Noch vor wenigen Wochen – Herr Körfges hat eben schon darauf abgestellt – sticht eine 15-Jährige in Hannover auf Polizisten ein. Jetzt sind drei 16-Jährige in der Lage, eine sprengfähige Bombe, quasi zu Hause im elterlichen Kinderzimmer, zu bauen und sie später auch zur Zündung zu bringen.
Scheinbar wächst eine neue Generation selbsternannter Gotteskrieger heran, die auch in Deutschland zum Schlimmsten bereit ist. Das macht nicht nur uns Sorgen. Ich denke, das muss man angemessen angehen, aber man muss es dann auch angehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Was haben wir bisher vorliegen? Bisher liegen der Vorschlag der CDU sowie einige Äußerungen des Ministers vor, die man Medienberichten entnehmen konnte. Aus den Äußerungen von Herrn Körfges und Frau Schäffer sind wir auch noch nicht viel schlauer geworden.
Wir werden uns in der Beratung intensiv damit auseinandersetzen, und wir werden uns genau anschauen, inwieweit Augenmaß, die Sicherheitsinteressen und der besondere Schutz Minderjähriger rechtsstaatlich miteinander in Einklang gebracht werden.
Klar ist aber auch: Wir dürfen hier dann nicht stehenbleiben, sondern müssen einen Schritt weiter gehen. Denn warum kann eine solche Radikalisierung von bei uns geborenen, bei uns aufgewachsenen jungen Menschen mitten unter uns geschehen?
Eine Schlüsselrolle kommt hier doch den Hintermännern, den geistigen Brandstiftern, den Auftraggebern zu. Die jugendlichen Täter in Essen haben sich doch augenscheinlich in eine falsche Richtung bewegt, weil sie von außen negativ beeinflusst wurden, weil sie von außen radikalisiert wurden, weil ihnen von außen ein vermeintlicher Gottesauftrag eingeredet wurde. Das ist leider auch kein Einzelfall. Herr Freier hat sich jüngst zu den Zahlen geäußert: In NordrheinWestfalen hat sich die Zahl minderjähriger Salafisten in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt.
Meine Damen und Herren, wir kritisieren – das wissen Sie – seit vielen Monaten, dass die Landesregierung mehr oder minder zuschaut, wie sich in vielen Städten in Nordrhein-Westfalen die salafistische Szene nahezu ungebremst ausbreitet.
Eine Schlüsselrolle spielt dabei das Internet, keine Frage. Der Salafismus entfaltet seine Breitenwirkung bekanntermaßen vor allem durch das Internet. Wenn dann gerade Jugendliche Opfer dieser verqueren Propaganda salafistischer Extremisten werden, dürfen wir dem in Nordrhein-Westfalen nicht einfach zusehen.
Und deswegen, Herr Minister, ist es richtig, dass Sie gerade das Thema Internet in diesem Zusammenhang als Problemfeld erkannt haben.
Aber ob man hier wirklich so wirkungsvoll mit Bloggern dagegen arbeiten kann – ich habe Ihren Vorschlag vernommen –, will ich einmal dahingestellt sein lassen. Vielleicht können Sie auch darstellen, wie viele populäre Blogger das Ministerium bisher gewinnen konnte.
Meine Damen und Herren, die Frage, die uns Freie Demokraten umtreibt und nach den jüngsten Ergebnissen auch weiter umtreiben muss, ist doch, wie Nordrhein-Westfalen dem grundsätzlich Herr werden will. Wo ist das abgestimmte Gesamtkonzept? Mein Kollege Dr. Stamp hat in den letzten Monaten immer wieder auf Lücken, auf Versäumnisse hingewiesen.
Und wie war es dann konkret in Essen? – Ich habe mehrfach die Begriffe Repression und Prävention gehört. – Ja. Aber die beiden Jugendlichen waren doch schon in Staatsschutzangelegenheiten auffällig geworden. Es bestanden doch offenbar Kontakte. Kontakte zur Aktion „Lies!“ von Abou-Nagie oder auch nach Dinslaken zur Lohberger Brigade. Im Vorfeld haben Programme und Maßnahmen von Staats- und Verfassungsschutz ja das nicht verhindern können, und das, obwohl hier offenbar mehrere Täter am Werk waren.
Scheinbar konnte „Wegweiser“ mit seinem Programm eben nicht den rechten Weg weisen, sondern Radikale unbehelligt den falschen Weg. Und wenn die Täter schon vorher aufgefallen sind, stellt sich schon die Frage, warum dann nicht weit intensivere Präventionsmaßnahmen angelaufen sind.
Meine Damen und Herren, Herr Minister, ich denke, Sie können versuchen, alle Jugendliche gegen radikale Extremisten zu impfen oder aber die gefährliche Keimzelle, die andere infizieren will, auszuschalten. Letztlich sehen wir Freien Demokraten in NordrheinWestfalen bei beidem weiter massiven Ausbaubedarf. „Wegweiser“ ist derzeit immer noch ein Feigenblatt. Ein rigoroses Vorgehen gegen die Brandstifter, gegen die Hintermänner mit allen Mitteln des geltenden Rechts, mit allen Mitteln des Rechtsstaats, bleibt
auch weiter nicht ersichtlich. Für die morgige Tagesordnung haben wir auch einen konkreten Vorschlag mit weiteren Maßnahmen gemacht.
Aus unserer Sicht ist an dieser Stelle im Kampf gegen radikalen Extremismus, im Kampf gegen Salafismus noch viel zu tun. Und da reden wir heute mit diesem Gesetzentwurf letztlich nur über einen ganz kleinen Baustein. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben gerade wieder den Zwischenruf „Das ist nur ein Baustein!“ auf den Vorhalt von Herrn Lürbke im Bereich der Blogger gemacht. Es sei nur ein Baustein. Herr Jäger, bei Ihnen ist es immer nur ein Baustein. Auch der Blitzmarathon ist nur ein Baustein. Was ich bei Ihnen ein bisschen vermisse, ist die stabile Wand, die aus diesen Bausteinen gebildet wird. Immer nur Bausteine ohne Mörtel dazwischen bringt nicht wirklich viel.
Kolleginnen und Kollegen, der Anschlag auf den Tempel war sicherlich ein schrecklicher Vorfall und hätte verhindert werden sollen, verhindert werden müssen. Ich sage sicherlich nichts Falsches, wenn ich behaupte, dass wir großes Glück im Unglück hatten, dass nichts Schlimmeres passiert ist.
Aber die entscheidende Frage, die sich jetzt stellt, ist doch eigentlich, ob wir mit der hier vorgeschlagenen Maßnahme der CDU auch wirklich etwas verhindern können. – Ich behaupte, dass dies nicht der Fall ist. Herr Körfges hat es gerade ja auch schon angesprochen. Im Fall der 15-jährigen Messerstecherin war es erlaubt. Und was hat es gebracht? – Gar nichts.
Ich denke, wir erleben jetzt hier wieder genau dasselbe, was wir nach derartigen schlimmen Vorfällen immer wieder erleben müssen, nämlich einen gefährlichen Griff in die Trickkiste der Sicherheitsgesetze, eine Art Sedativum, das Sicherheit vorgaukelt und dem Wähler zeigen soll: Seht her, wir machen etwas. – Ob das jedoch das Problem tatsächlich löst, ist relativ egal.
Ich bin mir nicht ganz sicher, was mir hier mehr Sorgen bereitet: die Tatsache, dass Sie es immer wieder machen, oder die Tatsache, dass es so einfach ist, das zu fordern, weil es wirklich noch viele Menschen gibt, die sich von so etwas beruhigen lassen.
Was hier verschleiert werden soll – und das ist vermutlich auch der Grund, warum Herr Minister Jäger
diesen Vorschlag so toll findet –, ist die Art und Weise, wie der Verfassungsschutz arbeitet. Der Verfassungsschutz arbeitet in einem Leistungsbereich von ineffizient bis nutzlos. Versagen an allen Ecken und Enden, immer neue Skandale jeden Tag. Taten, die eben gerade nicht verhindert werden können, und das, obwohl immer mehr Befugnisse kommen und noch kommen sollen.
Für diese Ineffizienz – böse Zungen würden auch von Inkompetenz sprechen – ist sicherlich nicht die Tatsache verantwortlich, dass die Daten über Minderjährige erst ab 16 Jahren gespeichert werden dürfen.
Aber warum man trotzdem immer wieder diese und sonstige Forderungen stellt, frage ich mich tatsächlich. Es ist eigentlich ganz einfach, weil es billig ist, und das sowohl im übertragenen als auch im wahrsten Sinne des Wortes. Solche Gesetzesänderungen sind einfach zu bewerkstelligen, sedieren das subjektive Sicherheitsempfinden und vor allem kosten sie nichts. Haushalterisch spielt dieser Vorschlag überhaupt keine Rolle. Der einzige Zweck, den diese Maßnahme erfüllt, ist der, dass den Wählern ein Arbeitsnachweis vorgelegt werden kann und dass sie ganz beruhigt schlafen gehen können, weil jetzt mit Sicherheit nichts mehr passieren wird.
Aber so einfach ist das eben nicht. Wenn Sie solche Taten wirklich verhindern wollen, dann müssen Sie Geld in die Hand nehmen, und zwar für Prävention. Sie müssen investieren. Nur so verhindern Sie wirklich etwas. Alles andere – und auch dieser Vorschlag hier – bekämpft maximal, wenn überhaupt, die Symptome, aber nicht die Ursachen.
Die Aussteigerprogramme müssen massiv ausgeweitet werden. Die Schulen müssen insbesondere personell in die Lage versetzt werden, frühzeitig auf Warnsignale zu reagieren und vor allem, diese überhaupt erst einmal zu erkennen.
Intensivieren Sie die Zusammenarbeit mit den Moscheevereinen! Ich meine ausdrücklich die Zusammenarbeit und nicht nur Überwachung und Kontrolle.
Das Versäumnis des Verfassungsschutzes besteht aus meiner Sicht nicht darin, diese Daten nicht gespeichert zu haben. Es ist nicht so, dass die Täter nicht schon vorher bekannt waren. Einer der Täter war beim Aussteigerprogramm „Wegweiser“. Der hatte einmal im Monat ein Gespräch, einmal im Monat! Und Sie sind der Meinung, damit wirklich etwas verhindern zu können? Ich behaupte, das war gar nichts! Das hätten Sie auch gleich sein lassen können. Die Betreuung war definitiv nicht ausreichend.
Und warum nicht? – Weil das genau die wichtigen Maßnahmen sind, die Geld kosten. Deswegen bekommen Sie einfach nicht die Ressourcen, die Sie eigentlich haben müssten.
Ein anderer Verdächtiger hatte bereits eine Ausreisesperre. Auch der war bekannt. Und was hat es genutzt? – Nichts! Und warum nicht? – Man gibt ihm eine Ausreisesperre und lässt dann den lieben Gott einen guten Mann sein? Oder was war genau der Plan bei dieser Sache? Warum gingen die Behörden nicht bereits im Vorfeld auf diese Menschen ein, von denen bekannt war, dass sie gefährlich sind?
Das wäre Ihre Aufgabe gewesen, Herr Minister. Vermutlich hätten die Taten so tatsächlich verhindert werden können.
Nicht die Tatsache, dass man diese Daten nicht speichern darf, gefährdet Menschenleben, sondern Ihr Sparen an der falschen Stelle tut das.
Ich fordere Sie auf: Lassen Sie diese Placebopolitik, und tun Sie endlich wirklich etwas. Sorgen Sie dafür, dass diese jungen und deshalb noch äußerst beeinflussbaren Menschen gar nicht erst in den Extremismus abgleiten! Damit retten Sie Menschenleben, mit diesem Vorschlag aber nicht. – Vielen Dank.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für uns als Landesregierung steht die Bekämpfung extremistischer Bestrebungen ganz oben auf der Agenda – Bekämpfung in dem Sinne, dass wir repressive Mittel brauchen, aber eben auch präventive Maßnahmen. Von dieser Doppelstrategie sind wir überzeugt – auch, weil wir Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen.
Aus diesem Grund ist es uns wichtig, Menschen auf die Gefahren des Extremismus hinzuweisen, sie zu sensibilisieren und entsprechende Zielgruppen, gerade Jugendliche, vor dem Abgleiten in diesen Extremismus zu bewahren, Jugendliche gegen demokratiefeindliche Ideologien immun zu machen.
Das gilt gerade für die Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Sie wächst – gerade auch deswegen, weil sich die Extremisten im Internet auf diese Personen spezialisieren, sie gezielt ansprechen und für ihre fatale Ideologie werben.