Zahlen sind gestiegen; das kann man nicht abstreiten. Und wenn man sich jetzt einmal den Verlauf seit 2005 anschaut, dann kann man sich auch nicht darauf berufen, das Dunkelfeld hätte sich erhellt oder wir hätten es mit einem geänderten Anzeigeverhalten zu tun. Wir müssen davon ausgehen, dass die Zahlen tatsächlich gestiegen sind.

Sicherlich ist Wohnungseinbruch keine leichte Kriminalität. Man darf ihn und natürlich auch seine Folgen für die Opfer nicht bagatellisieren. Nichtsdestotrotz müssen wir festhalten, dass wir in einem der sichersten Länder der Welt leben.

(Beifall von Frank Herrmann [PIRATEN])

Auch wenn Wohnungseinbruch kein leichtes Delikt ist, darf man ihn – so wenig man ihn bagatellisieren darf – auch nicht über Gebühr dazu nutzen, Angst in der Bevölkerung zu schüren.

Wir müssen festhalten – das ist nun einmal Fakt –: Trotz der gestiegenen Zahlen macht Einbruchskriminalität nur ca. 2,5 % der Gesamtkriminalität aus.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Ja!)

Wir hatten es in den 90er-Jahren schon mit weitaus höheren Zahlen zu tun – wirklich weitaus höheren Zahlen – als jetzt. Das haben wir überlebt, und wir werden auch diese jetzige Hochphase überleben. Davon bin ich überzeugt.

Mir stellt sich in diesem Zusammenhang allerdings die Frage, warum wir, obwohl wir über lange Zeit einen Rückgang hatten, jetzt wieder quasi eine Renaissance des Einbruchs erleben. Sind das wirklich diese heraufbeschworenen osteuropäischen Einbrecherbanden? Ich meine, natürlich gibt es die – das bestreitet niemand –, aber – das ist halt wissenschaftlich belegt – nicht einmal ansatzweise in dem Umfang, den Sie hier ständig irgendwie propagieren.

Wenn Sie jetzt behaupten, dass der Anstieg hauptsächlich auf derartige Banden zurückzuführen ist, dann machen Sie nichts weiter, als im Trüben zu fischen – nichts weiter. Eine Aufklärungsquote von 13,8 % bedeutet automatisch, dass Sie bei 86,2 % der Taten gar keine Ahnung haben, gar nicht wissen, wer dafür verantwortlich ist. Sie können Vermutungen anstellen, aber empirisch belegen können Sie gar nichts.

(Beifall von Michele Marsching [PIRATEN] und Frank Herrmann [PIRATEN])

Genauso könnte ich behaupten, die CDU- und die FDP-Fraktion seien für den Anstieg verantwortlich, um den Innenminister zu ärgern. Diese Aussage hat genauso viel Qualität wie die von den osteuropäischen Banden.

(Beifall von den PIRATEN)

Fakt ist: Ein Großteil der Einbrüche wird im sozialen Umfeld begangen, und zwar nicht in Villenvierteln, sondern in sozial benachteiligten Gegenden. Je größer der Ort und je geringer die informelle Kontrolle innerhalb der Nachbarschaft sind, desto häufiger kommt das vor. Das erklärt auch die hohen Zahlen hier im Ruhrgebiet. Gar nicht mal so selten kommt das bei Nachbarn, Verwandten, Freunden, Bekannten vor. Wir wissen zum Beispiel aus einer Ruhrgebietsstudie, dass in fast 40 % aller Fälle bereits vor der Tat irgendeine Art von Täter-Opfer-Beziehung bestand. Aus anderen Studien geht Ähnliches hervor.

Die Frage ist jetzt aber: Wie können wir auf Grundlage dieser Erkenntnisse den Anstieg erklären und vor allem bekämpfen? Nur gibt es nicht einfach die Erklärung. Man muss da von einem multifaktoriellen Ansatz ausgehen.

Ich möchte einmal ein Beispiel – nur ein Beispiel – nennen, mit dem wir den Anstieg vermutlich erklären können. Wie ich bereits sagte, gab es bis 2005 einen Rückgang, dann folgte bis 2008 ein Plateau auf niedrigem Niveau, und ab 2008 war wieder ein Anstieg zu verzeichnen. 2008 – jetzt überlege ich einmal kurz –, was war da noch einmal? Wann war die Finanzkrise? Ach, 2007 – na, wenn das mal ein Zufall ist.

Jetzt gehen Sie einmal ins Internet – das habe ich gemacht – und suchen Sie sich einmal Liniendiagramme heraus, ein Liniendiagramm für den Armutsquotienten, ein Liniendiagramm für den Wohnungseinbruchsdiebstahl. Legen Sie die einmal übereinander, und Sie werden interessante Korrelationen feststellen. Die Armut hat zugenommen. Dementsprechend nimmt dann natürlich auch die Eigentumskriminalität zu.

Aber das ist nur ein Beispiel. Es gibt sicherlich viele weitere kumulierende Aspekte, die den Anstieg erklären. Die Einbrecherbanden sind ein Faktor, aber mit Sicherheit nicht der Hauptfaktor.

Die Frage ist: Wie gehen wir mit diesem Wissen um, wenn wir feststellen, dass die allermeisten Einbrüche eben nicht durch Profibanden begangen werden, sondern häufig doch durch den drogensüchtigen Nachbarn? In dem Fall bekämpfen wir den Einbruch nun einmal am effektivsten mit präventiven Maßnahmen, mit entsprechender Sicherheitstechnik.

Herr Minister, ich muss mich vorab entschuldigen. Ich weiß, Ihnen ist es mit Sicherheit genauso unangenehm wie mir, aber ich muss Ihnen recht geben,

(Heiterkeit von Minister Ralf Jäger)

wenn Sie sagen: Die Bürger müssen bessere Fenster und Türen einbauen. Das hat auch nichts mit Zweiklassensicherheit zu tun. Natürlich können sich die Mieter in den Gegenden, in denen die Einbrüche hauptsächlich stattfinden, diese Technik nicht leisten; das ist mir völlig klar. Aber das ist auch gar nicht deren Aufgabe. Dafür sind die Vermieter zuständig. Und sie haben das Geld, sie wollen es nur nicht ausgeben.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Wenn wir einmal ehrlich sind: So hoch sind die Mehrkosten nicht. Ich fordere die Landesregierung auf, das in den Blick zu nehmen. Ändern Sie endlich die entsprechenden Bauvorschriften dahin gehend, dass zum Beispiel bei Neubauten oder entsprechenden Renovierungen derartige Sicherheitstechniken zwingend vorgeschrieben sind.

Liebe CDU, kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Argument, das Sie gerade schon gebracht haben, dass wir den Bürgern nicht die Kosten für das auferlegen können, was eigentlich Aufgabe der Polizei wäre. Zunächst einmal: Die Polizei kann gar nichts dafür, dass die Aufklärungsquote so gering ist.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Das liegt in der Natur der Delikte. Ich sage sogar voraus – das ist auch wissenschaftlich belegt –: Gerade bei den spontanen Einzeltätern wird mehr Polizei nicht mehr Aufklärung bringen. Da, wo es keinen Ermittlungsansatz gibt, kann auch nichts ermittelt werden, ob es nun ein Beamter feststellt oder zwei. Das macht keinen Unterschied. Das muss man einfach einmal aussprechen. Also müssen wir uns auf präventive Maßnahmen konzentrieren.

Das wäre auch nicht das erste Mal. Was glauben Sie wohl, wie viele Zusatzkosten aufgrund von Sicherheitstechnik in Ihrem Auto stecken? Da höre ich komischerweise niemanden herumkrakeelen: Die Zusatzkosten sind mir zu hoch, da stecke ich nichts rein. Warum ist das so? – Weil es die absolut richtige Maßnahme ist. Seit 1993 ist die Anzahl der Diebstähle von Kfz um 83 % gesunken, und zwar von 215.000 auf nunmehr ca. 36.000 Fälle, und sie sinkt weiter, und zwar wegen der Sicherheitstechnik.

(Beifall von den PIRATEN)

Ich sage Ihnen deshalb voraus: Wenn wir bei Häusern und Wohnungen ebenfalls so vorgehen, werden die Einbruchszahlen auf lange Sicht genauso sinken. Aber das ist Ihre Aufgabe, dafür sind Sie verantwortlich. Da passiert aber nichts. Deswegen: Tun Sie etwas dagegen!

Bleiben wir bei den Profis. Natürlich gibt es die Profibanden; das bestreitet niemand. Auch darum müssen wir uns kümmern. Ich glaube sogar, dass in diesen Fällen mehr Beamte mehr Aufklärung bringen.

Denn je mehr Taten eine solche Bande verübt, desto deutlicher wird das Täterprofil und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Fehlern.

Herr Kollege, ich darf an die Redezeit erinnern.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Wenn man dann ordentlich ermittelt, kommt man zumindest einem Teil der Täter auf die Spur. Die Frage ist: Wie können wir die Zahl der Kriminalbeamten jetzt erhöhen?

Herr Kollege, die Redezeit ist deutlich überschritten.

Ja, ich komme zum Schluss. – Denn wenn wir auf der einen Seite etwas dazugeben, dann müssen wir auf der anderen Seite etwas wegnehmen. Aufgrund der Zeit möchte ich mich auf ein Beispiel beschränken. Herr Minister, ich habe es schon einmal gesagt, ich sage es noch einmal: Wir haben 350 Sachbearbeiter, die Einbruchskriminalität bekämpfen. Ungefähr genauso viele bekämpfen BTM-Kriminalität. Geben Sie endlich Ihre BTM-Politik auf und legalisieren Sie Cannabis.

(Daniel Sieveke [CDU]: Oh! – Weitere Zurufe von der CDU)

Hören Sie auf, 16-jährige Kiffer zu jagen. Sorgen Sie lieber dafür, dass Sie die richtig Kriminellen bekämpfen. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir uns heute noch einmal die Zeit nehmen, um über die steigende Zahl von Einbrüchen in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland, in Europa zu reden. Wenn ich die Debatte Revue passieren lasse, habe ich allerdings nicht den Eindruck, dass es allen Rednern tatsächlich um die Opfer dieser Einbrüche geht.

(Beifall von der SPD)

Wenn man sich einmal in die Lage der Opfer versetzt – ich habe versucht, mit möglichst vielen darüber zu reden –,

(Daniel Sieveke [CDU]: Oh, dann mussten Sie ja viel unterwegs sein!)