Protokoll der Sitzung vom 08.06.2016

Wir haben ein Störungsverbot der Artenschutzprüfung für Fledermäuse, Mauersegler und Wasserrallen im Baurecht, eine Standardüberfrachtung der Landesbauordnung mit zentimetergenauen Vorgaben für Treppenbreiten, eine schulische Erlassdichte in der BASS, in der es Erlasse gibt, die genau vorschreiben, was passieren muss, wenn eine Friedensbewegung am Unterricht teilnimmt.

All das sammeln wir in Nordrhein-Westfalen schon seit vielen Jahren.

Deshalb haben wir Ihnen wesentliche Anregungen gegeben, wo Sie mal nachgucken können, wie man Bürokratie abschafft, was Sie zum Beispiel tun können, um Existenzgründer zu entlasten. Bei all unseren Anregungen und Fragen in der Substanz bei Ihnen: Fehlanzeige! Ein Drittel unserer Fragen ist Ihnen so ungeläufig, dass Sie überhaupt keine inhaltliche Antwort geben können.

(Norbert Meesters [SPD]: Vielleicht liegt das an den Fragen!)

Und Sie sagen bei ganz vielen Fragen, dass Sie keinerlei Erkenntnisse haben. Sie wissen nicht, wie Sie Existenzgründer entlasten sollen. Sie können nicht einmal sagen, welche Formulare die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen alle ausfüllen müssen. Sie können kein einziges Beispiel dafür nennen, wo Onlineplattformen das klassische papiergestützte Formularwesen in den letzten Jahren ersetzt haben. – All das ist Ihnen nicht geläufig.

Sie sagen als Landesregierung in der Antwort, dass Sie keine Vorschriften im Baurecht kennen, die überregulierend wirken. Ich habe Ihnen allein bei dieser

Rede mehrere Punkte genannt, die Sie sofort in Angriff nehmen können.

Das alles zeigt: Die Landesregierung in NordrheinWestfalen hat in dieser Legislaturperiode keinen Gestaltungswillen mehr. Sie haben gar nicht das Ziel, den Bürokratieabbau voranzubringen und damit mehr Freiheit für mehr Menschen und mehr Unternehmen zu schaffen.

Wir als FDP-Landtagsfraktion fordern einen Bürokratiedeckel für Nordrhein-Westfalen, einen BürokratieTÜV, der dafür sorgt, dass die Bürokratie in Nordrhein-Westfalen nicht weiter wächst, sondern auch mal wieder zurückgeführt wird.

Herr Kollege.

Dafür werben wir auch mit unserem Entschließungsantrag. In diesem Sinne bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Ganzke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Witzel, wenn der Kollege Wedel, der heute Geburtstag hat, heute Abend nach Hause kommt und von seinen beiden Töchtern gefragt wird: „Lieber Papa, was war denn heute die inhaltsschwerste Rede im Parlament, die du anlässlich deines Geburtstags gehört hast?“, weiß ich nicht, ob er unbedingt auf die kommt, die wir gerade gehört haben. Ich sage jetzt auch, warum, Herr Kollege Witzel.

Ich glaube, wir und Sie sprechen doch zu der Antwort der Regierung auf eine Große Anfrage der FDPFraktion. Das ist doch der Tagesordnungspunkt.

(Ralf Witzel [FDP]: So ist es!)

Vor dem Hintergrund, dass viele Bürgerinnen und Bürger dieser Plenardebatte folgen, denke ich, dass man sich ein bisschen mit der Antwort auseinandersetzen muss. Ihre Anfrage umfasst 238 Fragen, die Antwort hat einen Papierumfang von 550 Seiten, die Sie auswerten können. Wenn Sie sich hierhin stellen und manches Mal etwas einfache, holzschnitzartige Sätze nach vorne pusten, dann ist das, glaube ich, nicht angemessen.

Ich möchte einige Anmerkungen dazu machen.

Ihre Große Anfrage haben Sie mit diesem ersten Halbsatz begründet: „Mehr Chancen für jeden statt Regeln für alles.“ – Ich denke, Herr Kollege Witzel, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion, mit

diesem Halbsatz kann man punkten. Und Sie hätten, wenn es bei diesem Halbsatz geblieben wäre, glaube ich, auch die Unterstützung nahezu aller Mitglieder des Landtags sicher gehabt. Denn das ist wohl ein Ansatzpunkt, den jeder Politiker hier im Landtag mittragen kann. Es muss so sein, dass jeder in diesem Land die gleichen Chancen hat. Das ist auch eine der wichtigsten Aufgaben der Politik.

Ich glaube aber, dass der geneigte Leser Ihrer Großen Anfrage nur so lange sagt: „Das war eine gute Passage“, bis er den typischen FDP-Satz liest, den man nahezu jedem Antrag Ihrer Fraktion und nahezu jeder Neujahrsrede Ihrer Mandatsträgerinnen und Mandatsträger entnehmen kann, leider auch dieser Großen Anfrage, nämlich – ich zitiere –:

„Ausmaß und Auswirkungen der kontinuierlich anwachsenden Regelungsdichte in NordrheinWestfalen für Bürger, Unternehmen und öffentliche Haushalte sowie Auswege aus dem Bürokratiedickicht für mehr Freiheit, Effizienz und Wachstum“

Ich hatte mich eben versprochen: Es sind 287 Fragen, die Sie stellen. Alleine 23 davon befassen sich mit einer vergleichenden Aufstellung für die Jahre 1970 bis heute. Darunter sind Fragen wie:

„Wie viele Verordnungen wurden differenziert nach Ressorts von 1970 bis heute jeweils pro Wahlperiode des nordrhein-westfälischen Landtags verabschiedet?“

Deshalb legt die Landesregierung insgesamt 550 dicht beschriebene Seiten vor und gibt in der Antwort auf die Große Anfrage auch zur Kenntnis, dass dafür 6.000 Arbeitsstunden von Beschäftigten der Landesregierung aufgewendet wurden – 6.000 Arbeitsstunden, in denen die Beschäftigten daran hätten arbeiten können, den Bürgerinnen und Bürgern die gleichen Chancen am Leben zu ermöglichen, wie Sie, Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion, sie schon in der ersten Spiegelstrich-Anforderung der Großen Anfrage angemerkt haben.

Das unterscheidet Sie und uns. Auch wir sehen eine Kontrolldichte. Und manches Mal fragen auch wir uns – das sage ich auch als Jurist –, ob nicht die eine oder andere Verordnung in unserem Land zu viel ist. Auch unser Ziel ist es, eine wirksame Entbürokratisierung hinzubekommen. Aber dann müssen wir auch so ehrlich sein und sagen, dass man eben nicht einfach nur streichen kann, wie Sie es auch in Ihrem Entschließungsantrag fordern, sondern auch anerkennen muss, dass viele rechtliche Vorgaben und damit auch Bürokratie als Hilfe für Menschen anzusehen sind, die auch bei uns diese bürokratische Hilfe brauchen.

Vor diesem Hintergrund können wir meines Erachtens nicht davon sprechen, wie Sie es gemacht ha

ben, dass es hier nur darum geht, eine wirksame Bürokratieobergrenze einzuführen, einen unabhängigen Gesetzes-TÜV einzuführen, unwirksame Gesetze zu streichen und Bürger zu befreien, wie Sie es in Ihrem Entschließungsantrag formuliert haben. Das ist reine Parteirhetorik; das sehen auch die Bürgerinnen und Bürger.

Ich glaube, dass wir in der Antwort der Landesregierung auch einen Beleg dafür gefunden haben – leider auch einen Beleg für eine Bürokratie, die Sie selbst haben wollten; denn Sie wollten ja die Antworten auf diese ganzen Fragen haben.

Zum Schluss eines, was für uns wichtig ist: In der Antwort auf die Große Anfrage sehen wir, dass zwischen 1970 und heute die überwiegende Zahl der Regierungen für die Bürgerinnen und Bürger und für die Chancengleichheit hier in Nordrhein-Westfalen gearbeitet hat. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Herr Kollege, würden Sie noch einen Moment hierbleiben? Es gibt den Wunsch nach einer Kurzintervention des Herrn Kollegen Witzel.

Ja, gerne.

Dem gebe ich jetzt das Wort. Herr Kollege Witzel, bitte schön.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege, Sie haben mich gerade natürlich zu einer Kurzintervention provoziert, weil Sie hier als Parlamentarier etwas gemacht haben, was ich ganz bemerkenswert finde. Sie haben nämlich zwischen Parlamentariern und Fraktionen Kosten von Demokratie, wenn das Fragerecht von Oppositionsfraktionen in Anspruch genommen wird, aufgerechnet.

Ich finde das deshalb so bemerkenswert, weil sich nach der absoluten Stillosigkeit, die die Landesregierung begangen hat, dem Parlament Kosten und Aufwand für die Beantwortung der parlamentarischen Kontrolle öffentlich vorzuhalten, der Chef der Staatskanzlei im Ältestenrat ausdrücklich dafür entschuldigt hat und die Präsidentin ihn für diesen Affront der Landesregierung dem Parlament gegenüber scharf kritisiert hat.

Ungeachtet dessen frage ich Sie, weil Sie dieses Thema angesprochen haben: Wenn die Antwort auf zahlreiche Fragen – beispielsweise, ob die Landesregierung Ideen hat, Bürokratie bei Existenzgründern abzubauen; das ist immerhin ein Drittel der Antworten dieser Großen Anfrage, die so ausfallen – lautet: „Der Landesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor“, diese Feststellung aber laut Berechnung

der Landesregierung 20 Stunden Arbeitszeit pro Frage erfordert, halten Sie das für gerechtfertigt? – Zum einen.

Zum Zweiten: Wenn Sie einmal den Vergleich mit Großen Anfragen der Koalitionsfraktionen anstellen – nehmen Sie die Anfrage zu Potenzialen des Radverkehrs, in der Sie für jede einzelne Kommune abgefragt haben, wie viele Fahrradboxen es dort gibt, wie viele Radzähler dort stehen usw.; auf alle diese Fragen hat die Regierung genauso wie bei uns geantwortet, dass dazu keine landesweite Statistik vorliegt –, würden Sie diesen Vorwurf auch an die Kollegen Ihrer Koalitionsfraktionen adressieren?

Herr Kollege, bitte schön.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Kollege Witzel, zunächst einmal ist das kein Vorwurf gewesen, den ich hier eben gebracht habe. Ich habe aus der Großen Anfrage zitiert, dass 6.000 Arbeitsstunden angefallen sind. Ich habe aber nichts zu Kosten gesagt. Diesen Punkt wollte ich bewusst ansprechen, weil ein Hauptaugenmerk Ihrer Großen Anfrage auf Bürokratieausweitung oder Übererfüllung in diesem Lande gerichtet ist. Ich glaube, dass es mir dann auch möglich ist, Ihnen mitzuteilen, dass ich als Parlamentarier der Ansicht bin, Sie könnten durch eine solche Anfrage möglicherweise auch wieder Bürokratie in einer anderen Art – von Ihnen wahrscheinlich nicht gewollt – Vorschub geleistet haben. Deshalb habe ich diese 6.000 Arbeitsstunden genannt.

Das andere bezieht sich auf einen Punkt, den ich in einem kleinen Halbsatz meiner Rede angesprochen habe. Ich weiß gerade auch als Jurist, dass insbesondere im Bereich der bundesstaatlichen Regelungsdichte und der europäischen Regelungsdichte wir alle – das kann ich, obwohl ich nicht Regierungsmitglied bin, auch für die Regierung sagen, glaube ich – gefordert sind, möglicherweise auf anderen Ebenen dafür zu sorgen, dass diese Regelungsdichte nicht weiter so fortschreitet, wie wir sie manches Mal gerade in unserer Ausgestaltung brauchen und auch bei den Kommunen nachfragen müssen.

Das zur Beantwortung Ihrer Fragen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Ganzke. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Spiecker.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Namen

der CDU-Landtagsfraktion danke ich den Mitarbeitern in den Häusern herzlich für die viele Arbeit, die sie in die Beantwortung dieser Großen Anfrage gesteckt haben. Außerdem danke ich den Kollegen der FDP dafür, dass sie diese Große Anfrage auf den Weg gebracht haben, weshalb heute die Gelegenheit besteht, einmal mehr über das wichtige Thema „Bürokratieabbau“ zu sprechen.

Uns alle haben Ende März dieses Jahres die aktuellen Zahlen des statistischen Landesamtes zum Wirtschaftswachstum schockiert. Während die Wirtschaft 2015 bundesweit um 1,7 % wachsen konnte, gab es an Rhein und Ruhr ein Nullwachstum – Platz 16 von 16 Ländern. Das ist der vorläufige traurige Höhepunkt einer mehr als 25 Jahre anhaltenden Entwicklung. Seit 1991 wächst die Wirtschaft in unserem Land im Vergleich zu den übrigen westdeutschen Ländern unterdurchschnittlich.

(Norbert Meesters [SPD]: Wir sind aber trotz- dem ganz weit oben!)

Die Wachstumslücke hat sich mittlerweile auf über 10 % aufsummiert. Land und Kommunen gehen hierdurch jährlich mehr als 3 Milliarden € Steuereinnahmen verloren. Dem Arbeitsmarkt fehlen mehr als 300.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze.

Ursächlich für das unterdurchschnittliche Wachstum ist nicht der Strukturwandel, sondern sind zu geringe Investitionen in Nordrhein-Westfalen. So ist beispielsweise die Investitionsquote im verarbeitenden Gewerbe nur in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein noch geringer als in NordrheinWestfalen. Das gibt schon zu denken.